L 6 U 164/04

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 114/02
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 164/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 21. September 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Lärmschwerhörigkeit – anzuerkennen ist.

Der am ... geborene Kläger absolvierte in der Zeit vom 1. September 1949 bis 28. Februar 1952 eine Lehre zum Tischler und übte diese Tätigkeit anschließend beim VEB W. N. bis zum 15. August 1952 aus. Vom 1. September 1952 bis 31. August 1955 holte er das Abitur nach und war in den Semesterferien zeitweilig bei der Firma ABF L. beschäftigt. In der Zeit vom 1. September 1955 bis 17. Juli 1960 studierte er an der Hochschule für V. D ... Am 1. August 1960 nahm er eine Tätigkeit als Technologe im R.-werk D. auf, die er am 28. Februar 1962 beendete. Anschließend war er vom 1. März 1962 bis 1969 als Abschnittsleiter in den Gebäuden 210 und 212 und von 1970 bis zum 31. März 1996 als Werkbahnleiter im Gebäude 049 der F.-fabrik W. tätig. Die Gebäude 210, 212 und 049 lagen unmittelbar neben den Gleisanlagen der F.-fabrik. Nachdem der Kläger bis zum 31. März 1997 arbeitslos war, befindet er sich seit dem 1. April 1997 im Ruhestand.

Unter dem 29. November 2000 zeigte die den Kläger behandelnde Fachärztin für HNO-Heilkunde/Allergologie L. der Beklagten den Verdacht einer BK Nr 2301 an. Die Hörminderung und der Tinnitus des Klägers seien erstmals um das Jahr 1986 aufgetreten. Es liege eine Schallempfindungsstörung mittleren Grades beidseits vor. Diese sei auf berufliche Einwirkungen durch Lärmbelastung und Stress zurückzuführen. Sie fügte ein Sprachaudiogramm vom 25. Oktober 2000 und ein Tonaudiogramm vom 26. Februar 1998 mit einem Ergänzungsvermerk vom 25. Oktober 2000 bei.

Die Beklagte holte zu der ärztlichen Anzeige und dem beigefügten Tonaudiogramm eine Stellungnahme des Facharztes für HNO-Heilkunde und Allergologie Dr. M. vom 5. Dezember 2000 ein, der meinte, die Hörstörung habe keinen Einfluss auf das soziale Sprachverständnis. Der Hörverlust liege beidseits bei 0 vom Hundert (vH).

Die Beklagte versuchte vergeblich, Unterlagen über Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen des Klägers aus den Jahren 1962 bis 1996 zu erhalten. Weder die Firma D. GmbH als Rechtsnachfolgerin des früheren Arbeitgebers des Klägers noch dessen Hausärztin Dr. S. verfügten über derartige Unterlagen.

Unter dem 14. Februar 2001 teilte der Kläger der Beklagten mit, er sei beim VEB W. N. dem Lärm von Hobelmaschinen, Abrichten, Kreis- und Bandsägen, Fräsen und Oberfräsen und während seiner Tätigkeit beim Reichsbahnausbesserungswerk Delitzsch einer täglichen Lärmbelastung von 50 % durch Schleifen (Druckluftschleifhexen), Nieten, Richten, Bohren, Sägen, Blatttragfederherstellung, Federschmiede, Ventilprüfung (Druckluft) und Holzbearbeitung ausgesetzt gewesen. In der F.-fabrik W. habe die Lärmbelastung bis 1978 insbesondere in hochfrequentem Zischen beim Abblasen der Kesselsicherheitsventile bestanden. Er sei auch auf Loks mitgefahren. Als weitere Quellen von Lärmbelästigungen seien zu nennen: Versuchsläufe der Verbrennungsmotoren, Schienensäge, Schwellenschraubmaschinen, Schienenbohrmaschinen, hydraulische Gleisheber, Einsatz von Gleisbettreinigungsmaschinen, Gleisrichtmaschinen und Gleisstopfmaschinen, stets überlagert vom pulsierenden Rangierverkehr und der damit verbundenen Geräusche wie Motorenlärm, Schienenstöße, Signale, Puffer zusammenknallen, fallweise explosionsartige Knalle durch das Schienenlochschießen. Zudem hätten vier Bahnübergänge unmittelbar am Gebäude 049 bestanden. Beim Anfahren und Ausstoßen der Rangiergruppen hätten die Dampfspeicherloks mit vollem Dampfdruck und Dieselloks mit voller Motorleistung anfahren müssen. Nach dem Signalbuch hätte vor jedem Anfahren "Achtung" aus dem Typhon (Sirene) erschallen müssen. Bei nassen Gleisen hätten die Räder der Loks mit rumpelndem Geräusch durchgedreht und bei trockenen Schienen gequietscht. 1969 bis 1996 sei er einer ständig wechselnden Lärmexposition ausgesetzt gewesen, die bis 1990 konstant geblieben sei. Von 1991 bis 1996 habe die Lärmexposition abgenommen.

Der beteiligte Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten ermittelte unter dem 3. Mai 2001 unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers für den Zeitraum von 1962 bis 1969 einen personenbezogenen Lärm-Beurteilungspegel für diesen von 85 dB (A). Dieser Lärm-Beurteilungspegel habe im Zeitraum von 1970 bis 1996 unter 84 dB (A) gelegen. Dabei seien die nachfolgenden Werte vergleichsweise heranzuziehen: Verkehrsdispatcher und Arbeitsvorbereiter in den Bürogebäuden 049 und 210 mit 79 dB (A), Rangierleiter im Gleisbereich mit 79 dB (A), Gleisbaumaschinist mit 85 dB (A), Schienenfahrzeugschlosser bei zwei Stunden in der Werkstatt und 6,75 Stunden im übrigen Bereich mit 85 dB (A). Berücksichtigt sei eine Arbeitszeit zwischen 1962 und 1969 mit 60 % im Büro bei einem Beurteilungspegel von 79 dB (A) und 40 % in den Werkstätten bei einem Beurteilungspegel von 88 dB (A) (Mischbelastung) sowie einer Lärmverringerung aufgrund des Abstandes zu den Gleisen zwischen 3 und 6 Metern und einer Schalldämmung der Fenster von 10 dB (A). Für den Zeitraum von 1969 bis 1996 sei bei 70 % Büroarbeiten von 80 dB (A), 5 % Lokmitfahrt von 92 dB (A), 15 % Mischbelastung in den Werkstätten von 88 dB (A) und 10 % für die übrigen Tätigkeiten im Gleisbereich von 79 dB (A) auszugehen. Daraus ergebe sich ein personenbezogener Lärm-Beurteilungspegel für den Kläger unterhalb von 84 dB (A).

Nach der von der Beklagten unter dem 28. Mai 2001 eingeholten gewerbeärztlichen Stellungnahme des Landesamtes für Arbeitsschutz sei eine Lärmbelastung im Sinne der BK Nr 2301 im gehörschädigenden Bereich nicht nachgewiesen.

Mit Bescheid vom 13. Juni 2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr 2301 ab. Hiergegen erhob der Kläger am 6. Juli 2001 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, er sei regelmäßig einer Lärmbelastung durch die elektrische Schreibmaschine in seinem Büro mit einem Lärmpegel von 75 dB (A) ausgesetzt gewesen, die vom äußeren Eisenbahnverkehrslärm mal stärker oder schwächer überlagert worden sei. Mitte der 80er Jahre habe er erstmals pausierende Pfeifgeräusche in beiden Ohren vernommen. Er fügte ein Tonaudiogramm der Verbandstube 1 der F.-fabrik W. vom 14. Januar 1988 bei. Außerdem legte er ein Protokoll der vom damaligen Lärmschutzbeauftragten D. an vier aufeinander folgenden Tagen in der Zeit vom 30. Juni 1986 bis 3. Juli 1986 zwischen 7.00 Uhr und 15.00 Uhr durchgeführten arbeitshygienischen Lärmmessung am Arbeitsplatz des Klägers vor. Der personenbezogene Lärm-Beurteilungspegel im Büro lag hiernach für den Kläger zwischen 57 und 59 dB (A).

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2002 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, der ermittelte Lärm-Beurteilungspegel für den Arbeitsplatz des Klägers liege weit unter 80 dB (A). Damit habe eine Lärmeinwirkung vorgelegen, die nicht geeignet gewesen sei, einen Lärmschaden hervorzurufen.

Mit der am 16. September 2002 vor dem Sozialgericht (SG) Dessau erhobenen Klage hat der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit weiter verfolgt. Das SG hat ein Gutachten der Fachärztin für HNO-Heilkunde und Phoniatrie/Pädaudiologie und Oberärztin der M.-L. Universität H.-W. Dr. R. vom 18. Februar 2003 mit einer Ergänzung vom 11. März 2003 eingeholt. Diese hat ein von der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde/Allergologie Dr. K. angefordertes Tonaudiogramm vom 9. November 1995, die sich in der Verwaltungsakte befindenden Sprach- und Tonaudiogramme der Fachärztin für HNO-Heilkunde L. und die von ihr am 10. Januar 2003 gefertigten Sprach- und Tonaudiogramme ausgewertet. Der Kläger leide unter einer cochleobasalen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits, die in den überschwelligen Tests die Zeichen der cochleären Schädigung erkennen lasse. Sofern die Angaben des TAD zur Lärmexposition einer Schwankungsbreite von 6 dB (A) +/- unterliege, handele sich um eine Hörstörung, die auf eine beruflich bedingte Lärmexposition zurückzuführen sei. Die Tonaudiogramme vom 9. November 1995, 26. Februar 1998 und 10. Januar 2003 ergäben einen Hörverlust von 15 vH / 20 vH / 15 vH auf dem rechten Ohr und 20 vH / 20 vH / 20 vH auf dem linken Ohr. Demgegenüber weise das Tonaudiogramm vom 14. Januar 1988 eine Schalleitungsschwerhörigkeit auf dem rechten Ohr aus, die nicht berufsbedingt verursacht sei. Die Sprachaudiogramme vom 25. Oktober 2000 und 10. Januar 2003 zeigten einen Hörverlust von 10 vH / 30 vH auf dem rechten Ohr und 0 vH / 20 vH auf dem linken Ohr. Hieraus resultiere eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um maximal 10 vH. Ferner leide der Kläger unter einem Tinnitus, der im Bereich der maximalen Hörschädigung läge und auf dem rechten Ohr bei 10 dB (A) und auf dem linken Ohr bei 5 dB (A) überschwellig mit einem Schmalbandrauschen verdeckbar sei. Nach den Empfehlungen des Königsteiner Merkblattes spreche der Tinnitus vom Charakter eines hohen Tones oder Geräuschbandes - wie hier der Fall - für einen Zusammenhang mit der Lärmschwerhörigkeit. Die MdE betrage für den Tinnitus 10 vH. Aus Tinnitus und Hörverlust ergebe sich eine Gesamt-MdE um 15 vH.

Auf Anregung des SG hat der TAD nach einem am 2. Dezember 2003 geführten Gespräch mit dem Kläger, seinem Prozessbevollmächtigten, dem ehemaligen Bereichsleiter Arbeitshygiene der F.-fabrik W. und der Leiterin des Bereiches Berufskrankheiten der Beklagten unter dem 23. Dezember 2003 ausgeführt, für den Kläger habe der personenbezogene Lärm-Beurteilungspegel im Zeitraum von 1969 bis 1991 maximal 84 dB (A) betragen. Bis 1978 habe dieser an 36 Tagen, bis 1991 an 6 Tagen im Jahr über 90 dB (A) gelegen. Dabei sei der Einsatz von Dampfspeicherloks bei höheren Werten für das Fahren unter schwerer Last mit 93 dB (A), die Lärmbelastung bei Arbeiten im Kraftwerksbereich an 6 Tagen im Jahr zwischen 90 und 93 dB (A) und das Einstellen der Sicherheitsventile für Dampfkessel bis 1978 zwei- bis dreimal pro Monat mit über 90 dB (A) berücksichtigt. Grundlage der Beurteilung waren eine arbeitshygienische Lärmmessung einer Dampfspeicherlok vom 10. April 1985 und ein Lärmmessprotokoll einer Dampfspeicherlok vom 25. Juli 1986.

Zu den hiergegen erhobenen Einwänden des Klägers, die Beurteilungspegel für den Zeitraum von 1969 bis 1978 seien bei der Dampfspeicherlok zu niedrig angesetzt und die Messung aus dem Jahr 1986 wegen Ferien und Urlaub nicht repräsentativ, hat der TAD unter dem 27. April 2004 ausgeführt, bei einer Abstandsverdoppelung im Freien vermindere sich der Lärmpegel jeweils um 6 dB (A). Deshalb seien die Pegel je nach Entfernung zum Fenster des Büros zu vermindern. Ein Einfluss von Urlaub und Ferien auf die Messung sei nicht anzunehmen, da es für die Sommermonate keine Plansenkungen gegeben habe und die Materialtransporte ohne Unterbrechung weiter erfolgt seien. Durch den Einsatz von Dampfspeicherloks sei von höheren Spitzenbelastungen von bis zu 110 dB (A) auszugehen, die jedoch zeitanteilig zu keinem anderen Beurteilungspegel als 84 dB (A) führe.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21. September 2004 abgewiesen. Bei der Schwerhörigkeit des Klägers handele es sich nicht um eine Lärmschwerhörigkeit nach der BK Nr 2301. Der Kläger sei während des überwiegenden Teils seiner Arbeitsschicht weder einem Dauerlärm oberhalb von 90 dB (A) noch langjährig 85 dB (A) ausgesetzt gewesen. Auch die Lärmgefährdung zwischen 1962 und 1969 genüge den Anforderungen der BK Nr 2301 nicht. Der TAD habe bei der Ermittlung der Lärmbelastung das Einstellen der Sicherheitsventile am Dampfkessel, den Einsatz von Dampfspeicherloks mit höheren Spitzenbelastungen und Impulslärm berücksichtigt.

Gegen das am 11. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. November 2004 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung führt er aus, die Lärmexposition habe im Zeitraum von 1969 bis 1978 regelmäßig über 90 dB (A) gelegen. Weder das Lärmmessprotokoll vom 25. Juli 1986 noch das vom 10. April 1985 seien repräsentativ für die Lärmkulisse. Dampf- und Luftpfeifen seien hinsichtlich der Lärmentwicklung und Frequenzhöhe nicht mit hochfrequenten Dampfauspuffgeräuschen und dem Abblasen der Loksicherungsventile der Dampfspeicherlok bei einem Kesseldruck von 20 atü (Atmosphärenüberdruck) vergleichbar. Er sei während seiner achtstündigen Arbeitsschicht einem täglichen Dampflokrangierbetrieb von drei bis vier Dampfspeicherloks mit 20 atü bei schwersten Zuglasten ausgesetzt gewesen. Dreimal täglich habe jede Lok mit Dampf nachgeladen werden müssen. Es sei davon auszugehen, dass die Dampflok des Messprotokolls vom 10. April 1985 aufgrund der seit 1978 bestehenden Bauweise lediglich einen Druck von 14 atü aufgebaut gehabt habe. Ferner sei dem Messprotokoll nicht die Zugbelastung zu entnehmen. Auch sei das Messprotokoll vom 30. Juni 1986 bis 3. Juli 1986 nicht für die Zeit vor 1978 heranzuziehen. Die Lärmbelastung im Büro habe seinerzeit weit höher gelegen, insbesondere durch den Typhonlärm im Kraftwerksbereich mit 125 dB (A) und das Abblasen der Kesselsicherheitsventile bei 20 atü mit 130 dB (A) bei einer Frequenz von über 1.000 Hertz (Hz). Zur Behandlung der Schwerhörigkeit habe er erstmals 1995 die Fachärztin Dr. K. aufgesucht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 21. September 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2002 aufzuheben und festzustellen, dass die Hörminderung und der Tinnitus beidseits eine Berufskrankheit der Nr 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sind; hilfsweise, die mündliche Verhandlung zu vertagen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 21. September 2004 zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Vor- sowie im sozialgerichtlichen Verfahren. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK der Nr 2301 lägen nicht vor.

Auf Anfrage des Berichterstatters hat Dipl-Ing (Eur-Ing) D. mitgeteilt, über weitere als die dem Gericht bereits bekannten Unterlagen zur Lärmbelastung am Arbeitsplatz des Klägers verfüge er nicht.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht entschieden, dass die Hörminderung und der Tinnitus des Klägers keine BK Nr 2301 der Anlage zur BKV sind. Der Bescheid vom 13. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2002 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs 2 SGG.

Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage auf Anerkennung einer BK ist unbegründet. Die Voraussetzungen, die Hörminderung und den Tinnitus des Klägers als BK Nr 2301 anzuerkennen, liegen nicht vor.

1. Die von der Fachärztin für HNO-Heilkunde/Allergologie L. am 1. Dezember 2000 der Beklagten angezeigte BK der Nr 2301 richtet sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Gemäß § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) gelten die Vorschriften des SGB VII grundsätzlich nur für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Januar 1997 eingetreten sind. Gemäß § 215 Abs 1 S 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Krankheiten als BKen nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs 2 und 3 RVO in der am 31. Dezember 1996 geltenden Fassung weiter anzuwenden. Mit der Beendigung seiner Tätigkeit als Werkbahnleiter am 31. März 1996 war der Kläger einer Lärmexposition nicht mehr ausgesetzt. Da eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit nach Beendigung der schädigenden Tätigkeit nicht fortschreitet (Merkblatt zur Lärmschwerhörigkeit, Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit (BMA) vom 20. Juli 1977, BABl Fachbeilage Arbeitsschutz 8/9/1977, abgedruckt in Mehrtens/Brandenburger, Berufskrankheitenverordnung, M2301 S 1; Mehrtens/Brandenburger, a.a.O., S 32 Anm 2) kann der Versicherungsfall nur vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sein. Der Kläger hat im Übrigen die geltend gemachte Hörminderung und den Tinnitus erstmals 1986 bemerkt. Gemäß § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht BKen der Sozialversicherung waren, als BKen im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO unter anderem nicht für Krankheiten, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären. In diesen Fällen muss die betreffende Krankheit die Voraussetzungen für die Anerkennung als BK sowohl nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht (Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten (BKVO-DDR) vom 26. Februar 1981) als auch nach der RVO erfüllen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 35/00 R - SozR 3-8440 Nr 50 Nr 1). Die Beklagte hat erstmals durch die Anzeige von Frau L. am 1. Dezember 2000 Kenntnis von der Hörminderung und dem Tinnitus des Klägers erlangt. Diese sind daher nur dann als BK anzuerkennen, wenn sowohl die Voraussetzungen der BK Nr 2301 nach der RVO als auch diejenigen der Nr 50 der 1. Durchführungsbestimmung zur BKVO-DDR vorliegen.

Für eine im Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis 31. März 1996 eingetretene Erkrankung finden demgegenüber allein die Vorschriften der RVO Anwendung.

2. Es liegen bereits die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr 2301 nicht vor (nachfolgend a). Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen der BK Nr 50 nicht gegeben (nachfolgend b).

a) Nach § 551 Abs 1 Satz 2 RVO sind BKen die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (§§ 539, 540 bis 545 RVO) erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 551 Abs 1 Satz 3 RVO. Die Feststellung der BK Nr 2301 setzt voraus, dass der Versicherte infolge seiner versicherten Tätigkeit Lärm ausgesetzt war und diese Einwirkung eine Schwerhörigkeit verursacht hat. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes müssen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein. Dies bedeutet, dass das erkennende Gericht zu der vollen Überzeugung hinsichtlich dieser behaupteten ansprucherheblichen Tatsachen gelangen muss. Erforderlich ist, dass der Senat die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also in einem so hohen Grade für wahrscheinlich hält, dass keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 2).

aa) Neben der versicherten Tätigkeit ist vollbeweislich eine Hörminderung des Klägers auf dem linken Ohr seit dem 14. Januar 1988 und auf beiden Ohren seit dem 9. November 1995 sowie der Tinnitus beidseits seit dem 29. November 2000 gesichert.

(1) Der Kläger hat in der Zeit von 1962 bis 1969 als Abschnittsleiter und in der Zeit von 1970 bis 1996 als Werkbahnleiter der F.-fabrik W. versicherte Tätigkeiten ausgeübt. Es liegt auch eine Hörminderung des Klägers vor. Als BK Nr 2301 kann diese nur anerkannt werden, wenn es sich um eine Schallempfindungsschwerhörigkeit vom Haarzelltyp (Innenohrschwerhörigkeit) handelt (Merkblatt Lärmschwerhörigkeit, a.a.O., S 2). Diese und den hierauf basierenden Tinnitus hat Dr. R. nach Begutachtung des Klägers und Auswertung der Tonaudiogramme festgestellt. Nach diesem Gutachten ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger seit 1988 an einer Lärmschwerhörigkeit im linken Ohr und seit 1995 an einer cochleobasalen Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Anzeichen einer cochleären Schädigung beidseits leidet. Die Tonaudiogramme vom 9. November 1995, 26. Februar 1998 und 10. Januar 2003 zeigen deutlich eine Senke um den Frequenzbereich von 4000 Hz - die so genannte c5-Senke. Diese ist typisch für eine Lärmschwerhörigkeit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, 7.3.3.2.5, S 422). In der Mehrzahl der Lärmschädigungen bleibt der Hörverlust auf die Frequenzen oberhalb von 1000 Hz beschränkt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7.3.3.2.5, S 423). Dies ist auch bei dem Kläger der Fall. Die Hörminderung setzt im Tonaudiogramm vom 9. November 1995 um 1500 Hz, in den Tonaudiogrammen vom 26. Februar 1998 und 10. Januar 2003 um 1000 Hz ein. Für eine Lärmschwerhörigkeit spricht auch, dass die Lärmschädigung seit 1995 in beiden Ohren annähernd gleichmäßig ausgeprägt ist.

Dagegen bedarf es zur Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BK 2301 einer Erklärung durch außergewöhnliche Arbeitsplatzverhältnisse, wenn der Hörverlust bei 4000 Hz mehr als 90 dB beträgt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7.3.3.2.5, S 423). Ein derartiger Hörverlust liegt bei dem Kläger beidseits nicht vor. Gegenüber den Tonaudiogrammen vom 9. November 1995, 26. Februar 1998 und 10. Januar 2003 weist das Tonaudiogramm vom 14. Januar 1988 keine annähernd gleichmäßige Ausprägung der Lärmschädigung rechts und links aus. Während im linken Ohr eine c5-Senke und eine einsetzende Minderung bei 1000 Hz vorliegt, beginnt die Hörminderung im rechten Ohr bereits bei 500 Hz und 80 dB; die Kurve steigt bei 3000 Hz auf 50 dB an. Diese Kurve des Tonaudiogramms ist - worauf Dr. R. hingewiesen hat - typisch für eine Schallleitungsstörung der tieferen Frequenzen, die niemals durch chronische Lärmeinwirkung verursacht werden kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7.3.3.2.4 S 421). Die Sachverständige hält das Tonaudiogramm des rechten Ohres zur Abschätzung der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit im Übrigen nicht für verwertbar, weil es keine Knochenleitungskurven enthält. Es ist daher nicht vollbeweislich gesichert, dass bei dem Kläger am 14. Januar 1988 auch eine Lärmschwerhörigkeit auf dem rechten Ohr vorgelegen hat.

Ein Tinnitus beidseits ist erstmals in der ärztlichen Anzeige von Frau L. vom 29. November 2000 nach Fertigung eines Sprach- und Tonaudiogramms benannt. Dr. R. hat diesen ebenfalls bei ihrer Untersuchung am 10. Januar 2003 festgestellt. Dieser ist auf dem rechten Ohr bei 10 dB und auf dem linken Ohr bei 5 dB überschwellig mit einem Schmalbandrauschen verdeckbar gewesen.

(2) Demgegenüber ist nicht vollbeweislich gesichert, dass die Lärmschwerhörigkeit auf dem linken Ohr bereits vor dem 14. Januar 1988, die auf dem rechten Ohr vor dem 9. November 1995 und der Tinnitus beidseits vor dem 29. November 2000 vorgelegen haben. Mit Ausnahme des Tonaudiogramms vom 14. Januar 1988 liegen keine weiteren Tonaudiogramme für Zeiten vor dem 9. November 1995 vor. Auch zum Tinnitus gibt es keine Untersuchungsergebnisse, die vor dem Datum der ärztlichen Anzeige vom 29. November 2000 liegen.

bb) Eine Lärmschwerhörigkeit der Nr 2301 liegt nur dann vor, wenn sich diese in einem Zeitraum entwickelt hat, in dem eine adäquate Lärmexposition bestand. Ohne eine ausreichende Lärmexposition kann eine Lärmschwerhörigkeit nicht entstehen. Gehörschädigend ist ein Dauerlärm oberhalb von 90 dB (A) während des überwiegenden Teils der Arbeitszeit. Liegt der Beurteilungspegel unter 90 dB (A), hat er aber den Wert von 85 dB (A) erreicht, so kommt bei langjähriger Exposition oder außergewöhnlich großer individueller Gehörsensibilität eine Lärmschädigung in Betracht. Hat die Lärmexposition durchweg unter 85 dB (A) gelegen, ist eine Lärmschwerhörigkeit ausgeschlossen, es sei denn, der Geräuschpegel enthielt stark hochfrequente Frequenzanteile, die für das Gehör besonders schädigend sind (Merkblatt Lärmschwerhörigkeit, a.a.O., S 1; Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., S 32 Anm 2; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7.3.3.2.2, S 417 f).

(1) Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine ausreichende Lärmexposition im Sinne der BK 2301 während der Ausübung versicherter Tätigkeit vor dem 1. März 1962. Der Kläger war zwar während seiner unterschiedlichen Tätigkeiten Lärm ausgesetzt. Sichere Erkenntnisse über die Höhe des Lärmpegels liegen jedoch nicht vor. Der Kläger geht im Übrigen davon aus, dass er erst mit der Aufnahme der Tätigkeit als Abschnittsleiter der Filmfabrik Wolfen einer erhöhten Lärmbelastung ausgesetzt war und die Hörminderung und der Tinnitus durch eine Lärmexposition seit 1962 verursacht sind.

(2) Für den Zeitraum vom 1. März 1962 bis 1969 hat der TAD einen personenbezogenen Lärm-Beurteilungsschallpegel für den Kläger von 85 dB (A) berechnet. Ergebnisse von Lärmmessungen am Arbeitsplatz des Klägers standen nicht zur Verfügung. Grundlage der Berechnung sind daher lediglich die Angaben des Klägers über Art und Umfang seiner Tätigkeiten (60 vH Bürotätigkeiten und 40 vH Tätigkeiten in der Werkstatt) sowie die Arbeitsplatzbewertungen vergleichbarer Tätigkeiten an anderen Arbeitsplätzen (Verkehrsdispatcher, Arbeitsvorbereiter, Rangierleiter, Gleisbaumaschinist und Schienenfahrzeugschlosser). Während der Ausübung seiner Bürotätigkeit war die Lärmbelastung vergleichbar mit der eines Verkehrsdispatchers im Gebäude 049 oder eines Arbeitsvorbereiters im Gebäude 210 von jeweils 79 dB (A). Innerhalb der Werkstatt 212 geht der TAD von einer Mischbelastung von 88 dB (A) - berechnet unter Berücksichtigung einer vergleichbaren Lärmbelastung eines Rangierleiters von 79 dB (A), eines Gleisbaumaschinisten von 85 dB (A) und eines Schienenfahrzeugschlossers von 91 dB (A) - aus, letztere hochgerechnet auf eine Arbeitsschicht von 8 Stunden. Dabei ist der TAD rechnerisch von Maximalwerten bei Annahme der größtmöglichen Nähe aller Lärmquellen vor dem Bürofenster des Büros des Klägers ausgegangen. Zu- oder Abschläge von bis zu 6 dB (A) sind daher nicht zu berücksichtigen. Eine ausreichende Lärmexposition für diesen Zeitraum ist damit vollbeweislich gesichert.

(3) Demgegenüber ist eine ausreichende Lärmexposition für den Zeitraum von 1979 bis 1996 nicht nachgewiesen.

Der Lärmbeauftragte D. hatte vom 30. Juni 1986 bis 3. Juli 1986 täglich in der Zeit von 7.00 Uhr bis 15.00 Uhr eine Lärmmessung am Arbeitsplatz des Klägers vorgenommen. Nach Auswertung der Pegeldiagramme hat sich der Lärm in 90 vH der Arbeitszeit aus Geräuschen der Schreibmaschine und des Besucherverkehrs und 10 vH der Arbeitszeit aus Geräuschen beim Rangierbetrieb zusammengesetzt. Hieraus resultiert eine Lärmbelastung des Klägers im Büro (70 vH der Arbeitszeit) von bis zu 59 dB (A). Für die Tätigkeit des Klägers außerhalb des Büros geht der TAD für die Lokmitfahrten (5 vH der Arbeitszeit) von einer Lärmbelastung von 92 dB (A), für Tätigkeiten innerhalb der Werkstatt (15 vH der Arbeitszeit) mit einer Mischbelastung von 88 dB (A) und für die übrige Tätigkeit im Gleisbereich von 79 dB (A) aus. An 6 Tagen im Jahr war der Kläger nach den Ermittlungen des TAD im Kraftwerksbereich einer Lärmbelastung von 93 dB (A) ausgesetzt. Der vermessene Wert lag bei einem Abstand von 5 Metern zur Lärmquelle bei 119 dB (A). Bei einem Abstand des Klägers von 10 bis 20 Metern zur Lärmquelle und einer maximalen Aufenthaltsdauer von 15 Minuten ergibt sich allenfalls eine Lärmbelastung von 93 dB(A). Hieraus resultiert unter Anwendung der DIN 45 645 für die "Einheitliche Ermittlung des Beurteilungspegels für Geräuschimmissionen" eine Lärmbelastung von maximal unter 84 dB (A).

Diese Berechnung ist nicht zu beanstanden. Der TAD hat die Angaben des Klägers zur Lärmbelastung bei seiner Berechnung berücksichtigt. Mit dem Einsatz der Dampfspeicherloks statt der Dieselloks seit 1979 war die Lärmbelastung zurückgegangen. Nach den Angaben des Klägers war diese bis 1990 konstant und hat bis 1996 um 10 vH abgenommen. Das Protokoll der Lärmmessung im Zeitraum vom 30. Juni 1986 bis 3. Juli 1986 kann daher für den gesamten Zeitraum von 1979 bis 1996 als Grundlage der Berechnung der maximalen Lärmbelastung am Arbeitsplatz des Klägers herangezogen werden. Der Einwand des Klägers, der Lärmschutzbeauftragte habe die dem Protokoll zugrunde liegenden Messungen während der Urlaubszeit unter geringer Belastung durchgeführt, ist nicht nachvollziehbar. Anhaltspunkte hierfür bestehen nicht. Die Schulferien in der DDR haben im Jahr 1986 erst am 5. Juli 1986 und damit nach erfolgter Messung begonnen (www.schulferien.org/Schulferien DDR/1985 1986/ schulferien ddr 1985 1986.html). Damit ist für den Zeitraum von 1979 bis 1996 keine ausreichende Lärmexposition am Arbeitsplatz des Klägers nachgewiesen.

(4) Auch für den Zeitraum von 1969 bis 1978 ist eine Lärmexposition nicht vollbeweislich gesichert.

Bis zum Jahr 1978 war die Dampfspeicherlokomotive - eine feuerlose Lokomotive - eingesetzt. Messungen am Arbeitsplatz des Klägers und Vergleichsmessungen gleich gelagerter Arbeitsplätze liegen für diesen Zeitraum nicht vor. Der TAD hat daher zur Berechnung das Messprotokoll vom 10. April 1985 über die "Lärmbelastung einer Dampfspeicherlok" und das "Lärmmessprotokoll einer Dampfspeicherlok mit Dampfpfeife und mit Druckluftpfeife" vom 25. Juli 1986 herangezogen und die Angaben des Klägers zu Art und Umfeld seiner Tätigkeiten berücksichtigt. Hiernach hat der personenbezogene Lärm-Beurteilungspegel für den Kläger bei maximal 84 dB (A), unter Heranziehung des Messprotokolls aus dem Jahr 1986 bei maximal 82,6 dB (A) gelegen. Dabei ist ein höherer Wert für die Dampfspeicherlok für das Fahren unter schwerer Last von 93 dB (A) berücksichtigt. Die Lärmbelastung bei Arbeiten im Kraftwerksbereich lag ebenso wie in den darauf folgenden Jahren zwischen 90 dB (A) und 93 dB (A) an sechs einzelnen Tagen im Jahr. Ferner hat der TAD für das Einstellen der Sicherheitsventile der Dampfkessel - eine solche Tätigkeit ist unstreitig zwei bis dreimal im Monat angefallen - eine Tagesdosis über 90 dB (A) ermittelt. Dabei ist sie von einem Spitzenwert von 127 dB (A) in 0,5 Meter Entfernung und 124 dB (A) im Führerhaus ausgegangen. Diese Werte führen aber in der Gesamtberechnung des TAD nicht zu einer Lärmexposition von 85 dB (A) und mehr je Arbeitsschicht.

Die Vorgehensweise des TAD, Vergleichsmessungen anderer Arbeitsorte zur Berechnung der Lärmbelastung heranzuziehen, ist nicht zu beanstanden. Sind Lärmmessungen am Arbeitsplatz des Versicherten nicht oder nur unzureichend durchgeführt worden, ist die Lärmbelastung unter Berücksichtigung von Vergleichsmessungen annähernd zu schätzen (Mehrtens/Brandenburger, a.a.O., S 32, Anm 2; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7.3.3.2.2, S 419). Die Grundlage der Schätzung des TAD ist nicht zu beanstanden. Die Vergleichsmessungen stammen von Dampfspeicherloks und damit von vergleichbaren Lärmquellen, die bis 1978 die Lärmbelastung am Arbeitsplatz des Klägers beeinflusst haben. Der TAD hat zudem berücksichtigt, dass die Lärmbelastung am Arbeitsplatz von der Entfernung zur Expositionsquelle abhängig ist. Die vom Kläger benannten Lärm-Beurteilungspegel vermag der Senat demgegenüber nicht nachzuvollziehen. Dem TAD waren alle vom Kläger benannten Umstände während der Ausübung seiner Tätigkeit bekannt. Auch hat er diese bei seiner Berechnung berücksichtigt. Zudem bestand bereits für den Zeitraum von 1979 bis 1996 zwischen der subjektiven Einschätzung der Lärmbelastung des Klägers an seinem Arbeitsplatz und der objektiv gemessenen Lärmbelastung keine Übereinstimmung. Während der Kläger - wie auch zunächst der TAD - von weit höheren Werten ausgegangen ist, lagen die gemessenen Werte weit unterhalb der empfundenen Lärmbelastung. Der Senat hat daher erhebliche Zweifel, dass die von dem Kläger genannten Lärm-Beurteilungspegel zutreffend sind. Eine ausreichende Lärmexposition ist damit für diesen Zeitraum nicht vollbeweislich gesichert.

cc) Aber auch wenn man den Einwänden des Klägers zur Schätzgrundlage des TAD folgt und für den Zeitraum von 1969 bis 1978 von einer ausreichenden Lärmexposition ausgeht, führt dies nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Anerkennung einer BK 2301. Es fehlt in diesem Falle an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass die festgestellte Lärmexposition die Hörminderung und den Tinnitus des Klägers verursacht hat. Dies gilt sowohl für den Zeitraum von 1962 bis 1969 als auch für den Zeitraum von 1969 bis 1978.

Der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Einwirkung sowie zwischen der Einwirkung und der Erkrankung beurteilt sich nach dem Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Dabei reicht die gute Möglichkeit eines Zusammenhangs nicht aus (BSG, Urteil 1. Februar 1996 - 2 RU 10/95 - HVBG-INFO 1996, 1407). Auch reicht es für den ursächlichen Zusammenhang nicht aus, dass der Kläger über mehrere Jahrzehnte beruflichem Lärm ausgesetzt gewesen ist.

(1) Gegen eine wesentliche Verursachung der Hörschäden durch die Lärmeinwirkung im Zeitraum von 1962 bis 1978 spricht der Umstand, dass der Kläger erstmals ein Pfeifen in seinen Ohren und eine Hörminderung 1986 wahrgenommen hat. Vollbeweislich gesichert ist die Lärmschwerhörigkeit auf dem linken Ohr erst durch das Tonaudiogramm vom 14. Januar 1988. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand schreitet eine Lärmschwerhörigkeit nach der Beendigung der Lärmbelastung nicht fort (Mehrtens/Brandenburger, a.a.O., S 32 Anm 2; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7.3.3.2.3, S 419). Hierauf hat auch Dr. R. in ihrem Gutachten hingewiesen. Eine Lärmexposition bis 1978 hätte daher spätestens 1978 eine Lärmschwerhörigkeit hervorrufen müssen, um als Berufskrankheit anerkannt zu werden. Hierfür fehlt es aber an einer gesicherten Hörminderung mit Tinnitus vor 1979. Die erstmals 1986 wahrgenommene Hörminderung mit Tinnitus ist deshalb nicht auf eine von März 1962 bis 1969 bestehende und auf eine bis 1978 unterstellte Lärmexposition zurückzuführen.

(2) Die Schallleitungsstörung in den tieferen Frequenzen des rechten Ohres, die Dr. R. anhand des Tonaudiogramms vom 14. Januar 1988 beschrieben hat, kann nicht durch eine chronische Lärmeinwirkung verursacht worden sein. Sie kann aber durch ein Explosionstrauma entstehen und wäre in diesem Falle als Berufskrankheit anzuerkennen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7.3.3.2.4, S 421). Anhaltspunkte für das Entstehen eines Explosionstraumas während versicherter Tätigkeit in dem Zeitraum von 1980 bis 1996 bestehen jedoch nicht. Auch hat der Kläger dies nicht behauptet.

Die Voraussetzungen der Anerkennung einer BK Nr 2301 liegen nach alledem nicht vor.

(b) Der Kläger hätte bei dem Eintritt des Versicherungsfalls der Berufskrankheit vor dem 1. Januar 1992 auch nach den im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Vorschriften der ehemaligen DDR keinen Anspruch auf Anerkennung einerBK der Nr. 50 BKVO-DDR gehabt. Die Voraussetzungen hierfür haben nicht vorgelegen.

Nach § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl DDR I 185) in Verbindung mit § 2 Abs 1 BKVO-DDR (GBl DDR I 137) ist eine BK eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der vom Minister für Gesundheitswesen in Übereinstimmung mit dem Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) herausgegebenen Liste der BKen (Anlage zur Ersten Durchführungsbestimmung der BKVO-DDR vom 21. April 1981 (GBl DDR I 139)) genannt ist. Diese Rechtsvorschriften sind nach der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr 4 und 5 des Einigungsvertrages (EinigVtr) im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft geblieben. Die Liste der BKen enthält unter Nr 50 in der seit 1981 geltenden Fassung BKen durch "Lärm, der Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung verursacht". Was dabei unter "sozialer Bedeutung" zu verstehen ist, ist dieser Norm nicht unmittelbar zu entnehmen.

Die Fortgeltung der hier einschlägigen Vorschriften der ehemaligen DDR im Beitrittsgebiet dienten der zeitlich befristeten Wahrung eines in der ehemaligen DDR etablierten rechtlichen Status quo bis zur endgültigen Überleitung des Unfallversicherungsrechts (Bundestags-Drucksache 11/7817 S 158). Deshalb kommt der historischen Auslegung der Vorschrift ein besonderes Gewicht zu, insbesondere der Konkretisierung der Norm durch die Rechts- und Verwaltungspraxis der ehemaligen DDR. Dabei haben Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze, die von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt sind, unberücksichtigt zu bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001 a.a.O.). Für diese Auslegung spricht Art 19 EinigVtr, wonach Verwaltungsakte der DDR, die in der Regel auf deren Verwaltungspraxis beruhen, nach Maßgabe dieser Vorschrift wirksam bleiben. Die Vertragsparteien des EingVtr wollten erkennbar die Verwaltungspraxis der DDR als Grundlage für fortbestehende Verwaltungsakte anerkennen, sofern rechtsstaatliche Grundsätze oder Regelungen des EinigVtr nicht entgegenstehen (BSG, Urteil 4. Dezember 2001, a.a.O.).

Gemäß der vom Ministerium für Gesundheitswesen der DDR herausgegebenen "Richtlinie zur Begutachtung von arbeitsbedingten Hörschäden (BK-Nr 50)" (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Gesundheitswesen (1989), Nr 6, S 57, abgedruckt in "Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer" (1945 - 1990), Sonderheft 4 der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Berlin 1994, S 269 ff) setzte das Vorliegen einer Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung voraus, dass nach den Ergebnissen der audiometrischen Untersuchung ein Körperschaden von mindestens 20 vH resultierte - Nr V, 1. Spiegelstrich a.a.O - oder wenn die Bedingungen des § 7 Abs 2 der 5. Durchführungsbestimmung zur BKVO-DDR - Schutz vor berufsbedingter Lärmschwerhörigkeit - zutrafen. Letztere Alternative ist hier nicht einschlägig, weil sie nur noch im Arbeitsprozess stehende Versicherte betrifft. Bedenken gegen die Anwendung dieser Richtlinie aus rechtsstaatlicher Sicht bestehen nicht (BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001, a.a.O.). Zur Anerkennung einer BK Nr 50 ist ein Körperschaden von mindestens 20 vH erforderlich. Für die Einschätzung des Körperschadens ist nach § 215 Abs 6 SGB VII iVm § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO die Regelung des § 56 SGB VII anzuwenden. Der Grad des Körperschadens entspricht regelmäßig im Wesentlichen dem der MdE (BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Körperschaden des Klägers ist nicht mit einem Grad von 20 vH zu bewerten, sondern liegt darunter. Die Sachverständige Dr. R. hat nach Auswertung der Sprachaudiogramme vom 25. Oktober 2000 und 10. Januar 2003 den Hörverlust für Zahlen und das gewichtete Gesamtwortverstehen nach Feldmann ermittelt und anhand der Tabelle nach Boenninghaus und Röser (1973) den prozentualen Hörverlust für beide Ohren getrennt berechnet. Ferner hat sie zur Gegenkontrolle aus den Tonaudiogrammen vom 9. November 1995, 26. Februar 1998 und 10. Januar 2003 den Hörverlust nach der Drei-Frequenz-Methode nach Röser (1980) bestimmt. Diese Vorgehensweise entspricht den Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit (Königsteiner Merkblatt, 4. Auflage 1995). Danach besteht ein Hörverlust nach dem Sprachaudiogramm auf dem rechten Ohr von höchstens 30 vH und auf dem linken Ohr von höchsten 20 vH, nach den Tonaudiogrammen auf dem rechten und linken Ohr von höchstens 20 vH. Nach der Tabelle von Feldmann beträgt die MdE bei einem Hörverlust rechts von 30 vH und links von 20 vH höchstens 15 vH. Damit ist der Grenzwert der MdE von 20 vH, ab dem eine Schwerhörigkeit von sozialer Bedeutung begründet ist, nicht erreicht.

3. Dem Hilfsantrag des Klägers auf Vertagung der mündlichen Verhandlung war nicht stattzugeben. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist gewahrt. Der Kläger hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit gehabt, zur Sach- und Rechtslage Stellung zu nehmen. Es war nicht erforderlich, dem Kläger zu den rechtlichen Hinweisen des Senats zur Anwendung des BK Nr 50 der BKVO-DDR, der bis zur mündlichen Verhandlung nicht Gegenstand der Auseinandersetzung war, die Möglichkeit zum weiteren Vortrag zu gewähren. Der Senat hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass schon die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr 2301 nicht vorgelegen haben. Die darüber hinaus getroffenen Hilfserwägungen des Senats zur BK Nr 50 der BKVO-DDR stellen nicht die tragenden Gründe der Entscheidung dar.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

III. Die Voraussetzungen des § 160 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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