Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 135/01
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 143/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. Oktober 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander im Vorverfahren sowie in beiden Rechtszügen keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 81 der Liste der BK´en zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von BK´en der DDR – irritative chronische Krankheiten der oberen und tieferen Luftwege und Lungen durch chemische Stoffe, wobei die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit oder des Umgangs mit dem schädigenden Stoff und die irritative Wirkung des angeschuldigten Stoffes gesichert sein müssen – (BK 81 BKVO-DDR) anzuerkennen und ihr von April 1998 an eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vom Hundert (vH) zu gewähren ist.
Die am ... 1933 geborene Klägerin arbeitete von Juni 1949 bis Ende Dezember 1954 als Verkäuferin und Instrukteurin in den Konsumgenossenschaften D. und Z., war dann bis Anfang September 1956 Hausfrau und anschließend bis Ende Dezember 1958 als Bereitstellerin im Materiallager des VEB Elektromotorenwerk D. beschäftigt. Sie war vom 1. Januar 1959 bis zum 30. Juni 1990 in der dortigen Abteilung Werkzeugbau als Graviererin (Graveurin) tätig, bezog anschließend bis Mai 1998 eine Invaliden- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente und ist seither Altersrentnerin.
Am 15. April 1998 hatte sich die Klägerin an die Beklagte gewandt und vorgetragen, dass sämtliche im VEB Elektromotorenwerk D. hergestellten Werkzeuge (z.B. Drehstähle, Meißel oder Fräser) mit einer Zeichnungsnummer graviert worden seien. Um Kosten zu sparen, sei hierzu im Zuge eines Neuerervorschlages vorübergehend Stahlätztinte zum Einsatz gekommen, die eingestempelt worden sei. Seien die Stempelkissen durch die verwandte Ätzlösung unbrauchbar geworden, habe man eine Filzunterlage eingesetzt. Sachen, die mit der Ätztinte in Berührung gekommen seien, seien mit der Zeit zerfressen worden. So habe auch sie in der Zeit von 1970 bis 1974 mit der Ätztinte gearbeitet, bis Luft- und Atembeschwerden aufgetreten seien. Durch betriebsärztliche Anweisung seien die Arbeiten mit der Ätztinte dann zwar eingestellt worden, jedoch habe sich bei ihr bereits ein Asthma entwickelt gehabt, welches eine jahrelange Tabletten- und Spraybehandlung erforderlich gemacht habe. Die Einnahme der starken Medikamente habe bei ihr Knochenschwund und einen Herzinfarkt hervorgerufen. Zudem sei 1997 ärztlich festgestellt worden, dass auch der Naseninnenraum durch die Ätze zerfressen sei. Trotz mehrmaliger Aufforderung seien ihr ihre Krankenunterlagen von dem damaligen Betriebsleiter sowie vom Betriebsarzt nicht ausgehändigt worden.
Auf entsprechende Anfrage der Beklagten hatte der Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Städtischen Klinikums D. Dr. S. am 4. September 1998 bestätigt, dass ihm bei der ambulanten Untersuchung am 29. November 1997 eine sichtbare Veränderung der Nasenschleimhäute aufgefallen sei. Ergänzend hatte er im Schreiben vom 5. Oktober 1998 über eine trockene atrophische (zurückgebildete) Schleimhaut im Bereich des Nasenseptums (Scheidewand) beidseitig, im Bereich des Muschelkopfes sowie der unteren Muschel beidseitig berichtet. Daraus ergebe sich der Verdacht auf eine Schadstoffwirkung.
Die VEM Vermögensverwaltung GmbH D. hatte mit Schreiben vom 30. September 1998 angegeben, zu arbeitsplatzbezogenen Fragen könnten keine Aussagen mehr getroffen werden, da entsprechende Unterlagen nicht vorlägen. Der frühere Betriebsarzt des VEB Elektromotorenwerk D. Dipl.-Med. K. hatte die Beklagte am 4. Oktober 1998 darüber informiert, dass die Betriebsleitung 1990 alle betriebsärztlichen Unterlagen vernichtet habe.
Vom zuständigen Rentenversicherungsträger der Klägerin hatte die Beklagte das allergologische Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. B. vom 12. Juni 1990 beigezogen. Dipl.-Med. B. hatte ein seit 1973 bestehendes Asthma bronchiale (Atemnot) festgehalten; ein Hinweis auf eine exogen-allergische Genese (durch äußere Einwirkung entstanden) habe sich im Rahmen der am 25. Mai 1990 durchgeführten Allergentestung nicht gezeigt. Im Ergebnis war von der Sachverständigen ein durch ein chronisches Asthma bronchiale hervorgerufenes chronisches Cor pulmonale (Rechtsherzbelastung) diagnostiziert worden, welches Invalidität bedinge.
Die Beklagte hatte den Sozialversicherungsausweis (SV-Ausweis) der Klägerin beigezogen, woraus für den 2. Dezember 1971, den 27. April 1972, den 4. Juli 1977, den 7. Mai 1981, den 20. August 1985, den 27. Januar 1987, den 27. November 1987, den 7. Januar 1988, den 8. April 1988, den 20. Mai 1988 und den 12. Mai 1989 Behandlungen wegen chronischer Bronchitis bzw. eines Asthma bronchiale (Diagnosen Nrn. 491 und 493 der seinerzeit gültigen Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesfolgen – ICD-8 und 9) hervorgingen.
Weiterhin hatte die Beklagte von der Klinik für Innere Medizin des Städtischen Klinikums D. den Entlassungsbericht vom 31. Mai 1996 über die stationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 15. bis zum 22. Mai 1996 beigezogen. Hierin war neben dem Asthma bronchiale eine Angina pectoris (Herzschmerz) bei chronischer Ischämie (Mangelversorgung des Herzens) diagnostiziert und ein akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt) ausgeschlossen worden.
Zur Klärung der Arbeitsplatzsituation der Klägerin hatte am 1. Februar 1999 ein Gespräch mit ihr sowie einem ihrer ehemaligen Arbeitskollegen stattgefunden. In der hierzu vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten erstellten Arbeitsplatzanalyse vom 8. Juni 1999 war ausgeführt worden: Zum Auftragen der Stahlätztinte habe sich am Arbeitsplatz der Klägerin ein handelsübliches Stempelkissen (ca. 11 cm x 8 cm), das mit der Ätztinktur angefeuchtet gewesen sei, befunden. Pro Monat seien etwa 300 Einzelteile mit Stempeln zu kennzeichnen gewesen. Der Verbrauch an Ätztinktur im Gesamtzeitraum von 1970 bis 1974 habe nach Einschätzung der Klägerin und ihres Kollegen bei fünf bis sieben Litern gelegen. Die Tinktur sei in einer 1-Liter-Glasflasche am Arbeitsplatz aufbewahrt worden. Stahlätztinte setzte sich erfahrungsgemäß aus Salzsäure, verdünnter Schwefelsäure oder Salpetersäure mit Zusätzen von Weinsäure, Alkohol, Essigsäure, Quecksilberchloral, Flusssäure, Chromsäure, 2,4- und 6-Trinitrophenol und Ammoniumpersulfat zusammen. Im Ergebnis hatte der TAD eingeschätzt, dass bei der Verarbeitungsform sowie den eingesetzten Mengen Grenzwertüberschreitungen auszuschließen seien. Außerdem hatte der TAD seiner Stellungnahme ein an Dipl.-Med. K. gerichtetes internes Schreiben des VEB Elektromotorenwerk D. vom 12. Februar 1982 beigefügt, wonach den Herstellermitteilungen der Stahlätztintenrezeptur zu entnehmen sei, dass bei der Kennzeichnung der Werkstücke mittels Stempeln keine toxischen Gase entstünden.
In ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 4. Oktober 1999 hatte die Ärztin für Arbeitsmedizin Dr. M. die Ablehnung einer BK 81 BKVO-DDR empfohlen. Eine Überschreitung des MAK-Wertes (Maximale Arbeitsplatzkonzentration) sei nicht wahrscheinlich. Eine inhalative Exposition chemischer Stoffe von nur etwa drei Jahren spreche gegen eine berufliche Verursachung. Bei Schadstoffkonzentrationen oberhalb von 1 MAK bis unter 2 MAK müsse die Expositionsdauer bis Krankheitsbeginn mindestens 10 Jahre betragen. Auch eine durch die Ätztinte bedingte Entstehung der 1997 festgestellten Veränderungen der Nasenschleimhäute sei unwahrscheinlich, da insoweit Brückensymptome nicht ersichtlich seien.
Dieser Einschätzung hatte sich in seiner gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 13. Dezember 1999 Dr. Sch. angeschlossen. Bei der Klägerin sei seit Ende 1971 ein Asthma bronchiale bekannt. Durch eine Einwirkungszeit von nur zwei Jahren lasse sich die Entstehung einer solchen Krankheit nicht erklären. Entsprechendes gelte mangels Brückensymptomatik auch für die Nasenschleimhautveränderungen. Zudem seien Grenzwertüberschreitungen von Atemtraktirritantien nicht nachgewiesen.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2000 hatte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des geäußerten Verdachtes auf das Vorliegen einer BK 81 BKVO-DDR abgelehnt. Zwar habe die Klägerin beim Aufbringen von Zeichnungsnummern auf Werkzeugen beruflichen Kontakt zu Stahlätztinte gehabt. Bei der Verarbeitungsform und den eingesetzten Mengen hätten hierbei jedoch keine Grenzwertüberschreitungen von chemischen Atemtraktirritantien vorgelegen, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer BK nicht erfüllt seien. Auch der Erkrankungsbeginn des Asthmas bronchiale im Dezember 1971 spreche gegen eine berufliche Verursachung. Denn eine solche Erkrankung könne nach einer derart kurzen Einwirkungszeit nicht hervorgerufen werden. Ferner seien die 1997 festgestellten Veränderungen der Nasenschleimhäute mangels erfolgter zwischenzeitlicher Behandlungen ebenfalls nicht auf die angeschuldigte Tätigkeit von 1970 bis 1974 zurückzuführen. Eine Entschädigungspflicht entfalle daher.
Dagegen hatte die Klägerin am 19. Juli 2000 Widerspruch erhoben und geltend gemacht, dass auch bei demjenigen Kollegen, der sie urlaubs- bzw. krankheitsbedingt vertreten habe, die gleichen Krankheitssymptome vorlägen wie bei ihr. Die verwandten Ätzstempel seien zur weiteren Beweiswürdigung ebenfalls noch vorhanden. Zudem habe sie auch Asbestklemmbretter graviert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2000 hatte die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Am 3. April 2001 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides der Beklagten vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 und machte hierzu geltend, während des abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens erneut stationär behandelt worden zu sein.
Die Beklagte zog den Entlassungsbericht der Klinik für Innere Medizin des Städtischen Klinikums D. vom 18. September 2000 bei, wo die Klägerin wegen subjektiv empfundenen Herzrasens und zunehmender Dyspnoe (Atemnot) vom 30. August bis zum 19. September 2000 stationär behandelt worden war.
Nachdem Dr. M. in ihrer nochmaligen Stellungnahme vom 25. Juni 2001 darauf verwiesen hatte, dass in der Beurteilung keine neuen Aspekte ersichtlich und auch Asbeststaubgefährdungen auszuschließen seien, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juli 2001 eine Rücknahme ihres Bescheides vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 mangels neuer Gesichtspunkte ab.
Den hiergegen am 20. August 2001 erhobenen Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie sich mit Schreiben vom 20. September 2001 auf ihr bisheriges Vorbringen berief und ein Kästchen mit eingesetzten Buchstabenstempeln vorlegte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2001 als unbegründet zurück.
Am 23. November 2001 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Dessau Klage erhoben und ihr Begehren unter Wiederholung ihres Vortrages weiter verfolgt.
Das SG hat von dem Leiter des Bereiches Pneumologie und Internistische Intensivmedizin des Zentrums für Innere Medizin der O.-v.-G.-Universität M. Privatdozent (PD) Dr. W. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 15. Mai 2002 das unter Mitwirkung der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H.-C. erstellte Gutachten vom 20. Juli 2002 eingeholt. PD Dr. W. hat eine chronische obstruktive (verstopfende) Lungenerkrankung, einen arteriellen Hypertonus (Bluthochdruck), einen nichttransmuralen (nicht alle Organwände betreffenden) Vorderwandinfarkt 1990 sowie eine cortisoninduzierte Osteoporose (durch Cortisiongabe verursachten Knochenschwund) diagnostiziert und eingeschätzt, die Lungenerkrankung sei als BK zu werten, da andere Ursachen für ihre Entstehung nicht vorlägen. Die aus dieser BK resultierende MdE sei mit 60 vH zu bewerten.
Mit Urteil vom 22. Oktober 2002 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2001 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ihren Bescheid vom 21. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 zurückzunehmen, die chronische obstruktive Atemwegserkrankung der Klägerin als BK anzuerkennen und ihr von April 1998 an eine Verletztenrente nach einer MdE um 60 vH zu zahlen, wobei es von einem entsprechenden Antrag der Klägerin ausgegangen ist. Zur Begründung hat es sich zum einen auf die Darlegungen von PD Dr. W. gestützt und zum anderen angenommen, die Klägerin habe die Stahlätztinte so angewandt, dass damit ihre Erkrankung habe verursacht werden können. Denn wenn der Arbeitgeber keine Messungen am Arbeitsplatz durchgeführt bzw. die Ergebnisse etwaiger Messungen vernichtet habe, dürften nicht allzu strenge Anforderungen an den Nachweis der Einwirkung schädigender Substanzen gestellt werden.
Gegen das am 8. November 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. November 2002 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und ihre bisherige Ansicht vertieft. Zwar habe die Klägerin im Zeitraum von 1970 bis 1974 beruflich mit Stahlätztinte zu tun gehabt, so dass grundsätzlich von einer schädigenden Exposition der oberen und tieferen Luftwege durch chemische Stoffe ausgegangen werden könne. Eine derartige generelle Exposition genüge jedoch nicht für eine BK-Anerkennung, zumal nach dem Auskunftschreiben an Dipl.-Med. K. vom 12. Februar 1982 die Entstehung toxischer Gase bei der Verwendung der Stahlätztinte auszuschließen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. Oktober 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. Oktober 2002 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig und weist darauf hin, dass an ihrem Arbeitsplatz niemals Überprüfungen zu toxischen Gasentwicklungen durchgeführt worden seien. Im Übrigen seien fünf bis sieben Liter Ätztinktur pro Jahr verbraucht worden.
Am 17. Juni 2003 hat der damals zuständige Berichterstatter den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert und durch Einvernahme des Zeugen K. O. Beweis erhoben. Zudem hat die Klägerin dem Senat im Termin ein seinerzeit eingesetztes Stempelkissen übergeben. Der Zeuge O. hat u.a. ausgeführt: Sein Arbeitsplatz habe sich ca. 2 Meter neben demjenigen der Klägerin befunden, wobei die Ätztinte etwa 4 Meter entfernt auf einem Extratisch gestanden habe. Die eingesetzte Tinktur sei sehr aggressiv gewesen und habe einen Geruch nach faulen Eiern verbreitet. Belüftbare Fenster seien in der Werkstatt nicht vorhanden gewesen. Auch Schutzhandschuhe hätten nicht zur Verfügung gestanden. Pro Woche seien ungefähr 500 bis 1.000 Werkstücke mit der Tinte behandelt worden. Ein Krabbeln im Hals habe er während seiner gesamten Tätigkeit im Betrieb verspürt; eine Verschlimmerung während der Zeit der Arbeit mit der Stahlätztinte, die drei bis vier Jahre angedauert habe, habe er nicht wahrgenommen.
Zur chemischen Zusammensetzung der in der DDR verwandten Stahlätztinte und möglichen parallelen Erkrankungsfällen hat der Senat weitere Ermittlungen durchgeführt: So hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin B. am 21. Januar 2004 mitgeteilt, dass ihr keine Erkenntnisse bezüglich der Rezeptur gebrauchter Stahlätztinten oder zu eventuellen Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Gravieren von Stahl vorlägen. Der Arzt für Innere Medizin, Arbeits- und Umweltmedizin Prof. Dr. P. von der Universitätsklinik Essen hat mit Schreiben vom 9. Februar 2004 darauf hingewiesen, dass bei der Stahlbearbeitung wohl Salz- und vor allem Schwefelsäure (z.B. 5 bis 15 %ig verdünnte Lösung zum Beizen) zum Einsatz gekommen sei. Ob es insoweit vorliegend tatsächlich zur Bildung von Säureaerosolen mit einer möglichen Schädigung der Atemwege gekommen sei, könne er jedoch nicht beurteilen. Nach der Auskunft des Landesamtes für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt vom 16. März 2004 seien keine ähnlichen Fälle in BK-Feststellungsverfahren bekannt geworden, bei denen Stahlätztinte als mögliche Ursache einer obstruktiven Atemwegserkrankung angeschuldigt worden sei. Orientierend sei davon auszugehen, dass zum Ätzen von Stählen Salpetersäure mit Zusätzen von Weinsäure und Salzsäure bzw. verdünnte Salz- oder Schwefelsäure zum Einsatz gekommen sei. Die Direktorin des Instituts für Umwelttoxikologie der M.-L.-Universität H.-W. Prof. Dr. F. hat in ihrer Stellungnahme vom 19. Juli 2004 dargelegt, dass vorliegend die genaue Zusammensetzung der Tinktur für die Beurteilung eines möglichen Gesundheitsschadens kaum erforderlich sei. Vielmehr habe das Hantieren mit gebrauchsfertigen Lösungen kein substantielles Risiko für eine inhalative Exposition geborgen. Denn im Stahlätzverfahren komme es auf eine Säureeinwirkung auf die Kontaktstelle an. Die Möglichkeiten des unbemerkten und unbeabsichtigten Kontaktes zu Stahlätztinte seien daher weitgehend auf die Haut der Hände bzw. Finger beschränkt gewesen. Ein verbreiteter Metallätzer sei Selendioxid, das zumeist in 6 %iger Lösung eingesetzt worden sei. In wässriger Lösung ergebe Selendioxid selenige Säure. Der Umgang mit Selendioxid-Staub könne zwar zu chemisch-toxischen Lungenschäden führen. Eine solche Einwirkung sei bei der Klägerin jedoch hochwahrscheinlich zu verneinen, da ein flächiger Einsatz der Lösungen als Sprühnebel oder Staub einem kontrollierten Aufbringen der Ätze entgegen gestanden und so ein befriedigendes Arbeitsergebnis unmöglich gemacht haben würde. Auch eine Zuordnung als BK nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – (BK 4302) sei nicht möglich, da der Umgang mit Stahlätztinte im Rahmen der insoweit einschlägigen Stoffliste nicht erwähnt werde.
Daraufhin hat der Senat Prof. Dr. P. das Gutachten nach Aktenlage vom 27. Mai 2005 erstellen lassen. Danach seien im Nachhinein aus den mitgesandten Stempeln keine Schadstoffe nachweisbar. Allerdings würden die Angaben des Zeugen O., der von einem Geruch nach faulen Eiern und einer krächzigen Stimme berichtet habe, auf einen Umgang mit Schwefelsäure oder Ammoniumpersulfat hindeuten. Bei entsprechenden hohen Schadstoffeinwirkungen könnten die Lungenbeschwerden der Klägerin durchaus schadstoffbedingt sein. Er empfehle die Hinzuziehung weiterer technischer Fachinstanzen.
Hiergegen hat die Beklagte eingewandt, Prof. Dr. P. habe sich nicht kritisch mit der Stellungnahme von Prof. Dr. F. auseinander gesetzt. Zumindest annähernd verlässliche Daten über die tatsächliche qualitative und quantitative Exposition der Klägerin im Zeitraum von 1970 bis 1974 lägen nicht vor und seien auch nicht mehr reproduzierbar. Der Sachverständige habe selbst eingeräumt, dass auch umfangreiche Nachforschungen seinerseits nicht zu weitergehenden Erkenntnissen geführt hätten.
Der Senat hat am 19. Januar 2006 mündlich verhandelt. Im Rahmen dieses Termins hat die Klägerin ergänzend berichtet, dass sie nach der Benutzung der Ätztinte öfter tagelang gelbe Fingernägel gehabt habe. Wenn die Lösung auf die Haut gekommen sei, hätten sich rote Flecken gebildet, die nach dem sofortigen Reinigen der Hände rückläufig gewesen seien. Zwecks Einholung eines chemischen Gutachtens über die Zusammensetzung der in den Stempelkissen enthaltenen Stoffe hat der Senat den Rechtsstreit vertagt und Prof. Dr. F. zur Sachverständigen bestimmt.
In ihrem Gutachten vom 26. Dezember 2007 hat die Sachverständige erläutert, dass eine Analyse der Bestandteile der Stempel- und Stempelkissenasservate mehr als 30 Jahre nach ihrem Einsatz keine verwertbaren Erkenntnisse erbringen könne. Denn selbst wenn eine Vorratsflasche mit der flüssigen Tinktur zur Verfügung stünde, müssten aus gutachtlicher Sicht den Etikettangaben zu den Inhaltstoffen und ursprünglichen Konzentrationen mehr Gewicht beigemessen werden als einer chemischen Reproduktion nach einer Lagerzeit von mehr als 30 Jahren. Nichtsdestotrotz seien aufgrund der aktenkundigen Angaben und der wissenschaftlichen Erkenntnisse um Stahlbehandlungen und Markierungen in den 1970er Jahren hinreichend aussagekräftige Ableitungen zur höchstwahrscheinlichen Zusammensetzung der von der Klägerin verwandten Ätztinte möglich. Auszugehen sei von einer wässrigen Verdünnung einer mineralischen Säure bzw. Säurenmischung. Da die Verfärbungen der Fingernägel typisch für den Kontakt mit Salpetersäure seien und für Oberflächenbehandlungen von Stählen Phosphorsäuren eingesetzt worden seien, sei von einer derartigen Kombination mit Zusätzen auszugehen. Hinsichtlich der Konzentration sei eine solche von 5 bis 15 % anzunehmen, da höher konzentrierte Gemische weiter reichende Hautreaktionen zur Folge gehabt haben würden. Auch der Umstand, dass Filz offenbar ein ganz brauchbarer Ersatz für die nicht säureresistenten Stempelkissen gewesen sei, deute auf eine eher geringe Säurekonzentration hin und spreche daneben gegen den Einsatz konzentrierter Schwefelsäure. Denn diese würde dem Filz Wasser entzogen und das Material in einer Art Verbrennungsreaktion zerstört haben.
Die Beklagte hat daraufhin eine beratende Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin und Dipl.-Chem. Dr. P. (Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin C.-R.) vom 8. Februar 2008 übersandt und sich dessen Ausführungen zu Eigen gemacht. Dr. P. hat nochmals hervorgehoben, dass eine grenzwertüberschreitende Exposition gegenüber Säuredämpfen aufgrund der vorliegenden kleinflächigen Anwendung und der verbrauchten Menge gänzlich unwahrscheinlich sei. Insoweit sei auf einen Versuch der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft zu verweisen, bei dem ein Proband mittels eines Schrubbers auf eine Steinwand in einem überdachten und nach drei Seiten geschlossenen Raum Salzsäure verschiedener Konzentration, bis hin zur Sättigungsgrenze, aufgebracht habe. Erst bei großflächiger Anwendung konzentrierter Salzsäure habe sich in der Atemluft eine Säurekonzentration ergeben, welche dem gültigen MAK-Wert entspreche. Abgesehen davon leide die Klägerin bereits seit 1971 unter einem Asthma bronchiale. Die berufliche Verursachung einer solchen Erkrankung sei nur dann denkbar, wenn es zu einer mehrfach grenzwertüberschreitenden Reizstoffkonzentration gekommen sei.
Schließlich hat der Senat von dem Facharzt für Arbeitsmedizin und Direktor des Instituts für Gesundheitsförderung, Arbeitsmedizin und Begutachtung H. Dr. P. das Gutachten nach Aktenlage vom 24. Juni 2008 eingeholt. Dr. P. hat im Bereich der Atmungsorgane der Klägerin eine chronische obstruktive Atemwegserkrankung ohne Hinweis auf eine Allergie mit einem chronischen Cor pulmonale und einer daraus resultierenden Osteoporose nach erfolgter Cortisontherapie sowie eine Nasenschleimhautatrophie diagnostiziert und eingeschätzt, dass diese Erkrankungen nicht auf den Umgang mit der Ätztinte zurückzuführen seien. Hiergegen spreche schon die von der Klägerin verarbeitete geringe Menge der Ätztinte. Auch der Arbeitsablauf in Form eines kleinflächigen Bedruckens der Werkteile mittels Stempels ohne Aerosol- und Sprühnebelbildung lasse eine wesentliche inhalative Aufnahme nicht als wahrscheinlich erscheinen. Weiterhin sei auch nach der Höhe der anzunehmenden Konzentration der Tinktur, die ihrerseits gegen eine MAK-Wert-Überschreitung spreche, eine beruflich bedingte Krankheitsentstehung unwahrscheinlich. Überdies sei das Schreiben an Dipl.-Med. K. vom 12. Februar 1982, wonach beim Kennzeichnen der Werkstücke keine toxischen Gase entstehen würden, als Indiz gegen eine berufsbedingte Krankheitsentstehung zu werten. Dies gelte umso mehr, als es mit den gewerbeärztlichen Angaben korreliere, nach denen keinerlei ähnlich gelagerte Fälle, bei denen Stahlätztinte als mögliche Ursache einer obstruktiven Atemwegserkrankung angeschuldigt worden sei, bekannt seien. Schließlich stelle auch das erstmalige Auftreten der Erkrankung bereits Ende 1971 einen entscheidenden Hinweis auf eine berufsunabhängige Hervorrufung der obstruktiven Atemwegserkrankung dar. Denn eine Exposition von ein bis zwei Jahren könne die Entwicklung der Erkrankung medizinisch nicht erklären. Im Übrigen sei hinsichtlich der Nebenexposition durch Asbest bei der Klägerin keine asbestbedingte Atemwegserkrankung nachgewiesen, so dass auch diesbezüglich keine BK vorliege.
Letztlich hat die Klägerin am 8. August 2008 weitere medizinische Befunde zur Gerichtsakte gereicht und hierzu die Meinung vertreten, diese würden eine ursächliche Verbindung der bei ihr vorliegenden Nervenlähmungen mit der Einwirkung der Stahlätztinte bestätigen. Da diesbezüglich noch eine weitere Diagnostik ausstehe, möge der Senat hierauf bei seiner Entscheidung Rücksicht nehmen. Nach den insoweit vorgelegten Entlassungsberichten der Klinik für Neurologie des Städtischen Klinikums D. vom 23. Oktober 2007 sowie vom 18. April 2008 waren in der Zeit vom 16. bis 24. Oktober 2007 und vom 16. bis 18. April 2008 stationäre Behandlungen der Klägerin wegen der Verschlechterung eines bekannten Tremors (Zittern) und einer Polyneuropathie (periphere Nervenerkrankung) erfolgt. Nach der Einschätzung der Chefärztin der Klinik PD Dr. Sp. beruhe der Tremor wahrscheinlich auf der laborchemisch nachgewiesenen Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion). Wegen der unklaren Ursache der Polyneuropathie sei im Universitätsklinikum für Neurologie Halle eine Nervenbiopsie vereinbart worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat dem Begehren der Klägerin zu Unrecht stattgegeben. Entgegen seiner Ansicht ist der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2001 nicht zu beanstanden. Denn die Entscheidung der Beklagten, ihren Bescheid vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 nicht zurückzunehmen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Soweit das SG eine Verletztenrente zugesprochen hat, ist die hierauf gerichtete Klage bereits unzulässig (nachfolgend unter 1.). Entsprechendes gilt hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Asbestexposition sowie bezüglich ihrer Nervenschädigungen (hierzu unter 2.). Was die ausgeurteilte Anerkennung der Atemwegserkrankung der Klägerin als BK anbelangt, so ist die Klage insoweit zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Denn die Voraussetzungen einer BK 81 BKVO-DDR liegen bei ihr nicht vor (unter 3.).
1. Der Zuspruch einer Verletztenrente von April 1998 an war aufzuheben, weil ein solches Klagebegehren bereits unzulässig ist. Es fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Hat nämlich ein Unfallversicherungsträger jedwede Entschädigung schon deshalb abgelehnt, weil nach seiner Auffassung kein Versicherungsfall (hier BK) vorliegt, ist diese rechtliche Grundvoraussetzung vorab im Wege einer Feststellungsklage zu klären (siehe Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N ). Denn der beklagte Träger hat sich dann noch nicht dazu geäußert – und erst recht nicht darüber entschieden –, ob bei dem Versicherten neben dem Versicherungsfall auch die Voraussetzungen für eine konkrete Leistung aus dem Spektrum der gesetzlichen Unfallversicherung (Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII) vorliegen, zu dem auch eine Verletztenrente nach § 56 SGB VII gehört. So ist es hier. Die Beklagte hat im zu überprüfenden Bescheid vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 eine Entschädigungspflicht bereits deshalb verneint, weil sie das Vorliegen einer BK als solche bestritten hat. Zwar mag die im Verfügungssatz enthaltene Formulierung "die Gewährung einer Entschädigung ... wird abgelehnt" insoweit missverständlich sein. Aus der anschließenden Begründung wie auch aus den Begleitumständen und dem Ablauf des Verwaltungsverfahrens ergibt sich jedoch, dass damit nicht über konkrete Leistungsansprüche entschieden werden sollte. Im gesamten Verwaltungsverfahren ist eine Verletztenrente von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt geprüft oder auch nur erwähnt worden. In der Begründung des Bescheides vom 21. Juni 2000 hat die Beklagte ausgeführt, dass schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 81 BKVO-DDR nicht gegeben seien und zudem der Erkrankungsbeginn des Asthmas bronchiale im Dezember 1971 gegen eine berufliche Verursachung spreche. Diese Einschätzung hat sie im Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2000 wiederholt. Bei dieser Sachlage konnte für einen verständigen Empfänger des Bescheides kein Zweifel bestehen, dass die Beklagte allein über das Vorliegen einer BK entscheiden wollte. Die genannte Formulierung im Verfügungssatz sollte ersichtlich nur allgemein die Folgerungen beschreiben, die sich aus der Nichtanerkennung einer BK ergeben (näher zur Auslegung des Verfügungssatzes in entsprechenden Konstellationen, BSG, Urteil vom 16. November 2006 – B 2 U 28/04 R – abrufbar unter: www.bundessozialgericht.de).
2. Ebenso wenig kann der Senat zulässigerweise über die geltend gemachte Asbestexposition sowie die Polyneuropathie der Klägerin befinden. Denn die Beklagte hat im zu überprüfenden Bescheid nicht über entsprechende BK´en entschieden. Es fehlt damit bereits an einem Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Juni 2006 – B 2 U 77/06 B – SozR 4-1500 § 55 Nr. 4). Abgesehen davon schieden aber auch in der Sache derartige BK-Anerkennungen aus. Denn zwar waren bzw. sind sowohl nach dem Recht der DDR (BK 41 BKVO-DDR) als auch nach bundesdeutschem Recht (Nr. 4103 der Anlage zur BKV) Erkrankungen durch Asbest als BK anerkannt (zur Notwendigkeit der parallelen Rechtsprüfung sogleich unter 3.). Voraussetzung einer Anerkennung ist jedoch nach beiden Rechtsgrundlagen das Bestehen einer Asbestose (Asbeststaublungenerkrankung). Eine solche ist bei der Klägerin aber nicht diagnostiziert, worauf Dr. P. zutreffend hingewiesen hat. Im Hinblick auf die Polyneuropathie wären jedenfalls die Anerkennungskriterien nach bundesdeutschem Recht nicht erfüllt, da insoweit eine Einwirkung durch organische Lösungsmittel vorausgesetzt wird (siehe Nr. 1317 der Anlage zur BKV) und Stahlätzlösungen nach den übereinstimmenden Angaben aller gehörten Sachverständigen aus anorganischen Säurengemischen bestehen. Damit bestand wegen der Nervenschädigungen der Klägerin für den Senat von vornherein kein Bedarf für weitere Ermittlungen.
3. Das weitergehende Begehren der Klägerin, welches sie gemäß den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage verfolgen kann (gegen die Erforderlichkeit einer Verpflichtung, BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 18), ist dagegen zulässig (vgl. nochmals BSG, Urteile vom 7. September 2004 und vom 20. März 2007, jeweils a.a.O.). Es ist in der Sache aber nicht erfolgreich. Denn bei der Klägerin kann keine BK 81 BKVO-DDR festgestellt werden.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist der Sozialleistungsträger verpflichtet, einen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind hier deshalb nicht erfüllt, weil die Beklagte beim Erlass des Bescheides vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 weder das Recht falsch angewandt hat noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Die Klägerin hat nämlich keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Atemwegserkrankung als BK 81 BKVO-DDR.
Anzuwenden sind hier noch die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Denn der dem Anspruch der Klägerin möglicherweise zugrunde liegende Versicherungsfall soll nach ihrem Vorbringen vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein (siehe Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996, BGBl. I 1996, 1254 ff.; §§ 212 ff. SGB VII). Nach § 215 Abs. 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 (in der DDR) eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und BK´en nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs. 2 und 3 RVO weiter, also über das Inkrafttreten des SGB VII hinaus, anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1996 gültigen Fassung gelten Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht BK´en der Sozialversicherung waren, als BK´en im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt u.a. nicht für Krankheiten, die einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO). Diese Vorschrift ist hier einschlägig, weil die Beklagte erst am 15. April 1998 Kenntnis von einer möglichen Exposition der Klägerin erlangt hat. Anhaltspunkte für einen früheren Termin sind weder ersichtlich noch von der Klägerin behauptet.
Voraussetzung des geltend gemachten Anspruchs ist demnach, dass die Atemwegserkrankung der Klägerin die Anerkennungskriterien einer BK sowohl nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht als auch nach der RVO erfüllt (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe nur Urteil vom 4. Dezember 2001 – B 2 U 35/00 R – SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1 oder Urteil vom 18. August 2004 – B 8 KN 1/03 U R – SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1; vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, BT-Drucks 12/405, S. 116 Buchst. b). Dies ist hier nicht der Fall. Dass bei der Klägerin im Hinblick auf ihre Atemwegserkrankung die Feststellungsmerkmale nach dem Recht der RVO vorliegen (siehe § 551 Abs. 1 RVO in Verbindung mit der BK 4302), ist schon nicht ersichtlich. Denn in der einschlägigen Liste der chemisch-irritativen oder toxischen Stoffe zur BK 4302 sind, wie Prof. Dr. F. zu Recht hervorgehoben hat, Stahlätzlösungsbestandteile nicht enthalten (siehe Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand April 2008, M 4302, S. 6a ff.). Eine abschließende Entscheidung hierüber kann der Senat jedoch deshalb offen lassen, weil schon nach DDR-Recht die Anerkennung einer BK 81 BKVO-DDR ausscheidet.
Nach § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I 185) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 der BKVO-DDR vom 26. Februar 1981 (GBl. I 137) ist eine BK eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der Liste der BK´en genannt ist. Unter Nr. 81 der Ersten Durchführungsverordnung zur BKVO-DDR (Liste der BK´en) vom 21. April 1981 (GBl. I 139) sind irritative chronische Krankheiten der oberen und tieferen Luftwege und Lungen durch chemische Stoffe unter der Voraussetzung als BK genannt, dass die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit oder des Umgangs mit dem schädigenden Stoff und die irritative Wirkung des angeschuldigten Stoffes gesichert sein müssen. Erforderlich für die Anerkennung einer Erkrankung als BK 81 BKVO-DDR ist demnach, dass es sich bei ihr um eine irritativ chronische Krankheit der oberen und tieferen Luftwege und der Lungen handeln muss, die durch den beruflichen Umgang mit einen chemischen Stoff, dessen irritative Wirkung gesichert sein muss, hervorgerufen worden ist und die zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit oder des Umgangs mit dem schädigenden Stoff gezwungen hat.
a) Ausgehend hiervon ist bei der Klägerin mit einer seit dem 2. Dezember 1971 im SV-Ausweis verzeichneten chronischen Bronchitis sowie einem Asthma bronchiale zunächst eine einschlägige Erkrankung im Sinne der BK 81 BKVO-DDR belegt (vgl. Empfehlungen zur Einleitung und Durchführung der Begutachtung bei Verdacht auf irritative chronische Krankheiten der Atemwege und Lungen durch chemische Stoffe vom 22. März 1984 sowie Empfehlungen zur Meldung und arbeitsmedizinischen Begutachtung irritativer chronischer Krankheiten der Atemwege und Lungen durch chemische Stoffe vom 17. Dezember 1987 – abgedruckt in: Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer 1945 bis 1990, Sonderheft 4 der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Berlin 1994, S. 295 ff. und 299 ff. – Empfehlungen; Konetzke/Rehbohle/Heuchert, Berufskrankheiten, Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, 2. Aufl., Berlin 1987, S. 129). Darüber hinaus geht der Senat auch davon aus, dass die Klägerin im von ihr angeschuldigten Zeitraum von 1970 bis 1974 mit Stahlätztinte gearbeitet hat, deren chemische Inhaltstoffe generell geeignet gewesen waren, als Atemtraktirritantien die oberen und tieferen Luftwege und Lungen zu schädigen. Sowohl der TAD der Beklagten und das Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt als auch alle sonstigen Sachverständigen haben nämlich übereinstimmend dargelegt, dass im Stahlätzverfahren Phosphor,- Salpeter-, Salz- und/der Schwefelsäure bzw. Gemische dieser Chemikalien mit verschiedenen Zusätzen zum Einsatz kommen und auch seinerzeit gekommen sind. Nach dem Empfehlungen (s.o.) gilt das Schädigungsvermögen des angeschuldigten Stoffes für den Atemtrakt als gesichert, wenn der Stoff in der Tabelle 1 zu den Empfehlungen, die neben der Stoffliste die jeweiligen MAK-Werte enthält, aufgeführt ist (ebenso Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O, S. 130 und 134). Dies ist bei sämtlichen zuvor genannten Säuren der Fall.
b) Aus dieser generell irritativen Wirkung der regelmäßig in Stahlätzen enthaltenen Substanzen folgt jedoch nicht zugleich, dass das bei der Klägerin gesicherte Asthma bronchiale sowie die obstruktive Bronchitis durch den beruflichen Umgang mit der Ätztinktur hervorgerufen worden sind. Denn der berufliche Zusammenhang ist nur gegeben, wenn die Intensität und Dauer der inhalativen Schadstoffexposition sowie der Krankheitsverlauf den arbeitsmedizinischen Erfahrungen entsprechen. Bei Schadstoffkonzentrationen im Bereich oberhalb von 1 MAK bis unter 2 MAK ist bis zum Krankheitsbeginn in der Regel eine Expositionsdauer von zehn Jahren erforderlich, sofern nicht die hochgradige Atemtrakttoxizität bestimmter Stoffe den Ansatz einer kürzeren Expositionsdauer begründet (Empfehlungen, a.a.O.). Denn chronische Erkrankungen wie eine obstruktive Bronchitis oder ein Asthma bronchiale sind weitaus überwiegend Folge langfristiger Einwirkungen, wohingegen kurze Expositionszeiten unter Einwirkung höher konzentrierter Schadstoffe regelmäßig akute Vergiftungen zur Folge haben (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O, S. 130 f. und 135). Für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Schadstoffeinwirkung und der Entstehung der Atemwegserkrankung ist zudem von Relevanz, ob bei dem Betroffenen gleichzeitig atrophische Veränderungen der Nasenschleimhaut vorliegen und ob weitere Erkrankungen von Beschäftigten mit vergleichbarer Tätigkeit bekannt sind (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 134).
Gemessen hieran hält der Senat auf Grundlage der ermittelten medizinischen Anknüpfungstatsachen bei der gebotenen wertenden Würdigung des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme einen Ursachenzusammenhang zwischen der angeschuldigten Exposition und der Entstehung der Atemwegserkrankung der Klägerin nicht für wahrscheinlich. Der Annahme einer solchen Kausalität steht neben der Intensität und Dauer der inhalativen Einwirkung insbesondere auch der Krankheitsverlauf entgegen.
(1) Schon die von der Klägerin verarbeitete Menge der Ätztinte spricht gegen eine intensive inhalative Schadstoffexposition, worauf Dr. P. und Dr. P. zutreffend hingewiesen haben. Dies gilt auch dann, wenn entsprechend der Behauptung der Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung am 21. August 2008, die im Widerspruch zu ihrer ausdrücklichen Angabe vom 1. Februar 1999 steht, eine jährliche Verbrauchsmenge von fünf bis sieben Litern zugrunde gelegt wird. Wie Prof. Dr. F. in ihrer Stellungnahme vom 19. Juli 2004 nachvollziehbar dargelegt hat, steht auch die Art und Weise des Stahlätzverfahrens selbst einer besonders schädigenden Einwirkung auf die Atemwege entgegen. Denn in Form eines kleinflächigen Bedruckens der Werkteile mitttels Stempels ist es gerade auf eine selektive Einwirkung der Ätzlösung auf die Kontaktstelle angelegt, womit sich die Möglichkeiten eines unbemerkten und unbeabsichtigten Kontaktes zur Ätzlösung im Wesentlichen auf die Haut der Hände bzw. Finger beschränken. Einen Einsatz der Substanz als Sprühnebel hat schon das gewünschte Arbeitsergebnis verhindert. Damit konnte der von der Klägerin angeschuldigte Produktionsprozess nach Überzeugung des Senats von vornherein kein substantielles Risiko für eine nachhaltig schädigende inhalative Belastung bergen. Bestätigt sieht sich der Senat in dieser Wertung neben dem Schreiben an Dipl.-Med. K. vom 12. Februar 1982, in welchem die Entstehung toxischer Gase bei der Verwendung der Stahlätztinte ausdrücklich ausgeschossen worden ist, vor allem auch durch die übereinstimmenden Mitteilungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie des Landesamtes für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt, wonach keine Fälle in BK-Feststellungsverfahren bekannt sind, bei denen Stahlätztinte als mögliche Ursache einer obstruktiven Atemwegserkrankung angeschuldigt worden ist.
(2) Weitere entscheidende Gesichtpunkte gegen eine berufsbedingte Entstehung der Atemwegserkrankung der Klägerin sind außerdem der Krankheitsverlauf und die Dauer der Einwirkung. Da ihre Krankheit bereits Ende 1971 manifest geworden ist, könnte eine Expositionszeit von knapp zwei Jahren die Krankheitsentwicklung medizinisch nur dann erklären, wenn eine mehrfache Grenzwertüberschreitung um ein Vielfaches bzw. eine hochgradige Atemtrakttoxizität der verwandten Substanz gesichert wären. Beides ist nicht der Fall. Obgleich die genaue Höhe der anzumehmenden Tinkturkonzentration nicht mit letzter Sicherheit feststeht, liegen eine höhere Toxizität und/oder eine damit verbundene MAK-Wert-Überschreitung (siehe zu den aktuellen Werten das Gefahrstoffinformationssystem der gewerblichen Berufsgenossenschaften – GESTIS-Stoffdatenbank; abrufbar unter: http://www.dguv.de/bgia/de/gestis/stoffdb/index.jsp) nicht besonders nahe. Denn Prof. Dr. F. hat in Auswertung der vorhandenen Anknüpfungstatsachen in ihrem Gutachten vom 26. Dezember 2007 plausibel dargelegt, dass bei der verwandten Lösung höchstwahrscheinlich von einer Kombination aus Phosphor- und Salpetersäure in einer 5 bis 15 %igen Konzentration mit weiteren Zusätzen auszugehen ist. Insbesondere hat sie den Einsatz konzentrierter Schwefelsäure verneint, da dies die Verwendung des von der Klägerin angegebenen Filzes als Stempelkissenersatz unmöglich gemacht hätte. Ihre Schlussfolgerung wird auch dadurch gestützt, dass die bei der Klägerin bestehenden chronischen Atemwegserkrankungen typischerweise eine langfristige Expositionszeit voraussetzen, die hier gerade nicht vorgelegen hat. Das Fehlen charakteristischer Vergiftungserscheinungen, die auf den Einsatz hochkonzentrierter Säuren rückschließen lassen, ist mit anderen Worten ein deutliches Indiz für die Richtigkeit der von Prof. Dr. F. gezogenen Wertungen. (3) Weitere Zweifel an einer Verursachung der Atemwegserkrankung durch die Einwirkung der Ätzsubstanzen werden schließlich dadurch genährt, dass Dipl.-Med. B. im Rahmen der am 25. Mai 1990 durchgeführten Testung Hinweise auf eine exogen-allergische Genese ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Überdies erhalten die von den Dres. P. und P. sowie Prof. Dr. F. getroffenen Einschätzungen dadurch Unterstützung, dass sichtbare Nasenschleimhautveränderungen bei der Klägerin erst ab dem 29. November 1997, also nicht gleichzeitig mit dem Auftreten der Bronchitis und des Asthma bronchiale zu Beginn der 1970er Jahre, belegt sind. Auch dies spricht nach arbeitsmedizinischer Erfahrung gegen eine berufsbedingte Hervorrufung der chronischen Atemwegserkrankung der Klägerin (s.o.). Demgegenüber überzeugen weder die Beurteilung von PD Dr. W., die das SG bei wohl nicht den Anforderungen des § 407a Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) genügender Abgrenzung der Mitarbeit von Dr. H.-C. zumindest als Urkundsbeweis verwerten durfte (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. den §§ 415 ff. ZPO), noch diejenige von Prof. Dr. P ... Beide haben sowohl die soeben angeführten Tatsachen als auch die übrigen von den Dres. P., P. und Prof. Dr. F. angeführten Argumente außer Betracht gelassen bzw. lediglich Vermutungen angestellt.
Sind danach das gesicherte Asthma bronchiale und die obstruktive Bronchitis der Klägerin sowie das daraus entstandene chronische Cor pulmonale mit der resultierenden cortisoninduzierten Osteoporose nicht als Folgen des beruflichen Umgang mit der Ätztinktur wahrscheinlich zu machen, so dass die Anerkennung einer BK 81 BKVO-DDR bereits deshalb ausscheidet, kann der Senat dahinstehen lassen, ob die Atemwegserkrankung der Klägerin sie tatsächlich zur Aufgabe des Umgangs mit der Ätztinte gezwungen hat.
Nach alledem war das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 81 der Liste der BK´en zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von BK´en der DDR – irritative chronische Krankheiten der oberen und tieferen Luftwege und Lungen durch chemische Stoffe, wobei die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit oder des Umgangs mit dem schädigenden Stoff und die irritative Wirkung des angeschuldigten Stoffes gesichert sein müssen – (BK 81 BKVO-DDR) anzuerkennen und ihr von April 1998 an eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vom Hundert (vH) zu gewähren ist.
Die am ... 1933 geborene Klägerin arbeitete von Juni 1949 bis Ende Dezember 1954 als Verkäuferin und Instrukteurin in den Konsumgenossenschaften D. und Z., war dann bis Anfang September 1956 Hausfrau und anschließend bis Ende Dezember 1958 als Bereitstellerin im Materiallager des VEB Elektromotorenwerk D. beschäftigt. Sie war vom 1. Januar 1959 bis zum 30. Juni 1990 in der dortigen Abteilung Werkzeugbau als Graviererin (Graveurin) tätig, bezog anschließend bis Mai 1998 eine Invaliden- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente und ist seither Altersrentnerin.
Am 15. April 1998 hatte sich die Klägerin an die Beklagte gewandt und vorgetragen, dass sämtliche im VEB Elektromotorenwerk D. hergestellten Werkzeuge (z.B. Drehstähle, Meißel oder Fräser) mit einer Zeichnungsnummer graviert worden seien. Um Kosten zu sparen, sei hierzu im Zuge eines Neuerervorschlages vorübergehend Stahlätztinte zum Einsatz gekommen, die eingestempelt worden sei. Seien die Stempelkissen durch die verwandte Ätzlösung unbrauchbar geworden, habe man eine Filzunterlage eingesetzt. Sachen, die mit der Ätztinte in Berührung gekommen seien, seien mit der Zeit zerfressen worden. So habe auch sie in der Zeit von 1970 bis 1974 mit der Ätztinte gearbeitet, bis Luft- und Atembeschwerden aufgetreten seien. Durch betriebsärztliche Anweisung seien die Arbeiten mit der Ätztinte dann zwar eingestellt worden, jedoch habe sich bei ihr bereits ein Asthma entwickelt gehabt, welches eine jahrelange Tabletten- und Spraybehandlung erforderlich gemacht habe. Die Einnahme der starken Medikamente habe bei ihr Knochenschwund und einen Herzinfarkt hervorgerufen. Zudem sei 1997 ärztlich festgestellt worden, dass auch der Naseninnenraum durch die Ätze zerfressen sei. Trotz mehrmaliger Aufforderung seien ihr ihre Krankenunterlagen von dem damaligen Betriebsleiter sowie vom Betriebsarzt nicht ausgehändigt worden.
Auf entsprechende Anfrage der Beklagten hatte der Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Städtischen Klinikums D. Dr. S. am 4. September 1998 bestätigt, dass ihm bei der ambulanten Untersuchung am 29. November 1997 eine sichtbare Veränderung der Nasenschleimhäute aufgefallen sei. Ergänzend hatte er im Schreiben vom 5. Oktober 1998 über eine trockene atrophische (zurückgebildete) Schleimhaut im Bereich des Nasenseptums (Scheidewand) beidseitig, im Bereich des Muschelkopfes sowie der unteren Muschel beidseitig berichtet. Daraus ergebe sich der Verdacht auf eine Schadstoffwirkung.
Die VEM Vermögensverwaltung GmbH D. hatte mit Schreiben vom 30. September 1998 angegeben, zu arbeitsplatzbezogenen Fragen könnten keine Aussagen mehr getroffen werden, da entsprechende Unterlagen nicht vorlägen. Der frühere Betriebsarzt des VEB Elektromotorenwerk D. Dipl.-Med. K. hatte die Beklagte am 4. Oktober 1998 darüber informiert, dass die Betriebsleitung 1990 alle betriebsärztlichen Unterlagen vernichtet habe.
Vom zuständigen Rentenversicherungsträger der Klägerin hatte die Beklagte das allergologische Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. B. vom 12. Juni 1990 beigezogen. Dipl.-Med. B. hatte ein seit 1973 bestehendes Asthma bronchiale (Atemnot) festgehalten; ein Hinweis auf eine exogen-allergische Genese (durch äußere Einwirkung entstanden) habe sich im Rahmen der am 25. Mai 1990 durchgeführten Allergentestung nicht gezeigt. Im Ergebnis war von der Sachverständigen ein durch ein chronisches Asthma bronchiale hervorgerufenes chronisches Cor pulmonale (Rechtsherzbelastung) diagnostiziert worden, welches Invalidität bedinge.
Die Beklagte hatte den Sozialversicherungsausweis (SV-Ausweis) der Klägerin beigezogen, woraus für den 2. Dezember 1971, den 27. April 1972, den 4. Juli 1977, den 7. Mai 1981, den 20. August 1985, den 27. Januar 1987, den 27. November 1987, den 7. Januar 1988, den 8. April 1988, den 20. Mai 1988 und den 12. Mai 1989 Behandlungen wegen chronischer Bronchitis bzw. eines Asthma bronchiale (Diagnosen Nrn. 491 und 493 der seinerzeit gültigen Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesfolgen – ICD-8 und 9) hervorgingen.
Weiterhin hatte die Beklagte von der Klinik für Innere Medizin des Städtischen Klinikums D. den Entlassungsbericht vom 31. Mai 1996 über die stationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 15. bis zum 22. Mai 1996 beigezogen. Hierin war neben dem Asthma bronchiale eine Angina pectoris (Herzschmerz) bei chronischer Ischämie (Mangelversorgung des Herzens) diagnostiziert und ein akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt) ausgeschlossen worden.
Zur Klärung der Arbeitsplatzsituation der Klägerin hatte am 1. Februar 1999 ein Gespräch mit ihr sowie einem ihrer ehemaligen Arbeitskollegen stattgefunden. In der hierzu vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten erstellten Arbeitsplatzanalyse vom 8. Juni 1999 war ausgeführt worden: Zum Auftragen der Stahlätztinte habe sich am Arbeitsplatz der Klägerin ein handelsübliches Stempelkissen (ca. 11 cm x 8 cm), das mit der Ätztinktur angefeuchtet gewesen sei, befunden. Pro Monat seien etwa 300 Einzelteile mit Stempeln zu kennzeichnen gewesen. Der Verbrauch an Ätztinktur im Gesamtzeitraum von 1970 bis 1974 habe nach Einschätzung der Klägerin und ihres Kollegen bei fünf bis sieben Litern gelegen. Die Tinktur sei in einer 1-Liter-Glasflasche am Arbeitsplatz aufbewahrt worden. Stahlätztinte setzte sich erfahrungsgemäß aus Salzsäure, verdünnter Schwefelsäure oder Salpetersäure mit Zusätzen von Weinsäure, Alkohol, Essigsäure, Quecksilberchloral, Flusssäure, Chromsäure, 2,4- und 6-Trinitrophenol und Ammoniumpersulfat zusammen. Im Ergebnis hatte der TAD eingeschätzt, dass bei der Verarbeitungsform sowie den eingesetzten Mengen Grenzwertüberschreitungen auszuschließen seien. Außerdem hatte der TAD seiner Stellungnahme ein an Dipl.-Med. K. gerichtetes internes Schreiben des VEB Elektromotorenwerk D. vom 12. Februar 1982 beigefügt, wonach den Herstellermitteilungen der Stahlätztintenrezeptur zu entnehmen sei, dass bei der Kennzeichnung der Werkstücke mittels Stempeln keine toxischen Gase entstünden.
In ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 4. Oktober 1999 hatte die Ärztin für Arbeitsmedizin Dr. M. die Ablehnung einer BK 81 BKVO-DDR empfohlen. Eine Überschreitung des MAK-Wertes (Maximale Arbeitsplatzkonzentration) sei nicht wahrscheinlich. Eine inhalative Exposition chemischer Stoffe von nur etwa drei Jahren spreche gegen eine berufliche Verursachung. Bei Schadstoffkonzentrationen oberhalb von 1 MAK bis unter 2 MAK müsse die Expositionsdauer bis Krankheitsbeginn mindestens 10 Jahre betragen. Auch eine durch die Ätztinte bedingte Entstehung der 1997 festgestellten Veränderungen der Nasenschleimhäute sei unwahrscheinlich, da insoweit Brückensymptome nicht ersichtlich seien.
Dieser Einschätzung hatte sich in seiner gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 13. Dezember 1999 Dr. Sch. angeschlossen. Bei der Klägerin sei seit Ende 1971 ein Asthma bronchiale bekannt. Durch eine Einwirkungszeit von nur zwei Jahren lasse sich die Entstehung einer solchen Krankheit nicht erklären. Entsprechendes gelte mangels Brückensymptomatik auch für die Nasenschleimhautveränderungen. Zudem seien Grenzwertüberschreitungen von Atemtraktirritantien nicht nachgewiesen.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2000 hatte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des geäußerten Verdachtes auf das Vorliegen einer BK 81 BKVO-DDR abgelehnt. Zwar habe die Klägerin beim Aufbringen von Zeichnungsnummern auf Werkzeugen beruflichen Kontakt zu Stahlätztinte gehabt. Bei der Verarbeitungsform und den eingesetzten Mengen hätten hierbei jedoch keine Grenzwertüberschreitungen von chemischen Atemtraktirritantien vorgelegen, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer BK nicht erfüllt seien. Auch der Erkrankungsbeginn des Asthmas bronchiale im Dezember 1971 spreche gegen eine berufliche Verursachung. Denn eine solche Erkrankung könne nach einer derart kurzen Einwirkungszeit nicht hervorgerufen werden. Ferner seien die 1997 festgestellten Veränderungen der Nasenschleimhäute mangels erfolgter zwischenzeitlicher Behandlungen ebenfalls nicht auf die angeschuldigte Tätigkeit von 1970 bis 1974 zurückzuführen. Eine Entschädigungspflicht entfalle daher.
Dagegen hatte die Klägerin am 19. Juli 2000 Widerspruch erhoben und geltend gemacht, dass auch bei demjenigen Kollegen, der sie urlaubs- bzw. krankheitsbedingt vertreten habe, die gleichen Krankheitssymptome vorlägen wie bei ihr. Die verwandten Ätzstempel seien zur weiteren Beweiswürdigung ebenfalls noch vorhanden. Zudem habe sie auch Asbestklemmbretter graviert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2000 hatte die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Am 3. April 2001 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides der Beklagten vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 und machte hierzu geltend, während des abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens erneut stationär behandelt worden zu sein.
Die Beklagte zog den Entlassungsbericht der Klinik für Innere Medizin des Städtischen Klinikums D. vom 18. September 2000 bei, wo die Klägerin wegen subjektiv empfundenen Herzrasens und zunehmender Dyspnoe (Atemnot) vom 30. August bis zum 19. September 2000 stationär behandelt worden war.
Nachdem Dr. M. in ihrer nochmaligen Stellungnahme vom 25. Juni 2001 darauf verwiesen hatte, dass in der Beurteilung keine neuen Aspekte ersichtlich und auch Asbeststaubgefährdungen auszuschließen seien, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juli 2001 eine Rücknahme ihres Bescheides vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 mangels neuer Gesichtspunkte ab.
Den hiergegen am 20. August 2001 erhobenen Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie sich mit Schreiben vom 20. September 2001 auf ihr bisheriges Vorbringen berief und ein Kästchen mit eingesetzten Buchstabenstempeln vorlegte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2001 als unbegründet zurück.
Am 23. November 2001 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Dessau Klage erhoben und ihr Begehren unter Wiederholung ihres Vortrages weiter verfolgt.
Das SG hat von dem Leiter des Bereiches Pneumologie und Internistische Intensivmedizin des Zentrums für Innere Medizin der O.-v.-G.-Universität M. Privatdozent (PD) Dr. W. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 15. Mai 2002 das unter Mitwirkung der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H.-C. erstellte Gutachten vom 20. Juli 2002 eingeholt. PD Dr. W. hat eine chronische obstruktive (verstopfende) Lungenerkrankung, einen arteriellen Hypertonus (Bluthochdruck), einen nichttransmuralen (nicht alle Organwände betreffenden) Vorderwandinfarkt 1990 sowie eine cortisoninduzierte Osteoporose (durch Cortisiongabe verursachten Knochenschwund) diagnostiziert und eingeschätzt, die Lungenerkrankung sei als BK zu werten, da andere Ursachen für ihre Entstehung nicht vorlägen. Die aus dieser BK resultierende MdE sei mit 60 vH zu bewerten.
Mit Urteil vom 22. Oktober 2002 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2001 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ihren Bescheid vom 21. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 zurückzunehmen, die chronische obstruktive Atemwegserkrankung der Klägerin als BK anzuerkennen und ihr von April 1998 an eine Verletztenrente nach einer MdE um 60 vH zu zahlen, wobei es von einem entsprechenden Antrag der Klägerin ausgegangen ist. Zur Begründung hat es sich zum einen auf die Darlegungen von PD Dr. W. gestützt und zum anderen angenommen, die Klägerin habe die Stahlätztinte so angewandt, dass damit ihre Erkrankung habe verursacht werden können. Denn wenn der Arbeitgeber keine Messungen am Arbeitsplatz durchgeführt bzw. die Ergebnisse etwaiger Messungen vernichtet habe, dürften nicht allzu strenge Anforderungen an den Nachweis der Einwirkung schädigender Substanzen gestellt werden.
Gegen das am 8. November 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. November 2002 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und ihre bisherige Ansicht vertieft. Zwar habe die Klägerin im Zeitraum von 1970 bis 1974 beruflich mit Stahlätztinte zu tun gehabt, so dass grundsätzlich von einer schädigenden Exposition der oberen und tieferen Luftwege durch chemische Stoffe ausgegangen werden könne. Eine derartige generelle Exposition genüge jedoch nicht für eine BK-Anerkennung, zumal nach dem Auskunftschreiben an Dipl.-Med. K. vom 12. Februar 1982 die Entstehung toxischer Gase bei der Verwendung der Stahlätztinte auszuschließen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. Oktober 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. Oktober 2002 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig und weist darauf hin, dass an ihrem Arbeitsplatz niemals Überprüfungen zu toxischen Gasentwicklungen durchgeführt worden seien. Im Übrigen seien fünf bis sieben Liter Ätztinktur pro Jahr verbraucht worden.
Am 17. Juni 2003 hat der damals zuständige Berichterstatter den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert und durch Einvernahme des Zeugen K. O. Beweis erhoben. Zudem hat die Klägerin dem Senat im Termin ein seinerzeit eingesetztes Stempelkissen übergeben. Der Zeuge O. hat u.a. ausgeführt: Sein Arbeitsplatz habe sich ca. 2 Meter neben demjenigen der Klägerin befunden, wobei die Ätztinte etwa 4 Meter entfernt auf einem Extratisch gestanden habe. Die eingesetzte Tinktur sei sehr aggressiv gewesen und habe einen Geruch nach faulen Eiern verbreitet. Belüftbare Fenster seien in der Werkstatt nicht vorhanden gewesen. Auch Schutzhandschuhe hätten nicht zur Verfügung gestanden. Pro Woche seien ungefähr 500 bis 1.000 Werkstücke mit der Tinte behandelt worden. Ein Krabbeln im Hals habe er während seiner gesamten Tätigkeit im Betrieb verspürt; eine Verschlimmerung während der Zeit der Arbeit mit der Stahlätztinte, die drei bis vier Jahre angedauert habe, habe er nicht wahrgenommen.
Zur chemischen Zusammensetzung der in der DDR verwandten Stahlätztinte und möglichen parallelen Erkrankungsfällen hat der Senat weitere Ermittlungen durchgeführt: So hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin B. am 21. Januar 2004 mitgeteilt, dass ihr keine Erkenntnisse bezüglich der Rezeptur gebrauchter Stahlätztinten oder zu eventuellen Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Gravieren von Stahl vorlägen. Der Arzt für Innere Medizin, Arbeits- und Umweltmedizin Prof. Dr. P. von der Universitätsklinik Essen hat mit Schreiben vom 9. Februar 2004 darauf hingewiesen, dass bei der Stahlbearbeitung wohl Salz- und vor allem Schwefelsäure (z.B. 5 bis 15 %ig verdünnte Lösung zum Beizen) zum Einsatz gekommen sei. Ob es insoweit vorliegend tatsächlich zur Bildung von Säureaerosolen mit einer möglichen Schädigung der Atemwege gekommen sei, könne er jedoch nicht beurteilen. Nach der Auskunft des Landesamtes für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt vom 16. März 2004 seien keine ähnlichen Fälle in BK-Feststellungsverfahren bekannt geworden, bei denen Stahlätztinte als mögliche Ursache einer obstruktiven Atemwegserkrankung angeschuldigt worden sei. Orientierend sei davon auszugehen, dass zum Ätzen von Stählen Salpetersäure mit Zusätzen von Weinsäure und Salzsäure bzw. verdünnte Salz- oder Schwefelsäure zum Einsatz gekommen sei. Die Direktorin des Instituts für Umwelttoxikologie der M.-L.-Universität H.-W. Prof. Dr. F. hat in ihrer Stellungnahme vom 19. Juli 2004 dargelegt, dass vorliegend die genaue Zusammensetzung der Tinktur für die Beurteilung eines möglichen Gesundheitsschadens kaum erforderlich sei. Vielmehr habe das Hantieren mit gebrauchsfertigen Lösungen kein substantielles Risiko für eine inhalative Exposition geborgen. Denn im Stahlätzverfahren komme es auf eine Säureeinwirkung auf die Kontaktstelle an. Die Möglichkeiten des unbemerkten und unbeabsichtigten Kontaktes zu Stahlätztinte seien daher weitgehend auf die Haut der Hände bzw. Finger beschränkt gewesen. Ein verbreiteter Metallätzer sei Selendioxid, das zumeist in 6 %iger Lösung eingesetzt worden sei. In wässriger Lösung ergebe Selendioxid selenige Säure. Der Umgang mit Selendioxid-Staub könne zwar zu chemisch-toxischen Lungenschäden führen. Eine solche Einwirkung sei bei der Klägerin jedoch hochwahrscheinlich zu verneinen, da ein flächiger Einsatz der Lösungen als Sprühnebel oder Staub einem kontrollierten Aufbringen der Ätze entgegen gestanden und so ein befriedigendes Arbeitsergebnis unmöglich gemacht haben würde. Auch eine Zuordnung als BK nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – (BK 4302) sei nicht möglich, da der Umgang mit Stahlätztinte im Rahmen der insoweit einschlägigen Stoffliste nicht erwähnt werde.
Daraufhin hat der Senat Prof. Dr. P. das Gutachten nach Aktenlage vom 27. Mai 2005 erstellen lassen. Danach seien im Nachhinein aus den mitgesandten Stempeln keine Schadstoffe nachweisbar. Allerdings würden die Angaben des Zeugen O., der von einem Geruch nach faulen Eiern und einer krächzigen Stimme berichtet habe, auf einen Umgang mit Schwefelsäure oder Ammoniumpersulfat hindeuten. Bei entsprechenden hohen Schadstoffeinwirkungen könnten die Lungenbeschwerden der Klägerin durchaus schadstoffbedingt sein. Er empfehle die Hinzuziehung weiterer technischer Fachinstanzen.
Hiergegen hat die Beklagte eingewandt, Prof. Dr. P. habe sich nicht kritisch mit der Stellungnahme von Prof. Dr. F. auseinander gesetzt. Zumindest annähernd verlässliche Daten über die tatsächliche qualitative und quantitative Exposition der Klägerin im Zeitraum von 1970 bis 1974 lägen nicht vor und seien auch nicht mehr reproduzierbar. Der Sachverständige habe selbst eingeräumt, dass auch umfangreiche Nachforschungen seinerseits nicht zu weitergehenden Erkenntnissen geführt hätten.
Der Senat hat am 19. Januar 2006 mündlich verhandelt. Im Rahmen dieses Termins hat die Klägerin ergänzend berichtet, dass sie nach der Benutzung der Ätztinte öfter tagelang gelbe Fingernägel gehabt habe. Wenn die Lösung auf die Haut gekommen sei, hätten sich rote Flecken gebildet, die nach dem sofortigen Reinigen der Hände rückläufig gewesen seien. Zwecks Einholung eines chemischen Gutachtens über die Zusammensetzung der in den Stempelkissen enthaltenen Stoffe hat der Senat den Rechtsstreit vertagt und Prof. Dr. F. zur Sachverständigen bestimmt.
In ihrem Gutachten vom 26. Dezember 2007 hat die Sachverständige erläutert, dass eine Analyse der Bestandteile der Stempel- und Stempelkissenasservate mehr als 30 Jahre nach ihrem Einsatz keine verwertbaren Erkenntnisse erbringen könne. Denn selbst wenn eine Vorratsflasche mit der flüssigen Tinktur zur Verfügung stünde, müssten aus gutachtlicher Sicht den Etikettangaben zu den Inhaltstoffen und ursprünglichen Konzentrationen mehr Gewicht beigemessen werden als einer chemischen Reproduktion nach einer Lagerzeit von mehr als 30 Jahren. Nichtsdestotrotz seien aufgrund der aktenkundigen Angaben und der wissenschaftlichen Erkenntnisse um Stahlbehandlungen und Markierungen in den 1970er Jahren hinreichend aussagekräftige Ableitungen zur höchstwahrscheinlichen Zusammensetzung der von der Klägerin verwandten Ätztinte möglich. Auszugehen sei von einer wässrigen Verdünnung einer mineralischen Säure bzw. Säurenmischung. Da die Verfärbungen der Fingernägel typisch für den Kontakt mit Salpetersäure seien und für Oberflächenbehandlungen von Stählen Phosphorsäuren eingesetzt worden seien, sei von einer derartigen Kombination mit Zusätzen auszugehen. Hinsichtlich der Konzentration sei eine solche von 5 bis 15 % anzunehmen, da höher konzentrierte Gemische weiter reichende Hautreaktionen zur Folge gehabt haben würden. Auch der Umstand, dass Filz offenbar ein ganz brauchbarer Ersatz für die nicht säureresistenten Stempelkissen gewesen sei, deute auf eine eher geringe Säurekonzentration hin und spreche daneben gegen den Einsatz konzentrierter Schwefelsäure. Denn diese würde dem Filz Wasser entzogen und das Material in einer Art Verbrennungsreaktion zerstört haben.
Die Beklagte hat daraufhin eine beratende Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin und Dipl.-Chem. Dr. P. (Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin C.-R.) vom 8. Februar 2008 übersandt und sich dessen Ausführungen zu Eigen gemacht. Dr. P. hat nochmals hervorgehoben, dass eine grenzwertüberschreitende Exposition gegenüber Säuredämpfen aufgrund der vorliegenden kleinflächigen Anwendung und der verbrauchten Menge gänzlich unwahrscheinlich sei. Insoweit sei auf einen Versuch der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft zu verweisen, bei dem ein Proband mittels eines Schrubbers auf eine Steinwand in einem überdachten und nach drei Seiten geschlossenen Raum Salzsäure verschiedener Konzentration, bis hin zur Sättigungsgrenze, aufgebracht habe. Erst bei großflächiger Anwendung konzentrierter Salzsäure habe sich in der Atemluft eine Säurekonzentration ergeben, welche dem gültigen MAK-Wert entspreche. Abgesehen davon leide die Klägerin bereits seit 1971 unter einem Asthma bronchiale. Die berufliche Verursachung einer solchen Erkrankung sei nur dann denkbar, wenn es zu einer mehrfach grenzwertüberschreitenden Reizstoffkonzentration gekommen sei.
Schließlich hat der Senat von dem Facharzt für Arbeitsmedizin und Direktor des Instituts für Gesundheitsförderung, Arbeitsmedizin und Begutachtung H. Dr. P. das Gutachten nach Aktenlage vom 24. Juni 2008 eingeholt. Dr. P. hat im Bereich der Atmungsorgane der Klägerin eine chronische obstruktive Atemwegserkrankung ohne Hinweis auf eine Allergie mit einem chronischen Cor pulmonale und einer daraus resultierenden Osteoporose nach erfolgter Cortisontherapie sowie eine Nasenschleimhautatrophie diagnostiziert und eingeschätzt, dass diese Erkrankungen nicht auf den Umgang mit der Ätztinte zurückzuführen seien. Hiergegen spreche schon die von der Klägerin verarbeitete geringe Menge der Ätztinte. Auch der Arbeitsablauf in Form eines kleinflächigen Bedruckens der Werkteile mittels Stempels ohne Aerosol- und Sprühnebelbildung lasse eine wesentliche inhalative Aufnahme nicht als wahrscheinlich erscheinen. Weiterhin sei auch nach der Höhe der anzunehmenden Konzentration der Tinktur, die ihrerseits gegen eine MAK-Wert-Überschreitung spreche, eine beruflich bedingte Krankheitsentstehung unwahrscheinlich. Überdies sei das Schreiben an Dipl.-Med. K. vom 12. Februar 1982, wonach beim Kennzeichnen der Werkstücke keine toxischen Gase entstehen würden, als Indiz gegen eine berufsbedingte Krankheitsentstehung zu werten. Dies gelte umso mehr, als es mit den gewerbeärztlichen Angaben korreliere, nach denen keinerlei ähnlich gelagerte Fälle, bei denen Stahlätztinte als mögliche Ursache einer obstruktiven Atemwegserkrankung angeschuldigt worden sei, bekannt seien. Schließlich stelle auch das erstmalige Auftreten der Erkrankung bereits Ende 1971 einen entscheidenden Hinweis auf eine berufsunabhängige Hervorrufung der obstruktiven Atemwegserkrankung dar. Denn eine Exposition von ein bis zwei Jahren könne die Entwicklung der Erkrankung medizinisch nicht erklären. Im Übrigen sei hinsichtlich der Nebenexposition durch Asbest bei der Klägerin keine asbestbedingte Atemwegserkrankung nachgewiesen, so dass auch diesbezüglich keine BK vorliege.
Letztlich hat die Klägerin am 8. August 2008 weitere medizinische Befunde zur Gerichtsakte gereicht und hierzu die Meinung vertreten, diese würden eine ursächliche Verbindung der bei ihr vorliegenden Nervenlähmungen mit der Einwirkung der Stahlätztinte bestätigen. Da diesbezüglich noch eine weitere Diagnostik ausstehe, möge der Senat hierauf bei seiner Entscheidung Rücksicht nehmen. Nach den insoweit vorgelegten Entlassungsberichten der Klinik für Neurologie des Städtischen Klinikums D. vom 23. Oktober 2007 sowie vom 18. April 2008 waren in der Zeit vom 16. bis 24. Oktober 2007 und vom 16. bis 18. April 2008 stationäre Behandlungen der Klägerin wegen der Verschlechterung eines bekannten Tremors (Zittern) und einer Polyneuropathie (periphere Nervenerkrankung) erfolgt. Nach der Einschätzung der Chefärztin der Klinik PD Dr. Sp. beruhe der Tremor wahrscheinlich auf der laborchemisch nachgewiesenen Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion). Wegen der unklaren Ursache der Polyneuropathie sei im Universitätsklinikum für Neurologie Halle eine Nervenbiopsie vereinbart worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat dem Begehren der Klägerin zu Unrecht stattgegeben. Entgegen seiner Ansicht ist der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2001 nicht zu beanstanden. Denn die Entscheidung der Beklagten, ihren Bescheid vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 nicht zurückzunehmen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Soweit das SG eine Verletztenrente zugesprochen hat, ist die hierauf gerichtete Klage bereits unzulässig (nachfolgend unter 1.). Entsprechendes gilt hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Asbestexposition sowie bezüglich ihrer Nervenschädigungen (hierzu unter 2.). Was die ausgeurteilte Anerkennung der Atemwegserkrankung der Klägerin als BK anbelangt, so ist die Klage insoweit zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Denn die Voraussetzungen einer BK 81 BKVO-DDR liegen bei ihr nicht vor (unter 3.).
1. Der Zuspruch einer Verletztenrente von April 1998 an war aufzuheben, weil ein solches Klagebegehren bereits unzulässig ist. Es fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Hat nämlich ein Unfallversicherungsträger jedwede Entschädigung schon deshalb abgelehnt, weil nach seiner Auffassung kein Versicherungsfall (hier BK) vorliegt, ist diese rechtliche Grundvoraussetzung vorab im Wege einer Feststellungsklage zu klären (siehe Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N ). Denn der beklagte Träger hat sich dann noch nicht dazu geäußert – und erst recht nicht darüber entschieden –, ob bei dem Versicherten neben dem Versicherungsfall auch die Voraussetzungen für eine konkrete Leistung aus dem Spektrum der gesetzlichen Unfallversicherung (Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII) vorliegen, zu dem auch eine Verletztenrente nach § 56 SGB VII gehört. So ist es hier. Die Beklagte hat im zu überprüfenden Bescheid vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 eine Entschädigungspflicht bereits deshalb verneint, weil sie das Vorliegen einer BK als solche bestritten hat. Zwar mag die im Verfügungssatz enthaltene Formulierung "die Gewährung einer Entschädigung ... wird abgelehnt" insoweit missverständlich sein. Aus der anschließenden Begründung wie auch aus den Begleitumständen und dem Ablauf des Verwaltungsverfahrens ergibt sich jedoch, dass damit nicht über konkrete Leistungsansprüche entschieden werden sollte. Im gesamten Verwaltungsverfahren ist eine Verletztenrente von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt geprüft oder auch nur erwähnt worden. In der Begründung des Bescheides vom 21. Juni 2000 hat die Beklagte ausgeführt, dass schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 81 BKVO-DDR nicht gegeben seien und zudem der Erkrankungsbeginn des Asthmas bronchiale im Dezember 1971 gegen eine berufliche Verursachung spreche. Diese Einschätzung hat sie im Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2000 wiederholt. Bei dieser Sachlage konnte für einen verständigen Empfänger des Bescheides kein Zweifel bestehen, dass die Beklagte allein über das Vorliegen einer BK entscheiden wollte. Die genannte Formulierung im Verfügungssatz sollte ersichtlich nur allgemein die Folgerungen beschreiben, die sich aus der Nichtanerkennung einer BK ergeben (näher zur Auslegung des Verfügungssatzes in entsprechenden Konstellationen, BSG, Urteil vom 16. November 2006 – B 2 U 28/04 R – abrufbar unter: www.bundessozialgericht.de).
2. Ebenso wenig kann der Senat zulässigerweise über die geltend gemachte Asbestexposition sowie die Polyneuropathie der Klägerin befinden. Denn die Beklagte hat im zu überprüfenden Bescheid nicht über entsprechende BK´en entschieden. Es fehlt damit bereits an einem Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Juni 2006 – B 2 U 77/06 B – SozR 4-1500 § 55 Nr. 4). Abgesehen davon schieden aber auch in der Sache derartige BK-Anerkennungen aus. Denn zwar waren bzw. sind sowohl nach dem Recht der DDR (BK 41 BKVO-DDR) als auch nach bundesdeutschem Recht (Nr. 4103 der Anlage zur BKV) Erkrankungen durch Asbest als BK anerkannt (zur Notwendigkeit der parallelen Rechtsprüfung sogleich unter 3.). Voraussetzung einer Anerkennung ist jedoch nach beiden Rechtsgrundlagen das Bestehen einer Asbestose (Asbeststaublungenerkrankung). Eine solche ist bei der Klägerin aber nicht diagnostiziert, worauf Dr. P. zutreffend hingewiesen hat. Im Hinblick auf die Polyneuropathie wären jedenfalls die Anerkennungskriterien nach bundesdeutschem Recht nicht erfüllt, da insoweit eine Einwirkung durch organische Lösungsmittel vorausgesetzt wird (siehe Nr. 1317 der Anlage zur BKV) und Stahlätzlösungen nach den übereinstimmenden Angaben aller gehörten Sachverständigen aus anorganischen Säurengemischen bestehen. Damit bestand wegen der Nervenschädigungen der Klägerin für den Senat von vornherein kein Bedarf für weitere Ermittlungen.
3. Das weitergehende Begehren der Klägerin, welches sie gemäß den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage verfolgen kann (gegen die Erforderlichkeit einer Verpflichtung, BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 18), ist dagegen zulässig (vgl. nochmals BSG, Urteile vom 7. September 2004 und vom 20. März 2007, jeweils a.a.O.). Es ist in der Sache aber nicht erfolgreich. Denn bei der Klägerin kann keine BK 81 BKVO-DDR festgestellt werden.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist der Sozialleistungsträger verpflichtet, einen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind hier deshalb nicht erfüllt, weil die Beklagte beim Erlass des Bescheides vom 21. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 weder das Recht falsch angewandt hat noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Die Klägerin hat nämlich keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Atemwegserkrankung als BK 81 BKVO-DDR.
Anzuwenden sind hier noch die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Denn der dem Anspruch der Klägerin möglicherweise zugrunde liegende Versicherungsfall soll nach ihrem Vorbringen vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein (siehe Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996, BGBl. I 1996, 1254 ff.; §§ 212 ff. SGB VII). Nach § 215 Abs. 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 (in der DDR) eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und BK´en nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs. 2 und 3 RVO weiter, also über das Inkrafttreten des SGB VII hinaus, anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1996 gültigen Fassung gelten Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht BK´en der Sozialversicherung waren, als BK´en im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt u.a. nicht für Krankheiten, die einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO). Diese Vorschrift ist hier einschlägig, weil die Beklagte erst am 15. April 1998 Kenntnis von einer möglichen Exposition der Klägerin erlangt hat. Anhaltspunkte für einen früheren Termin sind weder ersichtlich noch von der Klägerin behauptet.
Voraussetzung des geltend gemachten Anspruchs ist demnach, dass die Atemwegserkrankung der Klägerin die Anerkennungskriterien einer BK sowohl nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht als auch nach der RVO erfüllt (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe nur Urteil vom 4. Dezember 2001 – B 2 U 35/00 R – SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1 oder Urteil vom 18. August 2004 – B 8 KN 1/03 U R – SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1; vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, BT-Drucks 12/405, S. 116 Buchst. b). Dies ist hier nicht der Fall. Dass bei der Klägerin im Hinblick auf ihre Atemwegserkrankung die Feststellungsmerkmale nach dem Recht der RVO vorliegen (siehe § 551 Abs. 1 RVO in Verbindung mit der BK 4302), ist schon nicht ersichtlich. Denn in der einschlägigen Liste der chemisch-irritativen oder toxischen Stoffe zur BK 4302 sind, wie Prof. Dr. F. zu Recht hervorgehoben hat, Stahlätzlösungsbestandteile nicht enthalten (siehe Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand April 2008, M 4302, S. 6a ff.). Eine abschließende Entscheidung hierüber kann der Senat jedoch deshalb offen lassen, weil schon nach DDR-Recht die Anerkennung einer BK 81 BKVO-DDR ausscheidet.
Nach § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I 185) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 der BKVO-DDR vom 26. Februar 1981 (GBl. I 137) ist eine BK eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der Liste der BK´en genannt ist. Unter Nr. 81 der Ersten Durchführungsverordnung zur BKVO-DDR (Liste der BK´en) vom 21. April 1981 (GBl. I 139) sind irritative chronische Krankheiten der oberen und tieferen Luftwege und Lungen durch chemische Stoffe unter der Voraussetzung als BK genannt, dass die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit oder des Umgangs mit dem schädigenden Stoff und die irritative Wirkung des angeschuldigten Stoffes gesichert sein müssen. Erforderlich für die Anerkennung einer Erkrankung als BK 81 BKVO-DDR ist demnach, dass es sich bei ihr um eine irritativ chronische Krankheit der oberen und tieferen Luftwege und der Lungen handeln muss, die durch den beruflichen Umgang mit einen chemischen Stoff, dessen irritative Wirkung gesichert sein muss, hervorgerufen worden ist und die zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit oder des Umgangs mit dem schädigenden Stoff gezwungen hat.
a) Ausgehend hiervon ist bei der Klägerin mit einer seit dem 2. Dezember 1971 im SV-Ausweis verzeichneten chronischen Bronchitis sowie einem Asthma bronchiale zunächst eine einschlägige Erkrankung im Sinne der BK 81 BKVO-DDR belegt (vgl. Empfehlungen zur Einleitung und Durchführung der Begutachtung bei Verdacht auf irritative chronische Krankheiten der Atemwege und Lungen durch chemische Stoffe vom 22. März 1984 sowie Empfehlungen zur Meldung und arbeitsmedizinischen Begutachtung irritativer chronischer Krankheiten der Atemwege und Lungen durch chemische Stoffe vom 17. Dezember 1987 – abgedruckt in: Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer 1945 bis 1990, Sonderheft 4 der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Berlin 1994, S. 295 ff. und 299 ff. – Empfehlungen; Konetzke/Rehbohle/Heuchert, Berufskrankheiten, Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, 2. Aufl., Berlin 1987, S. 129). Darüber hinaus geht der Senat auch davon aus, dass die Klägerin im von ihr angeschuldigten Zeitraum von 1970 bis 1974 mit Stahlätztinte gearbeitet hat, deren chemische Inhaltstoffe generell geeignet gewesen waren, als Atemtraktirritantien die oberen und tieferen Luftwege und Lungen zu schädigen. Sowohl der TAD der Beklagten und das Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt als auch alle sonstigen Sachverständigen haben nämlich übereinstimmend dargelegt, dass im Stahlätzverfahren Phosphor,- Salpeter-, Salz- und/der Schwefelsäure bzw. Gemische dieser Chemikalien mit verschiedenen Zusätzen zum Einsatz kommen und auch seinerzeit gekommen sind. Nach dem Empfehlungen (s.o.) gilt das Schädigungsvermögen des angeschuldigten Stoffes für den Atemtrakt als gesichert, wenn der Stoff in der Tabelle 1 zu den Empfehlungen, die neben der Stoffliste die jeweiligen MAK-Werte enthält, aufgeführt ist (ebenso Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O, S. 130 und 134). Dies ist bei sämtlichen zuvor genannten Säuren der Fall.
b) Aus dieser generell irritativen Wirkung der regelmäßig in Stahlätzen enthaltenen Substanzen folgt jedoch nicht zugleich, dass das bei der Klägerin gesicherte Asthma bronchiale sowie die obstruktive Bronchitis durch den beruflichen Umgang mit der Ätztinktur hervorgerufen worden sind. Denn der berufliche Zusammenhang ist nur gegeben, wenn die Intensität und Dauer der inhalativen Schadstoffexposition sowie der Krankheitsverlauf den arbeitsmedizinischen Erfahrungen entsprechen. Bei Schadstoffkonzentrationen im Bereich oberhalb von 1 MAK bis unter 2 MAK ist bis zum Krankheitsbeginn in der Regel eine Expositionsdauer von zehn Jahren erforderlich, sofern nicht die hochgradige Atemtrakttoxizität bestimmter Stoffe den Ansatz einer kürzeren Expositionsdauer begründet (Empfehlungen, a.a.O.). Denn chronische Erkrankungen wie eine obstruktive Bronchitis oder ein Asthma bronchiale sind weitaus überwiegend Folge langfristiger Einwirkungen, wohingegen kurze Expositionszeiten unter Einwirkung höher konzentrierter Schadstoffe regelmäßig akute Vergiftungen zur Folge haben (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O, S. 130 f. und 135). Für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Schadstoffeinwirkung und der Entstehung der Atemwegserkrankung ist zudem von Relevanz, ob bei dem Betroffenen gleichzeitig atrophische Veränderungen der Nasenschleimhaut vorliegen und ob weitere Erkrankungen von Beschäftigten mit vergleichbarer Tätigkeit bekannt sind (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 134).
Gemessen hieran hält der Senat auf Grundlage der ermittelten medizinischen Anknüpfungstatsachen bei der gebotenen wertenden Würdigung des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme einen Ursachenzusammenhang zwischen der angeschuldigten Exposition und der Entstehung der Atemwegserkrankung der Klägerin nicht für wahrscheinlich. Der Annahme einer solchen Kausalität steht neben der Intensität und Dauer der inhalativen Einwirkung insbesondere auch der Krankheitsverlauf entgegen.
(1) Schon die von der Klägerin verarbeitete Menge der Ätztinte spricht gegen eine intensive inhalative Schadstoffexposition, worauf Dr. P. und Dr. P. zutreffend hingewiesen haben. Dies gilt auch dann, wenn entsprechend der Behauptung der Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung am 21. August 2008, die im Widerspruch zu ihrer ausdrücklichen Angabe vom 1. Februar 1999 steht, eine jährliche Verbrauchsmenge von fünf bis sieben Litern zugrunde gelegt wird. Wie Prof. Dr. F. in ihrer Stellungnahme vom 19. Juli 2004 nachvollziehbar dargelegt hat, steht auch die Art und Weise des Stahlätzverfahrens selbst einer besonders schädigenden Einwirkung auf die Atemwege entgegen. Denn in Form eines kleinflächigen Bedruckens der Werkteile mitttels Stempels ist es gerade auf eine selektive Einwirkung der Ätzlösung auf die Kontaktstelle angelegt, womit sich die Möglichkeiten eines unbemerkten und unbeabsichtigten Kontaktes zur Ätzlösung im Wesentlichen auf die Haut der Hände bzw. Finger beschränken. Einen Einsatz der Substanz als Sprühnebel hat schon das gewünschte Arbeitsergebnis verhindert. Damit konnte der von der Klägerin angeschuldigte Produktionsprozess nach Überzeugung des Senats von vornherein kein substantielles Risiko für eine nachhaltig schädigende inhalative Belastung bergen. Bestätigt sieht sich der Senat in dieser Wertung neben dem Schreiben an Dipl.-Med. K. vom 12. Februar 1982, in welchem die Entstehung toxischer Gase bei der Verwendung der Stahlätztinte ausdrücklich ausgeschossen worden ist, vor allem auch durch die übereinstimmenden Mitteilungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie des Landesamtes für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt, wonach keine Fälle in BK-Feststellungsverfahren bekannt sind, bei denen Stahlätztinte als mögliche Ursache einer obstruktiven Atemwegserkrankung angeschuldigt worden ist.
(2) Weitere entscheidende Gesichtpunkte gegen eine berufsbedingte Entstehung der Atemwegserkrankung der Klägerin sind außerdem der Krankheitsverlauf und die Dauer der Einwirkung. Da ihre Krankheit bereits Ende 1971 manifest geworden ist, könnte eine Expositionszeit von knapp zwei Jahren die Krankheitsentwicklung medizinisch nur dann erklären, wenn eine mehrfache Grenzwertüberschreitung um ein Vielfaches bzw. eine hochgradige Atemtrakttoxizität der verwandten Substanz gesichert wären. Beides ist nicht der Fall. Obgleich die genaue Höhe der anzumehmenden Tinkturkonzentration nicht mit letzter Sicherheit feststeht, liegen eine höhere Toxizität und/oder eine damit verbundene MAK-Wert-Überschreitung (siehe zu den aktuellen Werten das Gefahrstoffinformationssystem der gewerblichen Berufsgenossenschaften – GESTIS-Stoffdatenbank; abrufbar unter: http://www.dguv.de/bgia/de/gestis/stoffdb/index.jsp) nicht besonders nahe. Denn Prof. Dr. F. hat in Auswertung der vorhandenen Anknüpfungstatsachen in ihrem Gutachten vom 26. Dezember 2007 plausibel dargelegt, dass bei der verwandten Lösung höchstwahrscheinlich von einer Kombination aus Phosphor- und Salpetersäure in einer 5 bis 15 %igen Konzentration mit weiteren Zusätzen auszugehen ist. Insbesondere hat sie den Einsatz konzentrierter Schwefelsäure verneint, da dies die Verwendung des von der Klägerin angegebenen Filzes als Stempelkissenersatz unmöglich gemacht hätte. Ihre Schlussfolgerung wird auch dadurch gestützt, dass die bei der Klägerin bestehenden chronischen Atemwegserkrankungen typischerweise eine langfristige Expositionszeit voraussetzen, die hier gerade nicht vorgelegen hat. Das Fehlen charakteristischer Vergiftungserscheinungen, die auf den Einsatz hochkonzentrierter Säuren rückschließen lassen, ist mit anderen Worten ein deutliches Indiz für die Richtigkeit der von Prof. Dr. F. gezogenen Wertungen. (3) Weitere Zweifel an einer Verursachung der Atemwegserkrankung durch die Einwirkung der Ätzsubstanzen werden schließlich dadurch genährt, dass Dipl.-Med. B. im Rahmen der am 25. Mai 1990 durchgeführten Testung Hinweise auf eine exogen-allergische Genese ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Überdies erhalten die von den Dres. P. und P. sowie Prof. Dr. F. getroffenen Einschätzungen dadurch Unterstützung, dass sichtbare Nasenschleimhautveränderungen bei der Klägerin erst ab dem 29. November 1997, also nicht gleichzeitig mit dem Auftreten der Bronchitis und des Asthma bronchiale zu Beginn der 1970er Jahre, belegt sind. Auch dies spricht nach arbeitsmedizinischer Erfahrung gegen eine berufsbedingte Hervorrufung der chronischen Atemwegserkrankung der Klägerin (s.o.). Demgegenüber überzeugen weder die Beurteilung von PD Dr. W., die das SG bei wohl nicht den Anforderungen des § 407a Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) genügender Abgrenzung der Mitarbeit von Dr. H.-C. zumindest als Urkundsbeweis verwerten durfte (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. den §§ 415 ff. ZPO), noch diejenige von Prof. Dr. P ... Beide haben sowohl die soeben angeführten Tatsachen als auch die übrigen von den Dres. P., P. und Prof. Dr. F. angeführten Argumente außer Betracht gelassen bzw. lediglich Vermutungen angestellt.
Sind danach das gesicherte Asthma bronchiale und die obstruktive Bronchitis der Klägerin sowie das daraus entstandene chronische Cor pulmonale mit der resultierenden cortisoninduzierten Osteoporose nicht als Folgen des beruflichen Umgang mit der Ätztinktur wahrscheinlich zu machen, so dass die Anerkennung einer BK 81 BKVO-DDR bereits deshalb ausscheidet, kann der Senat dahinstehen lassen, ob die Atemwegserkrankung der Klägerin sie tatsächlich zur Aufgabe des Umgangs mit der Ätztinte gezwungen hat.
Nach alledem war das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
Saved