Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 3977/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1575/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.03.2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die am 1953 in J. geborene Klägerin hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie war von 1973 bis 2004 als ungelernte Arbeiterin, zuletzt bei verschiedenen Arbeitgebern als Reinigungskraft, versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Tod ihres Sohnes im Jahre 1991 hat sich bei der Klägerin eine Depression mit somatoformer Schmerzstörung entwickelt.
Nach einer medizinischen Rehabilitation wegen einer mittelgradigen depressiven Episode, einem HWS-Syndrom und einem LWS-Syndrom in der K. Klinik St. B. (Entlassungsbericht vom 17.10.2005: bei unveränderter Depression als arbeitsfähig für leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Tragen von Lasten über 10 kg, häufigem Bücken oder Ersteigen von Leitern entlassen) beantragte die Klägerin am 20.02.2006 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die die Klägerin für die Beklagte untersuchenden Ärzte (Lungenarzt Dr. H. , Fachärztin für Chirurgie Dr. L. und Ärztin für Psychiatrie Dr. Ho. ) berichteten mangelnde Mitarbeit bei den Untersuchungen bzw. Diskrepanzen zwischen der subjektiven Beschwerdeschilderung und den objektiven Befunden. Sie hielten die Klägerin übereinstimmend für in der Lage, bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als sechs Stunden pro Tag auszuüben.
Mit Bescheid vom 19.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 lehnte die Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab.
Mit ihrer am 18.08.2006 beim Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, ihr behandelnder Facharzt für Psychiatrie Dr. Ra. habe eine schwergradige depressive Störung diagnostiziert. Sie leide auch unter Schlafstörungen, einer Sehminderung und einer Hörstörung.
Das Sozialgericht hat den Facharzt für Orthopädie Dr. T. (chronisches Wirbelsäulensyndrom und beginnende Gelenkbeschwerden bei psychosomatischer Überlagerung und Verdacht auf Fibromyalgie), den HNO-Arzt Dr. P. (auf hno-ärztlichem Fachgebiet keine Erkrankungen, die gegen eine leichte vollschichtige Tätigkeit sprächen), den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. (seit regelmäßiger psychiatrischer Behandlung bei Dr. Ra. nur noch selten Behandlung wegen grippaler Infekte und allgemeinen Gelenkbeschwerden) und Dr. Ra. (Behandlung seit dem 01.12.2004 wegen chronifizierter depressiver Störung, fraglich mit psychotischen Symptomen; keine Arbeitsfähigkeit mehr, inzwischen benötige die Klägerin massive Fremdhilfe, z.B. Anleitung selbst beim Waschen und Anziehen) als sachverständige Zeugen befragt.
Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. O.-P. hat nach Untersuchung der Klägerin am 21.12.2006 auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymia im Sinne einer anhaltenden ängstlichen Depression mit vermindertem Antrieb berichtet. Die im Rahmen des wiederholten Arbeitsplatzverlustes exazerbierte depressive Symptomatik habe sich im Verlauf gebessert. Eine - im Hinblick auf die Art der medikamentösen Schmerztherapie der Klägerin als leicht einzustufende - somatoforme Schmerzstörung ordne sich der Dysthymia unter. Außerdem bestehe bei der Klägerin eine akzentuierte Primärpersönlichkeit mit histrionischen Anteilen, die zum vermehrten Ausdruck und der Dramatisierung der Selbstdarstellung beitrage. Bei der Begutachtung habe sich eine Diskrepanz zwischen den beklagten Symptomen und dem tatsächlichen Ausmaß des psychischen und somatischen Befundes gezeigt. Zumutbar seien aus neurologisch-psychiatrischer Sicht leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel, ohne Zeitdruck, ohne besondere geistige Anspannung und Nachtschicht sowie unter Berücksichtigung der chirurgischerseits gemachten qualitativen Einschränkungen im Umfang von mehr als sechs Stunden täglich.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein nervenärztliches Gutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. erhoben. Dieser hat im Ergebnis ausgeführt, die Klägerin könne - mit Schwankungen - seit der Rentenantragstellung im Februar 2006 selbst körperlich leichte und nervlich nicht belastende Tätigkeiten nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten im Hinblick auf den Schweregrad der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit ausgeprägten Schmerzen im Bereich der Gelenke und des muskuloskelettalen Systems sowie auf die komorbide mittelschwere depressive Episode mit Störung des Durchhaltevermögens, der Eigenmotivation und insgesamt der psychomentalen Belastbarkeit. Abweichend von Dr. O.-P. habe er deutliche Hinweise für eine depressive Störung mit den entsprechenden Symptomen einer andauernden depressiven Herabstimmung, Antriebsminderung, Antriebsstörung, Freudlosigkeit und Tagesmüdigkeit gesehen. Mit einer Besserung des Gesundheitszustandes sei nicht vor Ablauf von zwei Jahren zu rechnen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 18.03.2008 unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 antragsgemäß verurteilt, der Klägerin vom 01.02.2006 bis 31.01.2009 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Gutachtens von Dr. N. gestützt, die durch die behandelnden Ärzte Dr. T. und Dr. Ra. bestätigt worden seien. Im Ergebnis sei die psychische Beeinträchtigung der Klägerin schwerwiegender als von Dr. O.-P. eingeschätzt.
Gegen das ihr am 28.03.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 02.04.2008 Berufung eingelegt. Gestützt auf die im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten und das Gutachten von Dr. O.-P. sowie der von ihr dem Sozialgericht vorgelegten Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. G. sei eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht mit der erforderlichen, an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als bewiesen anzusehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.03.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil für richtig.
Auf Anfrage des Senats hat Dr. Ra. bescheinigt, dass die chronifizierte depressive Störung der Klägerin unverändert fortbestehe. Eine seit 2004 konsequent durchgeführte antidepressive und neuroleptische Therapie habe zu keiner Besserung geführt.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. hat nach Untersuchung der Klägerin am 08.08.2008 ein weiteres Gutachten erstattet. Eine neurologische Erkrankung bestehe bei der Klägerin nicht. Ihr Verhalten insbesondere bei der neurologischen Untersuchung lege nahe, dass die körperliche Symptomatik in einem gewissen Umfang relativ bewußtseinsnahe psychogen akzentuiert werde. Unabhängig hiervon sei eine - derzeit mittelgradige - depressive Verstimmung nachzuweisen, die mit einer Somatisierungstendenz einhergehe. Ihre psychische Belastbarkeit sei stark eingeschränkt. Wegen Beeinträchtigung des Durchhaltevermögens könne sie nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit qualitativen Einschränkungen verrichten.
In einer Stellungnahme für die Beklagte hat Dr. Ho. ausgeführt, bei den von mehreren Gutachtern beschriebenen Aggravationstendenzen und dem geringen Ausmaß an objektivierbaren somatischen und psychischen Störungen sei es nicht zweifelsfrei möglich, den tatsächlichen Ausprägungsgrad der depressiven Symptomatik zu bestimmen. Die Leistungsbeurteilung von Dr. D. stütze sich im Wesentlichen und ohne kritisches Hinterfragen auf die subjektiven Angaben der Klägerin. Der von ihr durchgeführte Simulationstest, die Angaben der Klägerin zu den von ihr eingenommenen Medikamenten und demonstrativ wirkend misslungener Finger-Nase-Versuch ließen die anderen Angaben der Klägerin nicht mehr ganz verlässlich erscheinen.
Hierzu vom Senat befragt, ist Dr. D. unter Hinweis auf die Berichte von Dr. Ra. und auf die durch die Kombination der Depression mit der somatoformen Schmerzstörung weggefallene Fähigkeit der Klägerin, ihre Alltagspflichten zu bewältigen, bei seiner Beurteilung geblieben.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte und allein streitige Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Von einer rentenrelevanten Erwerbsminderung der Klägerin ist der Senat nicht überzeugt.
Die orthopädischen Erkrankungen der Klägerin (Wirbelsäulensyndrom im Bereich der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule mit geringen funktionellen Einbußen, Knieschmerzen beidseits ohne Funktionseinbußen und ohne Reizzustand, diffuse Beschwerden im Bereich beider Füße ohne klinischen Reizzustand der Fußwurzel und der Zehengelenke, beginnende degenerative Veränderungen der Fingermittel- und Fingerendgelenke ohne Funktionseinbußen und ohne klinischen Reizzustand) schließen lediglich schwere Arbeiten sowie langdauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopfarbeiten, Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Dauerkraft der Hände, Arbeiten in überwiegend knieender oder hockender Position, häufig auf Leitern und Gerüsten und das Tragen von Lasten von mehr als 10 kg aus. Hinsichtlich der Diagnosen auf orthopädischem Fachgebiet und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin legt der Senat die übereinstimmenden und schlüssigen Beurteilungen durch Dr. L. , Dr. T. und im Rehabilitationsentlassungsbericht der K. Klinik zu Grunde.
Die von der Klägerin geltend gemachte Hörminderung bei Zustand nach Tympanoplastik rechts im Februar 2004 hat Dr. P. nicht uneingeschränkt bestätigt, steht aber jedenfalls nach seinem Bekunden einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von wenigstens sechs Stunden täglich nicht entgegen. Die von ihr im Klageverfahren ebenfalls zur Begründung ihres Anspruchs allgemein angeführte Sehminderung hat kein Arzt bestätigt. Es ist auch nicht erkennbar, dass sie ein rentenrelevantes Ausmaß erreicht.
Der Schwerpunkt der für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin maßgeblichen Erkrankungen liegt auf psychiatrischem Fachgebiet, nachdem Dr. O.-P. und Dr. D. eine neurologische Erkrankung ausgeschlossen haben. Alle Sachverständigen sowie der behandelnde Nervenarzt Dr. Ra. haben übereinstimmend bei der Klägerin eine Depression und eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert, wovon auch der Senat ausgeht. Dies allein begründet aber noch keinen Rentenanspruch der Klägerin. Maßgeblich sind vielmehr die Auswirkungen dieser Erkrankungen auf das Leistungsvermögen. Für das tatsächliche Vorliegen von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast (BSG, Urteil vom 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R).
Der Senat vermag im Hinblick auf die bei allen Untersuchungen aufgefallene, zum Teil als erheblich beschriebene, Diskrepanz zwischen der subjektiven Beschwerdeschilderung der Klägerin und den objektiven Befunden einerseits und die unpräzise und teilweise ausweichende Beantwortung der Fragen nach Beschwerden andererseits nicht festzustellen, ob die Klägerin wegen ihrer nervenärztlichen Erkrankungen erwerbsgemindert ist. Ein Verdeutlichungsverhalten der Klägerin, das - auch unter Berücksichtigung der von Dr. O.-P. diagnostizierten akzentuierten Primärpersönlichkeit der Klägerin mit histrionischen Anteilen, die zum vermehrten Ausdruck und der Dramatisierung der Selbstdarstellung beitrage - das im Rahmen einer Begutachtungssituation regelmäßig vorkommende Maß übersteigt, wie von Dr. Ho. in ihren Stellungnahmen angeführt, hält der Senat für nachgewiesen. Überzeugend hat Dr. Ho. auf die im Rahmen der von ihr durchgeführten Untersuchung von der Klägerin demonstrierte Bradydiadochokinese (verlangsamter Ablauf von antagonistischen Bewegungen), das demonstrativ wirkende Vorbeizeigen beim Finger-Nase-Versuch, das positive Ergebnis des Simulationstests nach Rey und die auf in den Begutachtungen wiederholt gestellte Frage von der Klägerin bejahte, aber durch den Bluttest widerlegte regelmäßige Einnahme der von Dr. Ra. verschriebenen Medikamente hingewiesen. Auch im Übrigen sind die Angaben der Klägerin zu ihren Beschwerden und ihrem Tagesablauf nicht verlässlich, da inkonstant und teilweise sogar widersprüchlich. So hat sie bei Dr. O.-P. angegeben, sie mache zu Hause noch einige in der Krankengymnastik erlernte Übungen, was einem erheblich geminderten Antrieb und der - von der Klägerin selbst bei keiner Begutachtung gemachten - Angabe von Dr. Ra. widerspricht, sie benötige sogar beim Anziehen und Waschen die Anleitung von Familienangehörigen. Auch dem Entlassungsbericht der K. Kliniken ist nicht zu entnehmen, dass die Klägerin auf eine dermaßen massive Fremdhilfe angewiesen war. Auffällig ist auch, dass die Klägerin, nachdem sie in der Praxis von Dr. N. vor der Untersuchung auf dem Weg zur Toilette kollabiert ist, angegeben hat, dass auch im häuslichen Bereich häufiger derartige Schwächezustände und Bewusstseinsstörungen auftreten würden, diese aber in den Vorgutachten oder von den behandelnden Ärzten nicht erwähnt sind und auch bei Dr. D. nicht wieder angegeben worden sind. Der Senat hält deshalb - den Ausführungen von Dr. Ho. folgend - die Angaben der Klägerin nicht für glaubhaft.
Damit lässt sich nicht mit der für die Überzeugungsbildung des Senats erforderlichen ausreichenden Sicherheit feststellen, dass die Depression und die Schmerzerkrankung der Klägerin so schwergradig sind, dass sie selbst leichten Tätigkeiten ohne psychische und ohne mehr als leichten körperlichen Belastungen von täglich mindestens sechs Stunden entgegenstehen. Dies entspricht den einen Rentenanspruch ausschließenden Leistungseinschätzungen in den Gutachten von Dr. Ho. und von Dr. O.-P. sowie im Reha-Entlassungsbericht der K. Klinik. Während die Ärzte der Reha-Klinik ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen sogar bei unveränderten depressiven Beschwerden vertreten haben, hat Dr. Ho. im Hinblick auf die Inkonsistenzen im Gesamtverhalten der Klägerin lediglich den Verdacht auf eine leichte bis mittelgradige Depression und eine somatoforme Schmerzstörung gestellt, jedenfalls aber eine tiefergehende depressive Verstimmung ausdrücklich ausgeschlossen. Dr. O.-P. hat bei ihrer Untersuchung der Klägerin nur noch eine dysthyme Symptomatik gefunden, wobei auch hier die Ergebnisse des psychopathometrischen Befundes in Form der Selbstbeurteilung der Klägerin nicht mit dem psychiatrischen Untersuchungsbefund übereingestimmt haben, und - im Hinblick auf eine Schmerzmedikation auf der ersten Therapiestufe, auf eine fehlende Modulierbarkeit der beklagten Schmerzen und das Fehlen angemessener Therapiemaßnahmen und/oder Eigenaktivitäten zur Schmerzlinderung trotz als ausgeprägt beschriebene Beschwerden - eine der Dysthymia sich unterordnende, leichte somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.
Soweit hiervon abweichend Dr. Ra. , Dr. N. und Dr. D. die Auffassung vertreten haben, die Klägerin sei wegen einer schwergradigen Depression mit Somatisierungsstörung nicht mehr in der Lage, regelmäßig mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten ohne psychische Belastungen zu verrichten, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Diese Nervenärzte haben zwar übereinstimmend eine erhebliche depressive Verstimmung mit Reduzierung des Antriebs und Aufmerksamkeits-, Konzentration- und Gedächtnisstörungen sowie Schlafstörungen bei der Klägerin beschrieben, Dr. N. darüber hinaus auch formale Denkstörungen (Denkverlangsamung, Umständlichkeit und Grübeltendenz). Die Beurteilung durch Dr. Ra. lässt allerdings nicht erkennen, inwieweit sie auf selbst erhobenen Befunden anstatt auf Angaben der Klägerin beruht und ist daher - insbesondere im Hinblick auf die allein von ihm bescheinigte Angewiesenheit der Klägerin auf fremde Hilfe im Alltag - nicht nachvollziehbar.
Die Sachverständigen hingegen haben sich zwar mit der Frage einer Verdeutlichung der Beschwerden durch die Klägerin auseinandergesetzt, diese aber nicht für den Senat nachvollziehbar vom tatsächlichen Kern der Beschwerden, der für die Beurteilung des Rentenanspruchs der Klägerin maßgeblich ist, abgegrenzt.
Dr. N. hat ausgeführt, bei Beschwerdeschilderung und -ausgestaltung bestehe ein kongruentes Bild, tendenzielle Verhaltensweise habe er nicht beobachtet, ebenso wenig seien die Angaben der Klägerin zu psychischen Beeinträchtigungen und körperlichen Schmerzen unpräzise gewesen. Auch die vor der Untersuchung eingetretene Bewusstseinsstörung und die Angaben über die mangelnde Belastbarkeit seien ihm nicht als Ausdruck einer bewußtseinsnahen Verdeutlichung, sondern eher einer manifesten Kreislaufdysregulation erschienen, wobei die bestehende somatoforme Störung mit der entsprechenden Symptomatik berücksichtigt werden müsse. Diese Einschätzung erscheint vor dem Hintergrund der von der Klägerin bei den übrigen Begutachtungen gezeigten erheblichen Aggravation und ihren auf eine Rentenfixierung hindeutenden Angaben im Gutachten von Dr. O.-P. (sie wisse nur, sie könne nicht mehr arbeiten und sie habe genug gearbeitet in ihrem Leben) zu unkritisch und kann daher nicht überzeugen. Dass das von Dr. O.-P. beschriebene Krankheitsgefühl der Klägerin selbst sich bereits wieder so weit verdichtet hat, dass die Überzeugung der Klägerin, krank zu sein, zu einer erheblichen Erwerbsminderung führt, hat kein Sachverständiger mitgeteilt. Vielmehr hat Dr. O.-P. in diesem Zusammenhang eine in Ansätzen vorhandene spezifische Krankheitseinsicht und passive Therapiemotivation der Klägerin berichtet.
Auch die Auffassung von Dr. D. , die bei der von ihm durchgeführten Untersuchung aufgefallenen, nach seiner Einschätzung leichten, aber relativ bewußtseinsnahen Verdeutlichungstendenzen (bei den Kraftprüfungen wechselndes Nachgeben zum Teil mit erkennbaren Fehlinnervationen, Demonstration eines phänomenologisch nicht einzuordnenden und von der Zuwendung des Untersuchers abhängigen langsamen, kleinschrittigen, schleppenden Gangbildes sowie auch hier demonstrativ wirkendes Vorbeizeigen im Finger-Nase-Versuch und Demonstration einer Bradydiadochokinese) seien von einer derzeit mittelgradigen depressiven Verstimmung unabhängig, ist nicht überzeugend. Denn er hat nicht dargelegt, welche Angaben er einerseits zur Begründung des Schweregrades der Depression und deren Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen herangezogen hat und welche er andererseits als Verdeutlichungsverhalten nicht oder nur eingeschränkt berücksichtigt. Bei der Beschreibung des von ihm erhobenen psychischen Befundes hat Dr. D. lediglich teilweise distanzierend dargestellt, wie die Klägerin auf ihn gewirkt hat bzw. welchen Eindruck sie zu vermitteln versucht hat (" wirkt teilweise müde ", " gibt sich teilweise etwas schwerbesinnlich ", "nach ihrer Darstellung ist sie nicht dazu in der Lage, mit ihren Alltagspflichten zurechtzukommen") bzw. hat er die Angaben in indirekter Rede wiedergegeben, an anderer Stelle hingegen direkt festgestellt, ohne dass er eigene Beobachtungen hierzu hätte machen können (" ist sie in ihren sozialen Kontakten nahezu ausschließlich auf ihre eigene Familie beschränkt."). Dies genügt nicht, um ein schlüssiges Bild von der Erwerbsminderung zu begründen, auch wenn er abschließend ausführt, die zum Teil etwas unpräzisen Angaben zur Vorgeschichte würden durch die in den zugesandten Unterlagen enthaltenen ärztlichen Stellungnahmen weitgehend bestätigt und zum Teil präzisiert.
Bei einem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen, dass eine volle Erwerbsminderung der Klägerin zwar als gut möglich erscheinen lässt, jedoch nicht zweifelsfrei belegt, besteht ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht. Das angefochtene Urteil ist damit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die am 1953 in J. geborene Klägerin hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie war von 1973 bis 2004 als ungelernte Arbeiterin, zuletzt bei verschiedenen Arbeitgebern als Reinigungskraft, versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Tod ihres Sohnes im Jahre 1991 hat sich bei der Klägerin eine Depression mit somatoformer Schmerzstörung entwickelt.
Nach einer medizinischen Rehabilitation wegen einer mittelgradigen depressiven Episode, einem HWS-Syndrom und einem LWS-Syndrom in der K. Klinik St. B. (Entlassungsbericht vom 17.10.2005: bei unveränderter Depression als arbeitsfähig für leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Tragen von Lasten über 10 kg, häufigem Bücken oder Ersteigen von Leitern entlassen) beantragte die Klägerin am 20.02.2006 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die die Klägerin für die Beklagte untersuchenden Ärzte (Lungenarzt Dr. H. , Fachärztin für Chirurgie Dr. L. und Ärztin für Psychiatrie Dr. Ho. ) berichteten mangelnde Mitarbeit bei den Untersuchungen bzw. Diskrepanzen zwischen der subjektiven Beschwerdeschilderung und den objektiven Befunden. Sie hielten die Klägerin übereinstimmend für in der Lage, bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als sechs Stunden pro Tag auszuüben.
Mit Bescheid vom 19.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 lehnte die Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab.
Mit ihrer am 18.08.2006 beim Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, ihr behandelnder Facharzt für Psychiatrie Dr. Ra. habe eine schwergradige depressive Störung diagnostiziert. Sie leide auch unter Schlafstörungen, einer Sehminderung und einer Hörstörung.
Das Sozialgericht hat den Facharzt für Orthopädie Dr. T. (chronisches Wirbelsäulensyndrom und beginnende Gelenkbeschwerden bei psychosomatischer Überlagerung und Verdacht auf Fibromyalgie), den HNO-Arzt Dr. P. (auf hno-ärztlichem Fachgebiet keine Erkrankungen, die gegen eine leichte vollschichtige Tätigkeit sprächen), den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. (seit regelmäßiger psychiatrischer Behandlung bei Dr. Ra. nur noch selten Behandlung wegen grippaler Infekte und allgemeinen Gelenkbeschwerden) und Dr. Ra. (Behandlung seit dem 01.12.2004 wegen chronifizierter depressiver Störung, fraglich mit psychotischen Symptomen; keine Arbeitsfähigkeit mehr, inzwischen benötige die Klägerin massive Fremdhilfe, z.B. Anleitung selbst beim Waschen und Anziehen) als sachverständige Zeugen befragt.
Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. O.-P. hat nach Untersuchung der Klägerin am 21.12.2006 auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymia im Sinne einer anhaltenden ängstlichen Depression mit vermindertem Antrieb berichtet. Die im Rahmen des wiederholten Arbeitsplatzverlustes exazerbierte depressive Symptomatik habe sich im Verlauf gebessert. Eine - im Hinblick auf die Art der medikamentösen Schmerztherapie der Klägerin als leicht einzustufende - somatoforme Schmerzstörung ordne sich der Dysthymia unter. Außerdem bestehe bei der Klägerin eine akzentuierte Primärpersönlichkeit mit histrionischen Anteilen, die zum vermehrten Ausdruck und der Dramatisierung der Selbstdarstellung beitrage. Bei der Begutachtung habe sich eine Diskrepanz zwischen den beklagten Symptomen und dem tatsächlichen Ausmaß des psychischen und somatischen Befundes gezeigt. Zumutbar seien aus neurologisch-psychiatrischer Sicht leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel, ohne Zeitdruck, ohne besondere geistige Anspannung und Nachtschicht sowie unter Berücksichtigung der chirurgischerseits gemachten qualitativen Einschränkungen im Umfang von mehr als sechs Stunden täglich.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein nervenärztliches Gutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. erhoben. Dieser hat im Ergebnis ausgeführt, die Klägerin könne - mit Schwankungen - seit der Rentenantragstellung im Februar 2006 selbst körperlich leichte und nervlich nicht belastende Tätigkeiten nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten im Hinblick auf den Schweregrad der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit ausgeprägten Schmerzen im Bereich der Gelenke und des muskuloskelettalen Systems sowie auf die komorbide mittelschwere depressive Episode mit Störung des Durchhaltevermögens, der Eigenmotivation und insgesamt der psychomentalen Belastbarkeit. Abweichend von Dr. O.-P. habe er deutliche Hinweise für eine depressive Störung mit den entsprechenden Symptomen einer andauernden depressiven Herabstimmung, Antriebsminderung, Antriebsstörung, Freudlosigkeit und Tagesmüdigkeit gesehen. Mit einer Besserung des Gesundheitszustandes sei nicht vor Ablauf von zwei Jahren zu rechnen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 18.03.2008 unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 antragsgemäß verurteilt, der Klägerin vom 01.02.2006 bis 31.01.2009 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Gutachtens von Dr. N. gestützt, die durch die behandelnden Ärzte Dr. T. und Dr. Ra. bestätigt worden seien. Im Ergebnis sei die psychische Beeinträchtigung der Klägerin schwerwiegender als von Dr. O.-P. eingeschätzt.
Gegen das ihr am 28.03.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 02.04.2008 Berufung eingelegt. Gestützt auf die im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten und das Gutachten von Dr. O.-P. sowie der von ihr dem Sozialgericht vorgelegten Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. G. sei eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht mit der erforderlichen, an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als bewiesen anzusehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.03.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil für richtig.
Auf Anfrage des Senats hat Dr. Ra. bescheinigt, dass die chronifizierte depressive Störung der Klägerin unverändert fortbestehe. Eine seit 2004 konsequent durchgeführte antidepressive und neuroleptische Therapie habe zu keiner Besserung geführt.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. hat nach Untersuchung der Klägerin am 08.08.2008 ein weiteres Gutachten erstattet. Eine neurologische Erkrankung bestehe bei der Klägerin nicht. Ihr Verhalten insbesondere bei der neurologischen Untersuchung lege nahe, dass die körperliche Symptomatik in einem gewissen Umfang relativ bewußtseinsnahe psychogen akzentuiert werde. Unabhängig hiervon sei eine - derzeit mittelgradige - depressive Verstimmung nachzuweisen, die mit einer Somatisierungstendenz einhergehe. Ihre psychische Belastbarkeit sei stark eingeschränkt. Wegen Beeinträchtigung des Durchhaltevermögens könne sie nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit qualitativen Einschränkungen verrichten.
In einer Stellungnahme für die Beklagte hat Dr. Ho. ausgeführt, bei den von mehreren Gutachtern beschriebenen Aggravationstendenzen und dem geringen Ausmaß an objektivierbaren somatischen und psychischen Störungen sei es nicht zweifelsfrei möglich, den tatsächlichen Ausprägungsgrad der depressiven Symptomatik zu bestimmen. Die Leistungsbeurteilung von Dr. D. stütze sich im Wesentlichen und ohne kritisches Hinterfragen auf die subjektiven Angaben der Klägerin. Der von ihr durchgeführte Simulationstest, die Angaben der Klägerin zu den von ihr eingenommenen Medikamenten und demonstrativ wirkend misslungener Finger-Nase-Versuch ließen die anderen Angaben der Klägerin nicht mehr ganz verlässlich erscheinen.
Hierzu vom Senat befragt, ist Dr. D. unter Hinweis auf die Berichte von Dr. Ra. und auf die durch die Kombination der Depression mit der somatoformen Schmerzstörung weggefallene Fähigkeit der Klägerin, ihre Alltagspflichten zu bewältigen, bei seiner Beurteilung geblieben.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte und allein streitige Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Von einer rentenrelevanten Erwerbsminderung der Klägerin ist der Senat nicht überzeugt.
Die orthopädischen Erkrankungen der Klägerin (Wirbelsäulensyndrom im Bereich der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule mit geringen funktionellen Einbußen, Knieschmerzen beidseits ohne Funktionseinbußen und ohne Reizzustand, diffuse Beschwerden im Bereich beider Füße ohne klinischen Reizzustand der Fußwurzel und der Zehengelenke, beginnende degenerative Veränderungen der Fingermittel- und Fingerendgelenke ohne Funktionseinbußen und ohne klinischen Reizzustand) schließen lediglich schwere Arbeiten sowie langdauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopfarbeiten, Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Dauerkraft der Hände, Arbeiten in überwiegend knieender oder hockender Position, häufig auf Leitern und Gerüsten und das Tragen von Lasten von mehr als 10 kg aus. Hinsichtlich der Diagnosen auf orthopädischem Fachgebiet und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin legt der Senat die übereinstimmenden und schlüssigen Beurteilungen durch Dr. L. , Dr. T. und im Rehabilitationsentlassungsbericht der K. Klinik zu Grunde.
Die von der Klägerin geltend gemachte Hörminderung bei Zustand nach Tympanoplastik rechts im Februar 2004 hat Dr. P. nicht uneingeschränkt bestätigt, steht aber jedenfalls nach seinem Bekunden einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von wenigstens sechs Stunden täglich nicht entgegen. Die von ihr im Klageverfahren ebenfalls zur Begründung ihres Anspruchs allgemein angeführte Sehminderung hat kein Arzt bestätigt. Es ist auch nicht erkennbar, dass sie ein rentenrelevantes Ausmaß erreicht.
Der Schwerpunkt der für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin maßgeblichen Erkrankungen liegt auf psychiatrischem Fachgebiet, nachdem Dr. O.-P. und Dr. D. eine neurologische Erkrankung ausgeschlossen haben. Alle Sachverständigen sowie der behandelnde Nervenarzt Dr. Ra. haben übereinstimmend bei der Klägerin eine Depression und eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert, wovon auch der Senat ausgeht. Dies allein begründet aber noch keinen Rentenanspruch der Klägerin. Maßgeblich sind vielmehr die Auswirkungen dieser Erkrankungen auf das Leistungsvermögen. Für das tatsächliche Vorliegen von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast (BSG, Urteil vom 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R).
Der Senat vermag im Hinblick auf die bei allen Untersuchungen aufgefallene, zum Teil als erheblich beschriebene, Diskrepanz zwischen der subjektiven Beschwerdeschilderung der Klägerin und den objektiven Befunden einerseits und die unpräzise und teilweise ausweichende Beantwortung der Fragen nach Beschwerden andererseits nicht festzustellen, ob die Klägerin wegen ihrer nervenärztlichen Erkrankungen erwerbsgemindert ist. Ein Verdeutlichungsverhalten der Klägerin, das - auch unter Berücksichtigung der von Dr. O.-P. diagnostizierten akzentuierten Primärpersönlichkeit der Klägerin mit histrionischen Anteilen, die zum vermehrten Ausdruck und der Dramatisierung der Selbstdarstellung beitrage - das im Rahmen einer Begutachtungssituation regelmäßig vorkommende Maß übersteigt, wie von Dr. Ho. in ihren Stellungnahmen angeführt, hält der Senat für nachgewiesen. Überzeugend hat Dr. Ho. auf die im Rahmen der von ihr durchgeführten Untersuchung von der Klägerin demonstrierte Bradydiadochokinese (verlangsamter Ablauf von antagonistischen Bewegungen), das demonstrativ wirkende Vorbeizeigen beim Finger-Nase-Versuch, das positive Ergebnis des Simulationstests nach Rey und die auf in den Begutachtungen wiederholt gestellte Frage von der Klägerin bejahte, aber durch den Bluttest widerlegte regelmäßige Einnahme der von Dr. Ra. verschriebenen Medikamente hingewiesen. Auch im Übrigen sind die Angaben der Klägerin zu ihren Beschwerden und ihrem Tagesablauf nicht verlässlich, da inkonstant und teilweise sogar widersprüchlich. So hat sie bei Dr. O.-P. angegeben, sie mache zu Hause noch einige in der Krankengymnastik erlernte Übungen, was einem erheblich geminderten Antrieb und der - von der Klägerin selbst bei keiner Begutachtung gemachten - Angabe von Dr. Ra. widerspricht, sie benötige sogar beim Anziehen und Waschen die Anleitung von Familienangehörigen. Auch dem Entlassungsbericht der K. Kliniken ist nicht zu entnehmen, dass die Klägerin auf eine dermaßen massive Fremdhilfe angewiesen war. Auffällig ist auch, dass die Klägerin, nachdem sie in der Praxis von Dr. N. vor der Untersuchung auf dem Weg zur Toilette kollabiert ist, angegeben hat, dass auch im häuslichen Bereich häufiger derartige Schwächezustände und Bewusstseinsstörungen auftreten würden, diese aber in den Vorgutachten oder von den behandelnden Ärzten nicht erwähnt sind und auch bei Dr. D. nicht wieder angegeben worden sind. Der Senat hält deshalb - den Ausführungen von Dr. Ho. folgend - die Angaben der Klägerin nicht für glaubhaft.
Damit lässt sich nicht mit der für die Überzeugungsbildung des Senats erforderlichen ausreichenden Sicherheit feststellen, dass die Depression und die Schmerzerkrankung der Klägerin so schwergradig sind, dass sie selbst leichten Tätigkeiten ohne psychische und ohne mehr als leichten körperlichen Belastungen von täglich mindestens sechs Stunden entgegenstehen. Dies entspricht den einen Rentenanspruch ausschließenden Leistungseinschätzungen in den Gutachten von Dr. Ho. und von Dr. O.-P. sowie im Reha-Entlassungsbericht der K. Klinik. Während die Ärzte der Reha-Klinik ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen sogar bei unveränderten depressiven Beschwerden vertreten haben, hat Dr. Ho. im Hinblick auf die Inkonsistenzen im Gesamtverhalten der Klägerin lediglich den Verdacht auf eine leichte bis mittelgradige Depression und eine somatoforme Schmerzstörung gestellt, jedenfalls aber eine tiefergehende depressive Verstimmung ausdrücklich ausgeschlossen. Dr. O.-P. hat bei ihrer Untersuchung der Klägerin nur noch eine dysthyme Symptomatik gefunden, wobei auch hier die Ergebnisse des psychopathometrischen Befundes in Form der Selbstbeurteilung der Klägerin nicht mit dem psychiatrischen Untersuchungsbefund übereingestimmt haben, und - im Hinblick auf eine Schmerzmedikation auf der ersten Therapiestufe, auf eine fehlende Modulierbarkeit der beklagten Schmerzen und das Fehlen angemessener Therapiemaßnahmen und/oder Eigenaktivitäten zur Schmerzlinderung trotz als ausgeprägt beschriebene Beschwerden - eine der Dysthymia sich unterordnende, leichte somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.
Soweit hiervon abweichend Dr. Ra. , Dr. N. und Dr. D. die Auffassung vertreten haben, die Klägerin sei wegen einer schwergradigen Depression mit Somatisierungsstörung nicht mehr in der Lage, regelmäßig mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten ohne psychische Belastungen zu verrichten, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Diese Nervenärzte haben zwar übereinstimmend eine erhebliche depressive Verstimmung mit Reduzierung des Antriebs und Aufmerksamkeits-, Konzentration- und Gedächtnisstörungen sowie Schlafstörungen bei der Klägerin beschrieben, Dr. N. darüber hinaus auch formale Denkstörungen (Denkverlangsamung, Umständlichkeit und Grübeltendenz). Die Beurteilung durch Dr. Ra. lässt allerdings nicht erkennen, inwieweit sie auf selbst erhobenen Befunden anstatt auf Angaben der Klägerin beruht und ist daher - insbesondere im Hinblick auf die allein von ihm bescheinigte Angewiesenheit der Klägerin auf fremde Hilfe im Alltag - nicht nachvollziehbar.
Die Sachverständigen hingegen haben sich zwar mit der Frage einer Verdeutlichung der Beschwerden durch die Klägerin auseinandergesetzt, diese aber nicht für den Senat nachvollziehbar vom tatsächlichen Kern der Beschwerden, der für die Beurteilung des Rentenanspruchs der Klägerin maßgeblich ist, abgegrenzt.
Dr. N. hat ausgeführt, bei Beschwerdeschilderung und -ausgestaltung bestehe ein kongruentes Bild, tendenzielle Verhaltensweise habe er nicht beobachtet, ebenso wenig seien die Angaben der Klägerin zu psychischen Beeinträchtigungen und körperlichen Schmerzen unpräzise gewesen. Auch die vor der Untersuchung eingetretene Bewusstseinsstörung und die Angaben über die mangelnde Belastbarkeit seien ihm nicht als Ausdruck einer bewußtseinsnahen Verdeutlichung, sondern eher einer manifesten Kreislaufdysregulation erschienen, wobei die bestehende somatoforme Störung mit der entsprechenden Symptomatik berücksichtigt werden müsse. Diese Einschätzung erscheint vor dem Hintergrund der von der Klägerin bei den übrigen Begutachtungen gezeigten erheblichen Aggravation und ihren auf eine Rentenfixierung hindeutenden Angaben im Gutachten von Dr. O.-P. (sie wisse nur, sie könne nicht mehr arbeiten und sie habe genug gearbeitet in ihrem Leben) zu unkritisch und kann daher nicht überzeugen. Dass das von Dr. O.-P. beschriebene Krankheitsgefühl der Klägerin selbst sich bereits wieder so weit verdichtet hat, dass die Überzeugung der Klägerin, krank zu sein, zu einer erheblichen Erwerbsminderung führt, hat kein Sachverständiger mitgeteilt. Vielmehr hat Dr. O.-P. in diesem Zusammenhang eine in Ansätzen vorhandene spezifische Krankheitseinsicht und passive Therapiemotivation der Klägerin berichtet.
Auch die Auffassung von Dr. D. , die bei der von ihm durchgeführten Untersuchung aufgefallenen, nach seiner Einschätzung leichten, aber relativ bewußtseinsnahen Verdeutlichungstendenzen (bei den Kraftprüfungen wechselndes Nachgeben zum Teil mit erkennbaren Fehlinnervationen, Demonstration eines phänomenologisch nicht einzuordnenden und von der Zuwendung des Untersuchers abhängigen langsamen, kleinschrittigen, schleppenden Gangbildes sowie auch hier demonstrativ wirkendes Vorbeizeigen im Finger-Nase-Versuch und Demonstration einer Bradydiadochokinese) seien von einer derzeit mittelgradigen depressiven Verstimmung unabhängig, ist nicht überzeugend. Denn er hat nicht dargelegt, welche Angaben er einerseits zur Begründung des Schweregrades der Depression und deren Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen herangezogen hat und welche er andererseits als Verdeutlichungsverhalten nicht oder nur eingeschränkt berücksichtigt. Bei der Beschreibung des von ihm erhobenen psychischen Befundes hat Dr. D. lediglich teilweise distanzierend dargestellt, wie die Klägerin auf ihn gewirkt hat bzw. welchen Eindruck sie zu vermitteln versucht hat (" wirkt teilweise müde ", " gibt sich teilweise etwas schwerbesinnlich ", "nach ihrer Darstellung ist sie nicht dazu in der Lage, mit ihren Alltagspflichten zurechtzukommen") bzw. hat er die Angaben in indirekter Rede wiedergegeben, an anderer Stelle hingegen direkt festgestellt, ohne dass er eigene Beobachtungen hierzu hätte machen können (" ist sie in ihren sozialen Kontakten nahezu ausschließlich auf ihre eigene Familie beschränkt."). Dies genügt nicht, um ein schlüssiges Bild von der Erwerbsminderung zu begründen, auch wenn er abschließend ausführt, die zum Teil etwas unpräzisen Angaben zur Vorgeschichte würden durch die in den zugesandten Unterlagen enthaltenen ärztlichen Stellungnahmen weitgehend bestätigt und zum Teil präzisiert.
Bei einem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen, dass eine volle Erwerbsminderung der Klägerin zwar als gut möglich erscheinen lässt, jedoch nicht zweifelsfrei belegt, besteht ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht. Das angefochtene Urteil ist damit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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