L 1 KR 156/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 1341/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 156/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein "Call Agent" kann im Einzelfall selbständig beschäftigter Subunternehmer eines Telefonmarketing-Unternehmens sein.
Das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 11. Januar 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2006 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit bei der Klägerin vom 1. Januar 2005 bis zum 30. April 2006 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hat. Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zutragen. Die Beigeladenen hat jedoch ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, ein Unternehmen das Telefonmarketing betreibt, begehrt von der Beklagten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens festzustellen, dass die Tätigkeit der Beigeladenen bei ihr eine selbständige gewesen ist.

Die Beigeladene war als "Call Agent" ab dem 1. Januar 2005 bis zum 30. April 2006 für die Klägerin tätig. Sie hatte hierfür ein Gewerbe angemeldet. Zwischen ihr und der Klägerin war am 21. Dezember 2004 ein Rahmenvertrag abgeschlossen worden, der folgenden Inhalt hatte:

§ 1 1. Die Auftraggeberin erklärt sich dazu bereit, Frau I R auf die Liste der Interessenten für die Reservierung eines Einsatzplatzes als Call Agent aufzunehmen. 2. Frau I R hat, soweit freie Kapazitäten vorhanden sind, jederzeit die Möglichkeit, sich in den Reservierungsplan einzutragen. Eine Zuweisung der Einsatzplätze durch die Auftraggeberin erfolgt weder hinsichtlich der Lage noch der Dauer des zu reservierenden Einsatzplatzes.

Ein Rechtsanspruch des Auftragnehmers/der Auftragnehmerin auf einen Einsatzplatz besteht nicht.

3. Die Reservierung für einen Einsatzplatz erfolgt stundenweise.

Liegt eine Reservierung eines Einsatzplatzes vor, so hat der Auftragnehmer/die Auftragnehmerin für jede angefangene Stunde der Reservierung EUR 4,50 zuzüglich Umsatzsteuer an die Auftraggeberin zu entrichten.

Dieses gilt auch, wenn die Nutzung des Einsatzplatzes trotz erfolgter Reservierung nicht wahrgenommen wird.

4. Die Öffnungszeiten der Auftraggeberin belaufen sich derzeit auf 8:00 bis 20:00 Uhr. Die Auftraggeberin behält es sich vor, diese Öffnungszeiten einseitig zu ändern.

5. Dem Auftragnehmer/der Auftragnehmerin wird bei Nutzung des Einsatzplatzes im Bedarfsfall Technical Support gewährt.

§ 2 Der Auftragnehmer/die Auftragnehmerin unterliegt bei der Durchführung der durch ihn/sie ausgeübten Tätigkeiten keinerlei Weisungen durch die Auftraggerberin. Auch ist der Auftragnehmer/die Auftragnehmerin nicht zu einer persönlichen Leistungserbringung verpflichtet.

§ 3 Der Auftragnehmer/die Auftragnehmerin bleibt es vorbehalten, auch für Dritte, mit Ausnahme unmittelbarer Konkurrenzfirmen, tätig zu werden.

§ 4 1. Die jeweiligen Einsatzzeiten des Auftragnehmers/der Auftragnehmerin werden anhand von im Einzelnen abzuschließenden Vereinbarungen geregelt.

2. Für den Fall, dass Tätigkeiten entfaltet werden, erfolgt die Vergütung je effektiv erreichtem Ansprechpartner in Höhe von EUR 1,50 zuzüglich Mehrwertsteuer.

3. Der monatliche Nachweis über die effektiv erreichten Anspruchpartner wird innerhalb der ersten zwei Tage des Folgemonats für den Vormonat durch die Auftraggeberin erbracht.

Die Rechnungsstellung durch den Auftragnehmer/die Auftragnehmerin hat innerhalb von 7 Tagen nach Erhalt dieser Abrechnung zu erfolgen.

Das vereinbarte Honorar wird jeweils nach Rechnungsstellung fällig. Die Auszahlung erfolgt unbar. Innerhalb von 14 Tagen nach Abschluss dieser Rahmenvereinbarung ist der Auftraggeberin ein Konto zu benennen, auf welches die Vergütung angewiesen werden kann.

§ 5 Soweit der Auftragnehmerin/die Auftragnehmerin auf dem durch ihn/sie reservierten Platz tatsächlich Einsätze leistet, sind diese gemäß § 1 Ziff. 3 dieses Rahmenvertrages für den jeweiligen Zeitraum befristet.

§ 6 Sämtliche Ansprüche aus dieser Vereinbarung sind binnen einer Frist von 3 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen, anderenfalls sind sie verfallen.

§ 7 Den Parteien bleibt es vorbehalten, diese Vereinbarung spätestens am 15. eines Monats zum Ende eines Kalendermonats zu kündigen.

Die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt.

Jede Kündigung bedarf der Schriftform

§ 8 Durch den Abschluss dieser Rahmenvereinbarung und der in den Einzelfällen gemäß § 4 Ziff. 1 dieses Rahmenvertrages abzuschließenden Einzelvereinbarungen soll kein Dauerzeilzeitarbeitsverhältnis, auch nicht in Form eines Abrufarbeitsverhältnisses begründet werden.

Von der Möglichkeit des Abschlusses solcher Arbeitsverhältnisse ist in Anwendung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit und dem ausdrücklichem Wunsch des Auftragnehmers/der Auftragnehmerin bewusst kein Gebrauch gemacht worden. Eine Umgehung arbeitsrechtlicher oder sozialversicherungsrechtlicher Schutzvorschriften ist nicht beabsichtigt.

Eine über den Umfang dieser Vereinbarung hinausgehende persönliche wirtschaftliche oder soziale Abhängigkeit wird nicht begründet.

Entsprechend der Rahmenvereinbarung reservierte die Beigeladene sich jeweils durch Eintragung in einen aushängenden Reservierungsplan einen Einsatzplatz. Eine Zuweisung von Einsatzplätzen bzw. Weisungen in der Art, dass in bestimmen Zeiträumen eine Tätigkeit aufgenommen werden müsse, erfolgten nicht.

Gegenstand der Tätigkeit war die Durchführung von Telefonaten. Die für die Klägerin tätigen Call Agents riefen Kunden von Auftraggebern der Klägerin an, die hierdurch eine besondere Betreuung ihrer Kunden sicherstellen wollte. Auftraggeber der Klägerin waren z. B. Automobilhersteller, die auf diese Weise an Käufer ihrer Produkte herantraten und nach deren Zufriedenheit bzw. nach irgendwelchen Anliegen fragten. Die Klägerin arbeitete solche Aufträge über einen Pool von Call Agents ab. Die Telefonnummern von den zu betreuenden Kunden wurden der Klägerin von deren Auftraggebern zur Verfügung gestellt und von dieser dann den Call Agents. Diese konnten am Computer aus einer Liste auswählen, ohne dass eine automatische Einwahl erfolgte oder eine bestimmte Reihenfolge der Anzurufenden vorgegeben war. Auch der Inhalt der Fragen bzw. der Gespräche waren im Einzelnen nicht vorgegeben. Bei neuen Auftraggebern wurden Informationsveranstaltungen durchgeführt, um zu vermitteln, auf welche Weise ein Auftraggeber seine Kunden betreut wissen wollte. Wer Telefonate mit Kunden dieser Auftraggeber durchführen wollte, konnte an diesen Informationsveranstaltungen teilnehmen. Die Klägerin trägt in diesem Zusammenhang vor, dass es den bei ihr tätigen Call Agents freigestanden habe, Telefonate außerhalb eines solchen Auftragsverhältnisses zu führen. Die Telefongespräche dauerten zwischen 3 und 10 Minuten. Die Beigeladene erhielt für jedes Gespräch, in welchem auch nur ein geringer Inhalt erreicht wurde, eine Vergütung ausbezahlt (GA Blatt 29).

Die Klägerin beantragte am 14. Januar 2005, die Tätigkeit der Beigeladenen sozialversicherungsrechtlich zu beurteilen. Auch die Beigeladene stellte am 23. Februar 2005 einen solchen Antrag. Die Beigeladene beschrieb dabei in dem Formular ihre Tätigkeit als "Reservierung Arbeitsplatz gegen Bezahlung, hier Tätigung von Anrufen". Auf Wunsch erhalte sie eine Liste potentieller Anrufer von der Klägerin. Dabei sei ihr freigestellt, ob und wann sie die Daten der Liste nutze. Einen Fragenkatalog für die Anrufe gebe es nicht. Die Frage, ob sie am Betriebssitz des Auftraggebers arbeite, bejahte die Beigeladene. Die Fragen, ob regelmäßige Arbeits- oder Anwesenheitszeiten einzuhalten seien, ihr Weisungen erteilt würden oder der Auftraggeber Einsatzgebiet auch ohne Zustimmung verändern könne, verneinte sie, ebenso wie die, ob die Einstellung von Vertretern bzw. Hilfskräften von der Zustimmung des Auftraggebers abhänge. Eigenes Kapital setze sie ein, weil sie die Telefonplätze gegen Bezahlung miete. Es sei ihr freigestellt, Aufträge anzunehmen, die Vergütung erfolge erfolgsabhängig.

Die Klägerin hat im Verwaltungsverfahren vorgetragen, die Beigeladene könne ihre Arbeitszeit selbst bestimmen. Es seien lediglich die Öffnungszeiten begrenzt, innerhalb welcher ein Einsatzplatz angemietet werden könne. Die Beigeladene trage ein unternehmerisches Risiko, da sie Computer und Telefon pauschal mieten müsse.

Die Beklagte gelangte im Bescheid vom 9. Mai 2005, zu dem Ergebnis, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit als Call Agentin seit dem 1. Januar 2005 im Rahmen eines abhängigen und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe. Sie sei in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingebunden.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Eine Einbindung in die Arbeitsorganisation sei gerade nicht gegeben.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15. Juni 2006 zurück. Die Beigeladene sei hinsichtlich ihres Arbeitsortes weisungsgebunden, da die Aufgaben am Betriebssitz der Klägerin getätigt würden. Auch wenn vertraglich die freie Gestaltung der Arbeitszeit eingeräumt worden sei, sei die Beigeladene wegen der tatsächlich von ihr zu beachtenden zeitlichen Vorgaben an feste Arbeitszeiten gebunden und könne die Arbeitszeit nicht frei bestimmen. Arbeitsmittel und Arbeitsgeräte würden vorwiegend von der Klägerin kostenfrei zur Verfügung gestellt. Lediglich für die Nutzung des PCs habe die Beigeladene eine Mietpauschale von 4,50 EUR pro geleisteter Arbeitsstunde zu tragen. Die Zuweisung von Risiken spreche nur dann für Selbständigkeit, wenn damit größere Freiheiten und größere Verdienstmöglichkeiten verbunden seien, die nicht bereits in der Sache selbst angelegt seien. Alleine die Zuweisung zusätzlicher Risiken mache einen abhängig Beschäftigten noch nicht zum Selbständigen. Die Tätigkeit der Beigeladenen erfordere weder den Einsatz eigenen Kapitals noch eigener Betriebsmittel, so dass sie kein Unternehmerrisiko trage. Die Schwankungen bei den gezahlten Honoraren seien mit dem Entgeltrisiko vergleichbar, welche nur stundenweise beschäftigten Arbeitnehmer zu tragen hätten. Die Beigeladene setze ihre Arbeitskraft nicht mit ungewissem Erfolg ein, da eine Vergütung nach Abnahme der Arbeit erfolge. Diese werde erfolgsabhängig gezahlt, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kein zwingender Grund für die Ausschluss einer persönlichen Abhängigkeit sei. Ein solches Risiko trügen auch andere Arbeitnehmer wie Stücklohn-, Akkord- oder Heimarbeiter.

Die Klägerin hat hiergegen am 4. Juli 2006 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Es fehle bereits an einer vertraglichen Vereinbarung, aufgrund derer die Beigeladene der Klägerin zu irgendeiner Tätigkeit verpflichtet sei. Etwaige Tätigkeiten habe sie ferner nicht höchstpersönlich noch an einem bestimmten Ort ausüben müssen. Die Verpflichtung zur Mietzahlung von 4,50 EUR pro Stunde begründe schließlich durchaus ein Unternehmerrisiko.

Die Beigeladene hat erklärt, eine Kontrolle durch die Klägerin während der Telefonate sei nicht erfolgt. Es sei klar gewesen, dass die Aufträge der Auftraggeber von den Call Agents abgearbeitet werden müssten. Dies sei jedoch nicht über Weisungen an diese erfolgt, zu bestimmten Zeiten zu arbeiten.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11. Januar 2008 abgewiesen. In einer Gesamtwürdigung aller Umstände überwögen die Kriterien, welche hier für eine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) sprächen. Die Beigeladene sei in die betriebliche Arbeitsorganisation der Klägerin fremdbestimmt eingegliedert gewesen. Rein tatsächlich sei deren Arbeitsort alleine die Betriebsstätte der Klägerin gewesen. Eine Tätigkeit auch außerhalb sei in der Umsetzung bereits daran gescheitert, dass eine entsprechende technische Ausstattung nicht vorliege. Die betriebliche Organisation der Klägerin sei darauf ausgerichtet, Einsatzplätze für ihre Call Agents zur Verfügung zu stellen. Dies sei notwendiger Weise damit verbunden, dass die Tätigkeit auch dort ausgeübt werde. Die Ausgestaltung der Arbeitszeit sei durch die betrieblichen Belange der Klägerin geprägt gewesen. Die Vorgabe der Arbeitszeit als Teil der Weisungsbefugnis umfasse die Befugnis des Arbeitgebers, die Tätigkeit eines Arbeitnehmers auch hinsichtlich der zeitlichen Umstände entsprechend der von ihm gewünschten Arbeitsorganisation zu gestalten. Diese Befugnis habe die Klägerin wahrgenommen. Wenn ein Arbeitgeber den jeweiligen Einsatz eines Arbeitnehmers von einer Eintragung in einen Reservierungsplan abhängig mache, Vergütung nur für Zeiträume der tatsächlichen Tätigkeiten anfielen und die betrieblichen Erfordernisse, nämlich die Erfüllung der Kundenaufträge dadurch gewährleistet sei, dass ein Pool solcherart Beschäftigter Arbeitnehmer vorhanden sei, liege eine umfassende Organisation der Arbeitsumstände und auch der Arbeitszeit vor. In diesen seien die Call Agents auch insoweit eingebunden, als für die notwendige Ausrüstung eine "Miete" verlangt werde. Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation ergebe sich weiter durch dem Umstand, dass die Klägerin die Auftraggeber für die Telefonate akquiriere. Die Beigeladene sei nur für Rechnung der Klägerin selbst tätig geworden. Der Umstand, dass die Call Agents auch andere Arbeiten hätten durchführen können, sei rein hypothetisch, da eine Vergütung nur für Telefonate mit den Auftraggebern der Klägerin erfolge. Dass diese den Call Agents keine detaillierten Vorgaben für die Telefonate gegeben habe, spreche ebenfalls nicht für Weisungsunabhängigkeit der Tätigkeit. Dies folge allein aus der Natur der zu führenden und im Ergebnis offenen Kundenbetreuungsgespräche. Zudem sei die Beigeladene bei der Ausgestaltung der Gespräche nicht völlig frei gewesen. Grundsätzliche Inhalte seien zumindest bei neuen Aufträgen im Rahmen von Informationsveranstaltungen vermittelt worden. Die Beigeladene sei auch keinem Unternehmerrisiko ausgesetzt gewesen. Sie sei nicht selbst auf das Anwerben von Kunden angewiesen gewesen. Ihr Risiko habe sich darauf beschränkt, dass ihre Vergütung von der Zahl der geführten Gespräche abhängig gewesen sei. Der Miete für den Einsatzplatz komme angesichts des relativ geringfügigen Betrages und vor dem Hintergrund, dass mit den Einsatzplänen auch der Zugriff auf die Aufträge der Klägerin und die Gewährung einer festen Vergütung pro Gespräch verbunden gewesen seien, keine durchgreifende Bedeutung zu. Sie habe überwiegend eine Anreizfunktion zur Wahrnehmung der reservierten Einsatzzeiten dargestellt. Dass die Beigeladene rein theoretisch nicht zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet gewesen sein möge, sei ebenfalls unerheblich, da sich diese Möglichkeit nach dem tatsächlichen Verhältnissen als nicht relevant dargestellt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Zur Begründung hat sie ausgeführt (GA Blatt 95 ff), das SG habe zu Unrecht eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation angenommen. Vielmehr sei die Beigeladene völlig frei gewesen, wann und wie viel sie habe arbeiten wollen. Aus der hieraus resultierenden Freiheit sei ihr im Übrigen ein erhebliches Risiko erwachsen, sich nämlich die falschen Zeiten für ihre Anruftätigkeit auszuwählen. Um dieses Risiko zu kalkulieren, müssten die Call Agents sich nicht nur über Ereignisse wie beispielsweise laufende Fußballübertragungen im Fernsehen informieren - hierbei gestört, verbinde der Angerufene den Namen der Auftraggeberin der Klägerin kontraproduktiv mit negativen Emotionen - sondern auch Ferienzeiten und sonstige Faktoren. Eine Nutzung des Platzes sei der Beigeladenen auch außerhalb der regelmäßigen Öffnungszeiten möglich gewesen, da sie - wie die anderen - Schlüssel zu den Räumlichkeiten gehabt habe. Eine Anmietung eines Telefonplatzes auch außerhalb der regelmäßigen Öffnungszeiten sei somit problemlos möglich gewesen. Der Beigeladenen als Call Agent sei es auch unbenommen gewesenen, die Tätigkeiten außerhalb der Betriebsstätte der Klägerin, beispielsweise von zu Hause, zu erbringen. Technisch sei für eine Anbindung an den von der Klägerin zur Verfügung gestellten Datenpool mit anzurufenden Telefonnummern lediglich die Verwendung eines handelsüblichen Computers und eines Internetanschlusses notwendig gewesen. Über das Internet könne sich der Call Agent nach Eingabe der ihm zur Verfügung gestellten Passwörter in die entsprechende Datenbank einwählen und könne in demselben Umfang wie von dem Platz bei der Klägerin aus Zugriff auf die zur Abarbeitung des Auftrages notwendigen Telefonnummern nehmen. Von dieser Möglichkeit, sei nicht in dem von der Klägerin erwarteten Umfang Gebrauch gemacht worden. Dies habe sicherlich überwiegend daran gelegen, dass die von dem Call Agent zu zahlende Platzmiete von 4,50 EUR pro Stunde als relativ niedrig empfunden worden sei. Auch hätten sich die Call Agents nicht zu Hause bei der Arbeit ablenken lassen wollen. Die Beigeladene hätte auch Subunternehmer einsetzen können. Die einzige Vorgabe der Klägerin sei gewesen, dass diese fachlich in gleicher Art und Weise den Verpflichtungen nachkommen hätten können müssen, also z. B. eine gewisses sprachliches Niveau aufweisen hätten müssen. Der Call Agent trage nach Eintragung in der Listung und damit Anmietung des Platzes das Risiko dafür, an diesem Tag auch tatsächlich erscheinen zu können. Alle Call Agents hätten zudem dem Risiko unterlegen, dass ihnen die Klägerin keine Telefonnummern zur Verfügung stellen könne. Erst nach dem Einloggen bei der Klägerin könnten diese erkennen, in welchem Umfang derzeit Anrufe getätigt werden könnten. Diese müssten dabei auch berücksichtigen, dass sich auch die anderen Call Agents für dasselbe Projekt entschieden haben können wie sie selbst. Dass nicht allen Call Agents Rufnummern zur Verfügung gestellt werden konnten, sei tatsächlich bereits vorgekommen. Einzelanordnungen oder Erfolgskontrollen über die Durchführung der Tätigkeit seien nicht erfolgt. Als einziges vorgegebenes Ziel habe die Beigeladene durch ihren Anruf beim Kunden des Auftraggebers der Klägerin das Gefühl entstehen lassen müssen, er werde von diesem gut betreut. Auf welche Weise sie dieses Ziel erreicht habe, sei ihr überlassen gewesen. Sie habe sich z. B. zunächst seine Beschwerde anhören können oder auf möglicherweise geäußerte Fragen zu neu erscheinenden Fahrzeugmodellen geantwortet. Im Übrigen spreche selbst ein detailliert ausgearbeiteter Fragenkatalog für jeden Auftrag nicht gegen eine Selbständigkeit (Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. November 1974 - 8 RU 266/73 - USK74145). Eine Erfolgskontrolle sei allenfalls - und auch nur in begrenztem Umfang - durch deren Auftraggeber erfolgt. Diese kontrollierten damit die Klägerin und nicht den Call Agent. Die Kontrolle erfolge durch vereinzelte Testanrufe des Auftraggebers bei Kunden, für die die Klägerin ihrerseits einen erfolgreichen Call abgerechnet habe. Eine inhaltliche Erfolgskontrolle - etwa durch Abhören oder eigene Kontrollanrufe - sei nicht erfolgt. Einen derartigen Aufwand hätte die Klägerin auch nicht leisten können. Eine Kontrolle sei nur durch einen Vergleich der abgerechneten Telefonate mit den zur Verfügung gestellten Telefonnummern durch Überprüfung der Telefonrechnungen möglich. Die Klägerin könne zudem feststellen, auf welcher der von ihr bereitgestellten Telefonnummern bereits zugegriffen worden sei und auf welche nicht. Hierdurch lasse sich stichprobenhaft zumindest eine Plausibilitätskontrolle bzgl. der Anzahl der abgerechneten Calls durchführen. Letztlich sei die Klägerin aber auf die Ehrlichkeit der einzelnen Call Agents angewiesen.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Januar 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit bei der Klägerin vom 1. Januar 2005 bis zum 30. April 2006 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübte.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig und verweist ergänzend auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 2. Februar 2006 - L 16 KR 253/04 -). Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag zur mündlichen Verhandlung vor und war Gegenstand der Erörterungen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Zur Überzeugung des Senats überwiegen hier –knapp- die Merkmale, welche für eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen sprechen.

Auf die Ausführungen des SG zur Rechtslage kann ungeachtet des anderen Ergebnisses zunächst verwiesen werden, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Wie die weitere Klärung des Sachverhaltes im zweitinstanzlichen Verfahren ergeben hat, hat die Beklagte unzutreffend festgestellt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen als Call Agent für die Klägerin eine dem Grunde nach sozialversicherungspflichtige Tätigkeit dargestellt hat.

Anhaltspunkte für eine Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 5) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale nach dem Gesamtbild überwiegen (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Hier überwiegen die für eine unabhängige Beschäftigung bestehenden Merkmale.

Von geringem Gewicht ist dabei der Umstand, dass die Call Agents ein gewisses Risiko tragen, indem sie ihren Arbeitsplatz vorab mieten und zudem nicht sicher wissen können, wie viel Arbeit in Form von zu Verfügung stehenden Telefonnummern sie erwartet. Dem steht aber entgegen, dass es sich –wie sich aus den von der Klägerin im Termin eingereichten Abrechnungen ergibt und aus dem Beteiligtenvorbringen ergibt- rein faktisch in aller Regel nicht um ein Verlustrisiko des Call Agent gehandelt hat, vielmehr war aus dessen Sicht nur die Höhe des Verdienstes nicht fix. Außerdem steht nunmehr zur Überzeugung des Senats fest, dass eine kostenpflichtige Anmietung eines Arbeitsplatzes nicht zwingend erforderlich gewesen ist. Die Beigeladene hat glaubhaft und glaubwürdig den Klägervortrag bestätigt, dass sie´, wie die anderen Call Agents auch, von zu Hause aus hätte arbeiten können.

Anders als die erste Instanz ist auch die Integration in die Arbeitsorganisation der Klägerin zu bewerten. Aufgrund der Aussagen in der mündlichen Verhandlung ist für den Einzelfall des besonderen Call Centers der Klägerin davon auszugehen, dass die Call Agents nicht zwingend an den Informationsveranstaltungen teilnehmen mussten, welche zu Beginn neuer Projekte von der Klägerin abgehalten wurde. Sie waren deshalb - anders als die Mehrheit der Zeitarbeitnehmer - nicht in dem Sinne in den Geschäftsbetrieb eingebunden, dass Vorgaben über die Telefonate erteilt wurden bzw. vorab Schulungen durchgeführt wurden. Die Beigeladene hat insoweit glaubhaft versichert, dass die Teilnahme nur im eigenen Interesse an möglichst vielen positiven Kundenkontakten sinnvoll gewesen sei. Sie und die anderen Call Agents hätten sich aber auch auf anderem Wege, insbesondere durch Nachfragen bei Kolleginnen, kundig machen können oder unvorbereitet telefonieren können. Die Call Agents wurden also - ähnlich wie Versicherungs-, Handelsvertreter oder Franchisenehmer - durch die Informationsveranstaltungen in ihrer eigenen Tätigkeit unterstützt. Sie sind im Ergebnis keine scheinselbständige Arbeitnehmer, sondern "echte" Subunternehmer.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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