L 8 SB 3233/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 4194/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3233/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger schon seit 01. November 2000 schwerbehindert ist.

Bei 1946 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Heidelberg (VA) mit Bescheid vom 06.12.1993 unter Berücksichtigung degenerativer Wirbelsäulenveränderungen, einer Gonarthrose und Herzrhythmusstörungen einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 fest. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 10.05.1994) erhob der Kläger Klage (S 13 Vs 1140/94) zum Sozialgericht Mannheim (SG), auf die dieses mit Urteil vom 17.12.1996 unter Berücksichtigung weiterer Funktionsstörungen einen GdB von 30 feststellte (Ausführungsbescheid vom 18.02.1997). Die dagegen eingelegte Berufung (L 6 VS 902/97) wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurück.

Im August 1998 beantragte der Kläger beim VA die Erhöhung des GdB und machte geltend, seine Gesundheitsstörungen, insbesondere auf orthopädischem Gebiet, hätten sich inzwischen erheblich verschlechtert, sodass jetzt ein GdB von mindestens 50 vorliege. Diesen Antrag lehnte der Beklagte nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 05.01.1999 (Widerspruchsbescheid vom 16.06.1999) ab. Im sich hieran anschließenden Klageverfahren (S 3 SB 1543/99) führte das SG weitere medizinische Ermittlungen durch. Im nervenärztlichen Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 25.02.2000 mit Ergänzung vom 29.06.2000 wurde die Beeinträchtigung im Bereich des rechten Zeigefingers mit einem GdB von 10, das Carpaltunnelsyndrom mit einem GdB von 10 bis 20 und das chronische Kopfschmerzsyndrom mit einem GdB von ca. 10 bewertet. Insgesamt nahm der Sachverständige aus neurologischer Sicht einen GdB von 20 an. Unter Berücksichtigung des vom behandelnden Orthopäden Dr. R. für angemessen erachteten GdB von 40 für den orthopädischen Bereich (sachverständige Zeugenaussage von Dr. R. vom 14.09.1999) schätzte er den Gesamt-GdB auf mindestens ca. 50. In der mündlichen Verhandlung am 04.07.2002 schlossen die Beteiligten einen prozessbeendigenden Vergleich, worin sich der Beklagte verpflichtete, die angegriffenen Bescheide abzuändern und einen GdB von 40 festzustellen. Mit Bescheid vom 23.07.2002 führte das VA diesen Vergleich aus und stellte unter Berücksichtigung degenerativer Wirbelsäulenveränderungen mit Schmerzsyndrom, Belastungsbeschwerden bei Gonarthrose, Teilverlust des rechten Zeigefingers mit Neurinombildung und eines Carpaltunnelsyndroms rechts sowie von Herzrhythmusstörungen einen GdB von 40 seit 30.10.1998 fest.

Bereits am 25.01.2002 hatte der Kläger beim VA einen Antrag auf Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung der bisher berücksichtigten Gesundheitsstörungen und neu aufgetretener Gesundheitsstörungen gestellt. Hierzu legte der Kläger die ärztlichen Bescheinigungen von Dr. R. vom 02.10.2002 und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 29.10.2002 vor. Nach Einholung eines Befundberichts von Dr. G. vom 28.01.2003, dem weitere ärztliche Unterlagen beilagen, und der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. M. vom 18.02.2003, wonach die Trigeminusneuralgie rechts, Migräne und depressive Verstimmung einen GdB von 30 bedinge und insgesamt ein GdB von 50 anzunehmen sei, erließ das VA am 06.03.2003 einen entsprechenden Neufeststellungsbescheid (GdB 50 seit 25.01.2002).

Am 18.10.2005 beantragte der Kläger beim VA eine Entscheidung nach § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) mit dem Ziel, den Bescheid vom 06.03.2003 abzuändern und ihn schon seit 01.11.2000 als Schwerbehinderten anzuerkennen. Diesen Antrag lehnte das inzwischen zuständige Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis (LRA) mit Bescheid vom 15.02.2006 ab. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X seien nicht erfüllt, weil bei Erlass des Bescheides vom 06.03.2003 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Im Übrigen sei eine Rückwirkung von Aufhebungsbescheiden nach § 48 SGB X auf längstens vier Jahre begrenzt, sodass eine rückwirkende Feststellung ohnehin nur für die Zeit ab 01.01.2001 hätte getroffen werden können.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, den das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2006 zurückwies. Sozialleistungen würden nach § 44 Abs. 4 SGB X rückwirkend längstens für einen Zeitraum von vier Jahren ab Antragstellung erbracht. Es handele sich hierbei um eine gesetzliche Ausschlussfrist; die Behörde habe insoweit kein Ermessen. Im Übrigen sei die Beseitigung des am 04.07.2002 vor dem SG geschlossenen gerichtlichen Vergleichs, mit dem ein GdB von 40 seit 30.10.1998 anerkannt worden sei, als unzulässig anzusehen. Im folgenden Klageverfahren (S 2 SB 1122/06) schlossen die Beteiligten auf Vorschlag des SG einen Vergleich, wonach der Beklagte die angegriffenen Bescheide zurücknimmt und sich zur umgehenden Prüfung unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens verpflichtet, ob eine Änderung der Bescheide vom 23.07.2002 und 06.03.2003 im Hinblick auf eine Rückwirkung der Schwerbehinderteneigenschaft auf den Antrag vom 18.10.2005 bis zum 01.11.2000 erfolgen kann und darüber eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung erteilt.

Mit Bescheid vom 20.07.2006 nahm das LRA den Bescheid vom 15.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2006 zurück. Zugleich entschied es, dass dem am 18.10.2005 gestellten Antrag auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X nicht entsprochen werden könne. Nach der für das Schwerbehindertenrecht geltenden Regelung des § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X stehe eine Rücknahme für die Vergangenheit im Ermessen der Behörde. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.05.1991 (BSGE 69, 14) sei es nicht ermessenswidrig, die Rückwirkung grundsätzlich auf vier Jahre zu beschränken und den Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 SGB X nicht weiter zu verstehen als den des § 44 Abs. 1 SGB X. Ausgehend von dem am 18.10.2005 gestellten Antrag könnte somit eine rückwirkende Feststellung frühestens zum 01.01.2001 getroffen werden. Aus rein medizinischer Sicht würden sich für eine rückwirkende Feststellung des Gesamt-GdB von 50 ab 01.11.2000 keine ausreichenden Gesichtspunkte ergeben. Im Übrigen sei der am 04.07.2002 geschlossene Vergleich zu berücksichtigen, wonach ein GdB von 40 ab 30.10.1998 festzustellen gewesen sei. Eine Beseitigung dieses Vergleiches durch Aufhebung werde jedoch wegen der Rechtsbeständigkeit, welche öffentlich-rechtliche Verträge innewohnen solle, als unzulässig angesehen.

Dagegen legte der Kläger am 16.08.2006 Widerspruch ein, mit dem er weiterhin einen GdB von 50 für die Zeit ab 01.11.2000 geltend machte. Es sei zwar richtig, dass das BSG die Rückwirkung auch im Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 SGB X grundsätzlich auf vier Jahre beschränkt habe. Es habe aber betont, dass eine Ermessensausübung erfolgen müsse. Diese habe hier offensichtlich nicht stattgefunden, sodass ein Ermessensfehler vorliege. Auch könne der Ausführungsbescheid vom 23.07.2002 nicht gegen den Rücknahmeantrag sprechen. Dieser Bescheid sei mit Bescheid vom 06.03.2003 aufgehoben worden. Der GdB sei für die Zeit ab 25.01.2002 bindend festgestellt worden, sodass der Vergleich keine Bindungswirkung mehr entfalte. Im Übrigen könnten seine behandelnden Ärzte Dr. G. und Dr. R., bei denen er schon vor 2001 in Behandlung gewesen sei, bestätigen, dass die gesundheitlichen Einschränkungen auch schon am 01.11.2000 bestanden hätten. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2006 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch des Klägers zurück. Die Anwendung der Vorschrift des § 44 Abs. 2 iVm § 44 Abs. 4 SGB X sei unter Beachtung der gebotenen Ermessensausübung und im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG erfolgt. Eine rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zum 01.11.2000 lasse sich weder aus rechtlichen noch objektivierbaren medizinischen Gründen herleiten.

Am 08.12.2006 erhob der Kläger Klage zum SG, mit der er an seinem Ziel festhielt. Zur Begründung brachte er unter Hinweis auf seine Widerspruchsbegründung vor, entgegen der Rechtsprechung des BSG gelte für den Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 SGB X die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X, die in § 44 Abs. 2 SGB X auch nicht genannt sei, nicht. Im Übrigen liege bei ihm eine besondere Härte vor, die auf alle Fälle berücksichtigt werden müsse. Er habe 46 Jahre im Arbeits- und Berufsleben gestanden und beziehe seit 01.04.2006 eine - um 550,00 EUR monatlich gekürzte - Altersrente. Diese Rentenkürzung müsste er nicht hinnehmen, wenn er bereits am 01.11.2000 als schwerbehindert angesehen werden würde. Seine behandelnden Ärzte könnten bestätigen, dass er schon zu diesem Zeitpunkt schwerbehindert gewesen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.05.2007 wies das SG die Klage ab. Es verwies auf die Bindungswirkung des Vergleichs vom 04.07.2002, nach dem seit 30.10.1998 - und damit auch am 01.11.2000 - ein GdB von 40 bestanden habe, sowie darauf, dass der Beklagte zu Recht von der Beschränkung der Rückwirkung auf vier Jahre ausgegangen sei und dies auch in ermessensfehlerfreier Weise entschieden habe. Im Übrigen habe die im Rechtsstreit S 2 SB 1771/06 erfolgte medizinische Sachaufklärung ergeben, dass am 01.11.2000 noch kein GdB von 50 vorgelegen habe. Das SG habe denn auch mit rechtskräftig gewordenen Gerichtsbescheid die damalige Klage abgewiesen. Hinzu komme, dass die Anhebung des GdB auf 50 mit dem Neufeststellungsbescheid vom 06.03.2003 darauf beruhe, dass die Trigeminusneuralgie rechts, Migräne und depressive Verstimmung mit einem GdB von 30 (anstatt 20 ohne psychische Störung) bewertet worden sei. Dass diese Verschlimmerung bereits im November 2000 eingetreten ist, könne aus den vom Hausarzt vorgelegten Unterlagen nicht abgeleitet werden.

Gegen den ihm am 30.05.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30.06.2007 Berufung eingelegt. Er macht unter Hinweis auf § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X und unter Vorlage der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 23.05.2007 geltend, der Beklagte sei im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens nicht von vornherein auf eine vierjährige Rückwirkung beschränkt, sondern müsse berücksichtigen, dass nach der genannten Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart das Interesse des Klägers an einer mehr als vierjährigen Rückwirkung dann überwiege, wenn er wegen einer rentenrechtlichen Stichtagsregelung nicht unerhebliche finanzielle Auswirkung befürchten müsse. Hieran hätte der Beklagte seine Ermessensentscheidung ausrichten müssen. Der von den Beteiligten am 04.07.2002 geschlossene gerichtliche Vergleich könne für den hier streitigen Zeitpunkt 01.11.2000 keine Bindungswirkung entfalten, da er bei Abschluss des Vergleiches keine Regelung in die Vergangenheit hinein habe treffen wollen. Nach seiner eindeutigen Absicht habe der am 04.07.2002 akzeptierte GdB von 40 am 04.07.2002 gelten sollen. Zwar weise der Wortlaut des Vergleiches auch in die Vergangenheit. Diesen Gesichtspunkt habe er aber bei Vertragsabschluss nicht in seine Vorstellung einbezogen, sodass insoweit kein Rechtsbindungswille bestanden habe.

Ferner macht der Kläger geltend, dass seine Erkrankungen bereits am 01.11.2000 so stark ausgeprägt gewesen seien, dass bereits zu diesem Zeitpunkt ein GdB von mehr als 50 bestanden habe. Hierzu gehörten ein chronifiziertes therapieresistentes kombiniertes Schmerzsyndrom und eine reaktive Depression mit chronischem Schmerzsyndrom, die u.a. zur Feststellung eines GdB von 50 ab 25.01.2002 geführt hätten. Der Kläger legt hierzu die ärztlichen Atteste von Dr. G. vom 13.09.2007, 04.10.2007 und 02.01.2008 sowie das Attest des Urologen Dr. P. vom 24.09.2007 (seit 1977 chronische Prostatitis) vor. Im Attest von Dr. G. vom 04.10.2007 heißt es, dass die von ihm im Einzelnen aufgeführten Erkrankungen des Klägers bereits vor dem 01.11.2000 so ausgeprägt gewesen seien, dass eine MdE von mehr als 50% bestanden habe. Im Attest vom 02.01.2008 verweist Dr. G. auf seine Angaben gegenüber dem SG vom 25.08.1999, in dem er die Gesundheitsstörungen des Klägers auch schon mit einer MdE von 50% bewertet habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Mai 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 20. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2006 aufzuheben und den Beklagten unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 23. Juli 2002 und vom 06. März 2003 zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 50 seit 1. November 2000 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Unabhängig von den in der Verfügung vom 23.05.2007 aufgeführten Grundsätzen hinsichtlich der Begrenzung der Rückwirkung gemäß den §§ 44, 48 SGB X seien die medizinischen Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB ab 01.11.2000 nicht gegeben. Dies folge aus den umfassenden Ermittlungen im Klageverfahren S 3 SB 1543/99, das durch gerichtlichen Vergleich vom 04.07.2002, in dem sich der Kläger mit der Feststellung eines GdB von 40 einverstanden erklärt habe, beendet worden sei. Diesem Vergleich lägen Prozesserklärungen zugrunde, die eindeutig und nicht auslegungsbedürftig seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten S 3 SB 1543/99 und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig. Damit hat er einen Anspruch des Klägers auf Rücknahme des - einen GdB von 40 feststellenden - (Ausführungs-)Bescheides vom 23.07.2002 zutreffend verneint. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme dieses Bescheides und Feststellung eines GdB von 50 seit 01.11.2000. Eine fehlerhafte Ermessensausübung des Beklagten liegt ebenfalls nicht vor; die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X waren schon nicht erfüllt.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 20.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2006, mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, die Bescheide vom 23.07.2002 und vom 06.03.2003 teilweise zurückzunehmen und einen GdB von 50 seit 01.11.2000 festzustellen.

Der hier anzuwendende § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X lautet: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist nach § 44 Abs. 2 SGB X ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB X iVm der Verfallklausel des Abs. 4 ist eine Spezialregelung für Verwaltungsakte über die Gewährung von sozialrechtlichen Leistungen. Die Unrichtigkeit eines Verwaltungsaktes, der zurückzunehmen und zu ersetzen sein soll, muss zur Folge gehabt haben, dass Leistungen der bezeichneten Art zunächst zu Unrecht nicht erbracht worden sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X), sodann aber für einen Zeitraum bis zu vier Jahren nachträglich zu erbringen sind (§ 44 SGB X). Um solche Leistungsbescheide geht es im SGB IX nicht. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 29.05.1991 (9a/9 RVSF/89) für den Bereich des Schwerbehindertenrechts entschieden. Es besteht kein Grund, dies nicht auch für das SGB IX, das das Schwerbehindertengesetz ab 09.07.2001 - allerdings ohne wesentliche Änderungen - abgelöst hat, anzunehmen. Ein Bescheid über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch oder die Höhe des GdB beschränkt sich nach diesem Urteil auf diese Feststellungen der zuständigen Behörden. Außerdem - so das BSG - weist § 20 Abs. 1 SGB I bei der Beschreibung der "Leistungen" nach dem Schwerbehindertenrecht gerade nicht auf diese Feststellungen, sondern auf arbeitsrechtliche Vorteile wie vorrangige Beschäftigungschancen und Kündigungsschutz, verlängerter Urlaub sowie nachgehende Hilfen. Der Senat folgt der Rechtsauffassung des BSG. Daraus ergibt sich, dass im vorliegenden Fall § 44 Abs. 2 SGB X anzuwenden ist. Dabei sind die nach dem SGB IX zu treffenden Feststellungen auch iVm der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides zugunsten des Betroffenen grundsätzlich nur für die Zukunft zu treffen; die Rückwirkung liegt im Ermessen der Verwaltung.

Das bedeutet hier, dass eine (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 06.03.2003 gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X grundsätzlich nur für die Zukunft - bezogen auf den Bescheid vom 20.07.2006 -, mithin ab 21.07.2006, in Betracht käme. Auf eine Rücknahme für die Vergangenheit, also ab 01.11.2000, besteht kein Rechtsanspruch. Insoweit besteht nur ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung des Beklagten (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Daraus folgt weiter, dass die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Bescheid vom 06.03.2003 bei seinem Erlass unrichtig war, weil nämlich eine GdB-Neufeststellung ab dem 25.02.2002 rechtswidrig war. Die begehrte noch frühere Wirkung der GdB 50-Feststellung bedarf auch nur der Abänderung des letzten bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 06.03.2003, der bereits die Geltung des Bescheids vom 23.07.2002 abgeändert hatte. Nach Erlass des Bescheides vom 06.03.2003 eingetretene Änderungen fallen in den Anwendungsbereich des - hier nicht einschlägigen - § 48 SGB X.

Der Bescheid vom 23.07.2002, der den am 04.07.2002 von den Beteiligten geschlossenen Prozessvergleich nur ausgeführt hat und dem darüber eine eigenständige regelnde Wirkung allenfalls für die Feststellung des Zeitpunkts der Wirksamkeit der Neufeststellung zukam -in dem Prozessvergleich vom 04.07.2002 ist keine Vereinbarung zum Geltungszeitpunkt der Neufeststellung getroffen -, war zwar - wie sich aus dem Neufestellungsbescheid des Beklagten vom 06.03.2003 ergibt - insoweit unrichtig als er für die Zeit vom 25.01.2002 bis 23.07.2002 nur einen GdB von 40 (anstatt 50) festgestellt hat. Dies ist aber durch den genannten Bescheid vom 06.03.2003 "korrigiert" worden Ob bloße Ausführungsbescheide überhaupt dem Anwendungsbereich des § 44 SGB X unterfallen, kann der Senat offen lassen. Eine ermessenseröffnende Unrichtigkeit des maßgeblichen Bescheids vom 06.03. 2003 liegt nämlich nicht vor bzw. ist nicht nachgewiesen. Vielmehr bedingten die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers in der Zeit vom 01.11.2000 bis 24.01.2002 keinen höheren GdB als 40. Dies ergibt sich für den Senat im Einzelnen aus folgenden Gründen:

Der Senat ist davon überzeugt, dass der GdB beim Kläger am 01.11.2000 noch nicht 50 betragen hat, sondern mit einem GdB von 40 angemessen bewertet war. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid die Gründe hierfür eingehend und zutreffend dargelegt, weshalb der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf in vollem Umfang Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Die vom Beklagten auf den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 25.01.2002 durchgeführte medizinische Sachaufklärung hat ergeben, dass sich seine Funktionsstörungen seit 25.01.2002 wesentlich verschlimmert hatten und ab diesem Zeitpunkt mit einem GdB von 50 zu bewerten waren. Mit dem SG geht der Senat insbesondere aufgrund der schriftlichen Angaben von Dr. G. vom 28.01.2003 davon aus, dass neben den bereits bestehenden Funktionsstörungen Trigeminusneuralgie rechts und Migräne eine psychische Erkrankung hinzugekommen war, die eine Erhöhung des entsprechenden Teil-GdB von 20 auf 30 und somit einen GdB von insgesamt 50 rechtfertigte. Dr. G. gab seinerzeit an, aufgrund der Schmerzsymptomatik sei beim Kläger eine Wesensveränderung im Sinne einer reaktiven Depression eingetreten. Eine psychische Erkrankung wurde damit beim Kläger erstmals beschrieben. Dem hat der Beklagte nach Einholung einer entsprechenden versorgungsärztlichen Stellungnahme durch die Feststellung eines GdB von 50 seit 25.01.2002 mit Bescheid vom 06.03.2003 Rechnung getragen. Entsprechende Funktionsstörungen - dies folgt aus den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere der im Rechtsstreit S 3 SB 1543/99 angefallenen Unterlagen - bestanden zuvor und damit auch am 01.11.2000 noch nicht. Dass Dr. G. in seinem im Berufungsverfahren vorgelegten Attest vom 13.09.2007 eine bereits vor dem 01.11.2000 vorgelegene reaktive Depression bei chronischem Schmerzsyndrom und im Attest vom 02.01.2008 eine "MdE" von 50% für diesen Zeitpunkt angegeben hat, ändert hieran nichts. In seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 25.08.1999 gegenüber dem SG im Verfahren S 3 SB 1543/99, auf die sich Dr. G. in seinem Attest vom 02.01.2008 bezieht, ist zwar von einer starken Schmerzsymptomatik infolge des Zustandes nach Herpes Zoster im Bereich der rechten Gesichtshälfte die Rede, eine Depression oder gar eine Wesensveränderung wird dort aber (noch) nicht genannt, auch nicht in seiner erneuten sachverständigen Zeugenaussage vom 26.07.2000 in dem genannten Klageverfahren über die nach dem 25.08.1999 erhobenen Befunde bzw. behandelten Beschwerden. Vielmehr hat Dr. G. seinerzeit angegeben, objektivierbare Erkrankungen bzw. Auswirkungen auf die Lebensführung bzw. den Allgemeinzustand hätten nur die Schilddrüsenfunktionsstörung, die Refluxösophagitis und das rechtsseitige Carpaltunnelsyndrom. Die Postzoster-Neuritis sei als subjektiv einzustufen. Ein GdB von 50 - wie von ihm angenommen - ist mit diesen Beurteilungen aber nicht vereinbar, weshalb das Klageverfahren auch durch den Vergleich über einen GdB von 40 abgeschlossen wurde. Selbst in dem der Beklagten im Rahmen des am 25.01.2002 beantragten Neufeststellungsverfahrens vorgelegten Attest vom 29.10.2002 führte Dr. G. noch keine Depression oder Wesensveränderung des Klägers an, sondern attestierte die bislang bekannten und gewürdigten Erkrankungen. Hinzu kommt, dass Dr. S. in seinem vom SG seinerzeit eingeholten nervenärztlichen Gutachten vom 25.02.2000 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.06.2000 ebenfalls keine psychischen Störungen festgestellt hat. Danach bestanden keine Störung im Antriebsverhalten, kein Hinweis auf eine hirnorganisch bedingte psychische Störung und auch keine neurotischen Veränderungen. All dies belegt aus Sicht des Senats, dass es erst nach dem 01.11.2000 zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers, insbesondere im psychischen Bereich, gekommen ist. Erst diese Verschlechterung hat dazu geführt, dass ein GdB von 50 anzunehmen war. Damit korrespondiert auch der Umstand, dass der Kläger den Verschlimmerungsantrag am 25.01.2002, also über ein Jahr nach dem 01.11.2000, gestellt hat. Aus dem Gesundheitszustand des Klägers wie er sich zum Zeitpunkt der Verschlechterung dargestellt hat, lassen sich deshalb keine Rückschlüsse auf das Ausmaß der Funktionsstörungen vor diesem Zeitpunkt ziehen.

Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist nicht geboten. Die verfügbaren medizinischen Unterlagen für den streitigen Zeitraum lagen dem Senat vor. Klinische Befunde können für den fraglichen Zeitraum im Nachhinein nicht mehr erhoben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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