S 30 R 5401/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 R 5401/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 708/09
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.10.2002 verurteilt, für die Zeit der Gewährung der Witwenrente ab der Rentenanpassung vom 01.07.2002 nach § 18 d SGB IV in der Fassung vom 01.07.2001 bei der Ermittlung der Höhe der Einkommensanrechnung auf die Witwenrente ein monatlich gemindertes Bruttoarbeitsentgelt von 2.675,21 Euro zugrunde zu legen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung von Erwerbseinkommen auf die Wit-wenrente der Klägerin. Die Klägerin ist geboren 1950. Sie erhält (erstmals aufgrund eines Bescheides vom 30.06.1997) von der Beklagten eine Witwenrente aus der Versicherung von J.H., der 1929 geboren war und 1997 verstorben ist. Zur Aktualisierung der Anrechnung eigenen Er-werbseinkommens nahm die Beklagte am 31.05.1999, am 06.06.1999, am 10.05.2001, am 13.02.2002 und am 24.06.2002 Neuberechnungen der Rente vor. Die Neuberechnung vom 13.02.2002 erfolgte auf Antrag vom 10.12.2001, mit dem die Klägerin eine Minde-rung ihres Arbeitsentgelts mitgeteilt hat. Im Bescheid wurde anerkannt, dass das monatli-che Einkommen für November 2001 mit DM 3400,88 um wenigstens 10 Prozent geringer sei als das bisher berücksichtigte Einkommen von DM 3871,86. Das anzurechnende Einkommen wurde für die Zeit ab 01.01.2002 mit EUR 428,22 beziffert. Der Bescheid vom 24.06.2002 wies eine Rentenhöhe von EUR 888,89 aus und kürzte diese für die Zeit ab 01.07.2002 um einen anzurechnenden Betrag von EUR 429,33 auf EUR 459,56. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie verwies auf eine nach § 18 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) bereits ab 01.11.2001 anerkannte dauerhafte Einkommensmin-derung um circa 5 Prozent. Die Beklagte berücksichtige diese nicht mehr, indem sie zur Ermittlung des ab 01.07.2002 auf die Witwenrente anzurechnenden Einkommens das ge-samte Arbeitsentgelt 2001 heranziehe. In diesem Jahresentgelt seien die Monate Januar bis Oktober 2001 enthalten. Bei den Rentenanpassungen zum 1. Juli eines Jahres sei nicht zu prüfen, ob das laufende geminderte Entgelt 10 Prozent niedriger sei als das bis-her berücksichtigte Entgelt. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 08.08.2002, nach § 18 d Abs. 1 S. 1 SGB IV seien Erhöhungen und Minderungen des Erwerbseinkommens in einem Umfang von we-niger als 10 Prozent nicht sofort im Sinne einer Neufeststellung umzusetzen, sondern frü-hestens vom Zeitpunkt der Anpassung. Zum Rentenanpassungszeitpunkt 01.07.2002 sei das Erwerbseinkommen des letzten Jahres dem laufenden Einkommen gegenüberzustel-len. Da vorliegend das laufende Einkommen nicht um wenigstens 10 Prozent niedriger als das im Vorjahr erzielte Einkommen sei als das im Vorjahr erzielte Einkommen, sei bei der Einkommensanrechnung das Vorjahreseinkommen zu berücksichtigen. Die Klägerin verweist demgegenüber auf zwei Möglichkeiten der Neuberechnung. Die 10-Prozent-Regelung sei vor und nach einer Rentenanpassung zu prüfen. Einkommens-minderungen seien dann vom Zeitpunkt des Eintritts an zu berücksichtigen, wenn das Ein-kommen um wenigstens 10 Prozent niedriger sei als das (bisher) berücksichtigte Ein-kommen. Dies habe vorliegend ab 01.11.2001 geschehen müssen. Hingegen habe die andauernde Minderung, auch wenn sie weniger als 10 Prozent betragen hätte, spätestens ab der nächsten Rentenanpassung berücksichtigt werden müssen. Der Widerspruchsbescheid vom 29.10.2002 wies den Widerspruch zurück. Er führte zur entscheidenden Rechtsfrage wörtlich aus: "Ist für einen Bezieher von Erwerbseinkommen bisher (zuletzt) das laufende monatliche Einkommen berücksichtigt worden (z.B. weil das Erwerbseinkommen um wenigstens 10 Prozent geringer war als das Erwerbseinkommen des letzten Kalenderjahres), ist bei der unmittelbar darauf folgenden Rentenan-passung das Einkommen zunächst nach § 18 b Abs. 2 SGB IV zu ermitteln; darüber hinaus ist 18 d Abs. 2 S. 1 SGB IV von Amts wegen anzuwenden, wobei das am 1. Juli laufend bezogene Einkommen zugrunde zu legen ist." Die am 11.11.2002 erhobene Klage verfolgte das Begehren weiter, bei dem zum 01.07.2002 vorzunehmenden Vergleich zwischen dem Erwerbseinkommen des Jahres 2001 und dem des Jahres 2002 nicht zu prüfen, ob eine Differenz von mindestens 10 Prozent besteht.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit der Gewährung der Witwenrente ab der Rentenanpassung vom 01.07.2002 nach § 18 die SGB IV in der Fassung vom 01.07.2001 bei der Ermittlung der Höhe der Einkommensanrechnung auf die Witwenrente ein monatlich gemindertes Bruttoarbeitsentgelt von EUR 2675,21 zugrunde zu-legen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsver-fahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist in der Sache auch begründet. Die Beklagte hat das System der Aktualisierung von Einkommensanrechnungen fehlerhaft angewendet. Die Aktualisierung geschieht in zwei Schritten. Regelmäßig werden Einkommensänderungen nach § 18 d Abs. 1 SGB IV bei Gelegenheit der zur Mitte jeden Jahres vorzunehmenden Rentenanpassung (bzw. man-gels Änderung des aktuellen Rentenwerts auch sonst zum 1. Juli) berücksichtigt. Damit werden beispielsweise routinemäßige tarifvertragliche Veränderungen aufgefangen, deren Dimension ein spezielles Überprüfungsverfahren mit Antrag und Verwaltungsakt im lau-fenden Jahr überflüssig erscheinen lässt. § 18 d Abs. 2 SGB IV erlaubt hingegen dieses Überprüfungsverfahren aus aktuellem An-lass, weil die Einkommensanrechnung in vielen Fällen zeitnah geändert werden muss, in denen nämlich beispielsweise durch den Übergang von Vollzeit auf Teilzeit, durch den gesundheitlich bedingten Wegfall von Nacht- oder Schichtarbeit und erst recht durch den Übergang von Erwerbs- auf Erwerbsersatzeinkommen eine schärfere Einkommenseinbu-ße eintritt. Das Gesetz beziffert die Hürde für das Recht auf eine sofortige Aktualisierung mit einer Änderung von 10 Prozent. Die Klägerin hat mit Antrag vom 10.12.2001 von diesem Recht Gebrauch gemacht und dafür gesorgt, dass ihr nur noch ein reduziertes Einkommen angerechnet wurde. Die Vorgehensweise der Beklagten jedoch annulliert diese Korrektur teilweise, indem sie den Unterschied zwischen dem aktuellen Einkommen für die Zeit ab 01.07.2002 und dem Ein-kommen des Jahres 2001 durch nochmalige Anwendung der 10-Prozent-Klausel für nicht relevant erklärt und auf diese Weise das Einkommen des Jahres 2001 für weiterhin maß-geblich erklärt, obwohl doch in zehn von zwölf Monaten dieses Jahres ein Einkommen erzielt worden ist, das seit November 2001 gerade nicht mehr erzielt wurde. Der Fehler besteht in der rechtssystematisch unverständlichen Anwendung der 10-Prozent-Klausel aus § 18 d Abs. 2 SGB IV in Abs. 1 der Vorschrift, also in der Übernahme der besonderen Hürde einer Ausnahmevorschrift in die regelmäßig anzuwendende Vorschrift. Das Gericht kann dem Rentenversicherungsträger zum Ausschluss völlig willkürlicher Ergebnisse nur anraten, das Gesetz wortgetreu anzuwenden: für sämtliche Witwen und Witwer und so auch für die Klägerin war zum 01.07.2002 (und zu allen weiteren Anpassungsterminen) die Einkommensanrechnung durch Vergleich des aktuellen monatlichen Einkommens mit einem Zwölftel des Vorjahreseinkommens zu aktualisieren. Wollte man für diesen Vor-gang die 10-Prozent-Klausel gelten lassen, wären abwegige Verläufe vorstellbar. Etwa eine Witwe, die mit fortschreitendem Lebensalter ihre Arbeitszeit jährlich um beispielsweise 5 Prozent herabgesetzt und auch proportional weniger verdient, könnte auch in drei oder vier Rentenanpassungen keine Abmilderung ihrer Einkommensanrechnung erfahren. Die 10-Prozent-Klausel ist genau nach Gesetzeswortlaut auf die mittels Antrag einzulei-tenden Bedarfsänderungen außerhalb des Anpassungsrhythmus beschränkt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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