L 4 R 3157/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2020/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3157/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. April 2007 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren L 4 R 3157/07 endgültig auf EUR 15.243,70 festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen - einschließlich der Beiträge zu den Umlagen U 1 und U 2 zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden § 14 Abs. 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) - und die Forderung von Säumniszuschlägen.

Bei der Klägerin, einem Unternehmen der Metallindustrie, waren u.a. in den Jahren 1997 bis 2004 die Beigeladenen zu 1) bis 5) als Arbeitnehmer beschäftigt. An die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) zahlte die Klägerin in den Jahren 1997 bis 2000 Nachtzuschläge, für die sie bei der Lohnabrechnung weder Steuern noch Gesamtsozialversicherungsbeiträge abzog.

Am 26. Februar 1996 führte das Finanzamt A. eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch und erließ mit Datum vom 07. August 1996 den "Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung". Darin beanstandete das Finanzamt in steuerrechtlicher Hinsicht lediglich die Behandlung bestimmter Einkommen des Geschäftsführers der Klägerin (Privatnutzung Firmenwagen, Verbuchung Geschäftsführergehalt, Behandlung der Krankenversicherungsbeiträge). Hinsichtlich der Lohnzahlungen an die Mitarbeiter ergaben sich keine Beanstandungen. Am 21. August 2000 führte die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte), eine Betriebsprüfung durch. Hierüber erließ sie unter dem 22. August 2000 einen Bescheid, in dem sie zu Beginn ausführte: "Die durchgeführte Prüfung hat folgende Feststellungen ergeben: Die Beurteilung der Arbeitslosenversicherungspflicht vor April 1997 erfolgte bei einer Beschäftigten nicht zutreffend." Weiterhin enthielt dieser Bescheid verschiedene Ausführungen zu "Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit", "Lohnunterlagen" und "Berechnung der Beiträge". Unter der zuletzt genannten Überschrift führte die Beklagte aus: "Nach §§ 14 und 15 (des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs) SGB IV in Verbindung mit § 1 (Arbeitsentgeltverordnung) ArEV richtet sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt grundsätzlich nach dem Steuerrecht. Im Prüfzeitraum hat eine Lohnsteuer-Außenprüfung stattgefunden. Der Prüfbericht wurde vorgelegt und in beitragsrechtlicher Hinsicht überprüft. Es ergaben sich keine Beitragsnachforderungen zur Sozialversicherung." Die einzige Anlage zu diesem Bescheid betraf die Erstattung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die genannte Mitarbeiterin (EUR 396,50). Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Am 12. Oktober 2001 führte das Finanzamt A. bei der Klägerin erneut eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Es erließ unter dem 02. Juli 2002 einen geänderten "Haftungs-, Nachforderungsbescheid und Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung". Das Finanzamt forderte von der Klägerin Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer von insgesamt EUR 10.602,06 nach. Die Nachforderung des Finanzamts betraf Aufwendungen für Direktversicherungen verschiedener Arbeitnehmer, unzulässige bzw. nicht richtig durchgeführte Pauschalierungen von Aushilfslöhnen und steuerfrei gewährte Nachtzuschläge an die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) in Höhe von insgesamt EUR 10.498,88. Die Klägerin habe dem Finanzamt gegenüber nicht nachweisen können, dass die Nachtarbeiten tatsächlich durchgeführt worden seien.

Am 12. August 2004 führte die Beklagte für den Zeitraum vom 01. Dezember 1999 bis 30. Juni 2004 eine weitere Betriebsprüfung bei der Klägerin durch. Mit Bescheid vom 07. Oktober 2004 forderte sie aufgrund dieser Prüfung von der Klägerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge von insgesamt EUR 20.685,89 nach. Hierin sind - ab dem 01. September 2002 - EUR 3.599,50 Säumniszuschläge enthalten. Bei der Prüfung sei festgestellt worden, dass Arbeitsentgelt nicht immer zutreffend behandelt und der Lohnsteuerhaftungsbescheid sozialversicherungsrechtlich nicht ausgewertet worden sei. Die Nachforderung beruhe darauf, dass einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, die Entlohnung von Überstunden und die Urlaubsabgeltung eines bestimmten Arbeitnehmers in den Jahren 2001 bis 2004 sowie weiter die an die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) in den Jahren 1997 bis 2000 gezahlten Nachtzuschläge nicht ordnungsgemäß behandelt worden seien. Steuerfrei seien nur Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt würden. Der Lohnsteuerprüfbericht habe keine Nachweise erbringen können, dass die Nachtarbeiten tatsächlich geleistet worden seien. Das Finanzamt habe daher für einige Arbeitnehmer die gezahlten Nachtzuschläge zum überwiegenden Teil dem Steuerabzug unterworfen. Dies löse auch Sozialversicherungspflicht aus. Zur Höhe der Nachforderung erläuterte die Beklagte, die Klägerin habe nach der Lohnsteuer-Außenprüfung die Steuernachforderung des Finanzamts an die Beigeladenen zu 1) bis 5) übernommen. Hierdurch sei diesen ein Vermögensvorteil entstanden, der bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen sei. Zu den ab September 2002 erhobenen Säumniszuschlägen führte die Beklagte aus, die Klägerin habe um ihre Zahlungspflicht gewusst, weil sie durch den Lohnsteuerprüfbericht des Finanzamts A. vom 02. Juli 2002 von der Unrichtigkeit ihrer Lohnabrechnung Kenntnis erhalten habe. Weiter meinte die Beklagte, Ansprüche auf Beiträge verjährten grundsätzlich in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien, jedoch gelte für Beitragsansprüche auf der Grundlage eines Berichts oder Bescheids der Finanzverwaltung eine 30-jährige Verjährungsfrist, denn der Beitragsschuldner habe aufgrund eines solchen Berichts oder Bescheids Beiträge zu zahlen oder sich bei der zuständigen Einzugsstelle zu vergewissern, dass keine Beitragspflicht vorgelegen habe.

Die Klägerin erhob Widerspruch, soweit Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die steuerfrei gezahlten Nachtzuschläge für die Jahre 1997 bis 2000 sowie die entsprechend berechneten Säumniszuschläge gefordert wurden. Sie führte aus, für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für diesen Zeitraum bestehe eine Verjährungsproblematik. Außerdem habe für den Zeitraum 1999 bis Juli 2000 bereits eine Betriebsprüfung stattgefunden, die dieselben Sachverhalte geprüft habe, jedoch keine Beanstandungen habe feststellen können. Dem damaligen Betriebsprüfer hätten sämtliche Unterlagen vorgelegen, die auch zu dem Lohnsteuerprüfbericht des Finanzamts vom 12. Oktober 2001 geführt hätten. Die vor dem 01. Januar 2001 liegenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge seien verjährt. Zudem sei Verwirkung eingetreten, da die Prüfung vom August 2000 keine Beanstandungen ergeben habe. Außerdem rügte sie zunächst, dass die Beklagte von höheren Bruttoentgelten als das Finanzamt ausgegangen sei. Während des Widerspruchverfahrens teilte die Beklagte mit, die höheren Bruttoentgelte ergäben sich aus dem genannten vermögenswerten Vorteil der Arbeitnehmer durch die Übernahme der nachzuzahlenden Lohnsteuer durch die Klägerin. Mit Widerspruchsbescheid vom 06. Juni 2005 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück und hielt die Nachforderung in Höhe von insgesamt EUR 20.685,89 aufrecht. Sie führte aus, für die Annahme der 30-jährigen Verjährungsfrist reiche aus, wenn der Beitragsschuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten habe. Bedingter Vorsatz sei anzunehmen, wenn einem Arbeitgeber seine Beitragspflicht durch einen Lohnsteuerbescheid bekannt geworden sei, er daraufhin jedoch die Beiträge für die Sozialversicherung nicht nachberechnet habe. Diese verlängerte Verjährungsfrist erfasse alle Beitragsnachforderungen, deren eigentlich vierjährige Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt noch laufe, an dem der Arbeitgeber von dem Bescheid oder Bericht der Finanzverwaltung erfahre. Fahrlässige Rechtsunkenntnis liege nicht vor, wenn die Löhne und Gehälter von einer Abrechnungsstelle (z.B. Steuerberater) abgerechnet würden, die dies gewerbsmäßig tue. Im vorliegenden Fall seien die Lohnabrechnungen im Steuerbüro erstellt worden und der Bescheid des Finanzamtes sei dieser Kanzlei nachweislich zugegangen. Zumindest seitens des Steuerbüros hätte die beitragsrechtliche Relevanz des Bescheides erkannt und die Überprüfung der Beitragspflicht eingeleitet werden müssen. Das Verschulden eines Vertreters sei dem Vertretenen zuzurechnen. Die Beitragsnachforderung sei auch nicht verwirkt. Eine Entlastung des Beitragsschuldners innerhalb der Verjährungsgrenzen könne weder durch ein früheres Verhalten des Betriebsprüfers noch durch ein Unterlassen des Beitragseinzugs durch die Krankenkassen erreicht werden. Betriebsprüfungen bezweckten nicht dem Schutz der Beitragsschuldner und seien nicht dazu gedacht, ihnen "Entlastung" zu gewähren. Dies gelte selbst dann, wenn die Nichtabführung von Beiträgen durch einen Betriebsprüfer ausdrücklich, jedoch fälschlich, für richtig befunden werde. Der Bescheid vom 22. August 2000 enthalte keine Aussage bezüglich der durch die Klägerin vorgenommenen beitragsrechtlichen Beurteilung von Nachtzuschlägen. Die Beklagte gab den Widerspruchsbescheid am 06. Juni 2005 zur Post.

Am 08. Juli 2005 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Ulm (SG) mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 07. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06. Juni 2005 aufzuheben. Sie führte allerdings wiederum aus, sie wende sich - nur - gegen die Nachforderung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Nachtzuschläge der Jahre 1997 bis 2000 und die hierauf entfallenden Säumniszuschläge. Sie sei nicht bösgläubig geworden, so dass allenfalls die vierjährige Verjährungsfrist gelte. Die Betriebsprüfung sei damals nicht lediglich stichprobenartig durchgeführt worden. Vielmehr habe der damalige Prüfer auf seine ausdrückliche Anfrage hin sämtliche Listen mit den vollständigen Nachtzuschlägen zur Prüfung erhalten und diese auch abgehakt. Im Übrigen seien sämtliche Nachforderungen verwirkt, weil sie aus der beanstandungsfreien Betriebsprüfung bei ihr am 21. August 2000 und dem Prüfbescheid vom 22. August 2000 darauf vertraut habe, dass keine Beiträge nachgefordert werden könnten.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und trug vor, auch im Jahre 2000 sei lediglich stichprobenartig geprüft worden. Der damalige Betriebsprüfer sei befragt worden, er habe angegeben, er habe sich dort zum Sachverhalt der Nachtzuschläge nicht geäußert. Der Bescheid vom 22. August 2000 enthalte keinerlei Regelungen zum Sachverhalt der Nachtzuschläge. Auf Aufforderung des SG legte die Beklagte außerdem eine Vergleichsberechnung vor, nach der von der gesamten Beitragsnachforderung auf die Zeit vom 01. August 2000 bis 30. Juni 2004 ein Anteil von EUR 5.442,19 einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von EUR 747,50 entfalle. Der restliche Teil der Forderung betreffe die Zeit von Dezember 1997 bis Juli 2000.

Das SG lud außerdem die von der Nachforderung betroffenen und einen weiteren Mitarbeiter (Beigeladene zu 1) bis 5)) zum Verfahren bei (Beschlüsse vom 12. September und 12. Oktober 2006).

Mit Urteil vom 26. April 2007 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 07. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06. Juni 2005 insoweit auf, als die Beklagte Beiträge für die Zeit vor dem 01. August 2000 zurückgefordert hatte und wies die Klage im Übrigen ab. Die Verfahrenskosten erlegte es zu 4/5 der Beklagten und zu 1/5 der Klägerin auf. In dem Urteil führte es aus, die Beitragsnachforderungen gegen die Klägerin bestünden zwar grundsätzlich, für die Zeit vor dem 01. August 2000 könnten diese ungeachtet der Verjährungsfrage jedoch schon deswegen nicht geltend gemacht werden, weil die Beklagte in dem bindenden Prüfbescheid vom 22. August 2000 für den Prüfzeitraum vom 01. Dezember 1995 bis zum 31. Juli 2000 ausdrücklich aufgeführt habe, es ergäben sich keine Nachforderungen. Aus dem Bescheid sei entgegen der Beklagten nicht ersichtlich, dass damals lediglich stichprobenhaft geprüft worden sei. Vielmehr weise er sogar darauf hin, dass der Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung ausgewertet worden sei und sich hieraus keine Beitragsnachforderungen ergeben hätten. Weder aus der Überschrift noch aus der Begründung des Bescheids lasse sich entnehmen, dass die Betriebsprüfung nicht umfassend gewesen sei und sich insbesondere nicht auf die Nachtzuschläge bezogen habe. Die Beklagte hätte diesen Bescheid daher nach § 45 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit Wirkung für die Vergangenheit abändern bzw. teilweise zurücknehmen müssen. Sie sei zu einer solchen Rücknahme unter Beachtung der §§ 44 ff. SGB X verpflichtet, wenn den entgegenstehenden Bescheid die Einzugsstelle erlassen habe. Dies gelte erst recht für Verwaltungsakte, die sie selbst in der Vergangenheit erlassen habe. Eine solche Rücknahme liege nicht vor.

Gegen das ihr am 31. Mai 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. Juni 2007 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie meint, die Ansicht des SG widerspreche dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. Juli 2004 (B 12 KR 1/04 R = SozR 4-2400 § 22 Nr. 2). Nach der Rechtsprechung des BSG erfolgten Betriebsprüfungen nur stichprobenartig und hätten unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten lediglich den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie bezweckten jedoch ausdrücklich nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm Entlastung zu erteilen. Eine materielle Bindungswirkung könne sich nur aus einem Bescheid ergeben, der personenbezogen für bestimmte Zeiträume eine Beitragspflicht in bestimmter Höhe festlege oder verneine. Aus der Tatsache, dass bei einer früheren Betriebsprüfung der Betriebsprüfer die Nichtentrichtung von Beiträgen unbeanstandet gelassen oder sogar gebilligt habe, könne nicht gefolgert werden, dass der Sozialversicherungsträger nicht mehr das Recht habe, Beitragsforderungen für die Vergangenheit geltend zu machen, wenn er Versicherungspflicht und damit Beitragspflicht später zu Recht feststelle. Auch sei aus dem Bescheid vom 22. August 2000 nicht ersichtlich, dass die gezahlten Nachtzuschläge seinerzeit geprüft worden seien. Insgesamt sei ein aus diesem Bescheid herzuleitende Vertrauensschutz nicht zu erkennen. Auf die Aufforderung des Senats, den Prüfbescheid vom 22. August 2000 und eine Kopie des dazugehörigen Prüfberichts mitsamt den entsprechenden Unterlagen vorzulegen, hat die Beklagte mitgeteilt, sie könne keine Unterlagen über die damalige Betriebsprüfung mehr vorlegen, da diese nach ihrer Registraturordnung nach einer Aufbewahrungsfrist von sechs Jahren vernichtet worden seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. April 2007 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil erster Instanz, soweit zu ihren Gunsten entschieden worden ist. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Vor- und dem Klageverfahren. Sie behauptet erneut, die Betriebsprüfung im August 2000 habe nicht nur stichprobenartig stattgefunden, sondern exakt und detailliert und sie habe dem Prüfer auf seine Anforderung hin auch Listen über die Nachtzuschläge übergeben. Die Klägerin hat den Prüfbescheid vom 22. August 2000 und den Lohnsteuerprüfbescheid des Finanzamts A. vom 07. August 1996 vorgelegt. Sie hat mitgeteilt, der Prüfbericht und weitere Unterlagen zur Prüfung vom 21. August 2000 lägen auch bei ihr nicht vor.

Der Senat hat mit Beschluss vom 29. Juli 2009 die betroffenen Kranken- und Pflegekassen sowie die Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene zu 6) bis 14)) beigeladen.

Die Beigeladenen haben sich nicht am Verfahren beteiligt und keine Anträge gestellt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist lediglich die Beitragsnachforderung der Beklagten gegen die Klägerin für die Zeit von Dezember 1997 (fällig am 15. Januar 1998) bis 31. Juli 2000. Für diesen Zeitraum hat das SG den Prüf- und Nachforderungsbescheid der Beklagten aufgehoben. Nur die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt. Die Klägerin dagegen hat gegen den sie belastenden Teil des erstinstanzlichen Urteils, nämlich die Abweisung ihrer Klage gegen die Nachforderung für die Zeit vom 01. August 2000 bis Juni 2004, weder Berufung noch Anschlussberufung eingelegt. Insoweit ist das Urteil des SG rechtskräftig geworden. Es kann daher offen bleiben, ob das SG über die Nachforderungen für die Jahre 2001 bis 2004 in der Sache entscheiden konnte. Zweifel bestehen hieran, weil die Klägerin ihren Widerspruch ausdrücklich allein gegen die Beitragsnachforderung für 1997 bis 2000 gerichtet hatte. Wenn sie dann in erster Instanz wieder diesen Zeitraum streitig stellte, so stand dem möglicherweise die insoweit eingetretene Bestandskraft des Bescheids der Beklagten entgegen.

2. Die Berufung der Beklagten mit diesem Inhalt ist nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht erhoben worden. Die Berufung war auch nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, denn die Beklagte ist aus dem Urteil erster Instanz um EUR 15.243,70 beschwert, nämlich die auf die Zeit vom Dezember 1997 bis Juli 2000 entfallenden Beitragsnachforderungen.

3. Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht ihren Bescheid vom 07. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06. Juni 2005 aufgehoben, soweit sie Beiträge für die Zeit vor dem 01. August 2000 von der Klägerin nachfordert. Auch insoweit war ihr Bescheid nämlich rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten, so dass die Anfechtungsklage der Klägerin (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) insgesamt abzuweisen ist.

a) Die für die Arbeitgeberprüfung und für die sich anlässlich dieser ergebenden Beitragsforderung feststellungsberechtigte Beklagte (§ 28p Abs. 1 SGB IV) hat zu Recht dem Grunde nach Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich der Umlagen U 1 und U 2 für die Beigeladenen zu 1) bis 3) und zu 5) für den hier streitigen Zeitraum erhoben.

Für die Zahlung von Beiträgen von Versicherungspflichtigen aus Arbeitsentgelt zur gesetzlichen Krankenversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gelten nach § 253 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V), § 174 Abs. 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) sowie § 60 Abs. 1 Satz 2 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28r SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach § 1 Abs. 2 SGB IV in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung bzw. § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB III) in den ab 01. Januar 1998 geltenden Fassungen auch für die Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitsförderung. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu zahlen. Als Gesamtsozialversicherungsbeitrag werden nach § 28d Satz 1 SGB IV die Beiträge in der Kranken- oder Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten oder Hausgewerbetreibenden sowie der Beitrag des Arbeitnehmers und der Teil des Beitrags des Arbeitgebers zur Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit, der sich nach der Grundlage für die Bemessung des Beitrags des Arbeitnehmers richtet, gezahlt. Dies gilt auch für den Beitrag zur Pflegeversicherung für einen in der Krankenversicherung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten (§ 28d Satz 2 SGB IV). Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung werden nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden § 14 Abs. 1 LFZG durch eine Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht. In den streitigen Jahren von 1997 bis 2000 wurde bei versicherungspflichtig Beschäftigten in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung der Beitragsbemessung das Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V, § 57 Abs. 1 SGB XI). Gleiches galt in der Rentenversicherung (§ 162 Nr. 1 SGB VI) sowie im Recht der Arbeitsförderung (bis 31. Dezember 1997 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes [AFG]), ab 01. Januar 1998 § 342 SGB III). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 SGB IV (seit dem 01. April 1999: § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung und in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) waren (auch) in der Zeit von 1997 bis 2000 im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV Beschäftigte der Klägerin. Sie waren nach den genannten Vorschriften in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung und zur Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig. Sie haben von der Klägerin für vermeintliche Nachtarbeiten (wegen der Einzelheiten insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Feststellungen des Finanzamts A. in der Anlage 2 zum Prüfungsbericht vom 12. Oktober 2001, die Anlage des Bescheids vom 02. Juli 2002 war, Blatt I/62 der Verwaltungsakte der Beklagten) Zuschläge zu ihrem Lohn erhalten, für die keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge und keine Umlagen abgeführt wurden. Die Beitragspflicht dieser Zuschläge an die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) folgt daraus, dass das zuständige Finanzamt bestandskräftig Einkommensteuer für diese Zuschläge nachgefordert hat, weil nicht nachzuweisen war, dass die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) tatsächlich die zu Grunde liegende Nachtarbeit geleistet hatten. Auf Grund dieser Feststellung sind die Zuschläge nach § 1 Satz 1 der ArEV, erlassen auf der Rechtsgrundlage des § 17 Abs. 1 Satz 1 des SGB IV, i.V.m. § 3b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht als beitragsfrei anzusehen.

b) Die Beklagte hat diesen Nachzahlungsanspruch durch den Bescheid vom 22. August 2000 in rechtlicher Hinsicht nicht erlassen, nicht auf ihn verzichtet und auch sonst seine Geltendmachung nicht ausgeschlossen. Sie war daher nicht verpflichtet, vor oder mit Erlass des hier angegriffenen Nachforderungsbescheids den damaligen Bescheid nach § 45 Abs. 1 SGB X abzuändern bzw. teilweise aufzuheben, was nur in den Grenzen von § 45 Abs. 2 und Abs. 4 SGB X möglich gewesen wäre.

Der rechtliche Regelungsgehalt eines Bescheids folgt allein aus seinem Verfügungssatz, also aus jenem Teil, der nach § 77 SGG in Bestandskraft bzw. Bindungswirkung erwächst. Nur, was der Sozialleistungsträger mit rechtlicher Außenwirkung im Sinne der Definition des Verwaltungsakts in § 31 Satz 1 SGB X feststellt oder anordnet, kann die materielle Rechtslage verändern. Aus Gründen der Rechtsklarheit muss der Verfügungssatz daher ausdrücklich und genau gefasst sein. Alle weiteren Ausführungen in einem Bescheid stellen Begründungen, Hinweise oder ähnliche Zusätze dar, nehmen jedoch nicht an dem Regelungsgehalt und der Bindungswirkung des Verfügungssatzes teil. Was zum Verfügungssatz gehört und was zur Begründung und daher keine rechtliche Wirkung hat, ist auch bei Verwaltungsakten nach den Regelungen über die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen zu bestimmen, also nach dem Verständnishorizont eines objektiven Empfängers (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -).

Mit dem Bescheid vom 22. August 2000 hatte die Beklagte lediglich eine Nachforderung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von EUR 396,50 für eine Mitarbeiterin der Klägerin geltend gemacht. Nur dies war der rechtlich wirksame Verfügungssatz. Die Ausführungen auf S. 2 des Bescheids, der Lohnsteuerprüfbericht sei ausgewertet worden und es hätten sich keine Beitragsnachforderungen zur Sozialversicherung ergeben, stellt lediglich eine tatsächliche Mitteilung dar, jedoch keine rechtsverbindliche Aussage der Beklagten darüber, dass sie für den Zeitraum der Lohnsteuerprüfung keine Nachforderungen mehr erheben werde. Auch inhaltlich konnte die Klägerin dieser Aussage nicht entnehmen, dass für den hier streitigen Zeitraum ab Dezember 1997 keine Nachforderungen mehr geltend gemacht werden sollten, selbst wenn der Aussage rechtliche Wirkung zukäme. Zunächst konnte die Aussage der Beklagten in dem Bescheid vom 22. August 2000 überhaupt nicht den streitigen Zeitraum betreffen. Der Lohnsteuerprüfbericht, auf den sie sich bezog, war am 07. August 1996 erlassen worden und betraf den Zeitraum von Januar 1992 bis Dezember 1995. Die ordnungsgemäße Versteuerung der Nachtzuschläge ab Dezember 1997 konnte das Finanzamt nicht geprüft haben, also konnte insoweit auch nichts über die Beitragspflicht der Nachtzuschläge gesagt werden. Außerdem konnte ein objektiver Empfänger die Mitteilung insgesamt nur so verstehen, dass die Beklagte lediglich anhand der vorgelegten Unterlagen der Lohnsteuer-Außenprüfung keine Nachforderungen feststellen konnte. Dies heißt aber nicht, dass solche Nachforderungen überhaupt nicht mehr bestehen sollten. Vielmehr blieb es nach der Mitteilung möglich, dass sich die Unterlagen der Lohnsteuer-Außenprüfung als fehlerhaft erwiesen oder sich später aus anderen Unterlagen noch Nachforderungen ergäben. Wie sich aus der Anlage 2 zum Prüfungsbericht des Finanzamtes A. vom 12. Oktober 2001 ergibt, war die Tatsache, dass die Nachtarbeit, für die nach den Lohnunterlagen Nachtzuschläge gezahlt wurden, nicht durchgeführt wurde, nur anhand weiterer Unterlagen festzustellen.

Letztlich können die zur Beitragsabführung verpflichteten Arbeitgeber nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV bei der zuständigen Einzugsstelle eine bindende Entscheidung über die Versicherungspflicht und auch über die Beitragshöhe ihrer Mitarbeiter erwirken. Gerade wegen dieser Möglichkeit kann ein Arbeitgeber einen Prüfbescheid der Deutschen Rentenversicherung nach § 28p Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 SGB IV in aller Regel nicht so verstehen, dass damit bindend über alle Fragen der Beitragspflicht und auch über alle etwaigen Nachforderungsansprüche wegen Sozialversicherungsbeiträgen entschieden sei.

c) Der Bescheid der Beklagten vom 22. August 2000 stellt auch keine Zusicherung im Sinne von § 34 Abs. 1 SGB X dar, später keinen Bescheid über eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Prüfzeitraum zu erlassen. Auch so konnte die Aussage in dem Bescheid nicht verstanden werden.

d) Die Klägerin kann die Erfüllung der Nachforderung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge auch nicht nach § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB IV i.V.m. § 214 Abs. 1 BGB (bzw. § 222 Abs. 1 BGB a.F.) wegen Verjährung verweigern. Sie hat zwar die Verjährungseinrede erhoben. Die Nachforderungen sind jedoch nicht verjährt. Verjährung war noch nicht eingetreten, als die Beklagte mit dem Bescheid vom 07. Oktober 2004 die Nachforderung geltend machte und auf diese Weise die laufende Verjährung nach § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X - bis heute - hemmte.

aa) Nach § 25 Abs. 1 SGB IV, der nach § 17 LFZG auf die Umlagen nach § 14 LFZG entsprechend Anwendung findet, verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren dagegen nach Satz 2 der Vorschrift in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV (in der ab 01. Januar 1995 bis 31. Dezember 2005 geltenden Fassung) werden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, spätestens am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt.

bb) Bei der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist wären die Beitragsforderungen für den Zeitraum vom 01. Dezember 1997 bis 30. November 1998 mit Ablauf des 31. Dezember 2002 verjährt gewesen, die Beitragsforderungen für die jeweils anschließenden Zeiträume von Dezember bis November jeweils ein Jahr später.

cc) Jedoch unterlagen die Nachforderungen gegen die Klägerin der 30-jährigen Verjährungsfrist.

Für Vorsatz im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 3 SGB IV ist das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge zu unterlassen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, reicht es aus, wenn der Arbeitgeber die Beiträge mit (nur) bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, also die Beitragpflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG, Urteil vom 17. April 2008 - B 13 R 123/07 R - veröffentlicht in juris, BSG SozR 3-2400 § 25 Nr. 7 S. 35f.; SozR 4-2400 § 23a Nr. 3). Direkter Vorsatz ist daher nicht erforderlich.

Das BSG hat in seiner Rechtsprechung Fallgruppen entwickelt, die für das Vorliegen des (bedingten) Vorsatzes sprechen (vgl. BSG SozR 3-2400 § 25 Nr. 7). Hiernach liegt bedingter Vorsatz insbesondere dann vor, wenn ein Arbeitgeber durch einen Lohnsteuerhaftungsbescheid des Finanzamts darauf aufmerksam gemacht wird, dass bestimmte an seine Mitarbeiter gezahlte Entgelte einkommensteuerpflichtig sind. Da die Einkommensteuerpflicht und die Beitragslast zur Sozialversicherung parallel laufen (vgl. § 1 ArEV), ist davon auszugehen, dass sich ein Arbeitgeber, der in Kenntnis der Steuerpflicht keine Beiträge abführt und auch keine diesbezügliche Überprüfung einleitet, der Existenz von Beitragsforderungen bewusst verschließt. Eine lediglich fahrlässige Rechtsunkenntnis liegt insbesondere dann nicht vor, wenn ein Arbeitgeber seine Löhne und Gehälter von einer Abrechnungsstelle, z.B. einem Steuerberater gewerbsmäßig abrechnen lässt (vgl. BSG a.a.O.).

Die bei einem derartigen vorsätzlichen Verhalten eingreifende 30-jährige Verjährungsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt, ab dem Beiträge vorsätzlich vorenthalten werden, also u.a. ab dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitgeber von der Existenz der Beitragsforderung erfährt. Die verlängerte Verjährung erfasst alle Beitragsnachforderungen, die zu diesem Zeitpunkt noch geltend gemacht werden können: Hat der Beitragsschuldner bei Eintritt der Fälligkeit noch keinen Vorsatz zur Vorenthaltung, läuft zunächst vom folgenden Kalenderjahr an eine vierjährige Verjährungsfrist. Diese verlängert sich jedoch durch eine rückwirkende Umwandlung in die 30-jährige Verjährungsfrist, wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird (BSG, a.a.O.). Ein beitragspflichtiger Arbeitgeber, bei dem innerhalb unverjährter Zeit Vorsatz eintritt, ist nicht mehr in dem Sinne schutzwürdig, dass ihm die kürzere, vierjährige Verjährungsfrist zugute gehalten werden müsste, weil er noch nicht davon ausgehen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.

Bei der Klägerin lag bedingter Vorsatz im Sinne dieser Norm spätestens vor, als das Finanzamt A. in dem Bescheid vom 02. Juli 2002 die Steuerpflicht der an die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) gezahlten Nachtzuschläge für die Zeit von 1997 bis 2000 feststellte. Dieser Bescheid war an die damaligen Steuerberater der Klägerin adressiert. Der Zusammenhang zwischen Steuerpflicht und Beitragspflicht von Arbeitseinkommen ist jedem Steuerberater bekannt. Die Steuerberater der Klägerin haben daher spätestens ab diesem Zeitpunkt damit gerechnet und billigend in Kauf genommen, dass die Nachtzuschläge an die Beigeladenen auch sozialversicherungspflichtig waren. Ein Prüfverfahren nach § 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV wurde jedoch nicht eingeleitet. Beiträge wurden auch nicht abgeführt. Die Beitragsnachforderungen ab Dezember 1997 unterfielen daher ab dem 02. Juli 2002 der 30-jährigen Verjährung und konnten mit dem Bescheid vom 07. Oktober 2004 noch geltend gemacht werden.

e) Die Beitragsnachforderungen für Dezember 1997 bis Juli 2000 sind auch nicht nach § 242 BGB wegen Verwirkung erloschen.

Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Danach entfällt eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG SozR 2200 § 1399 Nr. 11 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1303 Nr. 6; SozR 4-2400 § 22 Nr. 2). Bloßes Nichtstun des Berechtigten reicht nicht aus. Vielmehr muss ein Handeln des Berechtigten hinzukommen, das bei dem Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. zu allem LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08. Februar 2008 - L 4 KR 1913/06 -, nicht veröffentlicht). Bloßes Nichtgeltendmachen eines vermeintlichen Anspruchs führt allein zur Verjährung, sobald die Verjährungsfristen abgelaufen sind und die Einrede erhoben wird.

Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet. Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen (BSG, SozR 2200 § 1399 Nr. 11). Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben jedoch das Recht, in Zweifelsfällen nach § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV rechtzeitig eine Entscheidung der Einzugsstelle durch Verwaltungsakt herbeizuführen, an den die Versicherungsträger gebunden sind (so BSG SozR 4-2400 § 27 Nr. 1 Rn. 16 bis 20 m.w.N). Auch den Prüfberichten der Rentenversicherungsträger kommt keine andere Bedeutung zu. Ihr Adressat ist nicht der Arbeitgeber. Sie halten das Ergebnis der Prüfung vielmehr nur für den zuständigen, die Arbeitgeberprüfung durchführenden Versicherungsträger fest und haben nicht etwa die Funktion eines Entlastungsnachweises mit Außenwirkung (BSG SozR 4-2400 § 27 Nr. 1). Das BSG hat zur Begründung für diese Ansicht auch darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer jederzeit das Recht haben, in Zweifelsfällen gemäß § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV eine Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungs- und Beitragspflicht eines Arbeitnehmers in Form eines Verwaltungsakts herbeizuführen (BSG, SozR 3-2400 § 26 Nr. 7). Nur an solche Entscheidungen wären im Übrigen die Versicherungsträger auch nach §§ 44 ff. SGB X gebunden. Aus diesen Gründen kann eine beanstandungsfreie Arbeitgeberprüfung allein nicht zur Verwirkung von Ansprüchen auf Nachzahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen führen.

Bei der Klägerin wurde am 21. August 2000 eine Betriebsprüfung durchgeführt. Diese konnte wie ausgeführt schon nach der gesetzgeberischen Wertung kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin begründen, keinen Nachforderungen mehr ausgesetzt zu sein. Dies gilt unabhängig davon, welche Aussagen der Betriebsprüfer getroffen oder welche Ausführungen der Prüfbericht enthalten hat, der im Verfahren nicht mehr vorgelegt werden konnte.

Ein anderes tatsächliches Verhalten der Beklagten außerhalb der genannten Arbeitgeberprüfung, aus dem die Klägerin das schutzwürdige Vertrauen hätte ziehen dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

f) Auch die Säumniszuschläge auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und die Umlagen hat die Beklagte zu Recht festgesetzt.

Nach § 24 Abs. 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v.H. des rückständigen, auf EUR 50,00 nach unten abgerundeten Betrags zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist nach § 24 Abs. 2 SGB IV ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.

Die Klägerin hat die nunmehr geltend gemachten Forderungen nicht jeweils zum Fälligkeitstermin, also dem 15. des Monats nach Fälligkeit des Entgeltanspruchs der Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) beglichen. Ab Juli 2002 war ihr - wie ausgeführt - hinsichtlich der Nichtabführung der Beiträge Vorsatz vorzuwerfen. Mindestens ab diesem Zeitpunkt handelte sie daher auch nicht mehr schuldlos im Sinne von § 24 Abs. 3 SGB IV, sodass die Beklagte zu Recht ab September 2002 Säumniszuschläge erhoben hat.

g) Gegen die Höhe der Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Umlagen und der darauf entfallenden Säumniszuschläge sind keine Einwände vorgebracht oder ersichtlich.

aa) Das Finanzamt A. hatte bei seiner Prüfung alle Lohnabrechnungen, Ausdrucke der Lohnkonten und die von der Klägerin selbst vorgelegten Prüflisten und Stundennachweise der Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) ausgewertet. Hieraus ergab sich die Nachforderung von Einkommensteuer über EUR 10.498,88, die das Finanzamt geltend gemacht hatte. Die Beklagte hat diese Werte zu Grunde gelegt und ist so auf die Beitragsnachforderung von EUR 17.086,39 gekommen.

bb) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass sie von höheren Bruttolöhnen der Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) ausging als das Finanzamt, weil sie den ausgezahlten Nachtzuschlägen die Nachzahlungen hinzurechnete, die die Klägerin für die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) an das Finanzamt entrichtet hatte.

Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Nach diesen Grundsätzen gilt im Beitragsrecht der Sozialversicherung grundsätzlich das "Bruttoprinzip". Das Bruttoarbeitsentgelt versicherungspflichtiger Arbeitnehmer enthält auch die gesetzlichen Lohnabzugsbeträge, die der Arbeitgeber einzubehalten hat, insbesondere die Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer und ihre Beitragsanteile zur Sozialversicherung. Übernimmt der Arbeitgeber aufgrund einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer diese Beträge, wird also dem Arbeitnehmer ein abzugsfreier Lohn (Nettolohn) ausgezahlt, dann ist auch dieser dem Arbeitnehmer neben dem Lohn zufließende Vorteil beitragspflichtig, wie § 14 Abs 2 SGB IV klarstellt. Dies bedeutet, dass von den übernommenen und mit zu dem Arbeitsentgelt gehörenden Steuern und Beitragsanteilen wiederum Beiträge zu entrichten sind (Beiträge von Steuern und Beiträge von Beiträgen (zu allem BSG, SozR 2100 § 14 Nr. 22)). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber Steuern und Beiträge nachträglich übernimmt. Auch wenn er damit im Verhältnis zum Finanzamt oder der Einzugsstelle als Dritter eine fremde Schuld tilgt (§ 267 BGB), so liegt dem im Verhältnis zu dem begünstigten Arbeitnehmer zumindest eine konkludente Abrede zu Grunde, die einer Nettolohnvereinbarung im Sinne von § 14 Abs. 2 SGB IV gleichkommt.

cc) Die Säumniszuschläge hat die Beklagte ebenfalls richtig berechnet

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 und 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für eine Zulassung der Revision lagen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwerts für beide Rechtszüge beruht auf §§ 63 Abs. 2 und 3, 52, Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 GKG. Der Streitwert für das Berufungsverfahren L 4 R 3157/07 ist d endgültig auf EUR 15.243,70 festzusetzen. Allein die Beklagte hat Berufung eingelegt. Sie wandte sich allein dagegen, dass das SG ihren Bescheid insoweit aufgehoben, als sie damit Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit von 1997 bis Juli 2000 nachgefordert hatte. Dies waren EUR 15.243,70. Nur insoweit war sie beschwert und nur diese Höhe macht den Streitwert des Berufungsverfahrens aus. Für beide Instanzen sind die Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV sind mit einzurechnen. Denn es handelt sich nicht um Früchte, Nutzung, Zinsen oder Kosten im Sinne des § 43 GKG (Behn, ZfS 2005, 1998 ff.). Der Säumniszuschlag soll auch einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Beiträge den Versicherungsträgern nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen; es handelt sich damit um einen standardisierten Mindestschadensausgleich (BSG SozR 4-2400 § 24 Nr. 2).
Rechtskraft
Aus
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