S 4 KR 129/09 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 129/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Krankenversicherungsrecht
Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB V
Kein Nachweis der früheren gesetzlichen Krankenkasse
Besonderes Wahlrecht nach § 174 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 SGB V analog
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller rückwirkend zum 01. April 2007 vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Pflichtmitglied zu versichern und ihm die gesetzlich vorgesehenen Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse zu gewähren.

II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob der Antragsteller Anspruch auf Krankenversicherungsschutz als versicherungspflichtiges Mitglied nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hat.

I.

1.

Der Antragsteller bezieht seit 01.11.2007 eine Regelaltersrente von monatlich 333,48 Euro von der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd. Die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht als Rentner sind wegen fehlender Vorversicherungszeiten nicht gegeben. Leistungen der Grundsicherung wurden vom Beigeladenen mit Bescheid vom 11.02.2009 abgelehnt, da der Antragsteller aus dem vorhandenen Einkommen seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann. Der Antragsteller war laut Mitgliedskarte der AOK Berlin bis 09.12.1972 aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses bei der AOK Berlin pflichtversichert. Aus dem Rentenkonto der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd geht hervor, dass für den Antragsteller vom 11.03.1974 bis 04.04.1974 Pflichtbeiträge durch einen Arbeitgeber abgeführt wurden. Bei welcher gesetzlichen Krankenkasse der Antragsteller in diesem Zeitraum versichert war konnte nicht ermittelt werden, jedenfalls war der Antragsteller weder bei der AOK Berlin noch bei der Antragsgegnerin versichert. Seit 05.04.1974 war der Antragsteller nicht mehr in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und auch nicht bei einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse versichert.

Der Antragsteller beantragte über seinen Betreuer am 10.03.2009 rückwirkend zum 01.04.2007 bei der AOK Berlin die Pflichtversicherung für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Die AOK Berlin hat das Verfahren zuständigkeitshalber an die Antragsgegnerin abgegeben. Von der Antragsgegnerin würden Auskünfte von der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd und der AOK Berlin eingeholt.

Mit Bescheid vom 26.05.2009 lehnte die Antragsgegnerin die Pflichtmitgliedschaft ab. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei die Pflichtversicherung bei der Krankenkasse durchzuführen, bei der zuletzt eine Absicherung für den Krankheitsfall bestand. Da während der Zeit vom 11.03.1974 bis 04.04.1974 weder eine Versicherung bei der AOK Berlin noch bei der Antragsgegnerin bestanden habe, sei die Krankenkasse zuständig, bei der der Antragsteller während dieser Beschäftigung versichert gewesen sei.

Hiergegen legte der Betreuer des Antragstellers mit Schreiben vom 29.05.2009 Widerspruch ein. Der Antragsteller gebe an, niemals bei einer anderen Krankenkasse als der AOK versichert gewesen zu sein. Auch bestehe kein Grund zur Annahme, dass der Antragsteller anlässlich seiner letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit im Jahr 1974 eine andere Krankenkasse gewählt habe. Unterlagen über die Beschäftigung im Jahr 1974 besitze er nicht mehr, da diese zusammen mit dem Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung eingereicht worden seien. Nachdem der Antragsteller in seiner gesamten Arbeitszeit bei der AOK versichert gewesen sei, bestehe der Anscheinsbeweis, dass er auch bei seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der AOK versichert gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2009 wurde der Widerspruch abgewiesen. Da nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten nicht ermittelt werden könne bei welcher gesetzlichen Krankenkasse der Antragsteller von 11.03.1974 bis 04.04.1974 als Pflichtmitglied versichert gewesen sei, und er für die Versicherungspflicht die Feststellungslast trage, könne er sich nicht auf diese berufen.

2.

Mit Fax vom 28.07.2009 stellte der Antragsteller Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Der Antragsteller sei Dialysepatient und somit ständig auf ärztliche Hilfe angewiesen. Da sich die Antragsgegnerin bisher geweigert habe, den Antragsteller zu versichern, sei der Beigeladene in Vorleistung getreten und erbringe seit 01.03.2009 Hilfen zur Gesundheit. Eine Regelung in Bezug auf den Krankenversicherungsschutz des Antragstellers sei erforderlich, um von diesem unzumutbare Nachteile abzuwenden. Eilbedürftigkeit sei ebenfalls gegeben, denn der Antragsteller bedarf der Krankenbehandlung, die er aus eigenen Mitteln nicht finanzieren könne. Wegen des Nachrangs der Hilfen zur Gesundheit sei der Beigeladene nicht mehr bereit, diese zu erbringen.

Der Antragsteller beantragt, eine einstweilige Anordnung zu erlassen mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller ab 01.04.2007 als pflichtversichertes Mitglied nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zu führen und ihm die Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Der Beigeladene stellt keine Anträge.

Ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen vertrat die Antragsgegnerin die Auffassung, dass kein Anordnungsgrund gegeben sei, da Krankenhilfeleistungen vom Beigeladenen erbracht werden und sollte die Antragsgegnerin als letzte Krankenkasse nachgewiesen werden, diese den bereits geltend gemachten Erstattungsansprüchen nachkommen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und die Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens mit dem Aktenzeichen S 4 KR 175/09 Bezug genommen.

II.

1.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl das Bestehen des zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht. Er ist identisch mit dem auch im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen Anspruch. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung. Glaubhaftmachung bedeutet überwiegende Wahrscheinlichkeit, d.h. dass mehr dafür als dagegen spricht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9.Auflage 2008, § 86b Rn. 16b). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

Über diesen Gesetzeswortlaut hinaus hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass in Fällen, in denen es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, eine Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur dann zulässig ist, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend geprüft hat. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die Gerichte eine Verletzung der Grundrechte des Einzelnen, insbesondere der Menschenwürde, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, zu verhindern haben (Bundesverfassungsgericht Beschlüsse vom 22.11.2001 - NJW 2003, 1236; vom 12.03.2004 1 BvR 131/04; vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 und vom 06.07.2007 - 1 BvR 3101/06; BayLSG Beschlusse vom 13.11.2006 - L 5 KR 324/06 KR ER und vom 18.04.2008 – L 5 B 182/08 KR).

2.

Ein Anordnungsanspruch liegt vor.

Der Antragsteller erfüllt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB V i.V.m. § 174 Abs. 5 Satz 1 HS.2 SGB V analog.

a. Der Antragsteller verfügt über keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall.

b. Der Antragsteller war zuletzt gesetzlich krankenversichert, nämlich aufgrund seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung vom 11.03.1974 bis 04.04.1974.

c. Es liegt auch kein Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 8a SGB V vor:

aa. Der Antragsteller ist weder nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 bis 12 SGB V versicherungspflichtig noch freiwilliges Mitglied noch familienversichert nach § 10 SGB V. Insbesondere liegt eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V nicht vor, da die Voraussetzungen wegen fehlender Vorversicherungszeiten nicht gegeben sind.

bb. Der Antragsteller empfängt keine laufenden Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten oder Siebten Kapitel SGB XII oder nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Die Leistung der Krankenhilfe nach § 48 SGB XII ist Teil der Leistungen des Fünften Kapitels des SGB XII –Hilfen zur Gesundheit- und somit von der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 8a S. 2 SGB V nicht erfasst (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.07.2008 – Az.: L 5 B 57/08 KR ER, Hessisches Landessozialgericht Beschlüsse vom 11.02.2008 – Az.: L 8 KR 244/07 ER und 07.02.2008 – L 8 KR 218/07 ER, Sozialgericht Speyer Beschlüsse vom 23.04.2007 – Az.: S 7 ER 162/07 KR und 19.04.2007 – Az.: S 11 ER 164/07 KR).

d. Der Antragsteller ist durch Ausübung des besonderen Wahlrechts entsprechend § 174 Abs. 5 Satz 1 HS.2 SGB V Mitglied der Antragsgegnerin geworden.

aa. § 174 Abs. 5 SGB V gewährt dem Antragsteller nicht unmittelbar die Kassenzuständigkeit und das besondere Wahlrecht zur Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin. § 174 Abs. 5 SGB V regelt, welche Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung der Personen zuständig ist, die bisher ohne Absicherung im Krankheitsfall gewesen sind und nunmehr der Versicherungspflicht unter- liegen (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 158). Versicherungspflichtige die zuletzt gesetzlich krankenversichert waren ( § 5 Abs. 13 Buchst. a SGB V) werden Mitglied der Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse, bei der sie zuletzt Mitglied oder familienversichert waren. Die Zuweisung zur früheren Krankenkasse ist zwingend, den Betroffenen stehen allgemeine Wahlrechte nach § 173 SGB V nicht offen wie schon aus der Formulierung "abweichend von § 173" folgt. Für Versicherungspflichtige die vorher weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren ( § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB V), gilt das allgemeine Krankenkassenwahlrecht nach § 173Abs. 1 SGB V. Sie werden bei Eintritt der Versicherungspflicht Mitglied der von ihm gewählten, nach § 173 Abs. 2 SGB V wählbaren Krankenkasse (ebenso Baier in Krauskopf, Stand Mai 2009, § 174 Rn. 8; Peters in Kasseler Kommentar, Stand April 2009, § 174 Rn. 7; Just in Becker/Kingreen, 2008, § 174 Rdnr. 5f; aA.: Blöcher, jurisPK-SGB V, § 174 Rn. 13). Der Antragsteller war vom 11.03.1974 bis 04.04.1974 versicherungspflichtig beschäftigt und in dieser Zeit nicht Mitglied der Antragsgegnerin. Damit wird er gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 HS. 1 SGB V nicht Mitglied der Antragsgegnerin, sondern Mitglied der Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse bei der er in dieser Zeit pflichtversichertes Mitglied war.

bb. Die entsprechende Anwendung des § 174 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 SGB V gewährt dem Antragsteller das besondere Wahlrecht des § 174 Abs. 5 i.V.m. § 173 Abs. 1 SGB V, sodass er mit Eintritt der Versicherungspflicht zum 01.04.2007 Mitglied der von ihm gewählten Antragsgegnerin wurde.

Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt zum einen eine planwidrige Regelungslücke voraus, zum anderen eine gleichartige Interessenlage: Der lückenhaft geregelte Sachverhalt muss dem geregelten so ähnlich sein, dass der Gesetzgeber ihn, hätte er die Regelungslücke erkannt, in gleicher Weise geregelt hätte (BSGE 83, 68, 71; 89, 199, 202 f.; 96, 257).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

(1) Die Regelung des § 174 Abs. 5 SGB V stellt eine unbeabsichtigte lückenhafte Regelung dar.

Eine solche Lücke besteht in erster Linie, wenn das Gesetz - gemessen an der Regelungsabsicht des Gesetzgebers - unvollständig ist. Sie kann aber auch vorliegen, wenn das Gesetz zwar eine nach ihrem Wortlaut anwendbare Regelung enthält, diese aber nach ihrem Sinn und Zweck nicht passt oder sich in dem System, in dem sie enthalten ist, als Fremdkörper erweist. Solche Systemwidrigkeiten können z. B. nachträglich durch Gesetzesänderungen eintreten. Die dadurch entstehende Regelungslücke ist dann durch Übertragung einer für einen anderen Tatbestand vorgesehenen Rechtsfolge zu schließen (BSGE 82, 68, 71 f.).

Das Gesetz ist lückenhaft, da es unvollständig ist. Die Regelung des § 174 Abs. 5 SGB V stellt im Hinblick auf die Zeit vom 11.03.1974 bis 04.04.1974 und der für diesen Zeitraum zuständigen gesetzlichen Krankenkasse eine nach ihrem Wortlaut nicht einschlägige Regelung zur Ausübung des besonderen Wahlrechts dar, denn nicht erfasst ist der vorliegende Fall bei dem feststeht, dass der Antragsteller zuletzt gesetzlich krankenversichert war, aber die frühere gesetzliche Krankenkasse oder der Rechtsnachfolger der Krankenkasse nicht ermittelt werden kann.

Diese Lücke entspricht nicht der Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Der gesetzgeberische Zweck der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB V ist, dass in Deutschland niemand ohne Schutz im Krankheitsfall sein soll. Hierzu wurde mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) für alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall Versicherungsschutz in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung gewährleistet. Dabei werden der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere Personen ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall zugewiesen, die zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind, sowie solche Personen, die zuletzt weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren, aber zu dem Personenkreis gehören, der seinem Status nach der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen ist (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 94). Wie der Gesetzesbegründung des § 174 Abs. 5 SGB V zu entnehmen ist, wollte der Gesetzgeber regeln, welche Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung der Personen zuständig ist, die bisher ohne Absicherung im Krankheitsfall gewesen sind und nunmehr der Versicherungspflicht unterliegen (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 158). Den Gesetzesmaterialien ist die Wertentscheidung zu entnehmen, dass mit der Versicherungspflicht nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a, 174 Abs. 5 SGB V Schutz im Krankheitsfall für die gesamte Bevölkerung in Deutschland gewährleistet werden soll und der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere Personen ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall zugewiesen werden, die zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind. Von der Gesetzessystematik her ist das besondere Wahlrecht als Annex zu verstehen, denn es regelt lediglich die Kassenzuständigkeit für den Auffangversicherungsschutz der Bürgerversicherung. Trotz der Regelungsabsicht des Gesetzgebers umfassenden Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten sind von dieser Regelung die Fälle nicht erfasst, in denen der Versicherungspflichtige zuletzt gesetzlich krankenversichert war, aber aufgrund der schon viele Jahre zurückliegenden Mitgliedschaft die frühere Krankenkasse der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr ermittelt werden kann. Da die gesetzgeberische Intention aber darin bestand den Krankenversicherungsschutz und die Zuständigkeit der Krankenkassen umfassend zu regeln, und es bei Nichtanwendung dieser Regelungen zu einer systemwidrigen Belastung des Beigeladenen kommt, liegt eine planwidrige Lücke vor.

(2) Die Interessenlage der vorher weder gesetzlich noch privat Krankenversicherten und die der zuletzt gesetzlich Krankenversicherten bei denen die frühere Krankenkasse der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr ermittelt werden kann ist gleichartig.

Hätte der Gesetzgeber die Regelungslücke erkannt, hätte er die Kassenzuständigkeit und das besondere Wahlrecht bei Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB denen der Nachweis der letzten gesetzlichen Krankenkasse nicht gelingt mutmaßlich ähnlich geregelt wie bei vorher weder gesetzlich noch privat Krankenversicherten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB V. Die Interessenlage von denjenigen die vorher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren und jenen, die zuletzt gesetzlich krankenversichert, denen aber der Nachweis der letzten gesetzlichen Krankenkasse nicht gelingt, ist gleich. Beide Personengruppen befinden sich in der Situation, dass sie auf keine letzte Krankenversicherung zurückgreifen können, entweder weil sie nie krankenversichert waren oder weil die frühere Krankenkasse nicht ermittelt werden kann. Insbesondere besteht im Hinblick auf die gesetzgeberische Grundentscheidung des GKV-WSG kein sachlicher Grund für eine Differenzierung der Zuständigkeit der Absicherung im Krankheitsfall indem diejenigen, die vorher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, der gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet werden und jene, die zuletzt gesetzlich Krankenversicherten, denen aber der Nachweis der letzten gesetzlichen Krankenkasse nicht gelingt, Leistungen vom örtlichen Sozialhilfeträger erhalten. Deshalb ist eine analoge Anwendung des § 174 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 SGB V gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift hat der Versicherungspflichtige das allgemeine Kassenwahlrecht nach § 173 Abs. 1 SGB V. Er wird bei Eintritt der Versicherungspflicht Mitglied der von ihm gewählten Krankenkasse.

3.

Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller ist nach eigenen - von der Antragsgegnerin unwidersprochenen - Angaben Dialysepatient und auf ständige ärztliche Hilfe angewiesen. Er hat ein nachvollziehbares Interesse an einer schnellen Klärung seines krankenversicherungsrechtlichen Status, zumal eine endgültige Klärung der Rechtslage nicht kurzfristig zu erwarten ist. Als Bezieher einer relativ geringen Altersrente und ohne größeres Vermögen ist er auch nicht in der Lage, die Behandlung vorzufinanzieren. Er kann auch nicht auf einen nachrangigen Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger verwiesen werden, wenn tatsächlich ein Anordnungsanspruch gegeben ist. Im vorliegenden Fall geht es um das absolute Existenzminimum, da der kranke Antragsteller durch die Verweigerung von Krankenversicherungsschutz an Leib und Leben unmittelbar gefährdet wird, wenn ihm die erforderliche medizinische Behandlung auch nur zeitweise versagt wird.

4.

Die Kammer hat die Wirkung der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache befristet. Dies erscheint sachgerecht, aber auch notwendig, weil der Krankenversicherungsschutz eines Dialysepatienten sichergestellt sein muss und aus den dargelegten Gründen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Antragsteller auf nicht absehbare Zeit versicherungspflichtiges Mitglied der Antragsgegnerin ist.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG analog.

-
Rechtskraft
Aus
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