Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
104
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 771/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers zu 2. auf Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005, hilfsweise um die Gewährung von Sozialhilfe für die Zeit vom 15. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005, hilfsweise um den Anspruch des Klägers zu 2. auf Weiterleitung seines Antrags vom 17. Oktober 2005 durch die Beklagte an den zuständigen Träger der Sozialhilfe.
Die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 2. reisten am 15. Oktober 2005 zusammen mit ihren beiden Töchtern O V und A V aus Russland in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Klägerin zu 1. und ihre beiden Töchter wurden laut Einbeziehungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Der Kläger zu 2. reiste mit einem von der Deutschen Botschaft in Moskau ausgestellten Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 17. Oktober 2005 beantragten die Kläger und ihre Tochter A noch im Flüchtlingslager F die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Am 24. Oktober 2005 meldeten sich die Kläger und ihre Tochter A in B polizeilich an. Am 22. November 2005 erteilte die Ausländerbehörde Berlin dem Kläger zu 2. unter Bezugnahme auf § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, die mit der Bestimmung versehen war, dass eine Beschäftigung nur nach Erlaubnis der Ausländerbehörde (§ 4 Abs. 2 AufenthG) sowie eine selbständige Tätigkeit gestattet sei.
Durch Bescheid vom 28. November 2005 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Dezember 2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin zu 1. und ihrer Tochter A in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 31. Januar 2006 Alg II. Dem Kläger zu 2. wurde Alg II jedoch erst ab dem 22. November 2005 bewilligt. Hiergegen legten die Kläger am 15. Dezember 2005 mit der Begründung Widerspruch ein, dem Kläger zu 2. müsse auch vor dem 22. November 2005 Alg II gewährt werden. Er habe gemeinsam mit der Klägerin zu 1. am 17. Oktober 2005 den Antrag auf Alg II gestellt. Der Kläger zu 2. sei als Ausländer nach § 8 BVFG im Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 aufgeführt. Da die Klägerin zu 1. Deutsche sei, sei der Kläger zu 2. ausländischer Ehegatte einer Deutschen und habe somit Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Diese Aufenthaltserlaubnis berechtige gemäß § 28 Abs. 5 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Der Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2005 zurückgewiesen. Hierin führte die Beklagte aus, nach § 8 Abs. 2 SGB II könnten Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sei oder erlaubt werden könne. Voraussetzung hierfür sei das Bestehen eines Aufenthaltstitels. Bis zum 21. November 2005 habe der Kläger zu 2. lediglich ein Visum besessen. Ein Aufenthaltstitel habe bis zu diesem Datum nicht bestanden. Mit der Einbeziehung in das Verteilverfahren nach dem BVFG sei kein ausländerrechtliches Bleiberecht verbunden. Somit könnten für den Kläger zu 2. Leistungen nach dem SGB II erst ab Vorliegen des Aufenthaltstitels, mithin ab dem 22. November 2005, erbracht werden.
Hiergegen haben die Kläger am 23. Januar 2006 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Die Kläger führen aus: Bereits die Begründung des Widerspruchsbescheids, dass für den Kläger zu 2. bis zum 21. Oktober 2005 kein Aufenthaltstitel bestanden habe, da er in dieser Zeit lediglich im Besitz eines Visums gewesen sei, sei rechtsirrig. Bereits nach der Legaldefinition in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG stelle das Visum eine Form eines Aufenthaltstitels dar. Der Kläger zu 2. sei im Besitz eines so genannten nationalen Visums gewesen, das ihn im Zeitraum vom 29. September 2005 bis zum 27. Dezember 2005 zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als Bundesverwaltungsamtaussiedler entsprechend den Auflagen des Aufnahmebescheids berechtige. Der Beklagten sei lediglich zuzugestehen, dass sich im Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 bezüglich des Klägers zu 2. der Hinweis finde: "Die vorgenannte Person unterliegt dem Ausländerrecht. Über ein Bleiberecht entscheiden nach der Einreise die in den einzelnen Bundesländern zuständigen Behörden in einem anderen Verwaltungsverfahren." Zum einen nehme die Auflage des Visums jedoch Bezug auf die Auflagen des Aufnahmebescheids und nicht des Einbeziehungsbescheids, so dass korrekterweise die oben zitierte Passage nicht anwendbar sei. Zum andern bleibe das Visum auch bei unterstellter wirksamer Bezugnahme auf die Auflagen des Einbeziehungsbescheides ein wirksamer Aufenthaltstitel für die erteilte Gültigkeitsdauer. Auch hätte bereits mit dem Visum die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden können, da der Kläger zu 2. als Ehegatte einer Deutschen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 AufenthG habe. Diese Aufenthaltserlaubnis berechtige gemäß § 28 Abs. 5 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Während der Gültigkeit des Visums hätte theoretisch die Aufnahme einer Beschäftigung entsprechend § 39 AufenthG erlaubt werden können. Der Kläger zu 2. habe am 27. Oktober 2005 bei einer persönlichen Vorsprache bei der Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis formlos beantragt. Er habe an diesem Tag lediglich einen Termin für den 22. November 2005 zur erneuten Vorsprache sowie zur Abgabe des ausgefüllten und unterzeichneten Antragsformulars und der erforderlichen Unterlagen erhalten. Bei der Vorsprache am 22. November 2005 sei ihm dann die Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Der erste Hilfsantrag werde auf § 23 Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) gestützt. Die Hilfsbedürftigkeit des Klägers zu 2. dürfe unstreitig sein. Wenn die Rechtsauffassung der Beklagten zutreffe und der Kläger zu 2. erst ab Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Anspruch auf Bewilligung des Alg II habe, bestünde für den Zeitraum vom 15. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 jedenfalls Anspruch auf Sozialhilfe. Im Sinne des zweiten Hilfsantrags sei die Beklagte nach § 16 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) verpflichtet gewesen, auf eine entsprechende Antragstellung hinzuwirken bzw. den Antrag des Klägers zu 2. an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 28. November 2005 in der Fassung des Abänderungsbescheides vom 12. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger zu 2.) auch in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 Arbeitslosengeld II zu gewähren, hilfsweise, dem Kläger zu 2.) für den Zeitraum vom 15. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 Leistungen nach SGB XII zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, den Antrag vom 17. Oktober 2005 an den zuständigen Träger der Sozialhilfe weiterzuleiten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Leistungsakte der Beklagten, die Akte der Ausländerbehörde Berlin sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg. Der zulässige Hauptantrag ist unbegründet. Der erste Hilfsantrag ist unzulässig. Der zweite Hilfsantrag ist jedenfalls unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 28. November 2005 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Dezember 2005, der nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden ist, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Dezember 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger zu 2. in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von Alg II hat. In diesem Zeitraum liegen in Bezug auf den Kläger zu 2. die Voraussetzungen des § 7 SGB II nicht vor.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).
Nach § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte.
Dem Kläger zu 2. war jedoch in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 die Aufnahme einer Beschäftigung weder erlaubt, noch hätte sie erlaubt werden können. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Kläger zu 2. im streitigen Zeitraum Ausländer im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II, nämlich russischer Staatsangehöriger, gewesen ist. Ausweislich des Einbeziehungsbescheids des Bundesverwaltungsamtes vom 2. Dezember 2004 sowie der Bescheinigung des Bundesverwaltungsamtes vom 23. November 2005 kommt lediglich der Klägerin zu 1. sowie den gemeinsamen Töchtern A und O der Status als Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 BVFG zu. Insofern ist der Kläger zu 2. auch lediglich in der Anlage zum Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 genannt. Seine Rechtsstellung beurteilt sich nach § 8 Abs. 2 BVFG, wonach er nach dem Ermessen des Bundesverwaltungsamts als Familienangehöriger eines Spätaussiedlers in das Verteilungsverfahren nach § 8 BVFG einbezogen werden kann. Darüber hinausgehende Rechte nach dem BVFG werden diesem Personenkreis nicht zugesprochen. Insofern ist der entsprechende Hinweis in dem Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 zutreffend, wonach der Kläger zu 2. zur Einreise in das Bundesgebiet ein Visum einer deutschen Auslandsvertretung benötigt, er dem Ausländerrecht unterliegt und die jeweils zuständigen Behörden in einem anderen Verwaltungsverfahren über ein Bleiberecht nach der Einreise zu entscheiden haben.
Aufgrund des dem Kläger zu 2. erteilten Einreise-Visums, welches zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom 29. September 2005 bis zum 27. Dezember 2005 berechtigt hat, lässt sich jedenfalls keine Berechtigung zur Aufnahme einer Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II entnehmen. Zwar ist den Klägern darin Recht zu geben, dass es sich bei dem Visum um einen Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG handelt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG). Dieser Titel berechtigt jedoch nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dürfen Ausländer eine Beschäftigung nämlich nur ausüben, wenn der Aufenthalttitel es erlaubt. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG muss jeder Aufenthaltstitel erkennen lassen, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist. Das am 29. September 2005 ausgestellte Visum enthält jedoch keinerlei Angaben über die Berechtigung zur Ausübung einer Beschäftigung. Das gilt auch hinsichtlich des Vermerks "Auflagen siehe Aufnahmebescheid" - gemeint ist insoweit wohl der Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004, der, wie ausgeführt, lediglich zur Einbeziehung in das Verteilverfahren berechtigt, im Übrigen aber auf die ausländerrechtlichen Bestimmungen verweist. Entgegen dem Vorbringen der Kläger kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht des Visums sowie der Vorschrift des § 28 AufenthG die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Die Kläger lassen nämlich außer Betracht, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG, die nach § 28 Abs. 5 AufenthG auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, dem Kläger zu 2. gegenüber zu keiner Zeit erteilt worden ist. Eine solche Aufenthaltserlaubnis hätte die zuständige Ausländerbehörde auch nicht vor dem 22. November 2005 erteilen können, denn der in der Ausländerakte enthaltene Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist am 22. November 2005 gestellt worden. Damit hätte die zuständige Ausländerbehörde eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis auch nicht vor dem Antragsdatum erteilen dürfen. Nach § 22 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) entscheidet die Behörde zwar grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt das jedoch u.a. nicht, wenn die Behörde aufgrund von Rechtsvorschriften, wie bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels, nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt. Infolge eines fehlenden Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor dem 22. November 2005 hat damit auch nicht die abstrakt-generelle Möglichkeit bestanden, dass dem Kläger zu 2. die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können (§ 8 Abs. 2 2. Alternative SGB II).
Der erste Hilfsantrag ist unzulässig. Denn die insoweit erhobene Klage scheitert daran, dass in Bezug auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII kein Verwaltungs- und Vorverfahren durchgeführt worden ist. Zudem fehlt es an der Passivlegitimation der Beklagten; zuständig für die Erbringung von Sozialhilfeleistungen wäre insoweit nach § 3 SGB XII das Land Berlin.
Der zweite Hilfsantrag ist jedenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen für die Weiterleitung des am 17. Oktober 2005 gestellten Antrags durch die Beklagte an den zuständigen Träger der Sozialhilfe nach § 16 Abs. 2 SGB I liegen nicht vor. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Bei dem von den Klägern am 17. Oktober 2005 gestellten Antrag handelt es sich aber unmissverständlich um einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Hierfür ist aber die Beklagte der zuständige Leistungsträger, so dass bereits insoweit eine Weiterleitung des Antrags nach § 16 Abs. 2 SGB I ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers zu 2. auf Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005, hilfsweise um die Gewährung von Sozialhilfe für die Zeit vom 15. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005, hilfsweise um den Anspruch des Klägers zu 2. auf Weiterleitung seines Antrags vom 17. Oktober 2005 durch die Beklagte an den zuständigen Träger der Sozialhilfe.
Die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 2. reisten am 15. Oktober 2005 zusammen mit ihren beiden Töchtern O V und A V aus Russland in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Klägerin zu 1. und ihre beiden Töchter wurden laut Einbeziehungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Der Kläger zu 2. reiste mit einem von der Deutschen Botschaft in Moskau ausgestellten Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 17. Oktober 2005 beantragten die Kläger und ihre Tochter A noch im Flüchtlingslager F die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Am 24. Oktober 2005 meldeten sich die Kläger und ihre Tochter A in B polizeilich an. Am 22. November 2005 erteilte die Ausländerbehörde Berlin dem Kläger zu 2. unter Bezugnahme auf § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, die mit der Bestimmung versehen war, dass eine Beschäftigung nur nach Erlaubnis der Ausländerbehörde (§ 4 Abs. 2 AufenthG) sowie eine selbständige Tätigkeit gestattet sei.
Durch Bescheid vom 28. November 2005 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Dezember 2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin zu 1. und ihrer Tochter A in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 31. Januar 2006 Alg II. Dem Kläger zu 2. wurde Alg II jedoch erst ab dem 22. November 2005 bewilligt. Hiergegen legten die Kläger am 15. Dezember 2005 mit der Begründung Widerspruch ein, dem Kläger zu 2. müsse auch vor dem 22. November 2005 Alg II gewährt werden. Er habe gemeinsam mit der Klägerin zu 1. am 17. Oktober 2005 den Antrag auf Alg II gestellt. Der Kläger zu 2. sei als Ausländer nach § 8 BVFG im Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 aufgeführt. Da die Klägerin zu 1. Deutsche sei, sei der Kläger zu 2. ausländischer Ehegatte einer Deutschen und habe somit Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Diese Aufenthaltserlaubnis berechtige gemäß § 28 Abs. 5 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Der Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2005 zurückgewiesen. Hierin führte die Beklagte aus, nach § 8 Abs. 2 SGB II könnten Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sei oder erlaubt werden könne. Voraussetzung hierfür sei das Bestehen eines Aufenthaltstitels. Bis zum 21. November 2005 habe der Kläger zu 2. lediglich ein Visum besessen. Ein Aufenthaltstitel habe bis zu diesem Datum nicht bestanden. Mit der Einbeziehung in das Verteilverfahren nach dem BVFG sei kein ausländerrechtliches Bleiberecht verbunden. Somit könnten für den Kläger zu 2. Leistungen nach dem SGB II erst ab Vorliegen des Aufenthaltstitels, mithin ab dem 22. November 2005, erbracht werden.
Hiergegen haben die Kläger am 23. Januar 2006 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Die Kläger führen aus: Bereits die Begründung des Widerspruchsbescheids, dass für den Kläger zu 2. bis zum 21. Oktober 2005 kein Aufenthaltstitel bestanden habe, da er in dieser Zeit lediglich im Besitz eines Visums gewesen sei, sei rechtsirrig. Bereits nach der Legaldefinition in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG stelle das Visum eine Form eines Aufenthaltstitels dar. Der Kläger zu 2. sei im Besitz eines so genannten nationalen Visums gewesen, das ihn im Zeitraum vom 29. September 2005 bis zum 27. Dezember 2005 zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als Bundesverwaltungsamtaussiedler entsprechend den Auflagen des Aufnahmebescheids berechtige. Der Beklagten sei lediglich zuzugestehen, dass sich im Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 bezüglich des Klägers zu 2. der Hinweis finde: "Die vorgenannte Person unterliegt dem Ausländerrecht. Über ein Bleiberecht entscheiden nach der Einreise die in den einzelnen Bundesländern zuständigen Behörden in einem anderen Verwaltungsverfahren." Zum einen nehme die Auflage des Visums jedoch Bezug auf die Auflagen des Aufnahmebescheids und nicht des Einbeziehungsbescheids, so dass korrekterweise die oben zitierte Passage nicht anwendbar sei. Zum andern bleibe das Visum auch bei unterstellter wirksamer Bezugnahme auf die Auflagen des Einbeziehungsbescheides ein wirksamer Aufenthaltstitel für die erteilte Gültigkeitsdauer. Auch hätte bereits mit dem Visum die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden können, da der Kläger zu 2. als Ehegatte einer Deutschen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 AufenthG habe. Diese Aufenthaltserlaubnis berechtige gemäß § 28 Abs. 5 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Während der Gültigkeit des Visums hätte theoretisch die Aufnahme einer Beschäftigung entsprechend § 39 AufenthG erlaubt werden können. Der Kläger zu 2. habe am 27. Oktober 2005 bei einer persönlichen Vorsprache bei der Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis formlos beantragt. Er habe an diesem Tag lediglich einen Termin für den 22. November 2005 zur erneuten Vorsprache sowie zur Abgabe des ausgefüllten und unterzeichneten Antragsformulars und der erforderlichen Unterlagen erhalten. Bei der Vorsprache am 22. November 2005 sei ihm dann die Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Der erste Hilfsantrag werde auf § 23 Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) gestützt. Die Hilfsbedürftigkeit des Klägers zu 2. dürfe unstreitig sein. Wenn die Rechtsauffassung der Beklagten zutreffe und der Kläger zu 2. erst ab Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Anspruch auf Bewilligung des Alg II habe, bestünde für den Zeitraum vom 15. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 jedenfalls Anspruch auf Sozialhilfe. Im Sinne des zweiten Hilfsantrags sei die Beklagte nach § 16 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) verpflichtet gewesen, auf eine entsprechende Antragstellung hinzuwirken bzw. den Antrag des Klägers zu 2. an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 28. November 2005 in der Fassung des Abänderungsbescheides vom 12. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger zu 2.) auch in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 Arbeitslosengeld II zu gewähren, hilfsweise, dem Kläger zu 2.) für den Zeitraum vom 15. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 Leistungen nach SGB XII zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, den Antrag vom 17. Oktober 2005 an den zuständigen Träger der Sozialhilfe weiterzuleiten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Leistungsakte der Beklagten, die Akte der Ausländerbehörde Berlin sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg. Der zulässige Hauptantrag ist unbegründet. Der erste Hilfsantrag ist unzulässig. Der zweite Hilfsantrag ist jedenfalls unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 28. November 2005 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Dezember 2005, der nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden ist, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Dezember 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger zu 2. in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von Alg II hat. In diesem Zeitraum liegen in Bezug auf den Kläger zu 2. die Voraussetzungen des § 7 SGB II nicht vor.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).
Nach § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte.
Dem Kläger zu 2. war jedoch in der Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 21. November 2005 die Aufnahme einer Beschäftigung weder erlaubt, noch hätte sie erlaubt werden können. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Kläger zu 2. im streitigen Zeitraum Ausländer im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II, nämlich russischer Staatsangehöriger, gewesen ist. Ausweislich des Einbeziehungsbescheids des Bundesverwaltungsamtes vom 2. Dezember 2004 sowie der Bescheinigung des Bundesverwaltungsamtes vom 23. November 2005 kommt lediglich der Klägerin zu 1. sowie den gemeinsamen Töchtern A und O der Status als Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 BVFG zu. Insofern ist der Kläger zu 2. auch lediglich in der Anlage zum Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 genannt. Seine Rechtsstellung beurteilt sich nach § 8 Abs. 2 BVFG, wonach er nach dem Ermessen des Bundesverwaltungsamts als Familienangehöriger eines Spätaussiedlers in das Verteilungsverfahren nach § 8 BVFG einbezogen werden kann. Darüber hinausgehende Rechte nach dem BVFG werden diesem Personenkreis nicht zugesprochen. Insofern ist der entsprechende Hinweis in dem Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004 zutreffend, wonach der Kläger zu 2. zur Einreise in das Bundesgebiet ein Visum einer deutschen Auslandsvertretung benötigt, er dem Ausländerrecht unterliegt und die jeweils zuständigen Behörden in einem anderen Verwaltungsverfahren über ein Bleiberecht nach der Einreise zu entscheiden haben.
Aufgrund des dem Kläger zu 2. erteilten Einreise-Visums, welches zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom 29. September 2005 bis zum 27. Dezember 2005 berechtigt hat, lässt sich jedenfalls keine Berechtigung zur Aufnahme einer Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II entnehmen. Zwar ist den Klägern darin Recht zu geben, dass es sich bei dem Visum um einen Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG handelt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG). Dieser Titel berechtigt jedoch nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dürfen Ausländer eine Beschäftigung nämlich nur ausüben, wenn der Aufenthalttitel es erlaubt. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG muss jeder Aufenthaltstitel erkennen lassen, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist. Das am 29. September 2005 ausgestellte Visum enthält jedoch keinerlei Angaben über die Berechtigung zur Ausübung einer Beschäftigung. Das gilt auch hinsichtlich des Vermerks "Auflagen siehe Aufnahmebescheid" - gemeint ist insoweit wohl der Einbeziehungsbescheid vom 2. Dezember 2004, der, wie ausgeführt, lediglich zur Einbeziehung in das Verteilverfahren berechtigt, im Übrigen aber auf die ausländerrechtlichen Bestimmungen verweist. Entgegen dem Vorbringen der Kläger kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht des Visums sowie der Vorschrift des § 28 AufenthG die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Die Kläger lassen nämlich außer Betracht, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG, die nach § 28 Abs. 5 AufenthG auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, dem Kläger zu 2. gegenüber zu keiner Zeit erteilt worden ist. Eine solche Aufenthaltserlaubnis hätte die zuständige Ausländerbehörde auch nicht vor dem 22. November 2005 erteilen können, denn der in der Ausländerakte enthaltene Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist am 22. November 2005 gestellt worden. Damit hätte die zuständige Ausländerbehörde eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis auch nicht vor dem Antragsdatum erteilen dürfen. Nach § 22 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) entscheidet die Behörde zwar grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt das jedoch u.a. nicht, wenn die Behörde aufgrund von Rechtsvorschriften, wie bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels, nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt. Infolge eines fehlenden Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor dem 22. November 2005 hat damit auch nicht die abstrakt-generelle Möglichkeit bestanden, dass dem Kläger zu 2. die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können (§ 8 Abs. 2 2. Alternative SGB II).
Der erste Hilfsantrag ist unzulässig. Denn die insoweit erhobene Klage scheitert daran, dass in Bezug auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII kein Verwaltungs- und Vorverfahren durchgeführt worden ist. Zudem fehlt es an der Passivlegitimation der Beklagten; zuständig für die Erbringung von Sozialhilfeleistungen wäre insoweit nach § 3 SGB XII das Land Berlin.
Der zweite Hilfsantrag ist jedenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen für die Weiterleitung des am 17. Oktober 2005 gestellten Antrags durch die Beklagte an den zuständigen Träger der Sozialhilfe nach § 16 Abs. 2 SGB I liegen nicht vor. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Bei dem von den Klägern am 17. Oktober 2005 gestellten Antrag handelt es sich aber unmissverständlich um einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Hierfür ist aber die Beklagte der zuständige Leistungsträger, so dass bereits insoweit eine Weiterleitung des Antrags nach § 16 Abs. 2 SGB I ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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