L 21 R 1112/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 6 R 384/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 R 1112/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine höhere Rentenleistung.

Dem 1947 geborenen Kläger wurde mit Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01. Oktober 2004 bis zum 30. September 2007 gewährt.

Dagegen legte der Kläger am 28. Juni 2006 Widerspruch ein, mit dem er sich unter Berufung auf das Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 (Aktenzeichen: B 4 RA 22/05 R) gegen die Absenkung des Zugangsfaktors wandte.

Mit Schreiben vom 10. Juli 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Entscheidung erst nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe getroffen werden könne und wies darauf hin, dass dies noch geraume Zeit in Anspruch nehmen könne. Unter Hinweis auf weitere anhängige Musterverfahren schlug die Beklagte mit Schreiben vom 05. Februar 2007 das Ruhen des Verfahrens vor.

Der Kläger teilte der Beklagten am 11. April 2007 mit, dass er auf einer Entscheidung im Widerspruchsverfahren bestehe und diese bis zum 25. April 2007 zu erfolgen habe.

Am 26. April 2007 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Cottbus erhoben, mit der er eine Entscheidung über den Widerspruch vom 19. Juni 2006 begehrte. In der Klageschrift heißt es: "Trotz meiner letzten Aufforderung, befristet bis zum 25. April 2007, wurde mein Widerspruch nicht abschließend beantwortet". Er beantragte ferner, "den Rechtszustand wiederherzustellen und darüber hinaus die Nachzahlung ab Renteneintritt, 01.Oktober 2004, als rechtlich richtig zu bestätigen."

Am 02. Mai 2007 erließ die Beklagte einen Widerspruchsbescheid.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 19. Juli 2007 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass sich die Untätigkeit der Beklagten durch den Erlass des Widerspruchsbescheides erledigt habe und die Klage unzulässig geworden sei. Mit Schreiben vom 01. August 2007 teilte der Kläger mit, dass Gegenstand seiner Klage nicht die Unterlassung der Beklagten sondern die vorgenommenen Abschläge seien.

Mit Urteil vom 07. Mai 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht hat ausgeführt, dass die Klage unzulässig sei. Nach Erteilung des Widerspruchsbescheides habe sich die erhobene Untätigkeitsklage in der Hauptsache erledigt. Zwar könne der Kläger im Wege der Klageänderung das Verfahren fortsetzen, dies müsse der Kläger jedoch gegenüber dem Gericht innerhalb der im Widerspruchsbescheid genannten Klagefrist von einem Monat tun. Der Kläger habe sich zum Widerspruchsbescheid nicht geäußert. Das Ende der Untätigkeit sei dem Gericht erst durch den Schriftsatz der Beklagten vom 03. Juli 2007 bekannt geworden. Auch wenn bereits eine Sachentscheidung bei Klageerhebung gewollt gewesen sein sollte, wäre diese unzulässig gewesen, da die Prozessvoraussetzungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen hätten, da das hierfür zwingende Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen sei.

Gegen das am 30. Mai 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Juni 2008 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Der Kläger macht geltend, vor dem Sozialgericht Cottbus keine Untätigkeitsklage erhoben zu haben. Mit seiner Klage habe er eine Sachentscheidung des Gerichts über die Höhe seines Rentenanspruches begehrt.

Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß zufolge,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 07. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Mai 2007 zu verurteilen, dem Kläger ab 01. Oktober 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors von 1,0 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts Cottbus für zutreffend.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die Berufung ist zulässig. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 07. Mai 2008 und damit die Abweisung des auf die Verpflichtung der Beklagten gerichteten Klagebegehrens, dem Kläger ab 01. Oktober 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors von 1,0 zu zahlen.

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, soweit es dem Kläger um höhere Rentenleistungen geht.

Das diesbezüglich erhobene Klagebegehren war unzulässig.

Der Kläger hatte beim Sozialgericht mit der am 26. April 2007 erhobenen Klage beanstandet, dass über seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Juni 2006 noch nicht entschieden sei und beantragt, "den Rechtszustand wiederherzustellen und darüber hinaus die Nachzahlung ab Renteneintritt, 01.10.2004, als rechtlich richtig zu bestätigen." Wertet man diese Ausführungen - wie es der Kläger nunmehr offensichtlich will - als Erhebung einer Verpflichtungsklage, so wäre eine solche bereits mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig gewesen. Es fehlte an einem Widerspruchsbescheid.

Gerade für diese Fälle hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Untätigkeitsklage geschaffen, die allerdings im SGG allein auf den Erlass des Bescheides gerichtet sein kann.

Nach § 88 Abs. 2 SGG kann Untätigkeitsklage erhoben werden, wenn über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund nicht binnen drei Monaten entschieden worden ist.

Am 2. Mai 2007 ist der zurückweisende Widerspruchsbescheid der Beklagten ergangen; die Hauptsache wäre nunmehr an sich für erledigt zu erklären gewesen (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 3 SGG; hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 88 Rdnr. 11). Einen entsprechenden Hinweis hat das Sozialgericht mit richterlicher Verfügung vom 19. Juli 2007 auch erteilt; dem wollte der Kläger in seinem Schreiben vom 1. August 2007 jedoch nicht nachkommen.

Stattdessen hat er unter Berufung auf das Urteil des BSG vom 16. Mai 2006, Az. B 4 RA 22/05 R, eine Rentenberechnung ohne Abschläge begehrt; er hat sein Begehren mithin auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) umgestellt.

Ein solcher Übergang von der Untätigkeitsklage ist zwar grundsätzlich statthaft (a.A. Zeihe, SGG, § 88 Rdnr. 9b); die Umstellung ist als gewillkürte Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG zu behandeln und als solche regelmäßig auch sachdienlich (so - soweit ersichtlich - die herrschende Meinung; vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage, IV Rdnr. 59; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rdnrn. 10b, 12a; 6; Eschner in Jansen u.a., SGG, 3. Auflage, § 88 Rdnr. 22).

Eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG (und nicht bloß eine Klageerweiterung nach § 99 Abs. 3 SGG) ist die Umstellung schon deswegen, weil - anders als im finanz- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. hierzu Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage, § 75, Rdnr. 21 ff) - sowohl die Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG als auch diejenige nach Abs. 2 a.a.O. im sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig auf Bescheidung gerichtet ist (vgl. BSGE 19, 164, 166 f.; BSGE 75, 56, 58 = SozR 3-1500 § 88 Nr. 2; Krasney/Udsching, a.a.O., Rdnrn. 53 f.; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rdnr. 9 ff.; siehe auch § 131 Abs. 3 SGG; zu einer hier nicht einschlägigen Ausnahme BSGE 75, 262, 268 = SozR 3-8560 § 26 Nr. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rdnr. 9b). Mit der Untätigkeitsklage wird mithin ein anderes Ziel als mit der Anfechtungsklage (und der mit ihr verbundenen Leistungsklage) verfolgt; der Streitgegenstand geht bei der Anfechtungsklage auf Aufhebung eines Verwaltungsakts, bei der mit ihr kombinierten Leistungsklage zusätzlich auf die Gewährung von Leistungen.

Die Statthaftigkeit der gewillkürten Klageänderung im Rahmen des Übergangs von der Untätigkeitsklage zur Anfechtungs- und Leistungsklage macht die geänderte Klage allerdings noch nicht ohne weiteres zulässig. Denn selbst wenn die besonderen Prozessvoraussetzungen der Klageänderung nach § 99 Abs. 1 und 2 SGG gegeben wären, entbindet dies nicht von der Prüfung, ob die geänderte Klage zulässig ist.

Für die Klageänderung (§ 99 Abs. 1 SGG) müssen vielmehr sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sein (ständige Rechtsprechung; vgl. BSGE 49, 163, 165 = SozR 1500 § 87 Nr. 6; BSG SozR 3-1500 § 29 Nr. 1; SozR 4-1500 § 160a Nr. 6; BSG, Urteile vom 11. Juni 1992 - 12 RK 45/90 -, 23. März 1993 - 4 RA 39/91 - (alle juris)); hierzu gehört auch die Einhaltung der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 und 2 SGG. Dementsprechend ist bei Umstellung einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 SGG in eine Anfechtungs- und Leistungsklage die Klagefrist zu wahren (vgl. Krasney/Udsching, a.a.O., Rdnr. 39; ebenso wohl Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rdnrn. 10b, 12a).

Die Einhaltung der Frist war hier auch nicht entbehrlich; denn ein Fall des § 96 SGG ist vorliegend nicht gegeben, weil der Kläger ursprünglich nicht über § 54 SGG einen Verwaltungsakt angefochten, sondern eine auf den Erlass des Widerspruchsbescheids gerichtete Untätigkeitsklage (§ 88 Abs. 2 SGG) erhoben hatte.

Die Klagefrist des § 87 SGG ist hier bei der auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellten Klage indes nicht gewahrt; sie beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu laufen.

Die für den Lauf der Frist erforderliche, dem Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2007 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 66 Abs. 1 SGG) war vollständig und richtig (vgl. hierzu BSG SozR 1500 zu § 66 Nr. 15; BSG SozR 1500 zu § 66 Nr. 9).

Nach § 85 Abs. 3 S. 1 SGG gilt der Bescheid bei Bekanntgabe (§ 37 SGB X) durch einfachen Brief am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig § 85 Rdnr. 8). Der Widerspruchsbescheid wurde am 03. Mai 2007 zur Post aufgegeben. Damit gilt als Bekanntgabe das Datum des 06. Mai 2007. Damit begann die Frist für die Klageerhebung am 07. Mai 2007 und endete am 06. Juni 2007.

Demgegenüber ist die mit Schriftsatz vom 1. August 2007 geänderte Klage erst an diesem Tag beim Sozialgericht eingegangen. Sonach ist die Klage verspätet erhoben.

Wegen der Versäumung der Frist zur Erhebung der Klage kann dem Kläger auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 67 Rdnr. 3 m.w.N.). Gründe, welche den Kläger an einer rechtzeitigen Klageerhebung gehindert hätten, sind indes von ihm weder vorgebracht noch sonst wie ersichtlich.

Ferner wäre eine Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten, hier die Beklagte, in eine Klageänderung einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich erachtet. Eine Einwilligung der Beklagten gegen die Änderung der Klage lag hier nicht vor. Die Beklagte ist im erstinstanzlichen Verfahren zu keiner Zeit inhaltlich auf ein geändertes Klagebegehren eingegangen. Vielmehr hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 03. Juli 2007 darauf hingewiesen, dass eine Untätigkeit nicht vorliege.

Nach alledem hat das Sozialgericht die Klage zu Recht als unzulässig erachtet und die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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