L 4 P 1548/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 P 1811/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1548/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05. März 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Pflegegeld.

Der am 1946 geborene Kläger ist bei der Beklagten Mitglied der sozialen Pflegeversicherung. Er leidet an einem chronischen Lumbalsyndrom nach mehreren Wirbelsäulenoperationen in den Jahren 1999, 2002, 2003, 2006 und 2007 sowie an einem Zustand nach Schlaganfall im Jahre 2000. Es sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit 06. Juni 2002 sowie die Merkzeichen G und B festgestellt.

Am 14. Mai 2003 beantragte er Geldleistungen der Pflegeversicherung. Er gab an, er benötige Hilfe bei der Körperpflege und der Bewegung sowie im Haushalt und beim An- und Auskleiden. Er sei schwerbehindert mit einem GdB von 60. Die Pflege erbringe eine private Pflegeperson. Die Beklagte holte bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), Pflegefachkraft G.-K., das Gutachten vom 06. Juni 2003 ein. Dieses ergab, dass sich der Kläger in der Wohnung noch selbstständig fortbewegen könne, wobei er sich teilweise festhalten müsse. Hilfe in Form der Teilübernahme benötige er beim Duschen (Waschen von Rücken und Füßen, zweimal wöchentlich, Zeitaufwand vier Minuten täglich) beim Ankleiden des Ober-/Unterkörpers und Entkleiden (Strümpfe, Schuhe, Hose, jeweils einmal täglich, Zeitaufwand drei und zwei Minuten täglich) sowie beim Transfer in die Badewanne (zweimal wöchentlich, Zeitaufwand eine Minute täglich). Insgesamt betrage der Grundpflegebedarf zehn Minuten pro Tag. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 12. Juni 2003 ab. Der Kläger erhob Widerspruch. Er legte das Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 21. Juli 2003 vor, wonach er die Schuhschnüre nicht binden könne, sich beim Gehen an der Wand festhalten müsse sowie eine Begleitperson und eine Parkerleichterung benötige, weil er bei starkem Schmerzensdruck auf die Hilfe von Ärzten angewiesen sei. In dem Auskunftsbogen vom 02./15. Juli 2003 teilte der Kläger mit, er suche einmal wöchentlich mit 60 Minuten den Arzt auf, auch benötige er zweimal täglich Teilhilfe beim Waschen und beim An- und Auskleiden, viermal wöchentlich beim Duschen, einmal wöchentlich beim Baden sowie ca. einmal in der Woche nächtlicher Hilfe. Frau K., Sozialer Dienst der Beklagten, gab in dem von ihr ausgefüllten Auskunftsbogen vom 10. Dezember 2003 ergänzend an, der Kläger benötige zweimal täglich Hilfe beim Säubern nach dem Stuhlgang. Die Beklagte erhob beim MDK das nach Aktenlage erstellte Gutachten von Dr. Traber vom 10. September 2003. Die Notwendigkeit eines teilübernehmenden Hilfebedarfs von einmal täglich bei der Körperwäsche oder beim Duschen sowie die Hilfe beim An- und Auskleiden sei nachvollziehbar. Der Hilfebedarf im Rahmen einer Pflegestufe werde nicht erreicht. Die regelmäßige Notwendigkeit eines mindestens einmal wöchentlichen Praxisbesuchs sei nicht ableitbar. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies daraufhin unter Bezugnahme auf die Feststellungen des MDK den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 08. März 2004).

Der Kläger erhob am 19. März 2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Er trug vor, er müsse wegen starker Schmerzen täglich Morphium nehmen, was Verwirrtheit, Gleichgewichtsstörungen und weitere erhebliche Störungen verursache. Auch müsse er wegen seiner Leiden ständig ein Korsett tragen und dürfe nach ärztlicher Verordnung nur zwei bis drei Minuten stehen oder sitzen und lediglich ein Gewicht von 2,5 kg tragen oder heben. Bei täglichen Verrichtungen wie dem Aufstehen, dem Waschen, Baden, Duschen, dem Einkaufen und Zubereiten des Essens sei er auf fremde Hilfe angewiesen. Der Kläger nannte den seiner Auffassung nach notwendigen Zeitaufwand für die einzelnen Tätigkeiten und beantragte vor dem SG, die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide zu Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe II, hilfsweise nach Pflegestufe I, ab dem 14. Mai 2003 zu verurteilen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG holte zunächst von Amts wegen das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 05. Oktober 2004 ein. Dieser stellte nach einem Hausbesuch fest, der Kläger leide an einem chronischen Schmerzsyndrom bei lumbalem Bandscheibenschaden nach mehrfachen Operationen, einem Zustand nach apoplektischem Insult (Schlaganfall) mit geringer Restparese rechtsseitig, arterieller Hypertonie, Adipositas und einer depressiven Verstimmung. Bis Juli 2004 habe er zweimal wöchentlich den Krankengymnasten aufgesucht. Ärzte suche er drei- bis viermal pro Monat auf. Das vorhandene Korsett trage der Kläger nicht. Der Gutachter stellte ferner fest, dass das rechte Bein im Sitzen nicht komplett gestreckt oder angehoben werden könne, freies Stehen möglich sei, der Gang mit dem Gehstock etwas gebückt und hinkend sei, sich der Kläger allein hinsetzen, jedoch aus dem Sessel nicht allein aufstehen könne. Beim Aufstehen aus dem Bett behelfe er sich, indem er sich seitlich herausrolle. Der Hilfebedarf betrage bei der Körperpflege insgesamt 22 Minuten täglich und bei der Mobilität elf Minuten täglich, insgesamt 33 Minuten täglich. Der Kläger könne sich die Mahlzeiten noch selbst mundgerecht zubereiten und sie aufnehmen. In der Vergangenheit hätten andere Bedarfe bestanden. Wegen der damals noch durchgeführten Krankengymnastik habe der Grundpflegebedarf von Mai bis August 2003 36 Minuten und im Anschluss an die letzte Wirbelsäulenoperation des Klägers von September 2003 bis Juli 2004 44 Minuten täglich betragen. Seit der Operation am 01. September 2003 werde Hilfe bei der Reinigung und dem Richtern der Kleidung nach dem Stuhlgang benötigt. Auch könne der Kläger sich nicht mehr alleine an- und entkleiden. Nach Einwendungen des Klägers und der Vorlage weiterer ärztlicher Befundberichte durch den Kläger blieb Dr. S. in den ergänzenden Stellungnahmen vom 24. Januar und 05. Dezember 2005 bei seiner Auffassung.

Nachdem der Kläger eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustands behauptet hatte, vernahm das SG schriftlich seinen behandelnde Arzt, Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K., als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte unter dem 13. November 2006 u.a. mit, er habe dem Kläger ab September 2006 wiederum Krankengymnastik mit Hausbesuchen verordnet, er habe mehrere Hausbesuche bei dem Kläger durchgeführt, dieser sei am 16. Oktober 2006 erstmals allein in der Praxis gewesen und habe hierbei allein mit dem Gehwagen laufen und zur Straßenbahn gehen können. Im Vordergrund stünden die Beschwerden von Seiten der Wirbelsäulenoperationen. Er (Dr. K.) habe ein Antihypertonikum abgesetzt, weil es Schwindel verursacht habe. Der Kläger leide auch an einem Diabetes mellitus, die Blutzuckerwerte hätten jedoch bislang im Normbereich gelegen. Neben den Wirbelsäulenbeschwerden leide der Kläger auch an einer Gastroduodenitis. Er habe dem Kläger attestiert, dass er nicht mehr selbstständig putzen, kochen, einkaufen, spülen. waschen, staubsaugen, abstauben und bügeln könne. Die Mobilität sei eingeschränkt, Wege mit Rollator zur Straßenbahn seien jedoch möglich. Auf Hilfe sei der Kläger auch beim Einsteigen in die Dusche bzw. in die Badewanne angewiesen.

Das SG erhob daraufhin von Amts wegen ein weiteres Gutachten über den Kläger bei Dr. M.-B ... Diese Sachverständige stellte unter dem 15. Januar 2007 fest, der Kläger benötige dreimal wöchentlich 15 Minuten Hilfe bei der Ganzkörper- und Teilwäsche, viermal wöchentlich 15 Minuten beim Duschen bzw. Baden, vier Minuten täglich bei der Intimpflege nach Stuhlentleerung und dem Richten der Bekleidung, zweimal täglich eine Minute beim Aufstehen und Zubettgehen nachts, zehn Minuten täglich beim An- und Auskleiden einschließlich des Anlegens des Korsetts sowie insgesamt zwei Minuten täglich beim Stehen, nämlich beim Ein- und Aussteigen in die Badewanne und beim Aufstehen vom Sofa. Es ergebe sich insgesamt ein Grundpflegebedarf von 32 Minuten. Der Kläger bewege sich in seiner Wohnung selbstständig. Die Nahrung könne er selbst mundgerecht zubereiten und aufnehmen. Die Krankengymnastik werde in der Wohnung durchgeführt.

Der Kläger trat den Gutachten unter Vorlage einer selbst verfassten Aufstellung über die Pflegeleistungen seiner Pflegekraft entgegen.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05. März 2008 ab. Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung beständen nicht. Der Kläger sei nicht mindestens erheblich pflegebedürftig. Sein Grundpflegebedarf betrage nicht mehr als 45 Minuten täglich. Dies ergebe sich aus dem von Amts wegen eingeholten Gutachten von Dr. M.-B ... Diese habe schlüssig und nachvollziehbar einen Grundpflegebedarf von 32 Minuten täglich ermittelt. Eingedenk der gesundheitlichen Situation des Klägers sei es nachvollziehbar, dass er bei den Verrichtungen, bei denen der Bewegungs- und Halteapparat nicht belastet werde, keiner Hilfe bedürfe. Dies gelte insbesondere bei der Ernährung und beim Kämmen, Rasieren und Zähneputzen. Soweit nach der vorgelegten Aufstellung ein täglich Hilfebedarfs von insgesamt 419 Minuten bestehe, rechne ein Aufwand im Umfang von 350 Minuten bereits nicht zum Bereich der Grundpflege, sondern zur hauswirtschaftlichen Versorgung.

Der Kläger hat am 01. April 2008 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er trägt vor, er leide an einem Zustand nach Laminektomie (operative Entfernung eines Teils eines Wirbelbogens), einem Wirbelsäulensyndrom, Hypertonie, Muskelatrophie, einem Zustand nach Schlaganfall, Sensibilitätsstörungen beider Beine, Coxarthrose beidseits, Depressionen und stärkeren Schmerzen. Er brauche bei täglichen Verrichtungen wie Aufstehen, Waschen, Duschen, Baden, Ankleiden, bei jeder Gehbewegung, beim Auskleiden, beim Einkaufen und Zubereiten des Essens und bei den Toilettengängen fremde Hilfe. Der Kläger hat eine Liste mit Besuchen bei Arztpraxen und stationären Aufenthalten in Kliniken in der Zeit vom 17. Januar 2007 bis 05. August 2008 und den erforderlichen Wegezeiten sowie hierzu Bescheinigungen der aufgesuchten Ärzte und Physiotherapeuten vorgelegt. Er trägt hierzu vor, seine Pflegeperson habe ihn in diesen Fällen begleitet und während der Behandlungen in den Arztpraxen warten müssen. Dieser Aufwand sei seinem Grundpflegebedarf hinzuzurechnen. Ferner hat der Kläger vorgelegt das Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. H. vom 01. März 2007 (der Kläger sei wegen einer ausgeprägten schmerzhaften Einschränkung der Wirbelsäule und der Gehfähigkeit beim Gehen auf Hilfsmittel [Rollator] angewiesen und könne Tätigkeiten im Haushalt wie Putzen, Kochen, Einkaufen, Spülen, Waschen und Staubsaugen bis auf Weiteres nicht durchführen), den Entlassungsbericht der Fachkliniken H., Dr. Mo., vom 17. April 2007 über einen stationären Aufenthalt vom 20. März bis 09. April 2007 (chronisches lumbales Syndrom bei Zustand nach Nukleotomie und mehreren Operationen; nach der Rehabilitation ausreichend sicheres Gehen am Rollator, Gehen ohne Rollator aus Sicherheitsgründen nicht möglich, Treppensteigen mit Überwinden von fünf Stufen mit Unterarmgehstütze und Handlauf möglich), den Bericht des Orthopäden Dr. Ri., Orthopädische Klinik M., vom 09. November 2007 über die stationäre Behandlung vom 07. bis 09. November 2007 wegen einer rezidivierenden Ergussbildung im linken Kniegelenk, den Arztbrief des Dr. D., Orthopädische Klinik M., über die ambulante Behandlung am 11. Januar 2008 (Empfehlung weiterer kernspintomographisch der Diagnostik der Lendenwirbelsäule), den Arztbrief des Direktors der Klinik für Neurochirurgie am Klinikum L. Dr. Ma. vom 07. Mai 2008 (der Kläger wirke sehr schmerzgeplagt, sei aber mit dem Rollator gehfähig und habe Funktionsstörungen der Blase und des Darms sowie Schwächegefühle verneint; Empfehlung weiterer schmerztherapeutischer Einstellung), die ärztliche Bescheinigung des Dr. K., Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin des Klinikums L., vom 19. Juni 2008 (der Kläger leide an einem chronifizierten Schmerzsyndrom aufgrund eines Lendenwirbelsäulen-Syndroms und sei auf eine Begleitperson angewiesen; zur Zeit werde die Testung einer intrathekalen Morphiumspumpe durchgeführt) sowie das Attest des Allgemeinmediziners Dr. Hö. vom 23. Juli 2008 (der Kläger könne sich wegen der Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule und der Beine nicht mehr ohne fremde Hilfe außerhalb des Hauses bewegen, es bestehe erhebliche Sturzgefahr). Ferner hat der Kläger die Niederschrift über eine mündliche Verhandlung in einem Rechtsstreit zwischen ihm und dem Landesversorgungsamt vor dem SG vom 14. August 2008 vorgelegt, wonach das Landesversorgungsamt die Voraussetzungen eines GdB von 60 sowie der Merkzeichen "G" und "B" über den 06. April 2006 hinaus anerkannt hat.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05. März 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08. März 2004 zu verurteilen, ihm ab dem 14. Mai 2003 Pflegegeld nach Pflegestufe II, hilfsweise nach Pflegestufe I, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, Wartezeiten eines Betreuers während ärztlicher Therapien könnten generell nicht bei der Bestimmung des Grundpflegebedarfs berücksichtigt werden, da es zumutbar sei, diese Zeiten eigenwirtschaftlich zu nutzen. Eine helfende Anwesenheit der Begleitung habe der Kläger nicht vorgetragen. In der vom Kläger vorgelegten Liste seien auch 25 ärztliche Behandlungen während stationärer Aufenthalte verzeichnet. Für diese habe der Kläger seine Wohnung nicht verlassen und wiederaufsuchen müssen. Die ausgeführten ambulanten außerhäuslichen Therapiemaßnahmen seien über den gesamten Zeitraum nicht mindestens einmal pro Woche angefallen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach § 151 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 SGG eingelegt und auch sonst zulässig, jedoch weder mit ihrem Haupt- noch mit ihrem Hilfsantrag begründet. Das SG hat die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08. März 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Geldleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung (Pflegegeld) zu.

1. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI Personen, die in den genannten Hilfebereichen mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der für die Zuerkennung der Pflegestufe II nötige Zeitaufwand der Pflegeperson muss in der Pflegestufe II wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). In allen Stufen umfasst die Grundpflege die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählen in der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung sowie in der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, das An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (BRi) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft.

2. Der Kläger ist weder erheblich noch schwer pflegebedürftig. Bei ihm besteht kein relevanter Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich.

Der Senat stützt sich bei dieser Einschätzung auf die vom SG eingeholten Gutachten von Dr. S. und Dr. M.-B ... Beide haben für die Zeit der Begutachtung nahezu übereinstimmend einen Grundpflegebedarf von 33 bzw. 32 Minuten ermittelt. Beide haben festgestellt, dass sich der Kläger seine Nahrung noch selbst mundgerecht zubereiten und aufnehmen kann, dass er sich entgegen seinem Vortrag in seiner Wohnung noch selbstständig bewegen kann, wobei er sich jedoch an Möbeln oder an der Wand festhalten muss und dass er wegen seiner orthopädischen Beeinträchtigungen und der von der Wirbelsäule ausgehenden Schmerzen Hilfe bei der Körperpflege und der Mobilität, nicht aber bei der Ernährung benötigt. Im Einzelnen benötigt der Kläger Hilfe von - so die Werte von Dr. M.-B. - bei der Teilwäsche insbesondere des Unterkörpers sechs Minuten, beim Baden und hiermit verbunden beim Transfer in die Badewanne acht Minuten, bei der Intimhygiene und dem Richten der Kleider nach Stuhlgang zusammen vier Minuten, beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen zwei Minuten, beim An- und Entkleiden (Unterkörper, Korsett) zehn Minuten und bei weiteren Transfers, insbesondere beim Aufstehen aus dem Sessel, zwei Minuten. Die Feststellungen der beiden Gutachter sind überzeugend. Sie haben beide den Kläger in seiner häuslichen Umgebung untersucht. Dass er sich in seiner Wohnung noch selbst bewegen kann und z.B. auch seine Nahrung selbst zubereiten und aufnehmen kann, haben sie durch seine Angaben bzw. durch eigene Anschauung festgestellt. Ihre Einschätzung des Hilfebedarfs haben sie nachvollziehbar aus ihren Feststellungen abgeleitet. Da der Kläger keine Beeinträchtigungen an den oberen Extremitäten hat, kann er alle Verrichtungen, die er mit den Armen oder am Oberkörper erledigen muss, noch selbst ausführen. Hierzu gehören z.B. das An- und Entkleiden des Oberkörpers, die Zahnpflege, das Kämmen und Rasieren und das Essen. Die Teilwäsche des Oberkörpers kann er ebenfalls noch selbst durchführen. Das Gleiche gilt für die Ernährung. In der ebenerdigen Wohnung des Klägers entfällt ein Hilfebedarf beim Treppensteigen.

Die ärztlichen Unterlagen, die im Berufungsverfahren vorgelegt oder eingeholt worden sind, zeigen ebenfalls keinen erhöhten Grundpflegebedarf. Orthopäde Dr. H. hat mitgeteilt, der Kläger sei auf einen Rollator beim Gehen angewiesen und könne Haushaltstätigkeiten nicht mehr durchführen. Diese zählen jedoch nicht zum Grundpflegebedarf. Dass der Kläger am Rollator ausreichend mobil ist, wird bestätigt durch die Berichte von Dr. Mo. vom 17. April 2007 und Dr. Ma. vom 07. Mai 2008. In beiden wird angegeben, der Kläger sei mit einem Rollator versorgt und mit diesem ausreichend mobil, innerhalb der Wohnung sogar lediglich mit einem Gehstock. Bewegungseinschränkungen dieses Ausmaßes hatten bereits die beiden Sachverständigen in ihren vom SG eingeholten Gutachten festgestellt.

Ein Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist nicht in Ansatz zu bringen. Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchens der Wohnung ist jedenfalls als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG SozR 2-3300 § 14 Nr. 5 m.w.N.). Dazu zählen Arztbesuche, aber auch Wege zur Krankengymnastik, zum Logopäden oder zur Ergotherapie, soweit sie der Behandlung einer Krankheit dienen (vgl. BSG SozR 4 3300 § 15 Nr. 1 m.w.N.). Voraussetzung ist in jedem Fall, dass eine ärztliche Verordnung vorliegt und der Pflegeaufwand mindestens einmal wöchentlich anfällt (BSG a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben können die Arztbesuche des Klägers nicht zu einer Erhöhung des Grundpflegebedarfs führen. Aus den vorgelegten Attesten der Ärzte und aus der eigenen Aufstellung des Klägers ergibt sich, dass er im Durchschnitt weniger als einmal wöchentlich ambulante Behandlungen bei Ärzten durchführen lässt. Die 91 für den Zeitraum vom 17. Januar 2007 bis 05. August 2008 aufgelisteten ärztlichen Behandlungen enthalten 26 Termine bei Ärzten im Rahmen der stationären Behandlungen in H. und L., weshalb hierfür ein Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung nicht erforderlich war. Es hat zwar nach den vorgelegten Listen auch Zeiträume gegeben, in denen der Kläger mehrmals wöchentlich ambulant ärztlich behandelt wurde. So sind am 16. April, 12. Juli, 25. Oktober und 28. November 2007 sowie am 21. April und 05. Mai 2008 jeweils zwei Behandlungen bei Ärzten oder Physiotherapeuten am selben Tag verzeichnet. Es sind jedoch auch längere Zeiträume ohne jeglichen Kontakt zu Ärzten oder der Physiotherapie vorhanden. Damit kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen zur Berücksichtigung von Wartezeit der Begleitpersonen (vgl. dazu BSG SozR 3 3300 § 14 Nr. 6; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 10) gegeben sind.

Aufgrund dessen ist auch fraglich, ob Dr. S. in seinem Gutachten für die Zeit vom 01. Mai 2003 bis 31. Juli 2004 zu Recht einen Zeitaufwand für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung berücksichtigt hat. Wäre dieser Zeitaufwand nicht berücksichtigungsfähig, würde sich der von ihm genannte Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege in diesem Zeitraum um elf Minuten von 36 Minuten auf 25 Minuten bzw. von 44 Minuten auf 33 Minuten verringern.

Sowohl die vom Kläger in der Klageschrift vorgetragene Aufstellung (Seite 4) als auch die von ihm zum Gutachten der Dr. M.-B. vorgelegte handschriftliche Aufstellung über die Mindestzeiten des Hilfebedarfs können einen Hilfebedarf von mindestens 46 Minuten nicht begründen. Die auf Seite 4 der Klageschrift genannten Hilfezeiten entfallen überwiegend auf Verrichtungen der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die handschriftliche Aufstellung enthält nicht berücksichtigungsfähige Zeiten, wie für die Begleitung bei einem Spaziergang, das An- und Ausleiden zum Spaziergang sowie das Treppensteigen, um in die Wohnung zu gelangen.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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