L 8 SB 3468/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 6310/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3468/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Der 1962 geborene Kläger stellte am 26.03.2007 einen Erstantrag nach § 69 SGB IX beim Landratsamt E. und fügte seinem Antrag verschiedene Arztunterlagen bei. Der Beklagte holte Arztunterlagen von Dr. V. und einen Befundbericht von Dr. B. - Facharzt für Neurochirurgie - ein. Sämtliche Arztunterlagen wurden mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.06.2007 ausgewertet. Danach wurde für "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Schulter-Arm-Syndrom" ein Einzel-GdB von 20 und für "Verlust des Dickdarms" ein Einzel-GdB von ebenfalls 20 angenommen. Der Gesamt-GdB wurde mit 30 beurteilt.

Mit Bescheid vom 21.06.2007 stellte der Beklagte den GdB mit 30 seit 26.03.2007 fest. Außerdem wurde bescheinigt, dass aufgrund der bestehenden Behinderung eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne von § 33b Abs. 2 Nr. 2b Einkommenssteuergesetz besteht.

Mit Schreiben vom 02.07.2007 erhob der Kläger Widerspruch und bat um Überprüfung.

Der Beklagte holte daraufhin erneut einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Arztes Dr. B. vom 28.09.2007 ein, der mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.10.2007 ausgewertet wurde. Danach ergab sich für den orthopädischen Bereich ein Einzel-GdB von 30, weshalb der Gesamt-GdB mit 40 eingeschätzt wurde.

Mit Teil-Abhilfe-Bescheid vom 24.10.2007 wurde der GdB mit 40 seit 26.03.2007 festgestellt.

Mit Erklärung vom 31.10.2007 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er sei mit dem Teil-Abhilfebescheid vom 24.10.2007 nicht einverstanden und bitte um Erlass eines Widerspruchsbescheides.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2007 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers am 07.12.2007 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) mit dem Antrag, den Gesamt-GdB mit wenigstens 50 festzustellen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 27.03.2008 erinnerte das SG den Bevollmächtigten des Klägers an die Übersendung der Klagebegründung und setzte hierfür eine Frist bis zum 30.04.2008. Mit gerichtlichem Schreiben vom 10.06.2008 teilte das SG dem Bevollmächtigten des Klägers mit, dass beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und dass er Gelegenheit erhalte, sich bis 04.07.2008 zu der beabsichtigten Verfahrensweise zu äußern.

Eine Klagebegründung ging von Seiten des Klägers bzw. seines Bevollmächtigten nicht ein.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.07.2008 wies das SG die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe des dem Bevollmächtigten des Klägers am 17.07.2008 zugestellten Gerichtsbescheides wird Bezug genommen.

Dagegen hat der Bevollmächtigte des Klägers am 22.07.2008 Berufung eingelegt.

Er beantragt, das Verfahren im Rahmen des § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an das SG zurückzuverweisen, hilfsweise beim Kläger einen GdB von wenigstens 50 seit 26.03.2007 festzustellen. Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, das SG hätte im vorliegenden Fall (auch ohne Klagebegründung) sehr wohl von Amts wegen Ermittlungen einleiten können, indem es bei den behandelnden Ärzten entsprechende Ermittlungen getätigt hätte. Gleichlautend dem neuen Normgeflecht einer Zurückverweisungsmöglichkeit an die Behörde, wenn diese nicht ermittelt habe, sollte das Landessozialgericht eine stärkere Sachorientierung anmahnen. Dies könne geschehen, indem die Angelegenheit zu weiteren Sachermittlungen in die erste Instanz zurückzuverweisen sei. Das Wirbelsäulensyndrom sei keinesfalls mit einem Teil-GdB von 20 korrekt bewertet. Die Darmproblematik sei mit einem Teil-GdB von 20 zu niedrig eingestuft.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 18.08.2008 wurde der Bevollmächtigte des Klägers gebeten, die Berufung bis zum 30.09.2008 schriftlich zu begründen. Mit Schreiben vom 30.09.2008 teilte der Bevollmächtigte des Klägers daraufhin dem Gericht mit, die Berufung sei mit berufseinlegendem Schriftsatz vom 22.07.2008 voll umfänglich begründet worden.

Am 24.11.2008 schrieb der Berichterstatter Dr. B. und Dr. V. an mit der Bitte, schriftlich eine sachverständige Auskunft zu erteilen. Dem trat der Bevollmächtigte des Klägers entgegen mit dem Hinweis, Dr. B. beantworte in der Regel nicht Befundberichtsanforderungen, weshalb er eher ohne weiteres Zuwarten zeugenschaftlich einzuvernehmen sei (Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 23.12.2008).

Mit Schreiben vom 21.01.2009 übersandte der Klägervertreter ein Schreiben des Landratsamts Emmendingen vom 01.10.2008, worin ausgeführt ist, der Bevollmächtigte des Klägers habe während des laufenden Gerichtsverfahrens in diesem und in einem anderen Fall Anträge auf Neufeststellung wegen wesentlicher Änderung im Sinne einer Verschlimmerung gestellt. Es werde darauf hingewiesen, dass in derartigen Fällen jeweils das Gericht informiert werde, damit das Gericht entscheide, ob das laufende Verfahren zur Antragsbearbeitung unterbrochen werde und die Akten zur weiteren Bearbeitung zugewiesen würden.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 27.01.2009 wies der Berichterstatter darauf hin, dass eine Abgabe der Schwerbehindertenakten zur Bearbeitung des Verschlimmerungsantrages nur erfolgen werde, wenn das vorliegende Berufungsverfahren, dessen Streitgegenstand eine Erstfeststellung sei, beendet sei. Damit erklärte sich der Bevollmächtigte des Klägers nicht einverstanden und teilte mit Schreiben vom 02.03.2009 mit, die Berufung werde nicht zurückgenommen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 26.03.2009 wurde der Bevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen, falls beabsichtigt sei, über den bisherigen Vortrag hinaus weitere Erklärungen zum Sachverhalt abzugeben, werde er unter Hinweis auf § 106a SGG gebeten, diese Erklärungen bis zum 30. April 2009 vorzutragen. Nach § 106a SGG könnten Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der oben gesetzten Frist vorgebracht würden, unter bestimmten Voraussetzungen zurückgewiesen werden.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat daraufhin lediglich erklärt, es bestehe Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Juli 2008 aufzuheben und das Verfahren im Rahmen des § 159 Abs.1 Nr.1 SGG an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen, hilfsweise den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.06.2007 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 24.10.2007 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2007 zu verurteilen, beim Kläger einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 seit 26. März 2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Er hat ebenfalls sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Der Hauptantrag des Klägers, die Rechtssache gemäß § 159 Abs.1 Nr.1 SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen, ist unbegründet.

Gemäß § 159 Abs.1 Nr.1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Das SG hat in der Sache entschieden, denn - wie sich dieses aus den Entscheidungsgründen auch ausdrücklich ergibt - hat es die Klage als zulässig beurteilt und nach Prüfung der Sachfragen als unbegründet abgewiesen.

Die Berufung des Klägers ist auch mit dem Hilfsantrag unbegründet, da das Sozialgericht Freiburg zu Recht mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 07.07.2008 die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen hat, indem es ausgeführt hat, Anhaltspunkte dafür, dass die Auswirkungen der beim Kläger vorliegenden Behinderungen auf seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mehr als 40 zu bewerten wären, seien vom Kläger weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Senat verweist deshalb nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid (§ 153 Abs. 2 SGG) mit der Maßgabe, dass seit 01.01.2009 an Stelle der AHP die inhaltsgleiche Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) anzuwenden ist.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat während des Verfahrens vor dem Sozialgericht keinerlei Angaben dazu gemacht, weshalb der angefochtene Bescheid unzutreffend sei und weshalb der Beklagte dazu zu verurteilen sei, einen Gesamt-GdB von wenigstens 50% anzuerkennen, wie er dies im Schriftsatz vom 07.12.2007, mit dem er die Klage erhoben hat, beantragt hat. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das SG bei dieser Sachlage nicht verpflichtet gewesen, Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen. Der Bevollmächtigte des Klägers ist vielmehr seiner Prozessförderungspflicht nicht gerecht geworden, indem er weder den Widerspruch noch die Klage begründet hat. Zwar hat das Gericht im Rahmen der Untersuchungsmaxime Ermittlungen anzustellen, diesbezüglich aber lediglich solche, die nach "Lage der Sache" erforderlich sind. Nachforschungen "ins Blaue hinein" sind nicht durch die Amtsermittlungspflicht geboten (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2003 -B 13 RJ 39/02 R, SozR 4-1300 § 31 Nr. 1; BSG Urteil vom 05.04. 2001, SozR 3-2600 § 43 Nr. 25; BSG, Urteil vom 07.05.1998 - B 11 AL 81/97 R, veröffentlicht in juris). Das bedeutet: Es hat nur, aber auch stets zu ermitteln, soweit Sachverhalt und Beteiligtenvortrag Nachforschungen nahelegen. Die Ermittlungspflicht der Richter wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten beschränkt (Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 2. Aufl., Abschnitt X Rdnr. 65). Auch unter Berücksichtigung der Untersuchungsmaxime durch das Gericht gemäß § 103 SGG ist eine Mitwirkungslast insbesondere des Klägers allgemein anerkannt. Auch das ausgesprochen klägerfreundliche Sozialgerichtsverfahren geht aber nicht so weit, dass das Gericht auf bloße Hinweise eines ansonsten bestenfalls passiven Rechtsuchenden umfangreiche Ermittlungen anzustellen hätte (vgl. Breitkreuz, Fichte SGG-Kommentar 2009 Rdnr. 1 zu § 106a SGG), wie dies hier beim Kläger und seinem Bevollmächtigten im Verfahren 1.Instanz der Fall gewesen ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist entgegen dem Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers nicht zu beanstanden, dass das SG die angefochtenen Bescheide aufgrund der Sachverhaltsermittlung des Beklagten rechtlich überprüft und keine eigenen Ermittlungen durchgeführt hat. Der Senat hat daher auch keine Veranlassung gesehen, die im Berufungsverfahren aufgenommene Beweisaufnahme fortzusetzen, denn der Kläger hat weder in seiner Berufungsbegründung noch in der nach richterlicher Aufforderung ergangenen ergänzenden Stellungnahme vom 02.03.2009 substantiiert Beschwerden oder sonstige Anhaltspunkte vorgetragen - es wird lediglich der durch Arztunterlagen belegte aktenkundige Sachverhalt wiederholt -, die Ermittlungsansätze auf medizinischem Gebiet ergeben. Er hat auch nicht auf Fortsetzung der Beweisaufnahme gedrungen, sondern hat sich vielmehr mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt, obgleich für ihn erkennbar der Senat mit der Terminsbestimmung vom 07.07.2009 die Rechtssache ohne weitere Beweisaufnahme für entscheidungsreif beurteilt hat. Grundsätzlich ist maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt der Verpflichtungsklage, wie vorliegend, der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren bzw. bei Urteilen ohne mündliche Verhandlung der Erlass der Entscheidung des Senats. Nach Erlass des angefochtenen Bescheids eingetretene Änderungen sind daher zu berücksichtigen, was aber die Ermöglichung der Kenntnisnahme durch das Gericht voraussetzt.

Die eigene Überprüfung durch den Senat ergibt nach diesen Maßstäben, dass die Feststellung der Behinderung des Klägers mit einem GdB von 40 durch den Beklagten rechtmäßig ist. Wie sich aus dem vom Beklagten eingeholten Befundbericht des den Kläger behandelnden Facharztes für Neurochirurgie Dr. B. vom 28.09.2007 ergibt, liegen beim Kläger chronisch rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt - der HWS - vor, die zu Recht mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden sind (vgl. VG Teil B 18.9). Hinzu kommen die Funktionsstörungen durch den Verlust des Dickdarms, die ohne erhebliche Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes (vgl. Befundberichte der Chirurgischen Universitätsklinik Freiburg vom 05.07.2005 und 11.01.2007) bei ansonsten unauffälligem proktologischem Befund (Befundbericht vom 11.01.2007 a.a.O.) als Teilresektion mit einem Teil-GdB von 20 zutreffend eingestuft sind (VG Teil B 10.2.2). Der Gesamt-GdB ist unter Berücksichtigung dieser Funktionseinschränkungen insgesamt für die beim Kläger vorliegende Behinderung nach Überzeugung des Senats zutreffend mit einem GdB von 40 bewertet worden.

Soweit aus dem Umstand, dass der Bevollmächtigte des Klägers im Berufungsverfahren beim Landratsamt Emmendingen einen Verschlimmerungsantrag für den Kläger gestellt hat und hierbei möglicherweise die für eine Verschlimmerung geltenden Tatsachen beim Landratsamt Emmendingen angegeben hat, kann dies im Berufungsverfahren nicht berücksichtigt werden, da der Bevollmächtigte des Klägers derartige Tatsachen, zur Begründung einer Verschlimmerung im Berufungsverfahren innerhalb der ihm gesetzten Frist nach § 106a SGG nicht genannt hat.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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