Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 SB 245/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4835/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. September 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1929 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt zuletzt mit Bescheid vom 06.08.1998 den Grad der Behinderung (GdB) mit 100 und das Merkzeichen "G" jeweils seit dem 03.03.1998 fest.
Am 24.07.2007 beantragte der Kläger, seine Behinderungen neu festzustellen und ihm das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen. Das Landratsamt B. -Versorgungsamt in Stuttgart - (VG) zog medizinische Berichte bei (Klinikum S.-B. vom 19.07.2007, Städtisches Krankenhaus S- vom 07.09.2006, 13.03.2006 und 10.02.2006, Universitätsklinikum T. vom 10.01.2006 und 02.01.2006) und ließ diese versorgungsärztlich auswerten. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. L. vom 11.08.2007 wurde davon ausgegangen, beim Kläger seien als Behinderungen zu berücksichtigen, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Wirbelsäulenverformung (Teil-GdB 50), Gebrauchseinschränkung beider Beine, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsstörung durch beidseitige Zehenverformung (Teil-GdB 40), Schwerhörigkeit (Teil-GdB 30), operierter Bauchwandbruch, Mastdarmvorfall, Stuhlinkontinenz (Teil-GdB 30), funktionelle Kreislaufstörungen (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und beider Ellenbogengelenke, Fingerpolyarthrose (Teil-GdB 10 und Diabetes mellitus (Teil-GdB 10), mit einem Gesamt-GdB von 100. Die Voraussetzungen für das Merkzeichens "aG" wurden verneint.
Mit Bescheid vom 20.08.2007 lehnte das Versorgungsamt den Antrag des Klägers auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" ab.
Hiergegen legte der Kläger am 05.09.2009 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung gelten, dass er an einer schweren Krankheit leide. Er sei mit gehbehinderten Menschen zu vergleichen. Er müsse immer in der Nähe einer Toilette sein. Er müsse mehr liegen als sitzen, um seine Schmerzen ertragen zu können. Sein Körpergewicht sei binnen kurzer Zeit stark gesunken. Er sei durch starke Schmerzen beeinträchtigt. Der Parkausweis Merkzeichen "aG" werde von anderen Behinderten missbräuchlich genutzt. Das VA holte den Befundschein des Dr. W. vom 27.09.2007 ein. Nach Auswertung (Versorgungsarzt S. vom 08.10.2007) wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 11.12.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass sich die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht begründen lasse.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.01.2008 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Er führte zur Begründung aus, in seinem Fall gehe es nur um die Zuerkennung des Parkausweises "aG". Er könne nicht hinnehmen, dass eine so schwere Krankheit nicht mit dem Personenkreis außergewöhnlich Gehbehinderter gleichgestellt werde. Die Ablehnung sei nicht nachvollziehbar. Die Ärzte der Beklagten wüssten nicht, was es heiße, wenn der Stuhlgang nicht gehalten werden könne. Er könne einfach nicht begreifen, dass der Beklagte ihn bei einer so schweren Krankheit nicht in die Gruppe der Schwerstbehinderten aufnehmen wolle. Er leide an Atemnot. Dazu kämen die Darmgeschichte, deren Verlauf er schilderte, Hüft-, Kniegelenk sowie Knöchelschmerzen. Er könne 40 bis 60 Meter kaum gehen. Der Kläger legte Atteste und Befundberichte von Dr. W. vom 20.12.2007 und 18.12.2007, Prof. Dr. K. vom 19.07.2007, 13.03.2006 und 10.02.2006 sowie Prof. Dr. B. vom 02.01.2006 und 10.01.2006 vor.
Das SG hörte behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Hausarzt Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 05.02.2008 unter Vorlage eines Befundberichtes den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit und führte zur Gehfähigkeit des Klägers aus, der Kläger sei vor allen Dingen durch massive Durchfälle schwer behindert. Der Kläger versichere glaubhaft, dass er mehr als 50 Meter nicht mehr gehen könne, ohne dass Inkontinenzprobleme aufträten. Der Kläger sei der außergewöhnlich gehbehinderten Personengruppe gleichzustellen. Er bejahte beim Kläger die Anforderungen für das Merkzeichen "aG". Der Internist und Gastroenterologe Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 06.02.2008 unter Vorlage von Befundberichten den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit. Die Behinderung des Klägers aufgrund einer veränderten Anatomie des Gasrointestinaltraktes sei dauerhaft. Die Gewährung bestimmter Vergünstigungen, wie z.B. das Parken auf Behindertenparkplätzen könne in dieser Situation eine gewisse Entlastung bedeuten. Die Gehfähigkeit des Klägers sei altersentsprechend eingeschränkt und werde durch einen Muskelabbau durch Mangelernährung verstärkt. Der Kläger sei nicht der außergewöhnlich gehbehinderten Personengruppe zuzuordnen oder ihr gleichzustellen. Die mögliche Gehstrecke des Klägers werde auf 400 bis 500 Meter geschätzt.
Der Kläger trug ergänzend vor. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wolf vom 03.03.2008 entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.09.2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger gehöre nicht zu dem nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften benannten Personenkreis außergewöhnlich gehbehinderter Menschen und könne diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden. Für eine Gleichstellung des Klägers mit Blinden bestehe keine Möglichkeit. Eine erweiterte Auslegung der verkehrsrechtlichen Vorschriften sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht möglich.
Gegen den dem Kläger am 17.09.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 10.10.2008 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung geltend gemacht, seine Behinderung sei unterbewertet worden. Zu der großen Darmgeschichte und dem nicht kontrollierbaren Stuhlabgang komme noch eine große Atemnot. Er sei auf den Parkausweis "aG" angewiesen. Es sei falsch, bei ihm die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu verneinen. Er könne zeitweise nur 10 bis 30 Meter gehen und das mit großen Schmerzen. Die Probleme der Knie-, Hüft- und Knöchelgelenke und die Atemnot seien zeitweise so schlimm, dass er beim Sprechen kaum Luft bekomme und kein Wort rausbekomme. Eine Ablehnung des Merkzeichens "aG" lasse er sich nicht bieten und gefallen.
Während des Berufungsverfahrens hat sich der Kläger mit einer Eingabe an das Ministerium für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg gewandt und um Überprüfung der Feststellung des Merkzeichens "aG" gebeten. Das VA hat daraufhin weitere medizinische Unterlagen beigezogen (Bericht Dr. L. vom 11.07.2006, Befundberichte Dr. H. vom 29.01.2009, Dr. R. vom 26.05.2009, Dr. B. vom 27.05.2009, Befundschein Dr. W. vom 07.05.2009) und den Kläger durch Dr. M.-T. begutachten lassen. Die Gutachterin ist in ihrem Gutachten vom 22.07.2009 - soweit vorliegend relevant - zu der Beurteilung gelangt, die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" lägen beim Kläger vor. Eine Gehbehinderung des Klägers für "aG" läge aufgrund der Untersuchungsergebnisse am 22.07.2009 definitiv nicht vor und sei auch nicht aus ungünstigem Zusammenwirken mehrer Behinderungen ableitbar.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. September 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" seit 24. Juli 2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffen.
Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie frist- und formgerecht (151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG". Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 20.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.12.2007 sowie der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sind nicht zu beanstanden.
Nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "B". Der Antrag des Klägers beim VA, seine Klage und Berufung haben ausschließlich das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" zum Gegenstand. Eine Einbeziehung des Merkzeichens "B" in das Berufungsverfahren im Wege der Klageerweiterung ist nicht sachdienlich und scheidet damit aus. Der Beklagte hat einer Einbeziehung auch nicht zugestimmt.
Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig, ausführlich und zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Das SG hat auch mit zutreffender Begründung einen Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" verneint. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zur selben Überzeugung. Er macht sich die Ausführungen des SG zur Begründung seiner eigenen Entscheidung vollumfänglich zu Eigen, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt auszuführen:
Der Beklagte hat einer Gehbehinderung des Klägers durch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ausreichend Rechnung getragen. Dass beim Kläger eine außergewöhnliche Gebehinderung vorliegt, die die Zuerkennung auch des Merkzeichens "aG" rechtfertigt, trifft auch zur Überzeugung des Senats nicht zu. Nach den Angaben des vom SG als sachverständigen Zeugen gehörten Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 06.02.2008 besteht beim Kläger lediglich eine durch Mangelernährung verstärkte - altersentsprechend - eingeschränkte Gehfähigkeit. Nach seinen Angaben ist der Kläger, der nicht zu dem in den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannten außergewöhnlich gehbehinderten Personenkreis gehört, diesem Personenkreis nicht gleichzustellen. Nach den Angaben der gehörten Ärzten, wie auch dem Vorbringen des Klägers, wirkt sich eine Motilitätsstörung des Darmes bei Inkontinenz, Analprolaps und Rektumprolaps - indirekt - beeinträchtigend auf seine Gehfähigkeit dahin gehend aus, dass nach einer kurzen Gehstrecke Inkontinenzprobleme auftreten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 09.03.1988 - 9/9a RVS 15/87 -, veröffentlicht in juris), der der Senat folgt, beeinträchtigt eine Stuhlinkontinenz, so beschwerlich sie für den Kläger auch ist, die Fortbewegungsfähigkeit als solche nicht und kann damit die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht rechtfertigen. Der Ansicht von Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage, der abstellend auf die Inkontinenzprobleme des Klägers, die Anforderungen für das Merkzeichen "aG" beim Kläger für erfüllt ansieht, kann daher nicht gefolgt werden.
Dass beim Kläger eine äußergewöhnliche Einschränkung seines Gehvermögens nicht besteht, wird im Übrigen auch durch das Gutachten von Dr. M.-T. vom 22.07.2009 bestätigt. Bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. M.-T. am 22.07.2009 war es dem Kläger möglich, unter Benutzung einer Gehhilfe und Konfektionsschuhen vom Erdgeschoß in den 3. Stock zu gelangen. Sein Gangbild war langsam und vorsichtig, aber insgesamt flüssig. Auch die bei der Begutachtung festgestellten und im Gutachten wiedergegebenen Befunde die Wirbelsäule und die unteren Extremitäten betreffend, zeigten beim Kläger keine Funktionsseinschränkungen, die die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "aG" rechtfertigen.
Dass der Kläger sonst wegen innerer Erkrankungen (Atemnot) - eine Herzinsuffizienz liegt ausweislich des kardiologischen Befundberichts von Dr. H. vom 29.1.2009 nicht vor - oder Schmerzen dem Personenkreis der außergewöhnlich gehbehinderten Menschen gleichzustellen ist, kann den vorliegenden Befundunterlagen wie auch den Angaben der vom SG gehörten Ärzte nicht entnommen werden. Der Kläger hat hierzu - anders als zur Darmerkrankung - im Übrigen auch nicht substanziiert vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1929 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt zuletzt mit Bescheid vom 06.08.1998 den Grad der Behinderung (GdB) mit 100 und das Merkzeichen "G" jeweils seit dem 03.03.1998 fest.
Am 24.07.2007 beantragte der Kläger, seine Behinderungen neu festzustellen und ihm das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen. Das Landratsamt B. -Versorgungsamt in Stuttgart - (VG) zog medizinische Berichte bei (Klinikum S.-B. vom 19.07.2007, Städtisches Krankenhaus S- vom 07.09.2006, 13.03.2006 und 10.02.2006, Universitätsklinikum T. vom 10.01.2006 und 02.01.2006) und ließ diese versorgungsärztlich auswerten. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. L. vom 11.08.2007 wurde davon ausgegangen, beim Kläger seien als Behinderungen zu berücksichtigen, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Wirbelsäulenverformung (Teil-GdB 50), Gebrauchseinschränkung beider Beine, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsstörung durch beidseitige Zehenverformung (Teil-GdB 40), Schwerhörigkeit (Teil-GdB 30), operierter Bauchwandbruch, Mastdarmvorfall, Stuhlinkontinenz (Teil-GdB 30), funktionelle Kreislaufstörungen (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und beider Ellenbogengelenke, Fingerpolyarthrose (Teil-GdB 10 und Diabetes mellitus (Teil-GdB 10), mit einem Gesamt-GdB von 100. Die Voraussetzungen für das Merkzeichens "aG" wurden verneint.
Mit Bescheid vom 20.08.2007 lehnte das Versorgungsamt den Antrag des Klägers auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" ab.
Hiergegen legte der Kläger am 05.09.2009 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung gelten, dass er an einer schweren Krankheit leide. Er sei mit gehbehinderten Menschen zu vergleichen. Er müsse immer in der Nähe einer Toilette sein. Er müsse mehr liegen als sitzen, um seine Schmerzen ertragen zu können. Sein Körpergewicht sei binnen kurzer Zeit stark gesunken. Er sei durch starke Schmerzen beeinträchtigt. Der Parkausweis Merkzeichen "aG" werde von anderen Behinderten missbräuchlich genutzt. Das VA holte den Befundschein des Dr. W. vom 27.09.2007 ein. Nach Auswertung (Versorgungsarzt S. vom 08.10.2007) wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 11.12.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass sich die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht begründen lasse.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.01.2008 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Er führte zur Begründung aus, in seinem Fall gehe es nur um die Zuerkennung des Parkausweises "aG". Er könne nicht hinnehmen, dass eine so schwere Krankheit nicht mit dem Personenkreis außergewöhnlich Gehbehinderter gleichgestellt werde. Die Ablehnung sei nicht nachvollziehbar. Die Ärzte der Beklagten wüssten nicht, was es heiße, wenn der Stuhlgang nicht gehalten werden könne. Er könne einfach nicht begreifen, dass der Beklagte ihn bei einer so schweren Krankheit nicht in die Gruppe der Schwerstbehinderten aufnehmen wolle. Er leide an Atemnot. Dazu kämen die Darmgeschichte, deren Verlauf er schilderte, Hüft-, Kniegelenk sowie Knöchelschmerzen. Er könne 40 bis 60 Meter kaum gehen. Der Kläger legte Atteste und Befundberichte von Dr. W. vom 20.12.2007 und 18.12.2007, Prof. Dr. K. vom 19.07.2007, 13.03.2006 und 10.02.2006 sowie Prof. Dr. B. vom 02.01.2006 und 10.01.2006 vor.
Das SG hörte behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Hausarzt Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 05.02.2008 unter Vorlage eines Befundberichtes den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit und führte zur Gehfähigkeit des Klägers aus, der Kläger sei vor allen Dingen durch massive Durchfälle schwer behindert. Der Kläger versichere glaubhaft, dass er mehr als 50 Meter nicht mehr gehen könne, ohne dass Inkontinenzprobleme aufträten. Der Kläger sei der außergewöhnlich gehbehinderten Personengruppe gleichzustellen. Er bejahte beim Kläger die Anforderungen für das Merkzeichen "aG". Der Internist und Gastroenterologe Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 06.02.2008 unter Vorlage von Befundberichten den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit. Die Behinderung des Klägers aufgrund einer veränderten Anatomie des Gasrointestinaltraktes sei dauerhaft. Die Gewährung bestimmter Vergünstigungen, wie z.B. das Parken auf Behindertenparkplätzen könne in dieser Situation eine gewisse Entlastung bedeuten. Die Gehfähigkeit des Klägers sei altersentsprechend eingeschränkt und werde durch einen Muskelabbau durch Mangelernährung verstärkt. Der Kläger sei nicht der außergewöhnlich gehbehinderten Personengruppe zuzuordnen oder ihr gleichzustellen. Die mögliche Gehstrecke des Klägers werde auf 400 bis 500 Meter geschätzt.
Der Kläger trug ergänzend vor. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wolf vom 03.03.2008 entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.09.2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger gehöre nicht zu dem nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften benannten Personenkreis außergewöhnlich gehbehinderter Menschen und könne diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden. Für eine Gleichstellung des Klägers mit Blinden bestehe keine Möglichkeit. Eine erweiterte Auslegung der verkehrsrechtlichen Vorschriften sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht möglich.
Gegen den dem Kläger am 17.09.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 10.10.2008 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung geltend gemacht, seine Behinderung sei unterbewertet worden. Zu der großen Darmgeschichte und dem nicht kontrollierbaren Stuhlabgang komme noch eine große Atemnot. Er sei auf den Parkausweis "aG" angewiesen. Es sei falsch, bei ihm die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu verneinen. Er könne zeitweise nur 10 bis 30 Meter gehen und das mit großen Schmerzen. Die Probleme der Knie-, Hüft- und Knöchelgelenke und die Atemnot seien zeitweise so schlimm, dass er beim Sprechen kaum Luft bekomme und kein Wort rausbekomme. Eine Ablehnung des Merkzeichens "aG" lasse er sich nicht bieten und gefallen.
Während des Berufungsverfahrens hat sich der Kläger mit einer Eingabe an das Ministerium für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg gewandt und um Überprüfung der Feststellung des Merkzeichens "aG" gebeten. Das VA hat daraufhin weitere medizinische Unterlagen beigezogen (Bericht Dr. L. vom 11.07.2006, Befundberichte Dr. H. vom 29.01.2009, Dr. R. vom 26.05.2009, Dr. B. vom 27.05.2009, Befundschein Dr. W. vom 07.05.2009) und den Kläger durch Dr. M.-T. begutachten lassen. Die Gutachterin ist in ihrem Gutachten vom 22.07.2009 - soweit vorliegend relevant - zu der Beurteilung gelangt, die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" lägen beim Kläger vor. Eine Gehbehinderung des Klägers für "aG" läge aufgrund der Untersuchungsergebnisse am 22.07.2009 definitiv nicht vor und sei auch nicht aus ungünstigem Zusammenwirken mehrer Behinderungen ableitbar.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. September 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" seit 24. Juli 2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffen.
Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie frist- und formgerecht (151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG". Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 20.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.12.2007 sowie der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sind nicht zu beanstanden.
Nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "B". Der Antrag des Klägers beim VA, seine Klage und Berufung haben ausschließlich das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" zum Gegenstand. Eine Einbeziehung des Merkzeichens "B" in das Berufungsverfahren im Wege der Klageerweiterung ist nicht sachdienlich und scheidet damit aus. Der Beklagte hat einer Einbeziehung auch nicht zugestimmt.
Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig, ausführlich und zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Das SG hat auch mit zutreffender Begründung einen Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" verneint. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zur selben Überzeugung. Er macht sich die Ausführungen des SG zur Begründung seiner eigenen Entscheidung vollumfänglich zu Eigen, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt auszuführen:
Der Beklagte hat einer Gehbehinderung des Klägers durch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ausreichend Rechnung getragen. Dass beim Kläger eine außergewöhnliche Gebehinderung vorliegt, die die Zuerkennung auch des Merkzeichens "aG" rechtfertigt, trifft auch zur Überzeugung des Senats nicht zu. Nach den Angaben des vom SG als sachverständigen Zeugen gehörten Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 06.02.2008 besteht beim Kläger lediglich eine durch Mangelernährung verstärkte - altersentsprechend - eingeschränkte Gehfähigkeit. Nach seinen Angaben ist der Kläger, der nicht zu dem in den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannten außergewöhnlich gehbehinderten Personenkreis gehört, diesem Personenkreis nicht gleichzustellen. Nach den Angaben der gehörten Ärzten, wie auch dem Vorbringen des Klägers, wirkt sich eine Motilitätsstörung des Darmes bei Inkontinenz, Analprolaps und Rektumprolaps - indirekt - beeinträchtigend auf seine Gehfähigkeit dahin gehend aus, dass nach einer kurzen Gehstrecke Inkontinenzprobleme auftreten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 09.03.1988 - 9/9a RVS 15/87 -, veröffentlicht in juris), der der Senat folgt, beeinträchtigt eine Stuhlinkontinenz, so beschwerlich sie für den Kläger auch ist, die Fortbewegungsfähigkeit als solche nicht und kann damit die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht rechtfertigen. Der Ansicht von Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage, der abstellend auf die Inkontinenzprobleme des Klägers, die Anforderungen für das Merkzeichen "aG" beim Kläger für erfüllt ansieht, kann daher nicht gefolgt werden.
Dass beim Kläger eine äußergewöhnliche Einschränkung seines Gehvermögens nicht besteht, wird im Übrigen auch durch das Gutachten von Dr. M.-T. vom 22.07.2009 bestätigt. Bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. M.-T. am 22.07.2009 war es dem Kläger möglich, unter Benutzung einer Gehhilfe und Konfektionsschuhen vom Erdgeschoß in den 3. Stock zu gelangen. Sein Gangbild war langsam und vorsichtig, aber insgesamt flüssig. Auch die bei der Begutachtung festgestellten und im Gutachten wiedergegebenen Befunde die Wirbelsäule und die unteren Extremitäten betreffend, zeigten beim Kläger keine Funktionsseinschränkungen, die die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "aG" rechtfertigen.
Dass der Kläger sonst wegen innerer Erkrankungen (Atemnot) - eine Herzinsuffizienz liegt ausweislich des kardiologischen Befundberichts von Dr. H. vom 29.1.2009 nicht vor - oder Schmerzen dem Personenkreis der außergewöhnlich gehbehinderten Menschen gleichzustellen ist, kann den vorliegenden Befundunterlagen wie auch den Angaben der vom SG gehörten Ärzte nicht entnommen werden. Der Kläger hat hierzu - anders als zur Darmerkrankung - im Übrigen auch nicht substanziiert vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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