L 5 KR 139/08

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 6 KR 347/07
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 139/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V ist auch dann zu zahlen, wenn die Abrechnung der Krankenhausbehandlung zwar falsch war, die Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung jedoch nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.9.2008 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Beklagte Zinsen nur in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 24.9.2007 zu zahlen hat.
2. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetz (SGB V) auch in Fällen zu zahlen ist, in denen die Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ergeben hat, dass der Abrechnung eine falsche Kodierung zugrunde lag, die richtige Kodierung aber nicht zu einer Änderung des Rechnungsbetrags führte.
Die Klägerin ist Trägerin des nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses, in dem eine bei der Beklagten Versicherte im Mai 2007 stationär behandelt worden war. Die von der Beklagten veranlasste Prüfung der Abrechnung der Klägerin für den Behandlungsfall durch den MDK ergab, dass die Hauptdiagnose vom Krankenhaus nicht korrekt kodiert worden war. Eine Änderung des Rechnungsbetrags ergab sich aus der korrigierten Kodierung nicht. Die von der Klägerin verlangte Aufwandspauschale in Höhe von 100 EUR zahlte die Beklagte nicht mit der Begründung, bei der Prüfung sei eine falsche Abrechnung festgestellt worden; in einem solchen Fall bestehe kein Anspruch auf die Aufwandspauschale. Auf die Zahlungsklage der Klägerin hat das Sozialgericht Koblenz mit Urteil vom 24.9.2008 die Beklagte verurteilt, 100 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Gegen das ihr am 10.10.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.10.2008 die vom Sozialgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt. Sie trägt vor, es sei zweifelhaft, ob in Fällen wie dem vorliegenden die Voraussetzungen für die Aufwandspauschale überhaupt erfüllt seien. Nach § 301 Abs. 1 SGB V seien die Krankenhäuser verpflichtet, den Krankenkassen u.a. die Hauptdiagnosen zu übermitteln. Dabei habe der Gesetzgeber vorausgesetzt, dass die Hauptdiagnosen richtig übermittelt werden müssen. Es erscheine deshalb ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber eine Aufwandspauschale auch für Fälle gewollt habe, in denen eine Einzelfallprüfung durch den MDK durch eine fehlerhafte Angabe des Krankenhauses verursacht worden sei, aber nicht zur Minderung des Rechnungsbetrags geführt habe. Jedenfalls stehe der Geltendmachung des Anspruchs der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen. Die Klägerin habe durch Angabe einer falschen Diagnose die Beklagte bei der Abrechnungsprüfung in die Irre geleitet. Es sei treuwidrig, wenn die Klägerin aus ihrem Fehlverhalten Vorteile ziehe. Das Verhalten der Klägerin verstoße auch gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens - venire cont-ra factum proprium -. Mit der Angabe der falschen Diagnose habe die Klägerin eine Sach- und Rechtslage geschaffen, auf deren Richtigkeit die Beklagte bei der Beauftragung des MDK habe vertrauen dürfen. Dieser Vertrauensschutz würde entfallen, wenn die Klägerin trotz der unrichtigen Angaben berechtigt wäre, die Aufwandspauschale geltend zu machen. Es widerspreche Treu und Glauben, wenn die Klägerin trotz ihrer eigenen Pflichtverletzung Rechte gegenüber der Beklagten geltend mache.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.9.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass Zinsen nur in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen sind.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Sie habe sich nicht widersprüch-lich verhalten. Mit der von ihr erstellten Rechnung sei lediglich ein Vertrauenstatbestand dahin geschaffen worden, dass der Abrechnungsbetrag richtig sei. Dieses Vertrauen sei durch die unrichtige Kodierung nicht enttäuscht worden.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war.

Entscheidungsgründe:
Die auf Grund der Zulassung durch das Sozialgericht statthafte (§ 144 Abs. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung der Aufwandspauschale verurteilt.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von 100 EUR ist § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I 2007 S. 378 ff.). Die Bestimmung lautet: "Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100 EUR zu entrichten." Nach dem Wortlaut ist alleinige Vor-aussetzung des Anspruchs auf die Aufwandspauschale, dass die vom MDK durchgeführte Prüfung "nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags" führt. Der Anspruch auf die Aufwandspauschale besteht also auch dann, wenn die Ab-rechnung zwar fehlerhaft war, die Korrektur des Fehlers aber nicht zu einer Minderung des (Gesamt-)Abrechnungsbetrags führt. Auch bei fehlerhafter Abrechnung besteht der Anspruch auf die Aufwandspauschale somit, wenn die Prüfung nicht zu einer Änderung oder aber zu einer Erhöhung des Abrechnungsbetrags führt. Weitere Voraussetzungen, unter denen der Anspruch in diesen Fällen entfallen würde, nennt das Gesetz nicht. Der Wortlaut ist eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Im vorliegenden Fall hat die von der Beklagten veranlasste Prü-fung des Abrechnungsfalls durch den MDK nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags geführt. Damit sind die Voraussetzungen des Anspruchs auf die Aufwandspauschale erfüllt.
Ungeachtet dessen steht diese Rechtsfolge auch im Einklang mit dem Zweck der Regelung. Nach § 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eine gutachtliche Stellungnahme des MDK einzuholen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Verpflichtung der Krankenkasse zur Zahlung der Aufwandspauschale nicht davon abhängig gemacht, dass sich die geprüfte Abrechnung als richtig erweist, sondern davon, dass die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass dieses Ergebnis vom Gesetzgeber so auch gewollt ist. In der amtlichen Begründung zu dem Gesetzentwurf (BT-Drucks. 16/3100 S. 171) heißt es hierzu:
"Im Krankenhausbereich besteht Handlungsbedarf im Hinblick auf den Umfang der gutachtlichen Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), die Krankenkassen im Rahmen der Einzelfallprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 anfordern. Von einzelnen Krankenkassen wird die Prüfungsmöglichkeit in unverhältnismäßiger und nicht sachgerechter Weise zur Einzelfallsteuerung genutzt. Dies führt zu unnötiger Bürokratie. Für einzelne Kassenarten liegen Hin-weise zu Prüfquoten im Rahmen der Einzelfallprüfung in Höhe von 45 Prozent der Krankenhausfälle vor. Dies belastet die Abläufe in den Krankenhäusern teils erheblich, sorgt für zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand und führt in der Regel zu hohen und nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen. Eine zeitnahe Prüfung ist nicht immer gewährleistet. Teilweise werden weit zurückliegende Fälle aus Vorjahren geprüft. Dies führt auch zu Unsicherheiten bei Erlösausgleichen und Jahresabschlüssen.
Als Beitrag zu dem angestrebten Bürokratieabbau werden Anreize gesetzt, um Einzelfallprüfungen zukünftig zielorientierter und zügiger einzusetzen. Sofern hohe Prüfquoten z. B. auf systematische Mängel bei der Abrechnung durch das Krankenhaus zurückgehen, können diese im Rahmen der verdachtsunabhängigen Stichprobenprüfung nach § 17c des Krankenhausfinanzierungsgesetzes geprüft und aufgedeckt werden. Die Stichprobenprüfung erfasst grundsätzlich die Abrech-nungen gegenüber allen Krankenkassen. Da von dieser Möglichkeit bislang nur wenig Gebrauch gemacht wird, wird parallel zu den Änderungen bei der Einzelfallprüfung die Einleitung einer Stichprobenprüfung erleichtert sowie die Prüfung gleichgewichtiger ausgerichtet (vgl. Buchstaben a und b der Begründung zu § 17c KHG).
Um einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken, wird mit Satz 3 eine Aufwandspauschale von 100 Euro eingeführt. Diese ist von der prüfungseinleitenden Krankenkasse an das Krankenhaus zu entrichten. Die Aufwandspauschale ist nach Satz 3 für alle diejenigen Krankenhausfälle zu zahlen, in denen die Einzelfallprüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags durch die Krankenkasse führt. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Aufwandspauschale durch die Krankenkasse entsteht somit grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Rechnung bereits beglichen ist oder nicht. Das betroffene Krankenhaus hat der jeweiligen Krankenkasse die Aufwandspauschale in Rechnung zu stellen, zur Vermeidung unnötigen bürokratischen Aufwands ggf. in Form einer Sammelrechnung.
Das Recht der Krankenkassen zur Einleitung erforderlicher Prüfungen bleibt durch die Einführung einer Aufwandspauschale für die Prüfung nicht minderbarer Rechnungen unbenommen. Mit der Pauschale wird eine vereinfachte, aber unbürokratische Regelung verfolgt. Sie kann deshalb keine Detailgerechtigkeit in jedem Einzelfall gewährleisten. So sind aufgrund von Umfang und Komplexität der Kodierregeln Fehlabrechnungen mit zu hohen oder zu niedrigen Rechnungsbeträgen grundsätzlich nicht auszuschließen. Dennoch können Krankenkassen, die ihre Einzelfallprüfung gezielt durchführen, Mehrausgaben weitgehend vermeiden."
Aus der Entwurfsbegründung ergibt sich, dass die Aufwandspauschale insbesondere die Zahl der Einzelfallprüfungen durch den MDK und den damit für die Krankenhäuser verbundenen Aufwand begrenzen soll. Dabei hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass sich Fehlabrechnungen mit zu hohen oder zu niedrigen Rechnungsbeträgen auf Grund des Umfangs und der Komplexität der Kodierregeln grundsätzlich nicht ausschließen lassen. Dennoch hat er die Aufwandspau-schale nicht für alle Fälle von Fehlabrechnungen vorgesehen, sondern nur für Fälle, in denen sich keine Minderung des Abrechnungsbetrags ergibt. Die damit ggf. verbundenen Detailungerechtigkeiten hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf ge-nommen. Vorrangiges Ziel des Gesetzgebers war es, die Zahl der Einzelfallprü-fungen durch den MDK einzuschränken. Damit ist es vereinbar, wenn bei Fehlab-rechnungen zu Ungunsten der Krankenhäuser die Aufwandspauschale ebenfalls anfällt. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber den Krankenkassen durch Erleichterung von Stichprobenprüfungen nach § 17c Krankenhausfinanzierungsgesetz die Mög-lichkeit eröffnet, Prüfungen ohne das Risiko einer Aufwandspauschale durchzufüh-ren. Auch in der von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Stel-lungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit vom 12.12.2007 wird diese Auffassung geteilt.
Der Geltendmachung des Anspruch steht weder der Einwand unzulässiger Rechtsausübung noch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens entgegen. Beide Grundsätze beruhen auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der alle positiven Rechtsnormen des Bundes oder der Länder und alle unterstaatli-chen Rechtsnormen und deren Inhalt als Wirksamkeits-, Auslegungs-, Anwen-dungs- und Durchsetzbarkeitsvoraussetzung mitbestimmt, soweit diese Normen oder ihre konkrete Anwendung übermäßig von ihm abweichen. In diesem Sinne ist der Grundsatz von Treu und Glauben eine allen subjektiven Rechten, Rechtsver-hältnissen, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Er wird anwendbar, wenn zwischen zwei Rechtssubjekten eine rechtliche Sonderver-bindung besteht, soweit diese nach Inhalt und Dauer - auch bei entgegengesetzter Interessenlage - auf ein Zusammenwirken angelegt ist, das den Rechtszweck der Sonderverbindung nur erreichen kann, wenn das jeweils erforderliche Mindestmaß an Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen nicht außer Acht gelassen wird (zum Ganzen BSG 7.9.2006 - B 4 RA 43/05 R, juris Rn. 67 m.w.N.).
Der Gesetzgeber hat die Verpflichtung der Krankenkasse zur Zahlung der Auf-wandspauschale ausdrücklich allein daran geknüpft hat, dass die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt. Er verfolgt damit unter Inkauf-nahme von Detailungerechtigkeiten und Abrechnungsfehlern das legitime Ziel, die Zahl der Einzelfallprüfungen einzudämmen. Wenn das Krankenhaus seinen so begründeten Anspruch auf die Aufwandspauschale entsprechend dem ausdrückli-chen Gesetzeswortlaut auch in Fällen geltend macht, in denen die Abrechnung zwar unrichtig war, die Prüfung jedoch nicht zu einer Minderung oder sogar zu einer Erhöhung des Abrechnungsbetrags zugunsten der Krankenkasse geführt hat, ist dies nicht als treuwidrig zu werten. Denn auch in diesen Fällen wird der mit der Regelung verfolgte Zweck, die Zahl der Einzelfallprüfungen und den damit verbundenen Aufwand der Krankenhäuser einzudämmen, erreicht.
Der Anspruch auf die Prozesszinsen ergibt sich aus § 69 SGB V in Verbindung mit §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (BSG 19.4.2007 - B 3 KR 10/06 R, juris, BSG 23.3.2006 - B 3 KR 6/05 R, juris). Soweit die Klägerin zuvor einen höheren Zinssatz beantragt hatte, hat sie den Antrag in der mündlichen Verhandlung be-schränkt, nachdem der Senat darauf hingewiesen hatte, dass ein höherer Zinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB nur bei "Entgeltforderungen" begründet ist und sonstige Rechtsgründe für einen höheren Zinssatz nach § 288 Abs. 3 BGB nicht geltend gemacht seien.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Auf Grund des mit dem Gesetzeszweck übereinstimmenden eindeutigen Wortlauts der einschlägigen Bestimmung misst der Senat der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu und sieht daher keinen Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved