L 9 KR 364/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 2258/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 364/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In der Regel ist ein Rollstuhl-Bike für Erwachsene kein Hilfsmittel im Sinne der gesetzichen Krankenversicherung.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Rollstuhl-Bikes als Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die 1980 geborene Klägerin leidet an Spina Bifida und ist auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Die Beklagte, bei der sie krankenversichert ist, hat sie mit zwei Aktivrollstühlen versorgt.

Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. P verordnete der Klägerin am 14. Juli 2003 ein "Allround-Bike City 7 Jugendausstattung zur Vermeidung von Folgeerkrankungen durch ständiges Sitzen im Rollstuhl (Toraxkompression etc.)". Als Diagnose gab sie eine Kyphoskoliose an. Diese Verordnung reichte die Klägerin zusammen mit einem Kostenvoranschlag eines Fachbetriebes für Rehabilitation für ein "Stricker City Bike" zum Preis von insgesamt 2.615,29 Euro bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 30. Januar 2004 lehnte die Beklagte die Bewilligung eines Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel ab. Beim Verlust der Gehfähigkeit habe die gesetzliche Krankenversicherung nur für einen Basisausgleich zu sorgen. Die Klägerin sei ausreichend mit einem Aktivrollstuhl versorgt, der ihr eine ausreichende Bewegungsfreiheit zur Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse ermögliche. Ein Rollstuhl-Bike für Personen im Erwachsenenalter sei kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, weil es nicht dem Ausgleich fehlender Gehfähigkeit, sondern dem Ersatz des Radfahrens diene und damit nicht auf die Lebensbewältigung eines Erwachsenen im Rahmen eines allgemeinen Grundbedürfnisses abziele.

Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die Verordnung nicht nur der Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses diene. Die Nutzung eines Rollstuhl-Bike solle zur Kräftigung der Oberkörpermuskulatur führen, eine Haltungsverbesserung nach sich ziehen, die sich aus der vorhandenen Skoliose ergebenden Schmerzen entlasten, den Stoffwechselumsatz steigern und Herz-Kreislauf- und Lungentätigkeit verbessern. Beim normalen Fortbewegen des Rollstuhls durch Anschieben der Hinterräder komme ihr Oberkörper in eine Rundrückenhaltung, die sehr schmerzhaft sei. Dies könne durch Benutzung eines Rollstuhl-Bikes vermieden werden. Sie benötige dieses Hilfsmittel zur Steigerung ihrer Lebensqualität, zur Schmerzminderung und zur Erlangung einer intensiveren Atmung. Leistungsfähigkeit und Konzentration würden so gesteigert. Schmerzfreiheit sehe sie als allgemeines Grundbedürfnis an.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2004 zurück. Die Versorgung mit dem begehrten Rollstuhl-Bike sei weder zur ärztlichen Behandlung noch zum Behinderungsausgleich notwendig. Die Versorgung mit Hilfsmitteln durch die Krankenkasse sei nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten eines Gesunden möglich. Der zur Verfügung gestellte Aktivrollstuhl ermögliche eine ausreichende Bewegungsfreiheit zur Erfüllung der Grundbedürfnisse. Zwar sei davon auszugehen, dass die regelmäßige Benutzung des Rollstuhl-Bikes den Gesundheitszustand der Klägerin stärke, doch dies löse keinen Leistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Positive gesundheitliche Auswirkungen ließen sich auch durch weniger aufwändige Geräte oder andere Trainingsmaßnahmen mit geringerem Kostenaufwand erreichen. Auch das Bundessozialgericht habe in mehreren Urteilen entschieden, dass ein Rollstuhl-Bike für Erwachsene kein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei (Hinweis auf Urteil vom 16. September 1999, B 3 KR 2/99 R).

Mit der am 2. August 2004 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Das beantragte Rollstuhl-Bike sei erforderlich, um den Erfolg ihrer Krankenbehandlung sicherzustellen. Es gehe nicht einfach darum, dass mit der regelmäßigen Nutzung eines solchen Rollstuhl-Bikes ihr Gesundheitszustand gestärkt werden könne und sich solche positiven gesundheitlichen Auswirkungen auch durch weniger aufwändige Geräte oder Trainingsmaßnahmen herbeiführen ließen. Sie leide unter einer erheblichen körperlichen Behinderung und sei vollständig auf den Rollstuhl angewiesen. Mit dessen Nutzung schreite die vorhandene Skoliose der Wirbelsäule fort und führe zu erheblichen Schmerzzuständen im oberen Wirbelsäulenbereich. Aufgrund der Deformierung der Wirbelsäule komme es außerdem zu einer Beeinträchtigung der Herz-, Kreislauf- und Lungentätigkeit sowie des Stoffwechsels, weil infolge der Wirbelsäulenverkrümmung die inneren Organe und insbesondere die Lunge, aber auch Herz, Magen, Leber und Nieren immer weiter zusammengedrängt und hierdurch in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt würden. Es gehe also nicht nur um einen Ersatz für die fehlende Gehfähigkeit, sondern um die Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung und um die Vermeidung einer weiteren drohenden Behinderung. Sie sei damit aus medizinischen Gründen auf die Nutzung eines Rollstuhl-Bikes angewiesen. Die Benutzung eines Elektrorollstuhls sei demgegenüber deutlich kostenaufwändiger.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu im Wesentlichen erklärt: Solle die Klägerin nicht in der Lage sein, sich mit dem manuellen Rollstuhl fortzubewegen, so komme die Versorgung mit einem elektrischen Rollstuhl in Betracht. Das Bundessozialgericht habe lediglich bei Kindern und Jugendlichen die Hilfsmitteleigenschaft eines Rollstuhl-Bikes anerkannt, weil dieses erforderlich sei, um die soziale Integration in den Kreis Gleichaltriger zu ermöglichen. Die Zurverfügungstellung eines Elektrorollstuhls sei auch nicht kostenaufwändiger als die Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike, sondern ziehe nur eine Wiedereinsatzpauschale von einmalig 600 Euro nach sich. Auch die von der Klägerin vorgebrachten medizinischen Gründe seien nicht geeignet, einen Anspruch auf ein Rollstuhl-Bike zu begründen. Zudem sei nicht erwiesen, dass die Nutzung eines Rollstuhl-Bikes die Krankenbehandlung sichern und dem Fortschreiten der bei der Klägerin vorhandenen Skoliose entgegen wirken könne. Der alleinige Umstand, dass die Klägerin dann in einer aufrechteren Position sitze, könne den Leistungsantrag nicht begründen. Das begehrte Rollstuhl-Bike diene nicht dem Ausgleich fehlender Gehfähigkeit sondern dem Ersatz des Radfahrens und ziele damit nicht auf die Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses. Körperliche Betätigung sei allgemein dem Bereich der Eigenverantwortung zuzuordnen. Als zielgerichtete Maßnahme im Rahmen eines ärztlichen Behandlungsplanes stünden Heilmittel zur Verfügung. Eine regelmäßige Krankengymnastik reiche nicht nur aus, sondern könne sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen einschließlich der Stärkung der Muskulatur erreichen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der behandelnden Ärztin Dr. P eingeholt, den diese am 9. Dezember 2005 erstellt hat. Darin heißt es u.a., zur Kreislaufkonditionierung und Verbesserung des Muskelstatus sei das Rollstuhl-Bike optimal. Die ausgeprägte Kyphoskoliose führe ohne Training zu einer Muskeldysbalance. Die therapeutischen Ziele wären auch mit anderen Rehamaßnahmen erreichbar, was aber zeitlich mit dem Studium nicht vereinbar wäre.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. April 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Rollstuhl-Bikes durch die Beklagte, weil sie ausreichend versorgt sei. Ein Rollstuhl-Bike sei für Erwachsene kein Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V, denn es sei nicht erforderlich zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse. Das Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums sei nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten eines Gesunden zu verstehen. Soweit die Klägerin vortrage, sie benötige die Versorgung aus medizinischen Gründen, um etwa weiteren Haltungsschäden vorzubeugen, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Zwar könnten medizinische Gründe im Einzelfall für die Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike sprechen, etwa weil ein Versicherter wegen seiner spezifischen Behinderung gehindert sei, sich mit der Hilfe der Greifreifen eines vorhandenen Rollstuhls fortzubewegen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Alternativversorgung mit einem Elektrorollstuhl kostenaufwändiger wäre. Hierfür habe aber die Klägerin nichts vorgetragen. Sie sei in der Lage, sich mit den beiden von der Beklagten zur Verfügung gestellten Aktivrollstühlen fortzubewegen. Die Angaben der behandelnden Ärztin zielten zudem auf einen eher präventiven Nutzen des Rollstuhl-Bikes ab. Eine Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike zur Prävention sei jedoch gesetzlich nicht vorgesehen.

Gegen den ihr am 24. April 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. Mai 2007 Berufung eingelegt. Zu ihrer Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Sie verkenne nicht, dass nach ständiger Rechtssprechung des Bundessozialgerichts ein Rollstuhl-Bike für Erwachsene kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. SGB V sei, d. h. zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung oder zu deren Ausgleich. Sie begehre das Rollstuhl-Bike aber nach § 33 Abs. 1 Satz 1, 1 Alt. SGB V, um den Erfolg ihrer Krankenbehandlung zu sichern. Angesichts ihrer fortgeschrittenen Leiden sei das Rollstuhl-Bike ein ausreichendes, zweckmäßiges und wirtschaftliches Heilmittel. Es gehe nicht nur um die Vorbeugung gegenüber Haltungsschäden, sondern darum, der behinderungsbedingten Skoliose insbesondere im Brustwirbelbereich und den damit verbundenen ausgeprägten starken Schmerzzuständen sowie der Beeinträchtigung der Herz-, Kreislauf- und Lungentätigkeit wirksam entgegen zu treten, die Skoliose zu verbessern und ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung zu vermeiden. Die weitere Benutzung eines Aktivrollstuhls führe zu einer Verstärkung ihrer ungünstigen Haltung und damit ihrer Leiden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die mit der Berufung angegriffene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass das Rollstuhl-Bike als therapeutisches Gerät zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung diene, ergebe sich hieraus nichts anderes. Eine Maßnahme, die nicht primär auf die medizinischen Bekämpfung einer Krankheit abziele sondern dazu diene, den allgemeinen körperlichen Zustand des Versicherten günstig zu beeinflussen, löse keine Leistungspflicht der Krankenversicherung aus.

Mit Beschluss vom 2. Dezember 2008 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Der Berichterstatter hat die behandelnden Ärzte Dipl.-Med. K (Orthopäde) und P zur Auskunft über die Behandlung der Klägerin und die Funktion, die dabei einem Rollstuhl-Bike zukäme, aufgefordert. Wegen der Auskünfte vom 28. April 2009 (K) und 25. April 2009 (P) wird auf die Akten Bezug genommen.

Auch im Übrigen wird wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 2. Dezember 2008 über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, nachdem das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid erledigt hat. Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Das Sozialgericht beurteilt die Sach- und Rechtslage zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Rollstuhl-Bikes als Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht schon daran, dass das verordnete Rollstuhl-Bike die Funktion eines Fahrrads ausfüllt und Fahrräder zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens gehören. Versicherte haben im Rahmen der Krankenbehandlung (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, SGB V) u. a. Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit es sich nicht um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Das Rollstuhl-Bike ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Darunter fallen nur Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet werden. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind wie etwa Brillen oder Hörgeräte. Die Frage, ob ein Mittel als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen ist, stellt sich für einen Gegenstand, der von der Konzeption her vorwiegend für Kranke oder Behinderte gedacht ist, erst dann, wenn er in nennenswertem Umfang auch von gesunden Menschen benutzt wird. Das Rollstuhl-Bike kann bauartbedingt nur in der Kombination mit einem Rollstuhl genutzt werden. Es kommt damit für Gesunde nicht in Betracht (vgl. hierzu und zum Folgenden Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 1999, B 3 KR 8/98 R, zitiert nach juris).

Der Anspruch der Klägerin ist aber ausgeschlossen, weil ein Rollstuhl-Bike für Erwachsene kein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V ist. Das Gesetz definiert sächliche Mittel nur dann als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie "im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen" (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O.) bei der zweiten Alternative im vorgenannten Sinne nur dann "erforderlich", wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Dazu gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen, Treppensteigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfasst. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe des von der Krankenkasse gelieferten Hilfsmittels wieder aufschließen soll.

Nach diesen Abgrenzungskriterien ist ein Rollstuhl-Bike für Personen im Erwachsenenalter kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung. Nur bei Kindern und Jugendlichen kann das Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingestuft werden; der Versorgungsanspruch hängt insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Unterscheidung beruht darauf, dass das Grundbedürfnis der Erschließung "eines gewissen körperlichen Freiraums" nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden verstanden werden kann. In der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16. April 1998 (B 3 KR 9/97 R) ist das Rollstuhl-Bike nicht wegen einer Erweiterung des Freiraums, sondern nur wegen der dadurch geförderten Einbeziehung des körperbehinderten Klägers in den Kreis der - laufenden und Fahrrad fahrenden - gleichaltrigen Jugendlichen (soziale Integration in der jugendlichen Entwicklungsphase) zugesprochen worden.

Der so umgrenzte Basisausgleich der - im Verlust der Gehfähigkeit bestehenden - Behinderung ist durch die Versorgung der Klägerin mit dem handbetriebenen Rollstuhl in ausreichender Weise erfolgt. Zum Grundbedürfnis gehbehinderter Menschen auf Erschließung bzw. Sicherung "eines gewissen körperlichen Freiraums" zählt nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer.

Das Radfahren gehört zwar in breiten Bevölkerungsschichten zum normalen Lebensstandard; existenznotwendig war und ist der Besitz eines Fahrrads hingegen nicht. Wenn es die Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, dem durch eine Krankheit oder Behinderung beeinträchtigten Menschen die eigenständige und unabhängige Erfüllung seiner vitalen Lebensbedürfnisse zu ermöglichen, kann ihre Leistungspflicht nicht an den üblichen Besitz eines Fahrrads anknüpfen und dazu führen, es für den Behinderten nutzbar zu machen oder - wie hier - eine dem Radfahren vergleichbare Fortbewegungsmöglichkeit mit dem Rollstuhl zu eröffnen. Die grundlegenden Organfunktionen der Beine, um deren Ausfall es hier allein geht, sind das Gehen und Stehen. Diese Funktionen sind bei Gehbehinderten im Rahmen des technisch Machbaren und wirtschaftlich Vertretbaren, u.a. durch Hilfsmittel, ganz oder teilweise herzustellen oder zu ersetzen, nicht hingegen die Fähigkeit, mittels der Beine ein schnelleres und bequemeres Fortbewegungsmittel zu betreiben. Die Möglichkeit, sich als Rollstuhlfahrer mit Hilfe des Rollstuhl-Bikes wie ein Radfahrer zu bewegen und z.B. Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen, zählt daher nicht zu den Grundbedürfnissen.

Soweit es die Geschwindigkeit, die Streckenlänge und die körperliche Dauerleistung betrifft, kann das Fahren mit dem Rollstuhl-Bike unter Umständen auch ausgedehntes Jogging ersetzen. Dies kann den geltend gemachten Anspruch indes ebenfalls nicht rechtfertigen. Das Jogging ist eine sportliche Betätigung im Freizeitbereich. Freizeitbeschäftigungen - welcher Art auch immer - werden vom Begriff des vitalen Lebensbedürfnisses bzw. des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens nicht erfasst (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O.).

Das allgemeine Grundbedürfnis, selbständig zu gehen, kann den Anspruch gleichfalls nicht begründen. Dieses Grundbedürfnis kann nämlich nicht dahin verstanden werden, dass die Krankenkasse einen Behinderten durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln in die Lage versetzen muss, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen, die ein Nichtbehinderter bei normalem Gehen zu Fuß bewältigen kann. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei dem Verlust der Gehfähigkeit nur für einen Basisausgleich zu sorgen hat. Zu den insoweit maßgeblichen vitalen Lebensbedürfnissen im Bereich des Gehens gehört jedoch nur die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. In diesem Sinne ist die in früheren Entscheidungen verwandte Formulierung zu präzisieren, es sei auf diejenigen Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklegt. Ein über den vorgenannten Rahmen hinausgehendes Bedürfnis zu gehen kann nicht als Grundbedürfnis anerkannt werden. Dem Grundbedürfnis auf freie Bewegung in der eigenen Wohnung und in deren Nahbereich hat die Beklagte durch die Versorgung der Klägerin mit dem handbetriebenen Rollstuhl hinreichend Rechnung getragen.

Maßgebend kann auch nicht sein, dass das Rollstuhl-Bike - worauf das klägerische Vorbringen insbesondere zielt - zur Stärkung der Muskulatur, des Herz-Kreislauf-Systems und der Lungenfunktion beiträgt. Dieses Ziel lässt sich durch weniger aufwändige Geräte oder durch entsprechende krankengymnastische und sportliche Übungen mit geringerem Kostenaufwand erreichen (Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 21). Insbesondere ist nicht erkennbar, wie das Rollstuhl-Bike den "Erfolg der Krankenbehandlung sichern" (§ 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB V) sollte. Auch nach Rückfrage bei den behandelnden Ärzten, auf die die Klägerin sich beruft, ist nicht erwiesen, dass es im Rahmen einer bestimmten Behandlung gerade auf den Einsatz des Rollstuhl-Bikes ankäme. Der Orthopäde K hat angegeben, die Klägerin ohnehin nur einmal gesehen zu haben und zu meinen, die Klägerin könne mit dem Rollstuhl-Bike "aktiver am Leben auf der Straße teilnehmen"; zudem vermute er, dass mit diesem Gerät eine bessere Kreislaufbelastung möglich sei. Dass das Gerät zur Sicherung einer bestimmten Behandlung notwendig wäre, ist damit nicht hinlänglich erwiesen. Auf die Frage, für wie erforderlich sie ein Rollstuhl-Bike halte, um den Erfolg der Behandlung der Klägerin zu gewährleisten, hat die Ärztin P gegenüber dem Senat lediglich erklärt, es zu bedauern, wenn ein so aktiver Mensch wie die Klägerin nicht die Unterstützung der Krankenkasse bekomme. Auch hieraus lässt sich nicht schlussfolgern, dass ein Rollstuhl-Bike zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung erforderlich wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG vorlag.
Rechtskraft
Aus
Saved