Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 210/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 451/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2008 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 1.663,60 Euro zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 1.663,60 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für eine erweiterte ambulante Physiotherapie - EAP -; ausschlaggebend ist, ob diese eine Leistung zur Krankenbehandlung oder zur Rehabilitation ist.
Der 1962 geborene Versicherte C L - V. - ist bei der Klägerin unfall- und bei der Beklagten krankenversichert. Während seiner Tätigkeit als Straßenbauarbeiter erlitt er am 28. August 2001 infolge eines Arbeitsunfalls eine Prellung des rechten Knies mit folgender Arbeitsunfähigkeit. Am 16. Januar 2002 wurden eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes sowie eine Knorpelschädigung festgestellt. Zur Vorbereitung der Kreuzbandplastik und Befestigung nach der zuvor durchgeführten Operation wurde dem V. von der Klägerin eine EAP gewährt (Bescheid vom 8. April 2002). Wegen des Verdachts auf einen erneuten Riss der Kreuzbandplastik war der Kläger erneut Ende Mai 2002 in stationärer Behandlung, anschließend setzten die physiotherapeutischen Übungsbehandlungen ein. Die Klägerin ließ die EAP bis zum 24. Juli 2002 fortführen.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 6. November 2002 und Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 stellte die Klägerin gegenüber dem V. fest, dass Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 10. September 2001 hinaus nicht gewährt werden könnten. Es liege kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Kreuzbandriss vor.
Am 28. August 2002 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an und diese verzichtete mit Schreiben vom 19. Mai 2003 auf die Einrede der Verjährung. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 7. Juni 2005 auf, ihr die Kosten für die EAP in Höhe von 1.663,30 EUR zu erstatten. Grundlage war ein von der Berufsgenossenschaftlichen Klinik B in H am 18. Mai 2005 für die Klägerin erstattetes Gutachten, in dem ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den am 19. Dezember 2001 festgestellten Schädigungen des Gelenks ausgeschlossen wurde. Die Beklagte verweigerte die Zahlung und begründete dies damit, für EAP-Leistungen sei der Rentenversicherungsträger zuständig.
Mit der am 2. Februar 2006 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat dargelegt, ihr stehe ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - zu. Aus den Patientenunterlagen ergebe sich, dass eine medizinische Behandlung vorgelegen habe. Bis zum 1. Januar 2002 hätten die Krankenkassen EAP und ambulante orthopädisch-traumatologische Rehabilitationen (AOTR) ohne eindeutige gesetzliche Grundlage geleistet. Mit der an diesem Tag in Kraft getretenen neuen Fassung des § 40 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - sei ein ganzheitlicher Behandlungsansatz normiert worden. Nach § 13 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - erbringe der Rentenversicherungsträger keine Leistungen wegen akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit. Er sei aber für Rehabilitation zuständig, wobei die Unterscheidung zwischen Akutversorgung und Rehabilitation schwierig sei. Ziel der Krankenbehandlung sei die Wiederherstellung der Gesundheit, die Rehabilitation hingegen habe zum Ziel, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft umfassend zu ermöglichen. Die in § 26 Abs. 2 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - aufgezählten therapeutischen Maßnahmen seien nicht von vornherein Leistungen zur Krankenbehandlung oder zur Rehabilitation, sondern würden dies erst durch die mit ihnen verfolgten Ziele. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 11 Abs. 2 SGB V umfassten immer auch notwendige medizinische Leistungen zur Rehabilitation nach § 40 Abs. 1 SGB V als Bestandteil der Akutversorgung. Die EAP stelle eine Fortsetzung der akutmedizinischen Behandlung dar und konzentriere sich ausschließlich auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des ehemals verletzten Körperteils. Sie könne lediglich Teil einer Rehabilitation sein. Die einzelne Leistung für sich allein genommen erfülle jedoch nicht den ganzheitlichen Therapieansatz. Eine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers gemäß § 4 SGB V scheide aus, da kein vorleistungspflichtiger Träger vorhanden sei.
Die Beklagte ist dem mit der Auffassung entgegengetreten, die EAP sei eine Maßnahme nach § 40 SGB V und sie habe dem V. zugestanden. Dies ergebe sich auch aus dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung - MDK - Sachsen vom 8. Oktober 2007. Zur Rehabilitation zählten auch nach Abschluss der Akutbehandlung im zeitlichen Zusammenhang erbrachte medizinisch notwendige stationäre Leistungen, insbesondere die intensive Übungsbehandlung. Aus § 40 Abs. 4 SGB V ergebe sich aber die Vorrangigkeit der Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers; danach würden Leistungen nur erbracht, wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften diese nicht erbracht werden könnten. Der V. habe die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §§ 9 - 15 SGB VI erfüllt, so dass die Zuständigkeit der Beigeladenen gegeben sei. Die Phase der akuten Behandlungsbedürftigkeit sei abgeschlossen und die Erwerbsfähigkeit gefährdet gewesen.
Der beigeladene Rentenversicherungsträger ist dem damit entgegengetreten, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen beim V. nicht vorgelegen hätten, auch sei seine Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährdet oder gemindert gewesen. Er sei innerhalb von weniger als sechs Monaten nach der Versorgung mit der Kreuzbandplastik wieder arbeitsfähig gewesen. Die Träger der Rentenversicherung erbrächten nach § 13 Abs. 2 SGB VI keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit. Bei der EAP jedoch handele es sich um die Fortsetzung einer akutmedizinischen Behandlung, daher sei eine Leistungspflicht der Beigeladenen ausgeschlossen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 16. Oktober 2008 die Beigeladene verurteilt, an die Klägerin 1.663,60 EUR zu zahlen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, bei der EAP handele es sich um eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme nach § 40 Abs. 1 SGB V. Diese sei eine Kombination von Behandlungselementen der krankengymnastischen Therapie, der physikalischen Therapie und der medizinischen Trainingstherapie zur Beseitigung besonders schwerer Funktions- und Leistungsbeeinträchtigungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates. Die EAP stelle keinen Bestandteil der Akutbehandlung dar, die beim V. bereits abgeschlossen gewesen sei.
Gegen dieses der Beigeladenen am 23. Oktober 2008 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 20. November 2008, mit der sie die Auffassung vertritt, nicht sie, sondern die Beklagte sei zur Kostenerstattung verpflichtet. Die Leistungspflicht eines Rentenversicherungsträgers für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sei in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit ausgeschlossen. Die EAP ziele auf die Verbesserung der Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer und Koordination für die Verrichtungen des täglichen Lebens und für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit. Es handele sich um ein Behandlungskonzept, das im Wesentlichen aus Krankengymnastik und Physiotherapie besteht. Der Therapieansatz sei organ- und funktionsbezogen. Die medizinische Rehabilitation hingegen richte sich nach dem individuellen Rehabilitationsbedarf unter Berücksichtigung arbeits- und berufsbezogener Maßnahmen. Physiotherapie, Ergotherapie und andere Bestandteile der EAP seien lediglich Bestandteile der medizinischen Rehabilitation, könnten aber als Einzelelemente einer medizinischen Rehabilitation allein deren Begriff nicht ausfüllen.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.663,60 EUR zu zahlen.
Die Klägerin schließt sich sinngemäß dem Antrag der Beigeladenen an.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Über die zulässige Berufung konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem solchen Verfahren erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist auch begründet; nicht die Beigeladene, sondern die Beklagte ist erstattungspflichtig für die beim V. durchgeführte EAP.
Nach § 105 Abs. 1 SGB X ist der zuständige Leistungsträger dem unzuständigen Leistungsträger zur Erstattung verpflichtet. Die Klägerin als Berufsgenossenschaft hat Leistungen für den V. erbracht, es hat sich aber im Nachhinein herausgestellt, dass diese nicht wegen des Arbeitsunfalls erforderlich waren. Damit scheidet eine Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung aus, die Klägerin ist unzuständiger Leistungsträger.
Für Leistungen zur Behandlung von Krankheiten ist gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V der Träger der Krankenversicherung, hier also die Beklagte, zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs. 2 SGB V). Reicht die ambulante Krankenbehandlung nicht aus, kann der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in wohnortnahen Einrichtungen erbringen (§ 40 Abs. 1 SGB V), wenn nicht Leistungen nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften erbracht werden können (§ 40 Abs. 4 SGB V).
Danach kommt eine Leistung der medizinischen Rehabilitation des Rentenversicherungsträgers nach § 9 Abs. 1 SGB VI in Betracht, wenn keine akute Behandlungsbedürftigkeit mehr vorgelegen hat (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI).
Ausschlaggebend ist mithin, ob die EAP eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nach § 9 Abs. 1 SGB VI oder eine Fortsetzung der akutmedizinischen Behandlung darstellt.
Zur Überzeugung des Senats ist Letzteres der Fall:
Auch wenn die Beurteilung, wann die Akutbehandlung endet und ob und in welchem Umfang bestimmte Therapieformen der Akutbehandlung zuzurechnen sind, häufig schwierig ist (vgl. BSG SozR 3-2600 § 13 Nr. 1), führt die gebotene, an der Zielsetzung der Behandlung orientierte Abgrenzung hier dazu, dass die EAP des V. Teil einer Akutbehandlung war, für die die Krankenversicherung zuständig ist. Die medizinische Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung hat gemäß § 9 Abs. 1 SGB VI die Aufgabe, Auswirkungen einer Krankheit auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Diese Zielsetzung ergibt sich aus § 26 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IX. Nach § 26 Abs. 3 Nr. 1 - 7 SGB IX sind Bestandteil der medizinischen Leistungen auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, die zur Erreichung eines Rehabilitationszieles des Abs. 1 SGB IX erforderlich sein können. Hierzu gehören Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen im Einvernehmen mit dem Leistungsberechtigten, Vermittlung von Kontakten zur örtlichen Selbsthilfe und zu Beratungsstellen, Hilfen zur psychischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz (u.a. Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und Umgang mit Krisensituationen) sowie Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Die Akutbehandlung im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung hingegen hat, obwohl auch sie das soziale Umfeld und die individuellen Gegebenheiten eines Versicherten zu berücksichtigen hat, demgegenüber vorrangig das Ziel, die organische Leistungsfähigkeit eines Versicherten wiederherzustellen. Maßnahmen, die vorrangig diesem Ziel dienen, sind mithin keine Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, sondern solche der Akutbehandlung.
Das Bundessozialgericht - BSG - hat im Fall des Anspruchs eines Leistungserbringer auf Zulassung zur Erbringung von Leistungen der Orthopädisch-traumatologischen Rehabilitation - OTR - mit Urteil vom 1. September 2005 (B 3 KR 3/04 R) dargelegt, dass OTR und EAP von den Krankenkassen als Sonderformen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 SGB V) eingesetzt werden, ohne aber immer den für das Rehabilitationsrecht erforderlichen komplexen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen (a.a.O., zitiert nach juris, Rdnr. 24). Dieser interdisziplinäre Ansatz bestehe darin, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen (a.a.O., Nr. 23). Daraus ergibt sich, dass die EAP lediglich einen Teil eines im Einzelfall individuell festzulegenden Rehabilitationsplanes, nämlich Krankengymnastik mit Physiotherapie, erfüllen kann, sie aber für sich noch keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation darstellt. Dem entspricht auch die Situation im Falle des V.: Nach den Operationen sollte die Gebrauchsfähigkeit des linken Knies durch die EAP weitestgehend wieder hergestellt werden, es sollte jedoch nicht im Sinne eines psychosozialen umfassenden Ansatzes behandelt werden. Mithin ist die Beklagte als Träger der Krankenversicherung zur Leistung verpflichtet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 und 2 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, der Beschluss über den Streitwert aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Die Revision war zuzulassen, da der entscheidungserheblichen Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für eine erweiterte ambulante Physiotherapie - EAP -; ausschlaggebend ist, ob diese eine Leistung zur Krankenbehandlung oder zur Rehabilitation ist.
Der 1962 geborene Versicherte C L - V. - ist bei der Klägerin unfall- und bei der Beklagten krankenversichert. Während seiner Tätigkeit als Straßenbauarbeiter erlitt er am 28. August 2001 infolge eines Arbeitsunfalls eine Prellung des rechten Knies mit folgender Arbeitsunfähigkeit. Am 16. Januar 2002 wurden eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes sowie eine Knorpelschädigung festgestellt. Zur Vorbereitung der Kreuzbandplastik und Befestigung nach der zuvor durchgeführten Operation wurde dem V. von der Klägerin eine EAP gewährt (Bescheid vom 8. April 2002). Wegen des Verdachts auf einen erneuten Riss der Kreuzbandplastik war der Kläger erneut Ende Mai 2002 in stationärer Behandlung, anschließend setzten die physiotherapeutischen Übungsbehandlungen ein. Die Klägerin ließ die EAP bis zum 24. Juli 2002 fortführen.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 6. November 2002 und Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 stellte die Klägerin gegenüber dem V. fest, dass Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 10. September 2001 hinaus nicht gewährt werden könnten. Es liege kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Kreuzbandriss vor.
Am 28. August 2002 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an und diese verzichtete mit Schreiben vom 19. Mai 2003 auf die Einrede der Verjährung. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 7. Juni 2005 auf, ihr die Kosten für die EAP in Höhe von 1.663,30 EUR zu erstatten. Grundlage war ein von der Berufsgenossenschaftlichen Klinik B in H am 18. Mai 2005 für die Klägerin erstattetes Gutachten, in dem ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den am 19. Dezember 2001 festgestellten Schädigungen des Gelenks ausgeschlossen wurde. Die Beklagte verweigerte die Zahlung und begründete dies damit, für EAP-Leistungen sei der Rentenversicherungsträger zuständig.
Mit der am 2. Februar 2006 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat dargelegt, ihr stehe ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - zu. Aus den Patientenunterlagen ergebe sich, dass eine medizinische Behandlung vorgelegen habe. Bis zum 1. Januar 2002 hätten die Krankenkassen EAP und ambulante orthopädisch-traumatologische Rehabilitationen (AOTR) ohne eindeutige gesetzliche Grundlage geleistet. Mit der an diesem Tag in Kraft getretenen neuen Fassung des § 40 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - sei ein ganzheitlicher Behandlungsansatz normiert worden. Nach § 13 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - erbringe der Rentenversicherungsträger keine Leistungen wegen akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit. Er sei aber für Rehabilitation zuständig, wobei die Unterscheidung zwischen Akutversorgung und Rehabilitation schwierig sei. Ziel der Krankenbehandlung sei die Wiederherstellung der Gesundheit, die Rehabilitation hingegen habe zum Ziel, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft umfassend zu ermöglichen. Die in § 26 Abs. 2 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - aufgezählten therapeutischen Maßnahmen seien nicht von vornherein Leistungen zur Krankenbehandlung oder zur Rehabilitation, sondern würden dies erst durch die mit ihnen verfolgten Ziele. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 11 Abs. 2 SGB V umfassten immer auch notwendige medizinische Leistungen zur Rehabilitation nach § 40 Abs. 1 SGB V als Bestandteil der Akutversorgung. Die EAP stelle eine Fortsetzung der akutmedizinischen Behandlung dar und konzentriere sich ausschließlich auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des ehemals verletzten Körperteils. Sie könne lediglich Teil einer Rehabilitation sein. Die einzelne Leistung für sich allein genommen erfülle jedoch nicht den ganzheitlichen Therapieansatz. Eine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers gemäß § 4 SGB V scheide aus, da kein vorleistungspflichtiger Träger vorhanden sei.
Die Beklagte ist dem mit der Auffassung entgegengetreten, die EAP sei eine Maßnahme nach § 40 SGB V und sie habe dem V. zugestanden. Dies ergebe sich auch aus dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung - MDK - Sachsen vom 8. Oktober 2007. Zur Rehabilitation zählten auch nach Abschluss der Akutbehandlung im zeitlichen Zusammenhang erbrachte medizinisch notwendige stationäre Leistungen, insbesondere die intensive Übungsbehandlung. Aus § 40 Abs. 4 SGB V ergebe sich aber die Vorrangigkeit der Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers; danach würden Leistungen nur erbracht, wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften diese nicht erbracht werden könnten. Der V. habe die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §§ 9 - 15 SGB VI erfüllt, so dass die Zuständigkeit der Beigeladenen gegeben sei. Die Phase der akuten Behandlungsbedürftigkeit sei abgeschlossen und die Erwerbsfähigkeit gefährdet gewesen.
Der beigeladene Rentenversicherungsträger ist dem damit entgegengetreten, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen beim V. nicht vorgelegen hätten, auch sei seine Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährdet oder gemindert gewesen. Er sei innerhalb von weniger als sechs Monaten nach der Versorgung mit der Kreuzbandplastik wieder arbeitsfähig gewesen. Die Träger der Rentenversicherung erbrächten nach § 13 Abs. 2 SGB VI keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit. Bei der EAP jedoch handele es sich um die Fortsetzung einer akutmedizinischen Behandlung, daher sei eine Leistungspflicht der Beigeladenen ausgeschlossen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 16. Oktober 2008 die Beigeladene verurteilt, an die Klägerin 1.663,60 EUR zu zahlen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, bei der EAP handele es sich um eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme nach § 40 Abs. 1 SGB V. Diese sei eine Kombination von Behandlungselementen der krankengymnastischen Therapie, der physikalischen Therapie und der medizinischen Trainingstherapie zur Beseitigung besonders schwerer Funktions- und Leistungsbeeinträchtigungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates. Die EAP stelle keinen Bestandteil der Akutbehandlung dar, die beim V. bereits abgeschlossen gewesen sei.
Gegen dieses der Beigeladenen am 23. Oktober 2008 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 20. November 2008, mit der sie die Auffassung vertritt, nicht sie, sondern die Beklagte sei zur Kostenerstattung verpflichtet. Die Leistungspflicht eines Rentenversicherungsträgers für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sei in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit ausgeschlossen. Die EAP ziele auf die Verbesserung der Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer und Koordination für die Verrichtungen des täglichen Lebens und für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit. Es handele sich um ein Behandlungskonzept, das im Wesentlichen aus Krankengymnastik und Physiotherapie besteht. Der Therapieansatz sei organ- und funktionsbezogen. Die medizinische Rehabilitation hingegen richte sich nach dem individuellen Rehabilitationsbedarf unter Berücksichtigung arbeits- und berufsbezogener Maßnahmen. Physiotherapie, Ergotherapie und andere Bestandteile der EAP seien lediglich Bestandteile der medizinischen Rehabilitation, könnten aber als Einzelelemente einer medizinischen Rehabilitation allein deren Begriff nicht ausfüllen.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.663,60 EUR zu zahlen.
Die Klägerin schließt sich sinngemäß dem Antrag der Beigeladenen an.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Über die zulässige Berufung konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem solchen Verfahren erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist auch begründet; nicht die Beigeladene, sondern die Beklagte ist erstattungspflichtig für die beim V. durchgeführte EAP.
Nach § 105 Abs. 1 SGB X ist der zuständige Leistungsträger dem unzuständigen Leistungsträger zur Erstattung verpflichtet. Die Klägerin als Berufsgenossenschaft hat Leistungen für den V. erbracht, es hat sich aber im Nachhinein herausgestellt, dass diese nicht wegen des Arbeitsunfalls erforderlich waren. Damit scheidet eine Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung aus, die Klägerin ist unzuständiger Leistungsträger.
Für Leistungen zur Behandlung von Krankheiten ist gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V der Träger der Krankenversicherung, hier also die Beklagte, zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs. 2 SGB V). Reicht die ambulante Krankenbehandlung nicht aus, kann der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in wohnortnahen Einrichtungen erbringen (§ 40 Abs. 1 SGB V), wenn nicht Leistungen nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften erbracht werden können (§ 40 Abs. 4 SGB V).
Danach kommt eine Leistung der medizinischen Rehabilitation des Rentenversicherungsträgers nach § 9 Abs. 1 SGB VI in Betracht, wenn keine akute Behandlungsbedürftigkeit mehr vorgelegen hat (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI).
Ausschlaggebend ist mithin, ob die EAP eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nach § 9 Abs. 1 SGB VI oder eine Fortsetzung der akutmedizinischen Behandlung darstellt.
Zur Überzeugung des Senats ist Letzteres der Fall:
Auch wenn die Beurteilung, wann die Akutbehandlung endet und ob und in welchem Umfang bestimmte Therapieformen der Akutbehandlung zuzurechnen sind, häufig schwierig ist (vgl. BSG SozR 3-2600 § 13 Nr. 1), führt die gebotene, an der Zielsetzung der Behandlung orientierte Abgrenzung hier dazu, dass die EAP des V. Teil einer Akutbehandlung war, für die die Krankenversicherung zuständig ist. Die medizinische Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung hat gemäß § 9 Abs. 1 SGB VI die Aufgabe, Auswirkungen einer Krankheit auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Diese Zielsetzung ergibt sich aus § 26 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IX. Nach § 26 Abs. 3 Nr. 1 - 7 SGB IX sind Bestandteil der medizinischen Leistungen auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, die zur Erreichung eines Rehabilitationszieles des Abs. 1 SGB IX erforderlich sein können. Hierzu gehören Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen im Einvernehmen mit dem Leistungsberechtigten, Vermittlung von Kontakten zur örtlichen Selbsthilfe und zu Beratungsstellen, Hilfen zur psychischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz (u.a. Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und Umgang mit Krisensituationen) sowie Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Die Akutbehandlung im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung hingegen hat, obwohl auch sie das soziale Umfeld und die individuellen Gegebenheiten eines Versicherten zu berücksichtigen hat, demgegenüber vorrangig das Ziel, die organische Leistungsfähigkeit eines Versicherten wiederherzustellen. Maßnahmen, die vorrangig diesem Ziel dienen, sind mithin keine Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, sondern solche der Akutbehandlung.
Das Bundessozialgericht - BSG - hat im Fall des Anspruchs eines Leistungserbringer auf Zulassung zur Erbringung von Leistungen der Orthopädisch-traumatologischen Rehabilitation - OTR - mit Urteil vom 1. September 2005 (B 3 KR 3/04 R) dargelegt, dass OTR und EAP von den Krankenkassen als Sonderformen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 SGB V) eingesetzt werden, ohne aber immer den für das Rehabilitationsrecht erforderlichen komplexen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen (a.a.O., zitiert nach juris, Rdnr. 24). Dieser interdisziplinäre Ansatz bestehe darin, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen (a.a.O., Nr. 23). Daraus ergibt sich, dass die EAP lediglich einen Teil eines im Einzelfall individuell festzulegenden Rehabilitationsplanes, nämlich Krankengymnastik mit Physiotherapie, erfüllen kann, sie aber für sich noch keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation darstellt. Dem entspricht auch die Situation im Falle des V.: Nach den Operationen sollte die Gebrauchsfähigkeit des linken Knies durch die EAP weitestgehend wieder hergestellt werden, es sollte jedoch nicht im Sinne eines psychosozialen umfassenden Ansatzes behandelt werden. Mithin ist die Beklagte als Träger der Krankenversicherung zur Leistung verpflichtet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 und 2 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, der Beschluss über den Streitwert aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Die Revision war zuzulassen, da der entscheidungserheblichen Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 160 Abs. 2 SGG).
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