L 27 RJ 142/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 262/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 RJ 142/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. September 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit sowie wegen Erwerbsminderung.

Die im Jahr 1961 geborene Klägerin erlernte den Beruf einer Facharbeiterin für Schreibtechnik in der Zeit vom 1. September 1978 bis zum 15. Juli 1980 und war anschließend bis zum 30. Juni 1982 in diesem Beruf beschäftigt. Vom 1. Juli 1982 bis zum 31. Januar 1992 war sie als Automatenmontierkraft in der Tarifgruppe 4 beschäftigt. Wegen angeordneter Kurzarbeit (0-Stunden) war die Klägerin zwischenzeitlich als Verkäuferin auf Leiharbeiterbasis von Sommer bis Herbst 1990 für eine Lebensmittelmarktkette tätig. Nach Zeiten u. a. von Arbeitslosigkeit und Krankheit absolvierte die Klägerin im Zeitraum vom 20. März 1995 bis zum 16. Februar 1996 eine von der damaligen Bundesanstalt für Arbeit geförderte berufliche Bildungsmaßnahme sowie vom 6. September 1999 bis zum 3. März 2000 eine Bildungsmaßnahme zum Call Center Agent, die sie wegen Sehschwierigkeiten am 12. Januar 2000 abbrach.

Am 30. März 2000 beantragte die Klägerin u. a. aufgrund einer Augenerkrankung, Kreislaufbeschwerden, Beschwerden in den Armen, Beinen, im Rücken sowie Nierenerkrankungen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Die Beklagte zog zunächst ein Gutachten des ärztlichen Dienstes der damaligen Bundesanstalt für Arbeit vom 9. Mai 2000 bei, wonach die Klägerin noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarbeiten ohne den Einfluss von Nässe/Kälte und ohne erhöhte Absturz- und Verletzungsgefahr vollschichtig verrichten könne. Der sodann von der Beklagten beauftragte, bei ihr beschäftigte Arzt für innere Medizin und Rheumatologe Dr. Eggens führte in seinem Gutachten vom 3. August 2000 aus, die Klägerin könne noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in allen Haltungsarten verrichten.

Mit Bescheid vom 17. August 2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei weder erwerbs- und berufsunfähig. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeiten noch vollschichtig verrichten. Im anschließenden Widerspruchsverfahren erstattete die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Lindemann ein Gutachten, in dem sie im Ergebnis die durch Dr. Eggens getroffenen Feststellungen und Einschätzungen bestätigt.

Im anschließend vor dem Sozialgericht Potsdam geführten Klageverfahren hat das Sozialgericht mehrere Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt sowie Patientenunterlagen der Klägerin beigezogen. Aufgrund richterlicher Beweis-Anordnung hat der Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie Prof. Dr. Sparmann am 25. Juni 2002 ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist er zu der Einschätzung gelangt, bei der Klägerin bestehe eine rheumatoide Arthritis, mit mildem Verlauf und ohne schwerwiegende Destruktionen der Gelenke. Außerdem bestehe bei der Klägerin Übergewicht, ein leichter Senk-Spreiz-Knickfuß, eine Somatisierungsstörung, eine chronisch-rezividierende Bronchitis und ein Bluthochdruckleiden, jedoch sei keine Sehnervenentzündung belegt. Die Klägerin könne körperlich keine schweren oder mittelschweren Arbeiten, mit Zwangshaltungen oder einseitiger Haltungsart, im Freien, unter Einfluss extremer Kälte, Feuchtigkeit oder Nässe, mit Hautreizstoffen, auf Leitern und Gerüsten, mit ständigem Bücken, mit dem Heben und Tragen von Lasten über 5 kg im Knieen oder in der Hocke, unter Zeitdruck und in Wechselschicht verrichten. Die Anforderungen an die grobe Kraft der Hände und die dauerhafte Fingerfertigkeit seien herabgesetzt. Büroarbeiten könne die Klägerin ausüben, nicht jedoch Tätigkeiten als Stenotypistin. Ansonsten sei die Klägerin in der Lage, vollschichtig acht Stunden täglich zu arbeiten.

Mit Urteil vom 17. September 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klägerin sei weder erwerbs- noch berufsunfähig. Maßgeblicher Beruf sei ihre Tätigkeit als Verkäuferin. Insoweit genieße sie keinen Berufsschutz. Nach den Feststellungen insbesondere des Sachverständigen Prof. Dr. Sparmann könne sie leichte Tätigkeiten noch vollschichtig verrichten.

Gegen dieses ihr am 14. Oktober 2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. November 2003 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Sie macht geltend, sie genieße entweder als Facharbeiterin für Schreibtechnik oder aber als angelernte Elektromontiererin (obere Anlernebene) Berufsschutz. Eine zumutbare Verweisungstätigkeit stehe nicht zur Verfügung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin

1. ab dem 1. April 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Rente wegen Berufsunfähigkeit,

2. ab dem 1. Januar 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung

zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und benennt den Beruf einer Pförtnerin als Verweisungsberuf. Diesen könne die Klägerin in jeder Hinsicht zumutbar ausüben, auch wenn sie als Angelernte im oberen Bereich einzustufen sei.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat zunächst den Augenarzt Dr. Vogt mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2004 nebst ergänzender Stellungnahme vom 7. April 2006 bei der Klägerin eine beidseitige Fehlsichtigkeit sowie eine geringfügig reduzierte Sehschwäche links bei voller Sehschärfe rechts festgestellt. Die Klägerin könne auch als Pförtnerin acht Stunden täglich tätig werden.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat nach richterlicher Beweis-Anordnung der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Fischer am 2. Dezember 2007 ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist er zu der Einschätzung gelangt, aufgrund zahlreicher psychiatrischer Einschränkungen sei die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt. Sie könne noch körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten verrichten, wobei eine sitzende Tätigkeit im Umfang von 70 vom Hundert der Gesamtarbeitszeit empfohlen werde. Den Einschätzungen des Prof. Dr. Sparmann und des Dr. Vogt auf deren jeweiligen Fachgebieten folge er. Die Klägerin sei in der Lage, täglich drei bis sechs Stunden zu arbeiten. Das eingeschränkte Leistungsvermögen bestehe seit Abfassung des Gutachtens. Die Klägerin sei ein echter Behandlungsfall. Es werde eine stationäre intensive Psychotherapie mit nachfolgender ambulanter nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschrift zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts bei der damaligen Berichterstatterin vom 29. November 2006 sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, welche dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Die in den beiden Klageanträgen geltend gemachten Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu.

1. Zunächst ist die Klägerin weder erwerbs- noch berufsunfähig im Sinne der §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch/6. Buch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung. Nach § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. ist Erwerbsunfähigkeit gegeben, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 DM übersteigt. Erwerbsunfähig ist nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F. nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Berufsunfähig gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und Umfanges ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden könne (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F.). Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind (§ 43 Abs. 2 Abs. 3 SGB VI a.F.). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage ausüben kann (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI a.F.).

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin weder erwerbs- noch berufsunfähig, denn sie kann – auch wenn sie als Angelernte des oberen Bereiches einzustufen ist – jedenfalls die ihr sozial zumutbare Tätigkeit einer Pförtnerin ausüben. Die Tätigkeit einer Pförtnerin oder eines Pförtners ist auch einem Angelernten im oberen Bereich sozial zumutbar (Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Februar 2004, B 13 RJ 49/03 R). Durch die durchgeführten medizinischen Ermittlungen des Senats hat sich auch nicht erweisen lassen, dass die Klägerin im hier maßgeblichen Zeitraum ab dem 1. April 2000 nicht in der Lage gewesen ist, die Tätigkeit einer Pförtnerin vollschichtig zu verrichten. So haben zunächst die Sachverständigen Prof. Dr. Sparmann und Dr. Vogt nach eingehender und gründlicher Untersuchung in sich widerspruchsfrei und schlüssig bestätigt, dass bei der Klägerin mit den in den Gutachten im Einzelnen genannten Einschränkungen ein vollschichtiges Leistungsvermögen für eine körperlich leichte Tätigkeit besteht. Besondere qualitative Leistungseinschränkungen, die die Klägerin an der Ausübung einer Tätigkeit als Pförtnerin hindern könnten, haben diese Sachverständigen nicht beschrieben. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

Auch das Gutachten des Dr. Fischer führt nicht zu einer anderen Einschätzung. So hat der Sachverständige Dr. Fischer selbst festgestellt, dass er eine Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin erst bei Abfassung des Gutachtens – gemeint ist allerdings insoweit wahrscheinlich der Zeitpunkt der körperlichen Untersuchung der Klägerin – feststellen könne, weil erst zu diesem Zeitpunkt die notwendigen Erkenntnisquellen zur Verfügung gestanden hätten. Dies bedeutet indessen, dass auch der Sachverständige Dr. Fischer erst zu einem Zeitpunkt im Verlauf des Jahres 2007 eine deutliche Leistungseinschränkung bei der Klägerin feststellt, nicht hingegen für den hier maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2000.

2. Der Klägerin steht aber auch für die Zeit ab dem 1. Januar 2001 kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI n.F. zu. Denn die Klägerin ist weder voll erwerbsgemindert nach § 43 Abs. 2 SGB VI noch teilweise erwerbsgemindert nach § 43 Abs. 1 SGB VI n.F. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n.F. sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbarer Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nichtabsehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Auch nach diesen Kriterien ist die Klägerin nach den hier maßgeblichen medizinischen Sachverständigengutachten zur Überzeugung des Senats, die sich auf das gesamte Beweisergebnis des Verfahrens stützt (§ 128 SGG), weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Denn es hat sich nicht erweisen lassen, dass sie weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Die Sachverständigen Prof. Dr. Sparmann und Dr. Vogt bestätigen ohnehin ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Auch der Sachverständige Dr. Fischer, der eine Leistungseinschränkung ab dem Jahr 2007 annimmt, bestätigt letztlich nicht, dass die Klägerin zwingend weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Er beschreibt den Umfang ihrer möglichen Tätigkeiten mit drei bis sechs Stunden täglich, was ohnehin eine sechsstündige Tätigkeit einschließt. Soweit er darüber hinaus es für möglich hält, dass die Klägerin aufgrund etwa von Schmerzattacken auch im Einzelfall ein geringeres Leistungsvermögen besitzt, hat sich dies aus dem Gutachten nicht konkretisieren lassen. Auch anhand der Feststellungen und Schlussfolgerungen dieses Sachverständigengutachtens, welches die Leistungseinschränkungen der Klägerin deutlich großzügiger einschätzt als es die vorher befragten Sachverständigen getan haben, lässt sich nicht der zwingende Schluss auf ein Leistungsvermögen unterhalb von sechs Stunden täglich ziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich ist.
Rechtskraft
Aus
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