L 11 AS 199/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 198/98 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 199/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Um einen Anordnungsgrund im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes glaubhaft zu machen, hat die Antragstellerin nachvollziehbar darzulegen, welche wesentlichen Nachteile zu erwarten sind, wenn sie auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird (vgl. BayLSG 11.Senat vom 02.03.2009 Az: L 11 B 746/08 AS ER),
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Würzburg vom 23.03.2009 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Erbringung von Kosten der Unterkunft (KdU) für die Antragstellerin (ASt) durch die Antragsgegnerin (Ag).
Die 1990 geborene ASt bezieht von der Ag Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -.
Seit 01.06.2007 lebte sie zusammen mit ihrer Mutter in einer 3 - Zimmer - Wohnung in der H.Straße in G ... Mieterin der Wohnung ist die Mutter der ASt, B. S ... Die Kaltmiete beträgt 455.- EUR, hinzu kommen Nebenkosten i.H.v. insgesamt 100.- EUR.
Mit Bescheid vom 25.07.2008 bewilligte die Ag der ASt und ihrer Mutter als Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II - Alg II - für den Bewilligungszeitraum vom 01.05.2008 bis 31.10.2008. Als pauschale Kosten der Unterkunft (KdU) setzte die Ag unter Berücksichtigung der von ihr zugrunde gelegten Mietobergrenze 432,65 EUR (anteilig 216,32 EUR) fest.
Am 21.08.2008 heiratete die ASt A., wohnhaft in A-Stadt, blieb aber auch nach der Heirat zusammen mit ihrer Mutter bis 16.04.2009 in der Wohnung in G. wohnhaft.
Auf ihren Antrag vom 16.09.2008 bewilligte die Ag mit Bescheid vom 04.11.2008 der ASt in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Mann A. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.12.2008 bis 28.02.2009 zuzüglich KdU in Höhe von 215,50 EUR.
Ihren Antrag vom 10.11.2008 auf Erbringung der Hälfte der tatsächlich anfallenden Mietkosten i.H.v. 277, 50 EUR (Hälftebetrag der Kaltmiete von 455.- EUR zuzüglich Nebenkosten i.H.v. 100.- EUR) lehnte die Ag mit Bescheid vom 02.12.2008 ab. Aufgrund der Heirat bestehe zwischen der ASt und ihrer Mutter keine Bedarfsgemeinschaft mehr, vielmehr würden nunmehr Leistungen in jeweils eigenen Bedarfsgemeinschaften bewilligt. Die KdU würden ausgehend von der bereits festgestellten Angemessenheit nach Köpfen aufgeteilt, wie dies in Fällen der gemeinsamen Nutzung einer Wohnung durch mehrere Familienangehörige grundsätzlich vorzunehmen sei. Der Auffassung der ASt, durch die Eheschließung sei eine Wohngemeinschaft zwischen ASt und deren Mutter entstanden und es müssten deshalb die Unterkunftskosten anders beurteilt werden, könne nicht gefolgt werden.
Hiergegen legte die ASt Widerspruch ein, den die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2009 zurückwies. Durch die Eheschließung sei zwischen der ASt und ihrer Mutter keine Wohngemeinschaft entstanden. Anzeichen, dass nunmehr getrennt gewirtschaftet werde, seien nicht erkennbar. Vielmehr habe die ASt bei einer Vorsprache zusammen mit ihrem Mann angegeben, dass sie aufgrund einer Erkrankung ständig von ihrer Mutter bzw. Ehemann betreut werden müsse, was eine noch engere Bindung zwischen Mutter und Tochter erkennen lasse, zumal der Ehegatte nach wie vor im 65 km entfernten A-Stadt lebe. Hiergegen hat die ASt am 01.04.2009 Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben (Az. S 9 AS 250/09), über die nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag gewährte die Ag der ASt mit Bescheid vom 26.02.2009 Leistungen für den Zeitraum vom 01.03.2009 bis 31.08.2009, wobei die Ag für die ASt KdU i.H.v. 214,20 EUR festsetzte.
Am 12.03.2009 hat die ASt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Würzburg (SG) unter Vorlage der Bescheide vom 02.12.2008 und 26.02.2009 beantragt, die Ag zu verpflichten, ihr ab 10.11.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der tatsächlich entstandenen Mietkosten i.H.v. mindestens 277,50 EUR zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass eine Wohngemeinschaft zwischen ihr und ihrer Mutter bestehe und sie damit ihre eigenen Unterkunftskosten zu tragen habe, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten zu erbringen seien.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 23.03.2009 zurückgewiesen. Die ASt habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Die Behauptung, dass bei der ASt eine von Monat zu Monat steigende Verschuldung bestehe, sei durch nichts belegt. Es sei nicht ersichtlich, dass nach der Heirat der ASt bezüglich der gegenüber dem Vermieter bestehenden Mietverpflichtung eine Änderung eingetreten sei, sich somit die Kostenpflicht gegenüber dem Vermieter erhöht hätte. Durch die Heirat der ASt und die Bildung einer (eigenen) Bedarfsgemeinschaft mit dem von ihr zwar räumlich getrennt lebenden, nicht jedoch dauernd getrennt lebenden Ehegatten hätten sich die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse nicht und die rechtlichen Verhältnisse nicht wesentlich geändert.
Hiergegen hat die ASt am 27.03.2009 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass sich durch die Heirat die Rechtslage grundlegend verändert habe, die ASt und deren Mutter wirtschafteten absolut getrennt, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft würden geteilt. Erst nach der Heirat habe die ASt über die ihr zustehenden Leistungen selbst verfügen können, vorher habe sie von der Mutter nur ein Taschengeld erhalten. Ein Anordnungsgrund sei gegeben, da regelmäßig eine Unterdeckung in Höhe des nicht übernommenen Mietanteils von 62.- EUR bestehe, die aus dem Regelsatz zu bestreiten sei. Der zweckgebundene Zuschuss der Großmutter der ASt an diese und deren Mutter, mit der die Differenz der Unterkunftskosten ausgeglichen worden sei, könne derzeit von der Großmutter nicht mehr erbracht werden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Beklagtenakten, sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II

Die Beschwerde ist als nicht statthaft zu verwerfen.
Nach § 172 Abs 3 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.04.2008 BGBl I S. 444 ff mWz 01.04.2008) ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre.
Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG).
Soweit diese Wertgrenze bzw. zeitliche Grenze nicht überschritten wird, bedarf die Berufung der Zulassung, die u.a. erfolgen kann, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs 2 SGG). Nach dem Wortlaut des § 172 Abs 3 SGG soll eine Beschwerde im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch nur dann zulässig sein, wenn in der Hauptsache die Berufung zulässig ist, und nicht bereits dann, wenn sie zugelassen werden kann. Darüber hinaus ist eine Zulassung der Beschwerde durch das Sozialgericht in der Regelung des § 172 SGG nicht vorgesehen, so dass für die Frage der Statthaftigkeit der Beschwerde allein auf den Wert des Beschwerdegegenstandes und - ggf. - auf den umstrittenen Zeitraum abzustellen ist.
Vorliegend hat die ASt zeitgleich am 12.03.2009 beim SG einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt und Klage erhoben. Während im Antrag auf einstweilige Anordnung eine Leistungsgewährung ab 10.11.2008 begehrt wird, findet sich in der Klageschrift kein konkreter Antrag zum gewünschten Leistungsbeginn. Damit war der Klageantrag auszulegen. Hierfür maßgebend ist der objektive Erklärungswert, der sich danach beurteilt, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere nach der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen muss (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer 9. Aufl. SGG 2008 Vor § 60 Rdnr. 11a). Die Begehren der Ast können nur als einheitlicher Wille dahingehend verstanden werden, dass von ihr Leistungen ab 10.11.2008 - Datum der Antragstellung auf Gewährung der hälftigen tatsächlichen Mietkosten - begehrt werden.
Der Beschwerdezeitraum ist darüber hinaus begrenzt bis 31.08.2009. Mit Bescheid vom 26.02.2009 sind der ASt KdU für den Zeitraum vom 01.03.2009 bis 31.08.2009 bewilligt worden. Auch wenn ein ausdrücklicher Widerspruch der ASt gegen diesen Bescheid bei der Ag nicht eingegangen ist, ist dennoch im Rahmen der Meistbegünstigung (vgl insoweit Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer 9. Aufl. SGG 2008 § 92 Rdnr. 12 mwN) davon auszugehen, dass sich die ASt auch gegen diesen Bescheid wenden will. Nicht anders lässt es sich erklären, dass die ASt einen Abdruck dieses Bescheides bei der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit vorgelegt hat. Die Bestandskraft des Bescheides vom 26.02.2009 steht somit einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen ( vgl. hierzu. Bay.LSG 11. Senat vom 17.11.2008, Az. L 11 B 942/08 AS ER).
Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen stehen lediglich KdU in einer Gesamthöhe von 607,13 EUR für den Zeitraum vom 10.11.2008 bis 31.8.2009 offen. Die Berufung in der Hauptsache ist somit nicht zulässig und die Beschwerde nicht statthaft, weil weder Leistungen für mehr als ein Jahr streitig sind (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG), noch der Beschwerdewert von 750,00 EUR erreicht wird (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).
Die Beschwerde wäre im übrigen auch unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG dar, denn die ASt begehrt die Bewilligung höherer Leistungen nach dem SGB II.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr. 643)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihre Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9.Aufl, § 86b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass die ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe sie wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Diese Dringlichkeit der Angelegenheit hat die ASt glaubhaft zu machen, was jedoch nicht geschehen ist.
Vorliegend hat die ASt noch nicht einmal behauptet, mit der Zahlung ihrer Unterkunftskosten im Rückstand zu sein. Vorgetragen worden ist lediglich, dass die offene Differenz aus dem Regelsatz zu erbringen sei und die Verschuldung der ASt zunehme. Die ASt hat jedoch zu keinem Zeitpunkt nachvollziehbar dargelegt, welche Nachteile sie zu erwarten hat, wenn sie auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird. Es ist von Seiten der ASt noch nicht einmal behauptet worden, dass der Vermieter eine etwaig offen stehende Miete angemahnt oder eingeklagt hätte, geschweige denn, dass eine Kündigung des Mietverhältnisses drohe oder eine solche Kündigung vom Vermieter vorgenommen worden sei. Hierbei ist insbesondere auch zu beachten, dass nach dem Mietvertrag vom 14.05.2007 lediglich die Mutter der ASt Mietvertragspartei ist. Eine Kündigung des Mietverhältnisses oder eine klageweise Geltendmachung von Mietrückständen könnte der Vermieter gegenüber der ASt aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt geltend machen. Dass die Mutter der ASt von dieser die Räumung der Wohnung verlangt hätte, ist noch nicht einmal behauptet worden.
Ein Anordnungsgrund ist damit nicht gegeben. Im Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung droht somit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kein wesentlicher Nachteil, d.h. eine über Randbereiche hinausgehende Rechtsverletzung (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage 2008, Rn 293, 300, jeweils m.w.N.).

Nach all dem war die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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