L 8 SB 1690/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 2932/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1690/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines höheren Grads der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) streitig.

Der 1959 geborene Kläger beantragte am 03.02.2005 beim Landratsamt L. - Versorgungsangelegenheiten - (VA) erstmals die Feststellung des GdB. Nach Einholung ärztlicher Befundberichte (Dr. P. vom 18.05.2005 und des Facharztes für Neurochirurgie G. vom 27.10.2004) stellte das VA entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. H. vom 04.09.2005 mit Bescheid vom 14.09.2005 beim Kläger wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Nervenwurzelreizerscheinungen den GdB mit 20 seit dem 03.02.2005 fest.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 18.10.2005 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, er beziehe wegen Berufsunfähigkeit eine Erwerbsminderungsrente. Der Kläger legte einen Untersuchungsbericht des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit L., Dr. H., vom 21.07.2005 vor, auf den er sich bezog. Das VA zog weitere medizinische Unterlagen bei (Gutachten Dr. H. vom 21.07.2005, Gutachten Prof. Dr. G./PD Dr. W., B.krankenhauses U., vom 23.01.2003 an das Landgericht H.n). Nach versorgungsärztlicher Auswertung (Vertragsarzt D. vom 01.07.2006) wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 18.07.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass die beim Kläger vorliegende Behinderung mit einem GdB von 20 angemessen bewertet worden sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 09.08.2006 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG). Er trug zur Begründung vor, bei ihm lägen Wirbelsäulensyndrome vor, die mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. Hinzu komme, dass er an den Folgen einer fehlerhaften Halluxoperation im Jahr 1999 leide. Er habe deshalb Probleme, längere Zeit zu stehen. Er könne nur spezielles Schuhwerk tragen. Ein GdB von 30 sei längst erreicht.

Das SG hörte Dr. B. schriftlich als sachverständigen Zeugen an. Dr. B. teilte in seiner Stellungnahme vom 12.10.2006 unter Vorlage eines Befundberichtes mit, bei den beim Kläger vorliegenden Wirbelsäulenveränderungen handele es sich um solche mit mittelgradigen Auswirkungen.

Der Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.02.2008 wies das SG die Klage gestützt auf die Zeugenauskunft des Dr. B. ab.

Gegen den dem Kläger am 29.02.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 20.03.2008 beim SG Berufung eingelegt. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, er leide nicht nur unter Wirbelsäulenveränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule, sondern auch unter starken Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule. Wegen unerträglicher Schmerzen sei eine weitere Operation erforderlich gewesen. Der Kläger hat hierzu den Operationsbericht des NC Klinik am F. L., Dr. K., vom 17.01.2007 vorgelegt.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Februar 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 14. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2006 zu verurteilen, bei ihm den Grad der Behinderung mit mindestens 30 seit dem 03.02.2005 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.

Der Senat hat den auf Nachfrage des Berichterstatters vom Kläger zu den geltend gemachten Behinderungen benannten behandelnden Arzt Dr. K. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr. K. hat in seiner Stellungnahme vom 02.02.2009 unter Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen (Befundberichte vom 30.11.2006, 30.01.2007, 23.04.2007 und 30.05.2007, Operationsbericht vom 17.04.2007) den Behandlungsverlauf und die Diagnosen dargestellt und wegen Funktionsstörungen der Halswirbelsäule einen GdB von 20 auf seinem Fachgebiet für angemessen erachtet.

Der Kläger hat zur Zeugenauskunft des Dr. K. Stellung genommen und sich in seinem Begehren bestätigt gesehen.

Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig (§ 151 SGG), jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB. Zu Recht hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 14.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2006 den GdB mit 20 festgestellt. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind seit 01.07.2001 die Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Bis 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 3 S. 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Hiervon ausgehend sind die beim Kläger bestehenden Behinderungen zur Überzeugung des Senats vom Beklagten zutreffend mit einem GdB von 20 festgestellt worden. Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von 30 oder mehr besteht nicht.

Das Wirbelsäulenleiden des Klägers ist mit einem GdB von 20 angemessen bewertet worden. Eine Bewertung des GdB mit 30 ist nach den VG (Seite 90) erst bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder bei mittelschweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten möglich. Solche Auswirkungen liegen beim Kläger nach den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen und der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Dr. K. aber nicht vor. Nach den an der Halswirbelsäule am 17.01.2007 und 17.04.2007 durchgeführten Operationen konnten beim Kläger bestehende Gesundheitsstörungen weitgehend erfolgreich behandelt werden. Nach dem Befundbericht von Dr. K. vom 30.05.2007 hat sich beim Kläger der neurologische Befund an der Halswirbelsäule normalisiert und er ist subjektiv beschwerdefrei. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. K. vom 02.02.2009 wirken sich die Funktionsbeeinträchtigungen der Halswirbelsäule nur leicht bis mittelschwer aus und das Leistungsvermögen des Klägers wird dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt. Dass an der Lendenwirbelsäule des Klägers zusätzlich schwere oder mittelschwere funktionelle Auswirkungen vorliegen, sagt Dr. K. in seiner Zeugenerklärung nicht. Er stellt vielmehr bei der Einschätzung des GdB mit 20 ausschließlich auf Funktionsbeeinträchtigungen der Halswirbelsäule des Klägers ab. Aus seinem mit seiner Zeugenaussage vorgelegten Befundbericht vom 30.11.2006 ergibt sich, dass sich der Kläger zuletzt vor zwei Jahren, also 2004, wegen lumbaler Beschwerden bei ihm vorgestellt hat und die lumbale Symptomatik sich seither beruhigt hat. Die Einschätzung von Dr. K.,, dass an der Lendenwirbelsäule des Klägers keine funktionellen Auswirkungen bestehen, die einen GdB von mehr als 20 rechtfertigen, ist daher überzeugend, zumal der Kläger auf Nachfrage des Berichterstatters angegeben hat, sich wegen der Wirbelsäule/Halswirbelsäule bei Dr. K. in Behandlung zu befinden. Dass der Kläger von einem anderen Arzt wegen LWS-Beschwerden behandelt wurde, ist nicht anzunehmen. Dr. K. Bewertung wird auch durch den von ihm vorgelegten Befundbericht des Neurochirurgen G. vom 27.10.2004 gestützt. Nach diesem Befundbericht bestanden beim Kläger keine Gefühlsstörungen in den Beinen und keine Störung der Blasen- und Darmfunktion bei einem symmetrischen Gangbild. Fersen- und Zehenstand waren ohne Absinken möglich. Der Finger-Boden-Abstand betrug 40 cm. Paresen an den Beinen bestanden nicht. Auch bei der Untersuchung durch Dr. H. am 20.07.2005 bestanden hinsichtlich der Lendenwirbelsäule des Klägers keine neurologischen Störungen. Weiter war die Wirbelsäulenfunktion in allen Richtungen bei guter Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule nur diskret eingeschränkt. Muskuläre Verhärtungen bestanden nicht. Diese Befunde sind insgesamt nicht geeignet, hinsichtlich der Wirbelsäule des Klägers einen GdB von 30 zu begründen. Auch die sonst vorliegenden medizinischen Befundunterlagen tragen die Ansicht des Klägers nicht, bei ihm lägen mittelschwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor. Dem entspricht auch die Einschätzung des Dr. K., der auf seinem Fachgebiet beim Kläger den GdB mit 20 eingeschätzt hat. Seiner Ansicht schließt sich der Senat an.

Sonstige für die Bildung des Gesamt-GdB relevanten Funktionsbehinderungen liegen beim Kläger nicht vor. Dass beim Kläger in Folge der 1999 durchgeführten Halluxoperation dauerhaft funktionelle Einschränkungen verblieben sind, die bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen sind, ist nicht ersichtlich. Solche nennt Dr. K., bei dem sich der Kläger nach seinen Angaben auf Nachfrage des Berichterstatters deswegen in Behandlung befinden soll, in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft an den Senat nicht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Hierzu hat der Kläger im Übrigen auch nicht substantiiert vorgetragen.

Entsprechendes gilt hinsichtlich eines erlittenen offenen Trümmerbruchs. Dass sich der Kläger wegen der Folgen dieser Verletzung noch in ärztlicher Behandlung befindet, lässt sich den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen und den Aussagen der im gerichtlichen Verfahren gehörten Ärzte nicht entnehmen. Der Kläger hat im Übrigen im gerichtlichen Verfahren wegen dieser Verletzung keine verbliebenen Funktionsstörungen geltend gemacht.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Senat hält den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt durch die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen und die im gerichtlichen Verfahren gehörten Ärzte für aufgeklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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