Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 4474/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4652/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. August 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin, die von der Beklagten Altersrente seit 01. Juli 2007 bezieht (Bescheid vom 06. Juni 2007), Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. September 2004 bis 30. Juni 2007 zusteht.
Die am 1947 geborene verheiratete Klägerin, die Mutter von zwei 1975 und 1978 geborenen Kindern ist, hat eine Berufsausbildung nicht abgeschlossen. Sie arbeitete vom 21. August 1961 bis 09. Juli 1965 als Näherin, war dann vom 01. August 1965 bis zum 31. Juli 1967 als Haushaltshilfe beschäftigt und arbeitete anschließend vom 04. September 1967 unterbrochen durch Zeiten der Schwangerschaft/Mutterschutz bzw. der Kindererziehung - bis zum 31. Oktober 2002 wieder als Näherin, wobei ihr wegen der Produktionsverlagerung des Arbeitsgebers ins Ausland betriebsbedingt gekündigt worden war. Vom 01. November 2002 bis 31. Dezember 2004 bezog die Klägerin Leistungen von der Arbeitsverwaltung. Ferner war sie vom 01. Dezember 2002 bis 30. Juni 2007 geringfügig beschäftigt; zunächst bis 29. Februar 2004 bei ihrem bisherigen Arbeitgeber, danach an zwei Tagen in der Woche jeweils drei Stunden als Reinigungskraft in der Praxis des sie behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin W ... Bei der Klägerin ist seit 07. Februar 1994 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 v.H. festgestellt.
Am 27. September 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten wegen Polyarthritis, Osteoporose und Verkrümmung der Wirbelsäule Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte erhob daraufhin das Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. K. vom 03. Dezember 2004. Als Diagnosen stellte der Arzt eine Funktionsminderung des rechten Fußes mit Verkürzung, Verplumpung und Bewegungseinschränkung sowie deutlicher Muskelkraftminderung bei stattgehabter Poliomylitis 1952 und nachfolgender operativer Weichteilsanierung 1957, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit statischer Fehlhaltung und Beinlängendifferenz rechts zwei cm sowie Rumpfmuskeldysbalancen ohne Anhalt für das Vorliegen von Nervenwurzelreizzeichen und deutliche degenerative Veränderungen im Bereich der Langfingermittel- und Endgelenke beidseits (mit freier Beweglichkeit). Er wies auch auf ein deutliches Übergewicht hin. Er sah die Erwerbsfähigkeit der Versicherten als gemindert, jedoch nicht als aufgehoben an. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten unter Beachtung von Funktionseinschränkungen vollschichtig zu verrichten. Die Tätigkeit solle teilweise im Sitzen und teilweise im Gehen und Stehen durchgeführt werden können. Häufige Zwangshaltungen, häufiges Knien und Hocken sowie Klettern oder Steigen sei nicht sinnvoll. Aufgrund der Fußverbildung und den daraus resultierenden beginnenden Funktionsminderungen seien auch Tätigkeiten mit Absturzgefahr zu vermeiden. Ebenfalls nicht sinnvoll seien Tätigkeiten mit vermehrtem Zeitdruck, beispielsweise Akkord. Die sozialmedizinisch relevanten Gehstrecken zum Erreichen eines Arbeitsplatzes seien der Klägerin weiterhin problemlos zumutbar. Darauf gestützt lehnte die Beklagte die Rentengewährung mit Bescheid vom 13. Dezember 2004 ab. Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert; es liege auch keine Berufsunfähigkeit vor. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch reichte die Klägerin das Schreiben des Arztes W. sowie des Orthopäden Dr. H. vom 15. Juli 2005 an ihre Prozessbevollmächtigten ein und trug vor, aufgrund der darin gestellten Diagnosen sei bei ihr von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen, insbesondere davon, dass die für eine positive Leistungsbeurteilung erforderliche Gehstrecke nicht mehr gegeben sei. Nach Erhebung einer Stellungnahme der Internistin Dr. M. vom 21. September 2005, in der ausgeführt wurde, dass weiterhin die für das Erreichen des Arbeitsplatzes sozialmedizinisch geforderten Gehstrecken möglich seien, wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten bestehenden Widerspruchsausschusses vom 29. November 2005 zurückgewiesen.
Deswegen erhob die Klägerin am 27. Dezember 2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Im Verlauf des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 06. Juni 2007 ab 01. Juli 2007 Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Die Klägerin wiederholte, dass bei ihr das Leistungsvermögen aufgehoben sei, wobei der behandelnde Arzt W. bestätige, dass sie nicht in der Lage sei, selbst Tätigkeiten leichterer Art vollschichtig auszuüben, und sie auch nicht mehr in der Lage sei, die sozialmedizinisch erforderliche Gehstrecke zum Erreichen des Arbeitsplatzes zurückzulegen, was durch das auf ihren Antrag (Genehmigung) nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhobene Gutachten des Prof. Dr. Wi., Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik des Klinikums S (O.), bestätigt habe. Die Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. G.-Z., Arzt für Orthopädie und Ärztlicher Direktor und Chefarzt der S.-Klinik Z. GmbH, der sie nur kurz angeschaut habe, sei hinsichtlich der zumutbaren Gehstrecke widersprüchlich und damit nicht überzeugend. Die Klägerin benannte auch die behandelnden Ärzte und reichte verschiedene Arzt- und Klinikberichte ein.
Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage einer Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin - Sozialmedizin - Dr. Bu. vom 07. Februar 2008 entgegen.
Das SG erhob schriftliche Auskünfte als sachverständige Zeugen des Dr. H. vom 28. März 2006 sowie des Arztes W. vom 25. April 2006, der weitere Arztbriefe vorlegte. Ferner erhob das SG von Amts wegen das orthopädische Gutachten des Prof. Dr. G.-Z. vom 18. Dezember 2006, das aufgrund einer am 05. September 2006 durchgeführten ambulanten Untersuchung erstattet wurde, mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Mai 2007. Der Sachverständige führte die erhobenen orthopädischen Diagnosen auf, wies ferner auf eine Adipositas permagna sowie auf eine arterielle Hypotonie und gelangte zu der Beurteilung, dass die Klägerin noch in der Lage sei, vollschichtig täglich bei fünf Tagen in der Woche tätig sein zu können, sofern die folgenden qualitativen Einschränkungen beachtet würden: Aufgrund der Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule seien Überkopfarbeiten sowie reine Bildschirmarbeiten und Tätigkeiten in gleichförmiger Körperhaltung zu vermeiden. Wegen der Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule seien mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten mit häufigem Bücken, Rotationsbewegungen des Rumpfes mit und ohne Belastung, Tragen und Heben von Lasten über fünf kg nicht zumutbar. Auch aufgrund dieser Beschwerden seien Tätigkeiten in gleichförmiger Körperhaltung zu vermeiden. Wegen der Beschwerden an der Schulter seien Überkopfarbeiten zu meiden. Ferner lägen degenerative Veränderungen an beiden Händen vor, weshalb die Verarbeitung von Kleinteilen sowie Montagearbeiten nicht geeignet seien. Aufgrund der Arthrose in den Hüft- und Kniegelenken seien häufiges Treppensteigen, überwiegende Arbeiten im Stehen oder Gehen, Steigen auf Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten in kniender Position sowie häufiges in die Hocke gehen ungünstig. Arthrotisch bedingte degenerative Veränderungen reagierten in aller Regel auch empfindlich auf Kälte, Zugluft und Nässe, die daher bei der Klägerin gemieden werden sollten. Aufgrund dieser Beschwerden sowie der Folgen der Poliomyelitis sei längeres Gehen ohne Unterbrechung nicht mehr zumutbar. Die Klägerin habe selbst über eine maximale Gehdauer ohne Unterbrechung von ungefähr einer Stunde berichtet. Wenn aufgrund der bestehenden Gehbehinderung durch die Lähmungen von einem etwas unterdurchschnittlichem Gehtempo ausgegangen und eine submaximale Gehdauer von 45 Minuten zugrunde gelegt werde, sei eine Gehstrecke von zwei km am Stück zumutbar. Ferner erhob das SG auf Antrag der Klägerin (Genehmigung mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14. Januar 2008) das weitere orthopädische Gutachten des Prof. Dr. Wi. vom 25. Oktober 2007, erstattet aufgrund einer am 18. Oktober 2007 durchgeführten Untersuchung der Klägerin. Bei der Untersuchung wies die Klägerin auf eine limitierte Gehstrecke hin, die sich auf eine Gehzeit von 30 Minuten bei langsamen Gehen beschränke. Der Sachverständige führte die erhobenen orthopädischen Gesundheitsstörungen auf und legte dar, dass die Klägerin noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden pro Tag leichte Arbeiten ohne Tragen schwerer Lasten (mehr als fünf kg) sowie Tätigkeiten ohne Überkopfarbeit und gleichförmige Körperhaltung zu verrichten. Bei der Klägerin bestünden mehrere Diagnosen, die die Wegstrecke deutlich limitierten, so die durchgemachte Poliomylitis mit fast vollständiger Kraftminderung im Bereich des rechten Unterschenkels sowie Fußes. Ferner bestünden einstrahlende Schmerzen in den linken Oberschenkel sowie Schmerzen im Bereich gluteal links, die von einer degenerativen Verschleißerscheinung der Wirbelsäule herrührten, weiter Arthrosen in beiden Iliosacralgelenken. Die Gehstrecke werde auf maximal 500 m limitiert, die Gehzeit betrage etwa eine halbe Stunde, wobei diese bei langsamem Laufen erzielt werden könne. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei noch möglich, wenn die zurückzulegende Gehstrecke von viermal 500 m in zeitlichen Abständen durchgeführt werde und die Klägerin zwischen der jeweiligen Gehstrecke von 500 m eine ausgedehnte Pause habe. Die eigene Nutzung eines Pkw sei aufgrund der Lähmung im Bereich des rechten Fußes schwierig, aus seiner (des Sachverständigen) Sicht nicht möglich. Im Vergleich zur gutachterlichen Beurteilung durch Prof. Dr. G.-Z. habe sich die maximale Gehdauer weiter von einer Stunde auf etwa eine halbe Stunde reduziert, wodurch die Gehstrecke ebenfalls weiter eingeschränkt werde. Dies sei durch die beschriebenen degenerativen Veränderungen, welche im Laufe der Zeit weiter zunähmen, zu erklären.
Mit Urteil vom 29. August 2008 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe in der streitigen Zeit noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche verrichten können. Insoweit stützte sich das Gericht auf das Gutachten des Prof. Dr. G.-Z ... Dessen Beurteilung decke sich auch mit dem Gutachten des Dr. K. und der Einschätzung des behandelnden Orthopäden Dr. H ... Die Einschätzung des zeitlichen Umfangs der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin werde im Übrigen auch durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Wi. bestätigt. Soweit dieser eine Einschränkung der Wegefähigkeit angenommen habe, führe dies nicht zur Annahme, dass die Klägerin erwerbsgemindert sei. Sie könne nach der Einschätzung des Prof. Dr. Wi. sowohl öffentliche Verkehrsmittel benutzen als auch Wegstrecken von viermal 500 m mit Pausen zu Fuß zurücklegen. Soweit Prof. Dr. Wi. annehme, dass die Klägerin für eine Wegstrecke von 500 m 30 Minuten benötige, sei dies nicht nachvollziehbar begründet. Zwar sei im Rahmen der Anamnesedokumentation von einer maximalen Gehzeit von 30 Minuten die Rede, ohne dies jedoch mit einer bestimmten Wegstreckenlänge in Verbindung zu bringen. Die Grundlage für die Annahme, dass die Klägerin in 30 Minuten nur 500 m zurücklegen könne, sei nicht ersichtlich. Prof. Dr. Wi. spreche in seinem Gutachten selbst ausdrücklich von einer Schätzung. Dies reiche zur Bildung einer gerichtlichen Überzeugung, dass bei der Klägerin aufgrund einer Einschränkung der Wegefähigkeit Erwerbsminderung vorliege, nicht aus. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 04. September 2008 zugestellt.
Dagegen hat die Klägerin am 02. Oktober 2008 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Hinsichtlich der Wegefähigkeit bestünden divergierende Ansichten bei den gerichtlichen Sachverständigen. Die Ausführungen des Prof. Dr. Wi. seien schlüssig und nachvollziehbar. Sofern der Senat den Ausführungen des Prof. Dr. Wi. nicht folgen könne, sei von Amts wegen ein Obergutachten zu erheben bzw. sie ausführlich anzuhören. Bis zum 30. Juni 2007 sei sie an zwei Tagen in der Woche jeweils drei Stunden in der Praxis des Arztes W. tätig gewesen. Den in 400 m von ihrer Wohnung entfernt liegenden Arbeitsplatz habe sie erreicht, indem sie das Fahrzeug ihres Ehemannes benutzt habe oder sich habe von diesem chauffieren lassen. Ab und zu sei sie auch zu Fuß dort hingegangen, wobei sie für die Gehstrecke von 400 m mindestens 15 Minuten gebraucht habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. August 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2005 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. September 2004 bis 30. Juni 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat den Versicherungsverlauf der Klägerin vom 03. November 2008 eingereicht.
Mit Verfügungen vom 13. November 2008, vom 21. Januar und vom 17. Juli 2009 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Über die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, die auch sonst zulässig ist, entscheidet der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach Anhörung der Beteiligten (Verfügungen des Berichterstatters vom 13. November 2008 sowie vom 21. Januar und 17. Juli 2009) durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG. Auch die Äußerung der Klägerin im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22. Dezember 2008 hat nicht veranlasst, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese war auch nicht deswegen geboten, weil die Klägerin auf eine solche im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG verzichtet hatte.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Im Hinblick auf die Gewährung von Altersrente ab 01. Juli 2007 (Bescheid vom 06. Juni 2007) ist streitig nur noch die Zeit vom 01. September 2004 bis 30. Juni 2007. Soweit die Beklagte die Rentengewährung in dieser Zeit abgelehnt hat, ist der Bescheid vom 13. Dezember 2004 (Widerspruchsbescheid vom 29. November 2005) nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Klägerin steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, weder ab 01. September 2004 noch ab einem späteren, vor dem 01. Juli 2007 liegenden Zeitpunkt die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Kriterien war die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht voll erwerbsgemindert. Sie war vielmehr noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den sie verweisbar war, leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin insoweit zeitlich nicht eingeschränkt war, hat das SG gestützt auf die insoweit übereinstimmenden Gutachten des Prof. Dr. G.-Z. und des Prof. Dr. Wi. zutreffend dargelegt, weshalb der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG insoweit auf die Gründe des angegriffenen Urteils Bezug nimmt.
Für die streitige Zeit vermag auch der Senat nicht festzustellen, dass die Wegefähigkeit in rentenberechtigendem Umfang eingeschränkt war, weshalb ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden hätte. Diese eingeschränkte Wegefähigkeit (Wegeunfähigkeit) hätte vorausgesetzt, dass die Klägerin auch nicht mehr in der Lage gewesen wäre, viermal am Tag zu Fuß Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (von 20 Minuten) zu bewältigen und nicht mehr zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren (vgl. dazu Bundessozialgericht [BSG] Urteile vom 30. Januar 2002 B 5 RJ 30/01 R - und vom 28. August 2002 - B 5 RJ 8/02 R und B 5 RJ 12/02 R). Diese Voraussetzungen vermag auch der Senat nicht festzustellen. Denn der Sachverständige Prof. Dr. G.-Z. hatte in dem aufgrund der am 05. September 2006 durchgeführten Untersuchung erstatteten Sachverständigengutachten vom 18. Dezember 2006 im Hinblick auf die festgestellte Arthrose in Hüft- und Kniegelenken sowie die Folgen der 1952 durchgemachten Poliomylitis (mit Plegie der Großzehen und Fußheber sowie der Fußaußenrandheber rechts, Hohlfuß rechts und Beinlängenverkürzung rechts) zwar längeres Gehen ohne Unterbrechung nicht mehr als zumutbar angesehen. Nachdem die Klägerin bei der Untersuchung durch den Sachverständigen ihm gegenüber jedoch noch eine maximale Gehdauer ohne Unterbrechung von ungefähr einer Stunde angegeben hatte, kam er zu der Beurteilung, dass ihr eine Gehstrecke von zwei km bzw. von 45 Minuten Dauer ohne Unterbrechung noch möglich war. Dies schloss eine rentenberechtigende Wegeunfähigkeit aus. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Wi. am 18. Oktober 2007, d. h. außerhalb des streitigen Zeitraums, hat die Klägerin gegenüber diesem Sachverständigen dann zwar angegeben, ihre Wegefähigkeit beschränke sich auf eine Gehzeit von 30 Minuten bei langsamem Gehen (Seite 3 und 9 des Sachverständigengutachtens); sie hatte auch schon die letzte Wegstrecke von der U-Bahn bis zum Krankenhaus (O.) zur Untersuchung, welche etwa 100 m betragen hatte, als sehr beschwerlich aufgrund von Schmerzen im Bereich des linken Beines bezeichnet (Seite 11 des Sachverständigengutachtens). Insoweit hat der Sachverständige Prof. Dr. Wi. entsprechend diesen Angaben der Klägerin auch im Hinblick auf mehrere Diagnosen, nämlich die durchgemachte Poliomylitis mit fast vollständiger Kraftminderung im Bereich des rechten Unterschenkels und Fußes, einstrahlender Schmerzen in den linken Oberschenkel, Schmerzen im Bereich gluteral links sowie Arthrose in beiden Iliosacralgelenken, die Gehstrecke als deutlich limitiert angesehen und war davon ausgegangen, dass die Gehstrecke bei langsamem Gehen auf maximal 500 m bzw. eine Gehzeit von etwa einer halben Stunde beschränkt sei. Diese Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Wi., die sich vor allem auf die gemachten Angaben der Klägerin stützen, können nicht schon auf die streitige Zeit, die vor der Untersuchung durch Prof. Dr. Wi. liegt, bezogen werden, zumal der Sachverständige selbst darauf hinweist, dass sich aufgrund der von ihm durchgeführten Untersuchung und der erhobenen Befunde die maximale Gehdauer weiter von einer Stunde auf etwa eine halbe Stunde reduziert habe, wodurch die Gehstrecke ebenfalls weiter eingeschränkt werde, was durch die festgestellten degenerativen Veränderungen, die im Laufe der Zeit weiter zugenommen hätten, zu erklären sei (Seite 35 des Sachverständigengutachtens). Insoweit geht der Senat davon aus, dass diese Wegeunfähigkeit erst nach der Untersuchung durch Prof. Dr. G.-Z. am 15. September 2006 eingetreten sein kann, mithin bis zum 30. Juni 2007 noch nicht feststellbar war. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass die Klägerin ersichtlich ihre geringfügige Tätigkeit (Reinigungstätigkeit) auch erst Ende Juni 2007 aufgegeben und dazu gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. Wi. angegeben hatte, sie habe diese Tätigkeiten nun aufgrund zunehmender Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie des linken Beines nicht mehr durchführen können. Im Übrigen hat die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. Wi. auch angegeben, dass sie beispielsweise bis Juni 2007 auch noch regelmäßiges Kegeln durchgeführt hatte. Auch daraus entnimmt der Senat eine Verschlimmerung des Gesundheitszustands der Klägerin. Darauf, dass nach Angaben der Klägerin die Wegstrecke zu Fuß zu dem bis Juni 2007 innegehabten Arbeitsplatzes der geringfügigen Beschäftigung nur 400 m betragen und die Klägerin für diese Wegstrecke zu Fuß mindestens 15 Minuten benötigt hat, kommt es nicht an. Daraus ergibt sich keine bis Juni 2007 eingetretene Wegeunfähigkeit.
Die Erhebung eines weiteren Sachverständigengutachtens, die Zeit bis zum 30. Juni 2007 betreffend, war nicht geboten. Dies ist nicht deshalb erforderlich, weil divergierende Beurteilungen vorliegen. In einem solchen Fall muss sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Gutachten auseinander setzen. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein "Obergutachten" sehen die Prozessordnungen - auch das SGG - nicht vor (BSG, Beschluss vom 17. November 2003 - B 3 P 23/03 B -, veröffentlicht in juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 103 Rdnr. 11b).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin, die von der Beklagten Altersrente seit 01. Juli 2007 bezieht (Bescheid vom 06. Juni 2007), Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. September 2004 bis 30. Juni 2007 zusteht.
Die am 1947 geborene verheiratete Klägerin, die Mutter von zwei 1975 und 1978 geborenen Kindern ist, hat eine Berufsausbildung nicht abgeschlossen. Sie arbeitete vom 21. August 1961 bis 09. Juli 1965 als Näherin, war dann vom 01. August 1965 bis zum 31. Juli 1967 als Haushaltshilfe beschäftigt und arbeitete anschließend vom 04. September 1967 unterbrochen durch Zeiten der Schwangerschaft/Mutterschutz bzw. der Kindererziehung - bis zum 31. Oktober 2002 wieder als Näherin, wobei ihr wegen der Produktionsverlagerung des Arbeitsgebers ins Ausland betriebsbedingt gekündigt worden war. Vom 01. November 2002 bis 31. Dezember 2004 bezog die Klägerin Leistungen von der Arbeitsverwaltung. Ferner war sie vom 01. Dezember 2002 bis 30. Juni 2007 geringfügig beschäftigt; zunächst bis 29. Februar 2004 bei ihrem bisherigen Arbeitgeber, danach an zwei Tagen in der Woche jeweils drei Stunden als Reinigungskraft in der Praxis des sie behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin W ... Bei der Klägerin ist seit 07. Februar 1994 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 v.H. festgestellt.
Am 27. September 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten wegen Polyarthritis, Osteoporose und Verkrümmung der Wirbelsäule Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte erhob daraufhin das Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. K. vom 03. Dezember 2004. Als Diagnosen stellte der Arzt eine Funktionsminderung des rechten Fußes mit Verkürzung, Verplumpung und Bewegungseinschränkung sowie deutlicher Muskelkraftminderung bei stattgehabter Poliomylitis 1952 und nachfolgender operativer Weichteilsanierung 1957, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit statischer Fehlhaltung und Beinlängendifferenz rechts zwei cm sowie Rumpfmuskeldysbalancen ohne Anhalt für das Vorliegen von Nervenwurzelreizzeichen und deutliche degenerative Veränderungen im Bereich der Langfingermittel- und Endgelenke beidseits (mit freier Beweglichkeit). Er wies auch auf ein deutliches Übergewicht hin. Er sah die Erwerbsfähigkeit der Versicherten als gemindert, jedoch nicht als aufgehoben an. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten unter Beachtung von Funktionseinschränkungen vollschichtig zu verrichten. Die Tätigkeit solle teilweise im Sitzen und teilweise im Gehen und Stehen durchgeführt werden können. Häufige Zwangshaltungen, häufiges Knien und Hocken sowie Klettern oder Steigen sei nicht sinnvoll. Aufgrund der Fußverbildung und den daraus resultierenden beginnenden Funktionsminderungen seien auch Tätigkeiten mit Absturzgefahr zu vermeiden. Ebenfalls nicht sinnvoll seien Tätigkeiten mit vermehrtem Zeitdruck, beispielsweise Akkord. Die sozialmedizinisch relevanten Gehstrecken zum Erreichen eines Arbeitsplatzes seien der Klägerin weiterhin problemlos zumutbar. Darauf gestützt lehnte die Beklagte die Rentengewährung mit Bescheid vom 13. Dezember 2004 ab. Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert; es liege auch keine Berufsunfähigkeit vor. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch reichte die Klägerin das Schreiben des Arztes W. sowie des Orthopäden Dr. H. vom 15. Juli 2005 an ihre Prozessbevollmächtigten ein und trug vor, aufgrund der darin gestellten Diagnosen sei bei ihr von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen, insbesondere davon, dass die für eine positive Leistungsbeurteilung erforderliche Gehstrecke nicht mehr gegeben sei. Nach Erhebung einer Stellungnahme der Internistin Dr. M. vom 21. September 2005, in der ausgeführt wurde, dass weiterhin die für das Erreichen des Arbeitsplatzes sozialmedizinisch geforderten Gehstrecken möglich seien, wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten bestehenden Widerspruchsausschusses vom 29. November 2005 zurückgewiesen.
Deswegen erhob die Klägerin am 27. Dezember 2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Im Verlauf des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 06. Juni 2007 ab 01. Juli 2007 Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Die Klägerin wiederholte, dass bei ihr das Leistungsvermögen aufgehoben sei, wobei der behandelnde Arzt W. bestätige, dass sie nicht in der Lage sei, selbst Tätigkeiten leichterer Art vollschichtig auszuüben, und sie auch nicht mehr in der Lage sei, die sozialmedizinisch erforderliche Gehstrecke zum Erreichen des Arbeitsplatzes zurückzulegen, was durch das auf ihren Antrag (Genehmigung) nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhobene Gutachten des Prof. Dr. Wi., Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik des Klinikums S (O.), bestätigt habe. Die Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. G.-Z., Arzt für Orthopädie und Ärztlicher Direktor und Chefarzt der S.-Klinik Z. GmbH, der sie nur kurz angeschaut habe, sei hinsichtlich der zumutbaren Gehstrecke widersprüchlich und damit nicht überzeugend. Die Klägerin benannte auch die behandelnden Ärzte und reichte verschiedene Arzt- und Klinikberichte ein.
Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage einer Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin - Sozialmedizin - Dr. Bu. vom 07. Februar 2008 entgegen.
Das SG erhob schriftliche Auskünfte als sachverständige Zeugen des Dr. H. vom 28. März 2006 sowie des Arztes W. vom 25. April 2006, der weitere Arztbriefe vorlegte. Ferner erhob das SG von Amts wegen das orthopädische Gutachten des Prof. Dr. G.-Z. vom 18. Dezember 2006, das aufgrund einer am 05. September 2006 durchgeführten ambulanten Untersuchung erstattet wurde, mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Mai 2007. Der Sachverständige führte die erhobenen orthopädischen Diagnosen auf, wies ferner auf eine Adipositas permagna sowie auf eine arterielle Hypotonie und gelangte zu der Beurteilung, dass die Klägerin noch in der Lage sei, vollschichtig täglich bei fünf Tagen in der Woche tätig sein zu können, sofern die folgenden qualitativen Einschränkungen beachtet würden: Aufgrund der Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule seien Überkopfarbeiten sowie reine Bildschirmarbeiten und Tätigkeiten in gleichförmiger Körperhaltung zu vermeiden. Wegen der Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule seien mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten mit häufigem Bücken, Rotationsbewegungen des Rumpfes mit und ohne Belastung, Tragen und Heben von Lasten über fünf kg nicht zumutbar. Auch aufgrund dieser Beschwerden seien Tätigkeiten in gleichförmiger Körperhaltung zu vermeiden. Wegen der Beschwerden an der Schulter seien Überkopfarbeiten zu meiden. Ferner lägen degenerative Veränderungen an beiden Händen vor, weshalb die Verarbeitung von Kleinteilen sowie Montagearbeiten nicht geeignet seien. Aufgrund der Arthrose in den Hüft- und Kniegelenken seien häufiges Treppensteigen, überwiegende Arbeiten im Stehen oder Gehen, Steigen auf Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten in kniender Position sowie häufiges in die Hocke gehen ungünstig. Arthrotisch bedingte degenerative Veränderungen reagierten in aller Regel auch empfindlich auf Kälte, Zugluft und Nässe, die daher bei der Klägerin gemieden werden sollten. Aufgrund dieser Beschwerden sowie der Folgen der Poliomyelitis sei längeres Gehen ohne Unterbrechung nicht mehr zumutbar. Die Klägerin habe selbst über eine maximale Gehdauer ohne Unterbrechung von ungefähr einer Stunde berichtet. Wenn aufgrund der bestehenden Gehbehinderung durch die Lähmungen von einem etwas unterdurchschnittlichem Gehtempo ausgegangen und eine submaximale Gehdauer von 45 Minuten zugrunde gelegt werde, sei eine Gehstrecke von zwei km am Stück zumutbar. Ferner erhob das SG auf Antrag der Klägerin (Genehmigung mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14. Januar 2008) das weitere orthopädische Gutachten des Prof. Dr. Wi. vom 25. Oktober 2007, erstattet aufgrund einer am 18. Oktober 2007 durchgeführten Untersuchung der Klägerin. Bei der Untersuchung wies die Klägerin auf eine limitierte Gehstrecke hin, die sich auf eine Gehzeit von 30 Minuten bei langsamen Gehen beschränke. Der Sachverständige führte die erhobenen orthopädischen Gesundheitsstörungen auf und legte dar, dass die Klägerin noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden pro Tag leichte Arbeiten ohne Tragen schwerer Lasten (mehr als fünf kg) sowie Tätigkeiten ohne Überkopfarbeit und gleichförmige Körperhaltung zu verrichten. Bei der Klägerin bestünden mehrere Diagnosen, die die Wegstrecke deutlich limitierten, so die durchgemachte Poliomylitis mit fast vollständiger Kraftminderung im Bereich des rechten Unterschenkels sowie Fußes. Ferner bestünden einstrahlende Schmerzen in den linken Oberschenkel sowie Schmerzen im Bereich gluteal links, die von einer degenerativen Verschleißerscheinung der Wirbelsäule herrührten, weiter Arthrosen in beiden Iliosacralgelenken. Die Gehstrecke werde auf maximal 500 m limitiert, die Gehzeit betrage etwa eine halbe Stunde, wobei diese bei langsamem Laufen erzielt werden könne. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei noch möglich, wenn die zurückzulegende Gehstrecke von viermal 500 m in zeitlichen Abständen durchgeführt werde und die Klägerin zwischen der jeweiligen Gehstrecke von 500 m eine ausgedehnte Pause habe. Die eigene Nutzung eines Pkw sei aufgrund der Lähmung im Bereich des rechten Fußes schwierig, aus seiner (des Sachverständigen) Sicht nicht möglich. Im Vergleich zur gutachterlichen Beurteilung durch Prof. Dr. G.-Z. habe sich die maximale Gehdauer weiter von einer Stunde auf etwa eine halbe Stunde reduziert, wodurch die Gehstrecke ebenfalls weiter eingeschränkt werde. Dies sei durch die beschriebenen degenerativen Veränderungen, welche im Laufe der Zeit weiter zunähmen, zu erklären.
Mit Urteil vom 29. August 2008 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe in der streitigen Zeit noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche verrichten können. Insoweit stützte sich das Gericht auf das Gutachten des Prof. Dr. G.-Z ... Dessen Beurteilung decke sich auch mit dem Gutachten des Dr. K. und der Einschätzung des behandelnden Orthopäden Dr. H ... Die Einschätzung des zeitlichen Umfangs der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin werde im Übrigen auch durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Wi. bestätigt. Soweit dieser eine Einschränkung der Wegefähigkeit angenommen habe, führe dies nicht zur Annahme, dass die Klägerin erwerbsgemindert sei. Sie könne nach der Einschätzung des Prof. Dr. Wi. sowohl öffentliche Verkehrsmittel benutzen als auch Wegstrecken von viermal 500 m mit Pausen zu Fuß zurücklegen. Soweit Prof. Dr. Wi. annehme, dass die Klägerin für eine Wegstrecke von 500 m 30 Minuten benötige, sei dies nicht nachvollziehbar begründet. Zwar sei im Rahmen der Anamnesedokumentation von einer maximalen Gehzeit von 30 Minuten die Rede, ohne dies jedoch mit einer bestimmten Wegstreckenlänge in Verbindung zu bringen. Die Grundlage für die Annahme, dass die Klägerin in 30 Minuten nur 500 m zurücklegen könne, sei nicht ersichtlich. Prof. Dr. Wi. spreche in seinem Gutachten selbst ausdrücklich von einer Schätzung. Dies reiche zur Bildung einer gerichtlichen Überzeugung, dass bei der Klägerin aufgrund einer Einschränkung der Wegefähigkeit Erwerbsminderung vorliege, nicht aus. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 04. September 2008 zugestellt.
Dagegen hat die Klägerin am 02. Oktober 2008 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Hinsichtlich der Wegefähigkeit bestünden divergierende Ansichten bei den gerichtlichen Sachverständigen. Die Ausführungen des Prof. Dr. Wi. seien schlüssig und nachvollziehbar. Sofern der Senat den Ausführungen des Prof. Dr. Wi. nicht folgen könne, sei von Amts wegen ein Obergutachten zu erheben bzw. sie ausführlich anzuhören. Bis zum 30. Juni 2007 sei sie an zwei Tagen in der Woche jeweils drei Stunden in der Praxis des Arztes W. tätig gewesen. Den in 400 m von ihrer Wohnung entfernt liegenden Arbeitsplatz habe sie erreicht, indem sie das Fahrzeug ihres Ehemannes benutzt habe oder sich habe von diesem chauffieren lassen. Ab und zu sei sie auch zu Fuß dort hingegangen, wobei sie für die Gehstrecke von 400 m mindestens 15 Minuten gebraucht habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. August 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2005 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. September 2004 bis 30. Juni 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat den Versicherungsverlauf der Klägerin vom 03. November 2008 eingereicht.
Mit Verfügungen vom 13. November 2008, vom 21. Januar und vom 17. Juli 2009 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Über die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, die auch sonst zulässig ist, entscheidet der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach Anhörung der Beteiligten (Verfügungen des Berichterstatters vom 13. November 2008 sowie vom 21. Januar und 17. Juli 2009) durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG. Auch die Äußerung der Klägerin im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22. Dezember 2008 hat nicht veranlasst, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese war auch nicht deswegen geboten, weil die Klägerin auf eine solche im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG verzichtet hatte.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Im Hinblick auf die Gewährung von Altersrente ab 01. Juli 2007 (Bescheid vom 06. Juni 2007) ist streitig nur noch die Zeit vom 01. September 2004 bis 30. Juni 2007. Soweit die Beklagte die Rentengewährung in dieser Zeit abgelehnt hat, ist der Bescheid vom 13. Dezember 2004 (Widerspruchsbescheid vom 29. November 2005) nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Klägerin steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, weder ab 01. September 2004 noch ab einem späteren, vor dem 01. Juli 2007 liegenden Zeitpunkt die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Kriterien war die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht voll erwerbsgemindert. Sie war vielmehr noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den sie verweisbar war, leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin insoweit zeitlich nicht eingeschränkt war, hat das SG gestützt auf die insoweit übereinstimmenden Gutachten des Prof. Dr. G.-Z. und des Prof. Dr. Wi. zutreffend dargelegt, weshalb der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG insoweit auf die Gründe des angegriffenen Urteils Bezug nimmt.
Für die streitige Zeit vermag auch der Senat nicht festzustellen, dass die Wegefähigkeit in rentenberechtigendem Umfang eingeschränkt war, weshalb ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden hätte. Diese eingeschränkte Wegefähigkeit (Wegeunfähigkeit) hätte vorausgesetzt, dass die Klägerin auch nicht mehr in der Lage gewesen wäre, viermal am Tag zu Fuß Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (von 20 Minuten) zu bewältigen und nicht mehr zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren (vgl. dazu Bundessozialgericht [BSG] Urteile vom 30. Januar 2002 B 5 RJ 30/01 R - und vom 28. August 2002 - B 5 RJ 8/02 R und B 5 RJ 12/02 R). Diese Voraussetzungen vermag auch der Senat nicht festzustellen. Denn der Sachverständige Prof. Dr. G.-Z. hatte in dem aufgrund der am 05. September 2006 durchgeführten Untersuchung erstatteten Sachverständigengutachten vom 18. Dezember 2006 im Hinblick auf die festgestellte Arthrose in Hüft- und Kniegelenken sowie die Folgen der 1952 durchgemachten Poliomylitis (mit Plegie der Großzehen und Fußheber sowie der Fußaußenrandheber rechts, Hohlfuß rechts und Beinlängenverkürzung rechts) zwar längeres Gehen ohne Unterbrechung nicht mehr als zumutbar angesehen. Nachdem die Klägerin bei der Untersuchung durch den Sachverständigen ihm gegenüber jedoch noch eine maximale Gehdauer ohne Unterbrechung von ungefähr einer Stunde angegeben hatte, kam er zu der Beurteilung, dass ihr eine Gehstrecke von zwei km bzw. von 45 Minuten Dauer ohne Unterbrechung noch möglich war. Dies schloss eine rentenberechtigende Wegeunfähigkeit aus. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Wi. am 18. Oktober 2007, d. h. außerhalb des streitigen Zeitraums, hat die Klägerin gegenüber diesem Sachverständigen dann zwar angegeben, ihre Wegefähigkeit beschränke sich auf eine Gehzeit von 30 Minuten bei langsamem Gehen (Seite 3 und 9 des Sachverständigengutachtens); sie hatte auch schon die letzte Wegstrecke von der U-Bahn bis zum Krankenhaus (O.) zur Untersuchung, welche etwa 100 m betragen hatte, als sehr beschwerlich aufgrund von Schmerzen im Bereich des linken Beines bezeichnet (Seite 11 des Sachverständigengutachtens). Insoweit hat der Sachverständige Prof. Dr. Wi. entsprechend diesen Angaben der Klägerin auch im Hinblick auf mehrere Diagnosen, nämlich die durchgemachte Poliomylitis mit fast vollständiger Kraftminderung im Bereich des rechten Unterschenkels und Fußes, einstrahlender Schmerzen in den linken Oberschenkel, Schmerzen im Bereich gluteral links sowie Arthrose in beiden Iliosacralgelenken, die Gehstrecke als deutlich limitiert angesehen und war davon ausgegangen, dass die Gehstrecke bei langsamem Gehen auf maximal 500 m bzw. eine Gehzeit von etwa einer halben Stunde beschränkt sei. Diese Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Wi., die sich vor allem auf die gemachten Angaben der Klägerin stützen, können nicht schon auf die streitige Zeit, die vor der Untersuchung durch Prof. Dr. Wi. liegt, bezogen werden, zumal der Sachverständige selbst darauf hinweist, dass sich aufgrund der von ihm durchgeführten Untersuchung und der erhobenen Befunde die maximale Gehdauer weiter von einer Stunde auf etwa eine halbe Stunde reduziert habe, wodurch die Gehstrecke ebenfalls weiter eingeschränkt werde, was durch die festgestellten degenerativen Veränderungen, die im Laufe der Zeit weiter zugenommen hätten, zu erklären sei (Seite 35 des Sachverständigengutachtens). Insoweit geht der Senat davon aus, dass diese Wegeunfähigkeit erst nach der Untersuchung durch Prof. Dr. G.-Z. am 15. September 2006 eingetreten sein kann, mithin bis zum 30. Juni 2007 noch nicht feststellbar war. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass die Klägerin ersichtlich ihre geringfügige Tätigkeit (Reinigungstätigkeit) auch erst Ende Juni 2007 aufgegeben und dazu gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. Wi. angegeben hatte, sie habe diese Tätigkeiten nun aufgrund zunehmender Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie des linken Beines nicht mehr durchführen können. Im Übrigen hat die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. Wi. auch angegeben, dass sie beispielsweise bis Juni 2007 auch noch regelmäßiges Kegeln durchgeführt hatte. Auch daraus entnimmt der Senat eine Verschlimmerung des Gesundheitszustands der Klägerin. Darauf, dass nach Angaben der Klägerin die Wegstrecke zu Fuß zu dem bis Juni 2007 innegehabten Arbeitsplatzes der geringfügigen Beschäftigung nur 400 m betragen und die Klägerin für diese Wegstrecke zu Fuß mindestens 15 Minuten benötigt hat, kommt es nicht an. Daraus ergibt sich keine bis Juni 2007 eingetretene Wegeunfähigkeit.
Die Erhebung eines weiteren Sachverständigengutachtens, die Zeit bis zum 30. Juni 2007 betreffend, war nicht geboten. Dies ist nicht deshalb erforderlich, weil divergierende Beurteilungen vorliegen. In einem solchen Fall muss sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Gutachten auseinander setzen. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein "Obergutachten" sehen die Prozessordnungen - auch das SGG - nicht vor (BSG, Beschluss vom 17. November 2003 - B 3 P 23/03 B -, veröffentlicht in juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 103 Rdnr. 11b).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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