L 4 KR 5391/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 2353/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 5391/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird dass Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. August 2007 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Versorgung des Klägers mit einem tragbaren Navigationssystem für blinde Menschen.

Der Kläger ist am 1948 geboren und Mitglied der beklagten Krankenkasse. Er ist hochgradig sehbehindert in Form praktischer Blindheit und hochgradig hörbehindert. Er bezieht eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Beklagte versorgte den Kläger mit einem Blindenlangstock mit Kunststoffspitze und elektronischem Hindernismelder sowie beidseits mit Hörgeräten. Mit dem Gebrauch des Blindenlangstocks ist er trainiert worden.

Am 27. April 2005 beantragte der damals noch in Z. wohnhafte Kläger bei der Beklagten die Versorgung mit dem GPS-gestützten Navigationssystem für Blinde "Victor Trekker". Er fügte eine kassenärztliche Verordnung der Augenärztin B. vom 22. April 2005 und einen Kostenvoranschlag der Firma P. vom 09. November 2004 über "Trekker" mit einer Deutschlandkarte für zusammen EUR 4.558,80 brutto (Gerät: EUR 2.500,00, Stadtkarte: EUR 55,00, Deutschlandkarte: EUR 650,00, Auslieferung, Inbetriebnahme und Kurzeinweisung: EUR 725,00, zusammen netto EUR 3.930,00) bei. Der Kläger führte aus, er und seine Frau müssten kurzfristig nach H. umziehen, er sei in dieser Stadt fremd. Mit dem Leitsystem "Trekker" könne er sich allein in der fremden Stadt bewegen. Es sage ihm die Straßen, auf denen er sich befinde, und die davon abgehenden Wege an. Er könne regelmäßig benutzte Routen eingeben. Bestimmte Zielorte könnten gespeichert werden. Er könne die Wege schon zuhause "offline" durchgehen. Seine digital programmierten Hörgeräte mit Zwei-Mikrofon-Technologie und Nebengeräuschunterdrückung ließen ihn die Sprachausgabe des Leitsystems verstehen. Mit Bescheid vom 11. Mai 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Bei dem Navigationssystem handle sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Hersteller habe die Funktionstauglichkeit und den therapeutischen Nutzen des Hilfsmittels und seine Qualität nicht nachgewiesen.

Der Kläger erhob Widerspruch und legte einen in einer Zeitschrift veröffentlichten Erfahrungsbericht über "Trekker" vor. Er teilte mit, er habe das Gerät im Straßenverkehr getestet und sei damit sehr gut zurechtgekommen. Er bedürfe des Systems, da es weiteren Krankheitsschüben seines Usher-Syndroms (vererbliche Hör-Seh-Behinderung), insbesondere seiner Retinopathia pigmentosa (Netzhautdegeneration), durch unnötigen Konzentrationsstress vorbeuge. Das Gerät gleiche seine hochgradige Sehbehinderung so weit aus, dass er sich selbstständig in der Stadt und im ländlichen Raum bewegen und orientieren könne. Es sei für speziell blinde und hochgradig sehbehinderte Fußgänger entwickelt worden. Mit einem Navigationssystem, wie man es in Autos finde, sei es nicht zu vergleichen. Solche Systeme seien im Handel schon für rund EUR 370,00 erhältlich. Die bei der Beklagten gebildete Widerspruchsstelle wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12. Juli 2005 zurück. Ein tragbares Navigationssystem, wie es auch der Kläger beantrage, sei ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des alltäglichen Lebens. Denn es sei allgemein im Handel erhältlich und werde nicht für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen hergestellt. Es handle sich um handelsübliche Gegenstände des täglichen Lebens. Alternativ bestehe die Möglichkeit, das bereits 1997 durchgeführte Orientierungs- und Mobilitätstraining des Klägers aufzufrischen.

Der Kläger erhob am 29. Juli 2005 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG). Er trug vor, entgegen der Auffassung der Beklagten sei das beantragte Navigationssystem kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Unstreitig würden Navigationssysteme vielfach auch von Kraftfahrern eingesetzt. "Trekker" sei aber auf die speziellen Bedürfnisse blinder Menschen ausgerichtet. Die Eingabe erfolge über Braille-Schrift. Bereits bei der Eingabe sei eine Unterstützung durch eine Sprachausgabe vorhanden. Eine visuelle Ausgabe auf einem Bildschirm gebe es nicht. Das Kartenmaterial müsse entsprechend aufbereitet werden. Eine Steuerung über einen Stift sei nicht möglich. Das System sei speziell für Fußgänger konzipiert. Es beziehe Einbahnstraßen, Fußgängerzonen, Treppenverbindungen ein, schließe jedoch Autobahnen, Schnell- und Umgehungsstraßen aus. Den Standort gebe eine Sprachausgabe an. Fußgänger mit ausreichendem Sehvermögen benutzten dieses Leitsystem jedenfalls gegenwärtig nicht. Der Kläger legte die Schreiben der Firma P. vom 28. Juli 2005 und der Firma C. Hilfsmittel für Sehbehinderte und Blinde vom 02. August 2005 vor. Die Firma P. führte aus, "Trekker" werde speziell für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen entwickelt und ausschließlich von ihnen verwendet. Es sei im normalen Handel nicht erhältlich. Es erfolge keine visuelle Ausgabe auf dem Bildschirm. Dies sei mit dem Kartenhersteller vertraglich festgelegt. Auch die Firma C. teilte mit, dass das Hilfsmittel nicht im normalen Handel erhältlich sei, sondern ausschließlich über die Firma P. vertrieben werde.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie verwies auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Zusätzlich trug sie vor, das Leitsystem sei nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Es gehe über den erforderlichen Basisausgleich hinaus und überschreite das Maß des Notwendigen. Ein Navigationsgerät für die außerhäusliche Mobilität sei nicht zwingend notwendig. Es könne die herkömmlichen Führungshilfen wie Langstock und Führhund nur ergänzen, jedoch nicht ersetzen. Außerdem sei es technisch noch nicht ausgereift, es funktioniere nur bei einer guten Satellitenverbindung. Weiterhin gebe es Probleme in engen Straßen, bei Park- und Waldwegen. Die selbstständige Mobilität zur Erledigung der wesentlichen Alltagsgeschäfte in der näheren Umgebung der Wohnung werde grundsätzlich mit dem Blindenlangstock sichergestellt.

Mit Urteil vom 30. August 2007 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2005 auf und verurteilte die Beklagte, den Kläger mit dem Blindenleitsystem "Trekker" zu versorgen. Das SG führte aus, dem Kläger stehe aus § 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) ein Anspruch auf das Leitsystem zu. Es sei ein Hilfsmittel im Sinne dieser Vorschrift. Es handle sich nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, denn anders als handelsübliche Navigationssysteme habe "Trekker" eine ganz andere, auf die Bedürfnisse Blinder zugeschnittene Ausstattung. Es verfüge über kein Display, die Eingabe erfolge über eine Braille-Tastatur oder Spracherkennung. Das begehrte Geräte lasse sich auch nicht auftrennen in Bauteile, die zur Normalausstattung eines PDA (personal digital assistent = kleiner tragbarer Computer) gehörten, und solche, die nicht zu dieser Normalausstattung gehörten und insoweit der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen könnten. Weiterhin sei die Versorgung des Klägers mit dem Navigationsgerät zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig. Die Einwände der Beklagten gegen die Präzision des Geräts seien nicht stichhaltig. Sie würden durch die vielfache Verwendung von Navigationsgeräten von Gesunden und im Bereich der Verkehrslenkung widerlegt. Der Wirtschaftlichkeit stehe nicht entgegen, dass der Kläger einen Blindenhund und einen Langstock habe, denn ohne das Gerät bedürften er und sein Hund bei Änderungen der Verkehrsführung auch im Nahbereich eines zusätzlichen Trainings. Die hierfür entstehenden Kosten könnten entfallen, wenn er mit dem Navigationsgerät ausgestattet sei. Die Versorgung sei notwendig, weil sie dem Grundbedürfnis diene, einen gewissen körperlichen Freiraum zu erschließen. Dies sei im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst zu verstehen, nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten Gesunder. Hierbei sei auf diejenigen Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder zu Fuß zurücklege oder um die üblicherweise im Nahbereich liegenden Stellen zu erreichen, an denen er Alltagsgeschäfte erledigen müsse. Auch wenn sich der Kläger mit dem Gerät möglicherweise an fremden Orten zurechtfinden könnte, so diene es dazu, dass er sich innerhalb des Nahbereichs besser und leichter zurechtfinden könne als nur mit Blindenhund und Blindenlangstock. Bisher könne er nur Wege zurücklegen, die er und sein Hund trainiert hätten. Unbekannte Wege im Nahbereich bedürften erst der Einübung.

Gegen dieses ihr am 29. Oktober 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. November 2007 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die gesetzliche Krankenversicherung sei lediglich für den Basisausgleich einer Behinderung zuständig. Hierzu gehöre lediglich die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um kurze Spaziergänge durchzuführen oder die - üblicherweise im Nahbereich liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen seien. Zum Grundbedürfnis behinderter Menschen auf Sicherung eines gewissen körperlichen Freiraums zähle nicht, längere und unbekannte Wegstrecken zurückzulegen. Dem Kläger sei es mit seinem Blindenlangstock und dem durchgeführten Orientierungs- und Mobilitätstraining möglich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insoweit mobil zu sein, wie es als Grundbedürfnis des täglichen Lebens anzusehen sei. Das Gerät erkenne keine Ampelanlagen, Straßenübergänge und Treppen und könne nicht auf individuelle Gefahrensituationen reagieren. Daher könne es - auch nach Angabe des Herstellers - einen Blindenlangstock und ein Training nicht ersetzen. Das Gerät diene nur der Orientierung an unbekannten Orten. Diese Möglichkeit zähle nicht zu den Grundbedürfnissen, für die die gesetzliche Krankenversicherung Leistungen zu erbringen habe. Auch Personen ohne Sehbehinderung müssten sich für eine Orientierung an unbekannten Orten vorbereiten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor, entgegen den Feststellungen des SG in dem angegriffenen Urteil habe er keinen Blindenführhund, sondern einen gewöhnlichen Hund ohne Ausbildung. Dies sowie die bei ihm zusätzlich bestehende Schwerhörigkeit seien der Unterschied zu dem vom Bundessozialgericht (BSG) am 25. Juni 2009 (B 3 KR 4/08 R) entschiedenen Rechtsstreit. Wesentliches Kriterium des Sehens bei der Mobilität sei, Straßennamen, markante Punkte oder Hauseingänge wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung werde bei blinden Menschen durch das begehrte Navigationsgerät ersetzt. Es gehe daher weit über den Blindenlangstock, der in erster Linie die Funktionen des Hindernismelders erfülle, hinaus. Bei einem unmittelbaren Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile sei die Leistungspflicht der Krankenkasse deutlich umfangreicher als bei mittelbaren Ausgleichen. Eine der größten Schwierigkeiten für blinde Menschen sei es, vom gewohnten Wege abgekommen zu sein und sich nicht mehr orientieren zu können. Blinde seien deshalb weitgehend darauf beschränkt, immer die gleichen Wege zu wiederholen. Dies sei eine erhebliche Einschränkung. Der Kläger hat den aktualisierten Kostenvoranschlag der Firma P. vom 09. Januar 2008 über nunmehr insgesamt brutto EUR 3.986,50 (Gerät: EUR 2.500,00, Stadtkarte: EUR 55,00, Deutschlandkarte: EUR 100,00, Auslieferung, Inbetriebnahme und Kurzeinweisung: EUR 750,00, zusammen netto EUR 3.350,00) vorgelegt. Auf Nachfrage des Berichterstatters des Senats wegen eines Artikels über ihn in der Heilbronner Stimme vom 19. Februar 2008 hat der Kläger mitgeteilt, er habe das Navigationsgerät nicht als Spende erhalten, vielmehr sei ein solches Gerät seinem Blinden- und Sehbehindertenverband gespendet worden, u.a. damit es Vereinsmitglieder bei Bedarf ausprobieren könnten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 1 i.V. mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich beide Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die Berufung der Beklagten ist nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden und auch sonst zulässig. Sie ist ferner begründet. Das SG hat der Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) zu Unrecht stattgegeben. Der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf die begehrte Versorgung mit dem Blindenleitsystem "Trekker" zu.

1. Nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich einer Versorgung des Klägers mit dem Blindenleitsystem "Trekker" nicht vor.

2. Allerdings handelt es sich bei dem Blindenleitsystem "Trekker" um ein Hilfsmittel und nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der von der Versorgung ausgeschlossen wäre.

Ein Hilfsmittel dient spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung. Dagegen ist als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens solche Waren einzustufen, die - mögen sie auch Kranken und/oder Behinderten in hohem Maße helfen - schon von der Konzeption des Herstellers her nicht überwiegend für Kranke und/oder Behinderte gedacht ist (vgl. BSG SozR 3-3300 § 40 Nr. 7). Das Gleiche gilt, wenn er aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird.

Das Blindenleitsystem "Trekker" dient insbesondere wegen der verbalen Ausgabe dazu, die Einbußen aus der Beeinträchtigung einer Körperfunktion auszugleichen. Es gibt den blinden Versicherten z.B. den Namen der Straße an, in der er sich gerade befindet. Diese Information erzielt ein nicht blinder Versicherter mit seinem Sehvermögen, z.B. über Straßenschilder. Nach den Herstellerinformationen, die der Kläger während des Verfahrens eingereicht hat, ist das Blindenleitsystem "Trekker" gegenüber handelsüblichen Navigations- und GPS-Systemen technisch erheblich verändert und speziell für die Anforderungen Blinder oder hochgradig Sehbehinderter entwickelt worden. Es hat z.B. eine kleine Tastatur für die Eingabe der Braille-Schrift. Es erfolgt keine visuelle Ausgabe auf einem Bildschirm. Auch die alleinige Ausgabe der Informationen über Sprache ist auf die speziellen Bedürfnisse Sehbehinderter zugeschnitten. Aus diesen Erwägungen hat auch das LSG Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 30. Mai 2007 (L 6 KR 4/06, veröffentlicht in Juris, RdNr. 25) festgestellt, dass das Blindenleitsystem "Trekker" kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist. Das BSG hat diese Ansicht in seinem Urteil vom 25. Juni 2009 (B 3 KR 4/08 R) bestätigt (vgl. Medieninformation des BSG Nr. 24/09 vom 25. Juni 2009, www.bundessozialgericht.de; das Urteil selbst ist noch nicht veröffentlicht worden).

3. Ebenso wie das LSG Mecklenburg-Vorpommern und auch das BSG in dem genannten anderen Verfahren ist jedoch auch der Senat der Auffassung, dass das begehrte Blindenleitsystem nicht "im Einzelfall erforderlich" im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist.

a) Nach § 33 Abs. 1 SGB V kommt als Zweck der Hilfsmittelversorgung einerseits ein Behinderungsausgleich, andererseits ein therapeutischer Zweck in Betracht. Ein Hilfsmittel ist zum Zwecke des Behinderungsausgleichs erforderlich, wenn der Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird (BSG SozR 3 2500 § 33 Nr. 3 und Nr. 5). Ein Ausgleich über diese Grundbedürfnisse hinaus kommt nicht in Betracht. Eine vollständige Angleichung behinderter Versicherter mit Gesunden kann nicht verlangt werden. Im Bereich der Mobilität sind Hilfsmittel daher nur erstattungsfähig, soweit sie für einen grundsätzlich eng gesteckten Rahmen der häuslichen Mobilität oder zum Aufsuchen von Ärzten und Therapeuten erforderlich sind (vgl. Beck, in: Juris PK-SGB V, § 33 Rn ... 33). Dies bedeutet, dass das Hilfsmittel nur gewährleisten muss, dass sich der erwachsene Versicherte in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen kann, um einen kurzen Spaziergang zu absolvieren oder die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen er Geschäfte des alltäglichen Lebens zu erledigen hat (z.B. BSG, SozR 4-2500 § 33 Nrn. 2 und 3; Beschluss vom 11. Januar 2006, B 3 KR 44/05 B, veröffentlicht in Juris, Rn. 7). Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind bisher immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (vgl. BSG, SozR 4-2500 § 33 Nrn. 2 und 3): Wie das BSG bereits entschieden hat (SozR 3-2500 § 33 Nr. 31), gilt dies sogar dann, wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich der Wohnung liegen, also dafür längere Strecken zurückzulegen sind. Es hat zur Begründung hierfür ausgeführt, Besonderheiten des Wohnorts des einzelnen Versicherten könnten für die Hilfsmittelversorgung nicht maßgeblich sein. Hieraus lässt sich ableiten, dass eine Erweiterung des Mobilitätsradius über den Nahbereich hinaus in keinem Fall ein Grund für die Versorgung mit einem dafür notwendigen Hilfsmittel ist. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).

Das Blindenleitsystem "Trekker", das der Kläger in diesem Verfahren begehrt, dient aber in erster Linie dazu, sich in unbekannten Gebieten zurechtzufinden, also den Mobilitätsradius über den Nahbereich hinaus auszuweiten. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, er könne mit dem Blindenleitsystem innerhalb des näheren Umfelds um seine Wohnung bislang unbekannte Strecken ohne Hilfe und ohne vorherige Einweisung selbstständig zurücklegen. Der Nahbereich ist nicht allein im räumlichen Sinne zu verstehen. Das BSG hat mehrfach entschieden, dass die Erhaltung der Mobilität im Nahbereich dazu dient, regelmäßig wieder dieselben Stellen aufzusuchen, nämlich zum einen Ärzte und Therapeuten, weiterhin Dienststellen der Krankenversicherung oder anderer Sozialleistungsträger und darüber hinaus möglicherweise Geschäfte oder andere Stätten zur Versorgung mit Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Lebens. Die gesetzliche Krankenversicherung schuldet demnach nur die Mittel, die notwendig sind, damit der Versicherte im Umfeld seines Wohnorts bestimmte Wege zurücklegen kann. Die Ausweitung auf andere Wege, die ihm bislang nicht bekannt sind, gehört nicht hierzu. Das begehrte Blindenleitsystem kann Hindernisse auf den im Umfeld des Wohnorts zurückzulegenden Wegen nicht melden. Hierzu dient der Blinderlangstock mit dem Hindernismelder, mit welchem der Kläger versorgt ist. Selbst bei der Versorgung mit dem begehrten Blindenleitsystem erfordert das Gehen weiterhin ein entsprechendes Konzentrationsvermögen.

Soweit der Kläger wegen eines Umzugs sich in dem Umfeld seiner neuen Wohnung zurechtfinden muss, ist die Zurverfügungstellung des begehrten Blindenleitsystems nicht erforderlich. Insoweit kann durch ein erneutes Orientierungs- und Mobilitätstraining das Umfeld der neuen Wohnung erkundet werden. Das Angebot eines neuen Orientierungs- und Mobilitätstrainings hat die Beklagte während des Rechtsstreits gemacht.

b) Der Begriff der Erforderlichkeit in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist auch nicht aus verfassungskonformen Erwägungen heraus dahin auszulegen, dass bei behinderten Versicherten eine weitergehende Gleichstellung mit den Fähigkeiten Gesunder und damit in diesem Fall eine Versorgung mit Mitteln zu einer Erweiterung der Mobilität über den unmittelbaren Nahbereich hinaus geschuldet wäre.

Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Diese Vorschrift stellt zunächst ein Diskriminierungsverbot dar: Der Staat darf eine benachteiligende Regelung nicht direkt an das für die Betroffenen unveränderliche Merkmal einer Behinderung knüpfen. Ebenso verbietet Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich auch eine mittelbare Diskriminierung: Der Staat darf ferner nicht die Lebenssituation Behinderter im Vergleich zu derjenigen nichtbehinderter Menschen durch gesetzliche Regelungen verschlechtern (BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 1999, 1 BvR 2161/94, veröffentlicht in Juris, Rn. 55). Gegen diese Dimensionen des Grundrechts kann die Versagung von Leistungen nicht verstoßen.

Darüber hinaus verlangt das Verbot der Benachteiligung Behinderter auch, dass der Staat Behinderte fördert bzw. tatsächliche Benachteiligungen in der Gesellschaft abbaut (Bundestags-Drucksache [BT-Drs.] 12/8165, S. 29). Insoweit enthält auch diese Norm einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber, wie es im Zusammenhang mit dem Verbot der Benachteiligung von Frauen und Männern in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG ausdrücklich vorgesehen ist. Ebenso wie bei tatsächlichen Benachteiligungen der Geschlechter ist es von Verfassungs wegen aber nicht zu beanstanden, wenn der Staat seine gestalterischen Maßnahmen zur Beseitigung oder zum Ausgleich solcher tatsächlicher Nachteile unter den Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen stellt (BVerfG, Urteil vom 08. Oktober 1997, 1 BvR 9/97, veröffentlicht in Juris, Rn. 74). Dieser Vorbehalt ist Ausdruck dessen, dass der Staat seine Aufgaben von vornherein nur im Rahmen seiner finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten erfüllen kann und erklärt sich daraus, dass er bei seinen Entscheidungen auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen und sich die Möglichkeit erhalten muss, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für solche anderen Belange einzusetzen, wenn er dies für erforderlich hält (BVerfG, a.a.O.). Dies gilt insbesondere, wenn die anderen Belange, die der Staat beachten und ggf. erfüllen muss, ebenfalls Verfassungsrang haben. Für den Bereich der Sozialversicherung, die ihrerseits aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1, Art. 28, Abs. 1 Satz 1 GG heraus gerechtfertigt ist, bedeutet dies, dass der Staat bei seiner Entscheidung, welche Leistungen er zum Ausgleich einer Behinderung gewährt, auch die Belange der Beitragszahlergemeinschaft im Auge behalten muss, die ihrerseits durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber Hilfsmittel nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur im Rahmen des Erforderlichen bereitstellt und hierbei Leistungen an Behinderte nur in dem Maße gewährt, wie es erforderlich ist, die lebenswichtigen Grundbedürfnisse zu befriedigen.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG lagen nicht vor. Insbesondere kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu, nachdem das BSG in seinem Urteil vom 25. Juni 2009 zu der Versorgung mit dem Blindenleitsystem "Trekker" entschieden hat.
Rechtskraft
Aus
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