L 25 AS 1338/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 172 AS 20667/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 AS 1338/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juli 2009 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bei der Berliner Gaswerke AG (GASAG) bestehende Schulden der Antragstellerin in Höhe von 1.210,92 EUR vorläufig zu übernehmen und diesen Betrag unter Angabe der Vertragskontonummer direkt an die Gzu zahlen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin deren außergerichtliche Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens für beide Instanzen zu erstatten.

Gründe:

Gemäß § 155 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war über die vorliegende Beschwerde durch den Berichterstatter zu entscheiden.

Die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie bei sachgerechter Auslegung ihr Begehren weiterverfolgt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die aktuell bei der GASAG offene Forderung vorläufig zu übernehmen, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht abgelehnt. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO –).

Unter Beachtung des sich aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots effektiven Rechtsschutzes erweist sich die Sache zunächst hinsichtlich der zuerkannten Leistungen als eilbedürftig. Denn der Antragstellerin ist es nicht zuzumuten, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Sie ist nach Lage der Akten nicht dazu in der Lage, die zuerkannten Leistungen selbst zu finanzieren oder sich auf sonstige Weise selbst zu helfen, benötigt diese Leistungen jedoch, weil sie zum Kochen, für die Warmwasserversorgung und zum Beheizen der Wohnung auf die die Lieferung von Gas angewiesen ist und ihr nach der telefonischen Auskunft der GASAG vom heutigen Tag die Sperrung der Gaszufuhr unmittelbar droht. Demnach sind die Verbindlichkeiten der Antragstellerin mittlerweile auf 1.210,92 EUR angelaufen und hat die GASAG eine sogenannte Zutrittsklage erhoben war, nachdem ein Sperrversuch erfolglos geblieben war. Die Versorgung mit Energie zum Kochen, für die Warmwasserversorgung und zum Beheizen der Wohnung gehört zu den existentiell notwendigen Bedürfnissen der Grundsicherung. Er fällt täglich neu an mit der Folge, dass – wird er nicht zeitnah gedeckt – dem Hilfebedürftigen wesentliche Nachteile im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG entstehen, die durch die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr vollständig beseitigt werden können.

Hiervon ausgehend ist hier der Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung geboten, die sich hier im Lichte von Art. 19 Abs. 4 GG zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes als notwendig erweist. Denn dem Senat ist eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, weil die Entscheidung, ob die Antragstellerin die begehrte Leistung nach § 22 Abs. 1 SGB II und/oder § 22 Abs. 5 SGB II beanspruchen kann, von weiteren Ermittlungen abhängt, die den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sprengen würden. So dürfte zunächst zu klären sein, ob und ggf. mit welchem Erfolg die Antragstellerin vor ihrem Umzug in ihre jetzige Wohnung versucht hat, ihren früheren Vermieter auf Beseitigung der von ihr geltend gemachten Wohnungsmängel in Anspruch zu nehmen, und ob und ggf. in welcher Weise sie von ihrem seinerzeit im selben Haus wohnenden ehemaligen Lebensgefährten bedroht worden ist, weil hiervon die Entscheidung abhängen dürfte, ob der Umzug in die jetzige Wohnung erforderlich gewesen ist. Für den Fall, dass der Umzug nicht erforderlich gewesen sein sollte, dürfte des Weiteren zu klären sein, ob die Kosten der Unterkunft und Heizung für die jetzige Wohnung zutreffend auf 334,00 EUR begrenzt worden sind. Dieser Betrag ist der Antragstellerin zwar für die von ihr bis zum 30. April 2008 bewohnte Wohnung gewährt worden. Er beinhaltet jedoch keine Heizkosten, weil die Antragstellerin derartige Kosten seinerzeit nicht nachgewiesen hatte, sie derartige Kosten aber – jedenfalls im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens – eventuell noch nachweisen könnte.

Die erforderliche Folgenabwägung fällt hier mit Blick auf die nach Lage der Akten unmittelbar bevorstehende Gassperrung im Ergebnis zugunsten der Antragstellerin aus. Die Antragstellerin kann insoweit zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht darauf verwiesen werden, sich eine andere kostengünstigere Unterkunft zu suchen. Zwar dürfte die von der Antragstellerin zu zahlende und nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R -, Terminbericht Nr. 40/09 Nr. 1) maßgebliche Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 347 EUR, die sich aus der Nettokaltmiete in Höhe von 282 EUR und kalten Betriebskosten in Höhe von 65 EUR zusammensetzt, nicht angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sein. Denn bei Anwendung des durchschnittlichen Mittelwertes nach dem Berliner Mietspiegel 2009 für 40 bis 60 qm große Wohnungen in einfachen Wohnlagen in Höhe von 4,662/qm ergibt sich bei einer angemessenen Wohnfläche von bis zu 50 qm eine angemessene Nettokaltmiete von höchstens 233,10 EUR. Die Bruttokaltmiete dürfte vorliegend demnach höchstens 298,10 EUR betragen. Entscheidend ist jedoch darauf abzustellen, dass die Antragstellerin zu hohe Energiekosten hat, wobei nicht aufgeklärt ist, worauf der hohe Gasverbrauch zurückzuführen ist bzw. auf welche Nutzungen (Kochen, Heizung, Warmwasser) er insbesondere beruht. Jedenfalls erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Antragstellerin künftig in der Lage sein könnte, ihre zurzeit sehr hohen Energiekosten abzusenken und den Fehlbetrag zur Deckung der Kosten der Unterkunft aus der Regelleistung zu bestreiten. Demgegenüber greifen die von dem Antragsgegner mit Schriftsatz vom 27. August 2009 vorgebrachten Einwendungen nicht durch.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved