L 10 AS 1045/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 AS 54/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1045/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 2006 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf jeweils 2500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsverlangens nach § 60 Abs 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1968 geborene Kläger war verheiratet mit der im selben Jahr geborenen D R (DR). Beide schlossen im April 1989 einen notariellen Ehevertrag, mit dem sie für den Fall einer rechtskräftigen Ehescheidung gegenseitig auf jegliche Unterhaltsansprüche verzichteten, auch für den Fall des Notbedarfs sowie der unverschuldeten Erwerbsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit. Aus der Ehe ist die 1989 geborene A-L R (A) hervorgegangen; von anderen Partnern hat DR zwei weitere, 1987 und 1993 geborene Töchter. Mit Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg - Familiengericht - vom 1994 wurde die Ehe geschieden; zugleich wurde die elterliche Sorge für A auf DR übertragen.

Jedenfalls ab 2005 lebte die DR mit ihren drei Töchtern in der Wohnung K in B zusammen. Noch bis einschließlich April 2005 bezogen alle Sozialhilfe. Ab dem 01. Mai 2005 gewährte die Beklagte A monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 10,05 EUR. Dabei legte sie einen monatlichen Bedarf in Höhe von 483,50 EUR zugrunde (Sozialgeld in Höhe von 276,- EUR zzgl. anteilige Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 207,50 EUR) und berücksichtigte auf der Einkommensseite das Kindergeld von 154,- EUR sowie damalige monatliche Barunterhaltszahlungen des Klägers in Höhe von 284,- EUR. Zusätzlich gewährte die Beklagte A im Mai 2005 eine einmalige Beihilfe für eine mehrtägige Klassenfahrt in Höhe von 380,- EUR. DR stand noch bis einschließlich August 2005 im Sozialhilfebezug. Erst ab dem 01. September 2005 war die Umstellung auf das seit dem 01. Januar 2005 geltende Leistungsrecht des SGB II in der Weise vollzogen, dass DR und ihre drei Töchter unter Annahme einer Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld bezogen. Dabei wurden mit Bescheid vom 22. August 2005 für den Bewilligungszeitraum vom 01. September 2005 bis zum 28. Februar 2006 für DR insgesamt 594,78 EUR/Monat (Regelleistung in Höhe von 345,- EUR zuzüglich Mehrbedarfszuschlag gegen Alleinerziehung in Höhe von 41,- EUR zuzüglich 208,78 EUR anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung) und für A unter Anrechnung von Kindergeld- und Unterhaltseinkommen (letzteres in Höhe von 295,- EUR) 35,78 EUR/Monat bewilligt.

Mit weiterem Bescheid vom 22. August 2005 setzte die Beklagte den Kläger über den SGB II-Leistungsbezug von DR und von A in Kenntnis. Sie verwies darauf, dass er nach den vorliegenden Unterlagen als geschiedener Ehemann bzw. als Kindesvater zum Kreis der unterhaltspflichtigen Personen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gehöre und zivilrechtliche Unterhaltsansprüche den Leistungen nach dem SGB II vorgingen. Nach § 33 SGB II könnten Unterhaltsansprüche von Leistungsempfängern auf den Leistungsträger (hier das Jobcenter) übergehen. Um prüfen zu können, ob und inwieweit der Kläger DR und A gegenüber zum Unterhalt verpflichtet sei, werde er gebeten, innerhalb von zwei Wochen einen beigefügten Auskunftsbogen bezüglich seines Einkommens und Vermögens vollständig ausgefüllt und unterschrieben zurückzusenden. Zur Auskunftserteilung sei er nach § 60 Abs 2 SGB II verpflichtet.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, ausweislich des beigefügten Scheidungsurteils könne DR keinerlei Unterhalt beanspruchen. Seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber A komme er nach. Er leiste gegenwärtig Barunterhalt in Höhe von 316,- EUR/Monat. Dieser sei nach der Düsseldorfer Tabelle (Stand 01. Juli 2005) berechnet. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Dezember 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung hieß es ergänzend, einen Auskunftsanspruch gebe es nur dann nicht, wenn eindeutig kein Unterhaltsanspruch bestehe. Das sei hier jedoch nicht erkennbar.

Mit seiner beim Sozialgericht (SG) erhobenen Klage hat der Kläger bekräftigt, DR gegenüber nicht zum Unterhalts verpflichtet zu sein; dies sei durch den notariellen Ehevertrag von April 1989 ausgeschlossen worden. Auch wegen der Leistungsgewährung an A sei er zu Auskünften über sein Einkommen und Vermögen nicht verpflichtet, da er bereits einkommensabhängig - auf der Grundlage der Düsseldorfer Tabelle - Unterhalt zahle. Im Übrigen ergebe sich aus den angefochtenen Bescheiden nicht, ob die Beklagte seine Unterhaltszahlung bei der Leistungsberechnung angerechnet habe beziehungsweise ob tatsächliche Leistungen an A erbracht würden. Jedenfalls müsse berücksichtigt werden, dass seine monatlichen Leistungen zum Unterhalt von A die diesbezüglichen Zahlungen der Beklagten weit überstiegen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12. September 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei der Beklagten gemäß § 60 Abs 2 SGB II zur Auskunft über seine wirtschaftlichen Verhältnisse verpflichtet. Diese Vorschrift begründe eine eigenständige öffentlich-rechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung, der ein Auskunftsanspruch des Leistungsträgers nach dem SGB II gegenüberstehe. Sie ermächtige den Leistungsträger, die Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen, ohne das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung zu verletzen.

Der Kläger sei als leiblicher Vater von A grundsätzlich ein möglicher Unterhaltspflichtiger im Sinne der §§ 1601ff BGB. Dies stehe zwischen den Beteiligten auch nicht in Streit, die Unterhaltspflicht sei anerkannt. Für die Heranziehung des abstrakt Unterhaltspflichtigen zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse komme es grundsätzlich nicht darauf an, ob im konkreten Fall ein Unterhaltsanspruch tatsächlich bestehe. Zweck des § 60 Abs. 2 SGB II sei es vielmehr, dem Leistungsträger die Prüfung zu ermöglichen, ob und ggfs. in welchem Umfang der Nachrang der Grundsicherung für Arbeitssuchende durch die Inanspruchnahme Dritter wieder hergestellt werden könne. Dieser Zweck gebiete es auch, als unterhaltspflichtig im Sinne des § 60 Abs 2 SGB II alle Personen anzusehen, die als Unterhaltsschuldner (nur) in Betracht kämen, d.h. nicht offensichtlich ausschieden (mit Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 17. Juni 1993 – 5 C 43/90 - BVerwGE 92, 330). Ob und in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch tatsächlich bestehe, sei nicht schon im Rahmen des Verfahrens über die Auskunftserteilung zu prüfen, sondern der Klärung in einem etwaigen zivilrechtlichen Unterhaltsprozess vorbehalten. Dass der Kläger A bereits Barunterhalt leiste, stehe dem Auskunftsbegehren danach genauso wenig entgegen wie der Umstand, dass dieser Unterhalt den Leistungsbetrag der Beklagten weit übersteige.

Dem Kläger sei lediglich insoweit zuzustimmen, als angesichts des vertraglichen Ausschlusses der nachehelichen Unterhaltspflicht ein Unterhaltsanspruch von DR offenkundig ausscheide. Dies verhelfe ihm jedoch nicht zum Erfolg, da der Auskunftsanspruch in Bezug auf den Leistungsbezug von A bestehe.

Den Streitwert hat das SG mit Beschluss vom 12. September 2006 auf 5000,- EUR festgesetzt. Der Kläger hat seine am 13. November 2006 eingelegte Berufung trotz mehrfacher gerichtlicher Erinnerung nicht begründet.

Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22. August 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Dezember 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten (zwei Bände), die vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet und eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Rechtsmittel kann daher durch Beschluss zurückgewiesen werden, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGG).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat folgt nach eigener Prüfung den Gründen der angefochtenen Entscheidung und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen darauf (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Ihnen ist, da die Berufung nicht begründet worden ist, allenfalls hinzuzufügen: Inzwischen liegt auch obergerichtliche Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit zu § 60 Abs. 2 SGB II vor, die sich der vom SG zitierten Rechtsprechung des BVerwG zur Erforderlichkeit einer so genannten Negativevidenz bei Anfechtungen von Auskunftsersuchen gemäß der nach seinem Regelungsgehalt entsprechenden Vorschrift des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden § 116 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (vgl. außer der vom SG genannten Entscheidung das Urteil vom 21. Januar 1993 – 5 C 22/90BVerwGE 91, 375) angeschlossen hat (vgl etwa Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2008 – L 29 B 214/08 AS ER – juris und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04. Dezember 2007 – L 19 B 130/07 AS – juris; vgl ferner Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 60 Rdnr 24 und Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl, § 60 Rdnr 20). Danach reicht es für den behördlichen Auskunftsanspruch aus, dass eine Unterhaltsverpflichtung möglicherweise besteht. Das war hier jedenfalls bezüglich A der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 erwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGG). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a SGG iVm §§ 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 2 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat geht vom hälftigen Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG von 5000,- EUR aus, da vorliegend nicht etwa eine Geldleistung, sondern nur eine Auskunft als Grundlage eines möglichen Unterhaltsrechtsstreits in Rede steht (vgl. auch die Angabe zu Auskunftsstreitigkeiten nach § 116 Bundessozialhilfegesetz im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 96, 605, 610). Der Senat hat von der Möglichkeit des § 63 Abs. 3 GKG Gebrauch gemacht, wonach eine erstinstanzliche Entscheidung über den Streitwert vom Rechtsmittelgericht von Amts wegen geändert werden kann, wenn das Verfahren (wie hier) wegen der Hauptsache in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Rechtskraft
Aus
Saved