S 104 AS 570/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
104
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 570/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Leistung zur Eingliederung in Arbeit durch Übernahme der Kosten für eine berufliche Weiterbildung zur Krankengymnastin/Physiotherapeutin streitig.

Die am ...1961 geborene Klägerin absolvierte in ihrem Heimatland Kasachstan eine Ausbildung zur Ökonomin und war anschließend viele Jahre als Steuerinspektorin tätig. Nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland durchlief sie in der Zeit von 1999 bis 2001 eine Umschulung zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel. Anschließend war sie, abgesehen von einer Tätigkeit als Maschinenbedienerin und Produktionshelferin bei der K & K I und P GmbH, nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigt (Kündigung der Klägerin zum 28. Februar 2005).

Seit Januar 2005 gewährte die Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann, Herrn V B, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Im November 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Ausbildung zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin bei der "H R Schule für Krankengymnastik/Physiotherapie GmbH" (R). Nach Durchführung eines Beratungsgesprächs bei der Beklagten lehnte diese den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 11. November 2005 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, Arbeitslosigkeit bzw. drohende Arbeitslosigkeit allein begründeten nicht die Notwendigkeit der Weiterbildung. Das angestrebte Bildungsziel müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit eine berufliche Eingliederung erwarten lassen. Dabei müssten Anhaltspunkte für einen nennenswerten Bedarf entsprechend qualifizierter Arbeitnehmer nach Abschluss der Weiterbildung vorliegen. Für die von der Klägerin angestrebte spätere berufliche Tätigkeit werde eine bedeutende Arbeitskräfte-nachfrage nach erfolgreichem Abschluss der angestrebten Weiterbildung nicht prognostiziert. So stünden aktuell in Berlin 786 arbeitslosen Physiotherapeuten lediglich 29 offene Stellen gegenüber. Unter Berücksichtigung der Qualifikation der Klägerin, insbesondere ihrer Schul- und Berufsausbildung und ihres bisherigen beruflichen Werdeganges, sei die angestrebte Weiterbildung nicht notwendig. Sie habe in der Zeit von 1999 bis 2001 eine Umschulung zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel erfolgreich abgeschlossen. Damit verfüge sie über fachlich verwertbare Kenntnisse, mit denen sie sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewerben könne. Eine berufliche Neuorientierung im Rahmen einer Umschulung sei darum nicht notwendig. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei seit März 2005 arbeitslos und habe keine Chancen, eine Arbeitsstelle in ihrem Beruf als Groß- und Außenhandelskauffrau zu finden. Ihre Umschulung liege inzwischen mehr als vier Jahre zurück. Trotz zahlreicher Versuche sei es ihr nicht gelungen, eine Arbeitsstelle in diesem Beruf zu finden. Inzwischen besitze sie die damals erworbenen Kenntnisse nicht mehr. Falls sie nach einem erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung zur Physiotherapeutin keine Arbeit finden würde, würde sie eine eigene Praxis eröffnen und somit von ihren eigenen Leistungen leben. Der Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2005 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 17. Januar 2006 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens führt die Klägerin ergänzend aus, sie habe nach der Umschulung zur Groß- und Außenhandelskauffrau die IHK-Prüfung nicht bestanden und lediglich ein Zertifikat erhalten. Mit diesem Zertifikat werde sie niemals eine Arbeitsstelle als Kauffrau finden, zumal sie die englische Sprache praktisch nicht beherrsche. Eine Auffrischung der Kenntnisse sei ihr von der Beklagten tatsächlich angeboten worden, aber auch nach einer solchen Auffrischung würde sie die deutsche und englische Sprache nie so beherrschen, wie es dieser Beruf verlange. Sie sei sich sicher, dass sie nach einer absolvierten Weiterbildung als staatlich anerkannte Physiotherapeutin gute Chancen habe, eine Arbeitsstelle zu finden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Dezember 2005 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Leistung zur Eingliederung in Arbeit durch Übernahme der Kosten für eine berufliche Weiterbildung zur Krankengymnastin/Physiotherapeutin bei der "H R Schule für Krankengymnastik - Physiotherapie GmbH" zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Wegen der Einzelheiten des gegenseitigen Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Kammer hat die die Klägerin betreffende Leistungsakte der Beklagten beigezogen. Die Leistungsakte und die Gerichtsakte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Dezember 2005 ist rechtmäßig, denn die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Gewährung einer Leistung zur Eingliederung in Arbeit durch Übernahme der Kosten für eine berufliche Weiterbildung zur Krankengymnastin bzw. Physiotherapeutin bei der R ... Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II können als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit unter anderem allen im VI. Abschnitt des IV. Kapitels des Sozialgesetzbuchs - Arbeitsförderung - (SGB III) geregelten Leistungen erbracht werden. Insbesondere können nach § 77 Abs. 1 SGB III Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn

1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist,

2. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und

3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.

Ergänzend bestimmt § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II, dass Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden können, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit für die Eingliederung erforderlich sind. Auch bei diesen in § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II genannten tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit handelt es sich um gerichtlich voll überprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe (vgl. Münder, Sozialgesetzbuch II, § 3, Rdnr. 5).

Die Beklagte hat zur Einschätzung der Kammer im Fall der Klägerin aber zu Recht entschieden, dass die von ihr begehrte Maßnahme nicht erforderlich ist, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beseitigen, zu verkürzen oder zu vermindern. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass die Klägerin auch nach erfolgreichem Abschluss einer Weiterbildung zur Physiotherapeutin in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann (vgl. den Grundsatz des Forderns gemäß § 2 SGB II). So hat die Beklagte schlüssig dargelegt, dass die Vermittlungschancen für ausgebildete Physiotherapeuten ungünstig sind; so stehen im Land Berlin derzeit 786 arbeitslosen Physiotherapeuten lediglich 29 offene Stellen gegenüber. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Klägerin nach Durchlaufen der dreijährigen Ausbildung zur Physiotherapeutin ein Alter von mindestens 48 Jahren aufweisen würde. Die Chancen auf eine erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsmarkt würden neben der objektiv ungünstigen Vermittlungssituation also noch durch in der Person der Klägerin liegende individuelle Umstände verschärft. Soweit die Klägerin hierzu ausführte, sie könne sich als Krankengymnastin auch selbständig machen, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn das Erfordernis der Finanzierung der Einrichtung einer eigenen Praxis lässt es in Anbetracht des ausgewiesenen erheblichen Konkurrenzdrucks in dem Arbeitsfeld der Physiotherapie wahrscheinlich erscheinen, dass die Hilfebedürftigkeit der Klägerin nicht beseitigt sondern eher noch vertieft würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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