L 4 P 2073/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 P 3634/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2073/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. März 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Der Kläger ist am 1935 geboren und bei der Beklagten Mitglied der sozialen Pflegeversicherung. Beim Kläger sind seit 10. Juli 1984 ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G und RF festgestellt, seiner Behauptung nach seit 27. März 2008 auch die Merkzeichen B und aG.

Er beantragte am 23. Dezember 2004 erstmals Leistungen der Pflegeversicherung. In seinem Antrag kreuzte er "Kombinationsleistungen" an. Er legte ein ausgefülltes Pflegetagebuch vor, nach dem er Pflegedienste der Diakoniestation B. L. im Umfang von durchschnittlich 13,5 Stunden monatlich in Anspruch nahm. Die Beklagte holte bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) das Gutachten von Dr. B. vom 21. Februar 2005 ein. Der Gutachter führte nach einem Hausbesuch aus, der Kläger leide an einem hochgradigen obstruktiven Schlafapnoesyndrom, einer dilatativen Kardiomyopathie (krankhafte Erweiterung des Herzmuskels), Adipositas per magna (erhebliches Übergewicht) und einem tablettenpflichtigen Diabetes mellitus. Er könne sich in der Wohnung ohne Hilfsmittel selbstständig fortbewegen, mit den Händen erreiche er mit großer Mühe die Zehen, außer Haus benutze er zwei Unterarm-Gehstützen. Inkontinenz liege nicht vor, das Lesen mit Brille sei möglich, der Kläger sei schwerhörig. Er benötige Hilfen für die Körperpflege von 31 Minuten täglich (sechs Minuten täglich für Teilwäsche Oberkörper zweimal wöchentlich und 25 Minuten täglich für einmal täglich Baden) und für die Mobilität von zwei Minuten täglich (zwei Minuten für Stehen [Transfer] zweimal täglich). Insgesamt ergebe sich ein Grundpflegebedarf von 33 Minuten pro Tag. Für die Hauswirtschaft seien 60 Minuten pro Tag zu veranschlagen. Eine Pflegestufe könne nicht empfohlen werden. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 24. Februar 2005 ab.

Der Kläger erhob am 22. März 2005 Widerspruch. Er bat um einen baldigen Hausbesuch zur Klärung mehrerer Fragen und trug vor, ihm gehe das Geld aus. Zugleich stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Pflegegeld, den die Beklagte mit Bescheid vom 13. Mai 2005 ablehnte. In einem Fragebogen zur Bestimmung des Hilfebedarfs gab der Kläger an, Hilfebedarf bestehe beim Waschen des Rückens, des Unterleibs und der Füße (dreimal täglich) von 25 Minuten, beim Duschen (zweimal wöchentlich) von 45 Minuten, beim Baden (einmal wöchentlich) von 50 Minuten, beim An- und Auskleiden (sechs Mal täglich) von fünf Minuten sowie für das hygienische Reinigen des CPAP-Schlafapnoe-Therapiegerätes (zweimal wöchentlich) von 30 Minuten Die Beklagte holte beim MDK ein Gutachten nach Aktenlage (Frau M. S.) vom 11. Mai 2005 ein. Dieses kam ebenfalls zu dem Ergebnis, es ergebe sich ein nachvollziehbarer Hilfebedarf von 21 Minuten täglich (Körperpflege 16 Minuten und Mobilität fünf Minuten). Danach legte der Kläger bei der Beklagten ein Pflegetagebuch mit taggenauen Angaben seiner Diakoniestation vom 05. April bis 26. April 2005 vor. Hierin waren neben hauswirtschaftlichen Hilfen im Wesentlichen regelmäßig, aber nicht täglich, Teilübernahmen beim Duschen von 30 bis 45 Minuten und bei Teilwäsche des Ober- und Unterkörpers von 16 Minuten täglich verzeichnet. In einem Telefonat mit der Beklagten teilte die Schwester des Klägers am 23. Juni 2005 mit, dieser benötige morgens bei der Ganzkörperwäsche oder beim Duschen Hilfe. An- und Auskleiden könne er sich noch selbstständig. Eine Teilwäsche abends finde nicht statt. Sie erledige ein- bis zweimal monatlich für den Kläger große Einkäufe und mache den Haushalt. Ansonsten sei kein Pflegeaufwand erforderlich. Frau K., Einsatzleiterin der Diakoniestation B. L., gab auf telefonische Anfrage der Beklagten am 24. Juni 2005 an, die Diakonie sei abwechselnd einmal morgens zur großen Toilette, einmal zur kleinen Toilette und einmal wöchentlich zum Baden bei dem Kläger. Gewaschen würden Rücken und Füße. Geholfen werde beim Haarewaschen. Nach dem Waschen werde ihm beim Anziehen geholfen. Alles andere erledige der Kläger selbstständig. Der Kläger hielt seinen Widerspruch aufrecht. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch unter Verweis auf die Gutachten des MDK zurück (Widerspruchsbescheid vom 05. August 2005).

Der Kläger erhob am 13. September 2005 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Er trug vor, wegen eines Krankenhausaufenthalts bis Freitag, 12. August 2005 habe er den Widerspruchsbescheid erst am 16. August 2005 bei der Post abgeholt. er sei schwerst körperbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und verfüge über die Merkzeichen G und RF und habe seit längerem das Merkzeichen aG beantragt. Er sei bettlägerig. Seit Jahren versuche man, ihn in ein Pflegeheim zu zwingen. Ihm werde die Pflegestufe I verweigert. Er sei auf die Pflege zwingend angewiesen. Er verstehe nicht, warum er immer wieder und seit Jahrzehnten zu Klagen gezwungen werde.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies auf die von ihr eingeholten Gutachten des MDK.

Das SG vernahm zunächst schriftlich die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Chirurg und Phlebologe G. teilte unter dem 03. Mai 2006 mit, der Kläger habe sich am 15. und 16. November 2005 bei ihm wegen vermehrter Analblutungen zu einer Inkontinenzmessung vorgestellt. Bei der Untersuchung habe er festgestellt, dass der Schließmuskeltonus aktiv und passiv vermindert sei, dass jedoch momentan 1- bis 2-gradige Hämorrhoiden die Kontinenz sicherten. Bei dem Kläger bestehe demnach eine Darminkontinenz zweiten Grades. Allgemeinmedizinerin Dr. F. bekundete unter Vorlage verschiedener Arztbriefe (Auskunft vom 08. Mai 2006), der Kläger leide an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, chronischen Schmerzen des Bewegungsapparats, Herz-Kreislauf-Beschwerden, rezidivierenden asthmatischen Beschwerden und Infekten der Atemwege, einem metabolischen Syndrom (Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhte Blutfett- und Zuckerwerte) und psychosomatischen Beschwerden. Ferner beständen Schmerzen der Knie- und Hüftgelenke, ein Schulter-Arm-Syndrom, ein hochgradig obstruktives Schlafapnoesyndrom sowie eine dilatative Kardiomyopathie und ein Diabetes mellitus Typ IIb. Der Kläger benötige zunehmend Hilfe wegen zunehmender Verschlimmerung der kardialen Situation und zunehmender Schwäche. In der weiteren Auskunft vom 26. September 2006 gab sie an, beim Kläger seit zunehmend ein reduzierter Allgemeinzustand festzustellen. HNO-Arzt Dr. Fr. führte unter dem 27. August 2006 aus, er habe den Kläger am 18. Juli 2006 wegen einer Ohrenentzündung links mit Otobacid (Ohrentropfen) behandelt. Ferner zog das SG den Entlassungsbericht der Orthopädischen Abteilung des Krankenhauses S. vom "03. März 2006" über die stationäre Behandlung vom 31. Mai bis 05. Juni 2005 (Kniegelenksarthroskopie, Innenmeniskushinterhornteilresektion und Knorpelglättung) bei. Im Anschluss daran ließ das SG den Kläger bei der Anästhesistin und Praktischen Ärztin Dr. K. begutachten. Die Sachverständige untersuchte den Kläger am 16. Januar 2007 in seinem häuslichen Umfeld und nahm Einsicht in die Pflegeprotokolle des ambulanten Pflegediensts (Diakoniestation B. L.), die drei Grundpflegeeinsätze pro Woche zum Duschen, zweimal davon mit Haarwäsche, einen wöchentlichen Hauswirtschaftseinsatz und das regelmäßige Reinigen des CPAP-Gerätes dokumentierten. In ihrem Gutachten vom 17. Januar 2007 diagnostizierte sie eine Gehbehinderung bei degenerativen Wirbelsäulenbeschwerden mit Ischialgien, Gon- und Coxarthrose und Adipositas per magna, ein Schlafapnoe-Syndrom, psychosomatische Beschwerden, einen Diabetes mellitus sowie einen Morbus Meulengracht (Leberstoffwechselstörung). Sie ermittelte einen Grundpflegebedarf von 16 Minuten pro Tag. Der Kläger benötige Hilfe bei der Körperpflege (jeweils sechs Minuten täglich für Duschen und Waschen, insgesamt zwölf Minuten täglich) sowie bei der Mobilität (An- und Aussehen der Socken drei Minuten täglich und Hilfe beim Transfer in die Badewanne eine Minute täglich, insgesamt vier Minuten täglich). Bei der Ermittlung des Grundpflegebedarfs habe sie, um den Kläger nicht zu benachteiligen, Hilfeleistungen angerechnet, die in der Realität nicht oder nicht täglich erbracht würden, ohne dass daraus manifeste Pflegedefizite resultierten. Der Kläger sei zwar dringend auf die Unterstützung seiner Schwester angewiesen. Diese beziehe sich jedoch nicht auf die Grundpflege, sondern ganz wesentlich auf die Organisation eines geregelten Lebens in geordneten Wohnverhältnissen. Der Kläger leide an einer abnormen Persönlichkeit und habe sein Leben nur eingeschränkt selbstständig regeln können. Bereits 1985 seien Verwahrlosungstendenzen beschrieben worden. Lange Zeit habe kein fester Wohnsitz bestanden.

Mit Gerichtsbescheid vom 20. März 2007 wies das SG die Klage ab. Es schloss sich den Ausführungen der Sachverständigen an. Dieses Gutachten stehe in Einklang und Übereinstimmung mit den beiden von der Beklagten eingeholten Gutachten des MDK. Hieraus folge, dass bei dem Kläger kein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich, wie er für Pflegestufe I erforderlich wäre, vorliege.

Gegen den ihm am 24. März 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24. April 2007 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und Pflegegeld der Pflegestufe I ab dem Beginn der Pflege durch die Diakoniestation B. L ... Er trägt vor, die Ausführungen in dem Gutachten seien grob falsch. Er sei nie verwahrlost oder ohne festen Wohnsitz gewesen. Er sei lebensbedrohlich schwerst krank und tatsächlich ein Pflegefall mit grauenhaften Schmerzen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. März 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 24. Februar und 13. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. August 2005 zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab dem 19. November 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.

Auf Anfrage des Berichterstatters des Senats hat C. S., Geschäftsführerin der Diakoniestation B. L., unter dem 29. Mai 2007 die Beträge angegeben, die die Diakoniestation dem Kläger von Januar 2006 bis April 2007 in Rechnung gestellt hat, sowie mitgeteilt, die Diakoniestation erbringe dem Kläger seit dem 19. November 2003 hauswirtschaftliche Leistungen und Unterstützung beim Einkaufen. Seit dem 25. April 2005 leiste sie zusätzlich Grundpflege. Insgesamt helfe sie dreimal wöchentlich jeweils 30 Minuten beim Baden oder Duschen, einmal wöchentlich ca. zwei Stunden bei der Reinigung der Wohnung, einmal monatlich begleite sie den Kläger zum Einkaufen oder Arzt und zweimal wöchentlich liefere sie warmen Mittagstisch. Frau S. hat unter dem 05. März 2009 ergänzend mitgeteilt, hinzu gekommen seien zweimal 15 Minuten wöchentlich für die Reinigung der Schläuche eines Beatmungsgeräts. Insgesamt ergebe sich ein monatlicher durchschnittlicher Leistungsabruf von elf Stunden bei der Hauswirtschaft und sieben Stunden bei der Grundpflege. Weiterhin hat der Senat die Berichte des Arztes für Pneumologie Privatdozent Dr. Ko., Klinik Sc., vom 28. September 2007 über eine Untersuchung des Klägers im Schlaflabor am 05. und 06. September 2007 (Diagnose: hochgradiges obstruktives Schlafapnoe-Syndrom mit minimaler Sauerstoffsättigung von 78 %, Therapie: Umstellung auf eine nCPAP-Therapie [apparative Beatmung]) und des Internisten Dr. M., Klinik für Innere Medizin beim P.-Krankenhaus B. L., vom 31. März 2008 über stationäre Behandlung des Klägers vom 14. bis 27. Februar 2008 (Diagnosen: Entgleister Diabetes mellitus II, schweres metabolisches Syndrom, chronisch obstruktive Lungenerkrankung mit Ruhedyspnoe, Schlafapnoe-Syndrom, arterieller Hypertonus, chronische Niereninsuffizienz, degeneratives HWS-Syndrom, Cox- und Gonarthrose beidseits, Hyperurikämie, schwere hilfebedürftige Bewegungseinschränkung durch Folgeschäden der Adipositas) beigezogen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) als unbegründet abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 24. Februar und 13. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. August 2005 sind rechtmäßig. Dem Kläger steht ab dem 19. November 2003 (Beginn der Leistungen durch die Diakoniestation) kein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu. In der Berufungsschrift hat der Kläger ausdrücklich erklärt, er begehre Pflegegeld. Zu entscheiden ist auch über den Bescheid vom 13. Mai 2005, mit welchem die Beklagte den gleichzeitig mit dem Widerspruch vom Kläger gestellten erneuten Antrag auf Pflegegeld abgelehnt hat. Dieser Bescheid ist nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

1. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

2. Die hiernach notwendigen Voraussetzungen für Pflegeleistungen der Stufe I liegen bei dem Kläger nicht vor. Er erreicht keinen Hilfebedarf bei grundpflegerischen Tätigkeiten von mehr als 45 Minuten.

Auch der Senat stützt sich bei dieser Entscheidung auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen des vom SG eingeholten Gutachtens der Sachverständigen Dr. K ... Diese hatte bei dem Kläger lediglich einen Grundpflegebedarf von 16 Minuten pro Tag, nämlich zwölf Minuten im Bereich der Körperpflege und vier Minuten im Bereich der Mobilität, festgestellt. Diese Einschätzung ist schlüssig und nachvollziehbar. Die Sachverständige hat den Kläger in seiner häuslichen Umgebung begutachtet. Sie hat selbst festgestellt, dass er sich in der Wohnung selbstständig bewegen kann, wobei er sich entweder an Möbelstücken abstützt oder zwei Unterarmgehstützen verwendet. Mit diesen kann er auch einige Treppenstufen überwinden. Der Kläger hatte der Sachverständigen gegenüber selbst angegeben, er sei im Außenbereich noch für eine Gehstrecke von bis zu 500 Metern mit einigen Stehpausen mobil. Diese Angaben sind nachvollziehbar, denn der Kläger kann nach den Feststellungen der Sachverständigen noch selbst hinunter auf die Straße gehen, um sich eine Zeitung oder Obst zu kaufen. Ferner hat Dr. K. festgestellt, dass sich der Kläger noch selbst hinlegen und aus dem Bett heraus aufstehen kann, wobei er dies als sehr mühsam erlebe. Der Kläger kann hiernach auch noch selbst seine Ernährung zubereiten und aufnehmen. Nach den Feststellungen der Sachverständigen duscht der Kläger dreimal wöchentlich auf dem Badewannenlifter, zweimal davon mit einer Wäsche der schulterlangen Haare. Hierbei ist wegen der Einschränkungen bei der Beweglichkeit der Arme eine Teilübernahme im Bereich der Haare, des Rückens, des Gesäßes und teilweise der Beine notwendig, während der Kläger Gesicht, Oberkörper vorn, Oberschenkelvorderseiten und Intimbereich noch selbstständig waschen kann. An anderen Tagen wäscht sich der Kläger selbstständig vor dem Waschbecken, wobei hieraus keine manifesten Pflegedefizite entstanden sind. Ferner hat Dr. K. festgestellt, dass sich der Kläger noch selbst kämmen und seine Zähne putzen kann. Eine Rasur ist bei komplettem Vollbart nicht notwendig, das Stutzen mit einem Langhaarschneider führt der Kläger nach eigenen Angaben selbstständig durch. Auch auf der Toilette kommt er selbstständig zurecht, einschließlich des Richtens der Bekleidung, der Intimhygiene und des Vorlagenwechsels. Diese Feststellungen, die der Kläger nicht in Frage gestellt hat, tragen Dr. K.s Einschätzung, dass kein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten vorliegt. Ihre Einstufung wird auch gestützt durch die im Antrags- und Vorverfahren eingeholten Gutachten des MDK. Diese hatten sogar noch höhere Grundpflegebedarfe des Klägers ermittelt, die jedoch ebenfalls nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllten. Der von Sachverständigen Dr. K. ermittelte Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege steht in Übereinstimmung mit dem Zeitaufwand, den die Diakoniestation für die Verrichtungen der Grundpflege aufwendet. Die Diakoniestation leistet neben der hauswirtschaftlichen Versorgung drei Grundpflegeeinsätze pro Woche zum Duschen, zweimal davon mit Haarwäsche, und das regelmäßige Reinigen des CPAP-Gerätes. Dies ergibt sich aus der von Dr. K. eingesehenen Pflegedokumentation und den Angaben der Geschäftsführerin der Diakoniestation S. vom 29. Mai 2007 und 05. März 2009. Der tägliche Zeitaufwand beträgt hierfür 30 Minuten. Umgerechnet auf eine Woche ergibt sich ein Zeitaufwand von gerundet 13 Minuten (30 Minuten x 3 ÷ 7), mithin in etwa der von der Sachverständigen ermittelte Zeitaufwand von 16 Minuten. Auch die Sachverständige ist aufgrund der Angaben des Pflegeprotokolls von einem auf die Grundpflege entfallenden Zeitaufwand von ca. 15 Minuten ausgegangen.

Der Pflegebedarf des Klägers ist auch seit der Begutachtung im Klageverfahren nicht in einem Ausmaß angewachsen, dass nunmehr Pflegestufe I anzunehmen wäre. Dies ergibt sich insbesondere aus den Stellungnahmen der Diakoniestation, die dem Kläger Pflegeleistungen gewährt. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um hauswirtschaftliche Hilfen. Die Leistungen im Bereich der Grundpflege haben sich seit Beginn der Leistungsgewährung im April 2005 nicht verändert. Nach wie vor nimmt der Kläger lediglich dreimal wöchentlich Hilfe beim Baden oder Duschen in einem Umfang von jeweils 30 Minuten in Anspruch. Das zweimal wöchentliche Reinigen der Schläuche des Beatmungsgeräts des Klägers zu je 15 Minuten ist der Behandlungspflege zuzurechnen und stellt keine grundpflegerische Hilfe dar, für die allein die Beklagte zuständig ist.

Es ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass der Kläger weitere Pflegeleistungen anderer Personen in Anspruch nimmt. Bereits im Widerspruchsverfahren hatte seine Schwester der Beklagten telefonisch mitgeteilt, sie leiste dem Kläger keine weiteren grundpflegerischen Hilfen und der Kläger bedürfe solcher auch nicht. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger auf grundpflegerische Hilfen verzichtet, deren er bedürfte. Dr. K. hat keine Pflegedefizite festgestellt. Ferner ist davon auszugehen, dass die Mitarbeiter der Diakoniestation, die den Kläger regelmäßig pflegen, auf solche Defizite hingewiesen hätten. Weiterhin sprechen die Entwicklungen im Gesundheitszustand des Klägers seit der Begutachtung im Klagverfahren dagegen, dass sein Pflegebedarf gestiegen ist. Das nunmehr gesichert diagnostizierte Schlafapnoe-Syndrom hat keine Auswirkungen auf den Pflegebedarf eines Menschen. Die Diagnosen, die die Paracelsus-Klinik in ihrem Bericht vom 31. März 2008 über die stationäre Behandlung des Klägers im Februar 2008 mitgeteilt hat, waren bereits bei den Begutachtungen durch den MDK und die Sachverständige Dr. K. bekannt. Die Klinik hat in dem Bericht auch von einer schweren hilfebedürftigen Bewegungseinschränkung durch Folgeschäden der Adipositas berichtet. Konkret hat sie mitgeteilt (S. 2 des Berichts), der Kläger brauche Gehhilfen und freies Gehen sei nicht möglich. Dass der Kläger auch innerhalb der Wohnung und insbesondere bei seinen Wegen aus der Wohnung heraus auf die Straße Gehhilfen benutzt, hatten aber bereits die Gutachten des MDK und von Dr. K. festgestellt. Bereits damals konnte der Kläger längere Strecken ohne diese technischen Hilfsmittel nicht zurücklegen. Hieran hat sich nichts geändert. Der persönlichen Hilfe durch eine Pflegeperson im Bereich der Mobilität bedarf der Kläger demnach nach wie vor nicht.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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