L 19 R 445/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 4134/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 445/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Keine einstweilige Anordnung bei Kürzung der Rente wegen Anrechnung einer fiktiven Rente aus Rumänien, wenn der Anordnungsgrund nicht dargelegt wird.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 07.05.2009 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, ob auf die der Antragstellerin (ASt) bewilligte Rente eine fiktive rumänische Rente anzurechnen ist.
Die ASt ist deutsche Staatsangehörige und hat auch rumänische Versicherungszeiten zurückgelegt, aus denen sich ein Anspruch auf eine rumänische Rente in Höhe von 40,16 EUR ergeben würde.
Am 17.12.2008 beantragte sie Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahres. Dabei teilte sie auch mit, dass sie zurzeit keinen Antrag auf Altersrente aus Rumänien stellen werde, sie möchte den rumänischen Rentenbeginn hinausschieben.
Mit Bescheid vom 12.02.2009 (Mitteilung über die vorläufige Leistung) in der Gestalt des am 16.03.2009 abgesandten Widerspruchsbescheides bewilligte die Beklagte Altersrente ab 01.03.2009 in Höhe von 428,33 EUR brutto abzüglich der
- fiktiven - Rente aus Rumänien in Höhe von 40,16 EUR; die Nettorente betrug 348,77 EUR. Mit Bescheid vom 08.05.2009 erhöhte sich die Nettorente auf 359,24 EUR ab 01.07.2009. Nach Artikel 2 und 31 Fremdrentengesetz (FRG) ruhe der Anspruch auf deutsche Rente in Höhe eines bestehenden Anspruches auf eine rumänische Rente. Gegen diese Bescheide hat die ASt Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Am 08.04.2009 hat die ASt beim SG Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz dahingehend begehrt, ihr die bewilligte Rente ohne Abzug der fiktiven rumänischen Rente auszuzahlen. Die Rente ihres Ehemannes betrage lediglich 865,66 EUR. Verschiedene Sozialgerichte hätten in ihrem Sinne bereits entschieden. Eine Bedürftigkeit bei einem Einkommen unter dem Sozialhilfesatz nachzuweisen, erübrige sich aus ihrer Sicht.
Die Antragsgegnerin (Ag) hat vorgetragen, unabhängig vom Fehlen eines Anordnungsanspruches habe die ASt auch keinen wesentlichen Nachteil bis zur Entscheidung in der Hauptsache dargelegt.
Mit Beschluss vom 07.05.2009 hat das SG die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab 08.04.2009 für die Dauer des Klageverfahrens (S 12 R 4110/09) die mit Bescheid vom 12.02.2009 bewilligte Altersrente für Frauen ohne Abzug einer fiktiven Rente zu gewähren. Ein Anordnungsanspruch sei vorliegend glaubhaft gemacht. Eine fiktive rumänische Rente sei nicht anrechenbar. Wegen der eindeutig fehlenden Rechtsgrundlage für eine Rentenkürzung sei ein Anordnungsgrund nicht erst dann gegeben, wenn Sozialhilfebedürftigkeit eintrete. Eine Kürzung um 40,60 EUR monatlich für die Dauer des Hauptsacheverfahrens sei der ASt nicht zumutbar.
Dagegen hat die Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Unabhängig vom Fehlen eines Anordnungsanspruches habe die ASt nicht dargelegt, welche Nachteile sie konkret erleide, wenn sie bis zur Entscheidung in der Hauptsache ihren Lebensunterhalt von der gekürzten Rentenleistung finanzieren müsse.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag, die Akte des SG S 12 R 4110/09 und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des SG ist aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 -1 BvR 2971/06 -).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO).
Dies zugrunde gelegt ist vorliegend von offenen Erfolgsaussichten auszugehen. Hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit der Anrechnung einer tatsächlich nicht bezogenen Rente aus Rumänien hat sich bislang keine einheitliche Rechtsmeinung gebildet. Diese Rechtsfrage ist - noch - als streitig anzusehen (vgl einerseits: BayLSG, Beschluss vom 02.07.2008 - L 14 B 469/08 R ER -; andererseits offen lassend: BayLSG, Beschluss vom 23.12.2008 - L 1 B 802/08 R ER -, Beschluss vom 19.08.2008 - L 6 B 523/08 R ER -; LSG NRW, Beschluss vom 19.01.2009 - L 14 B 22/08 R ER -, Beschluss vom 15.12.2008 - L 18 B 22/08 R ER -; Beschluss des Senates vom 05.02.2009 - L 20 B 1111/08 R ER -).
Es ist daher entscheidend auf den Anordnungsgrund abzustellen. Dieser ist von der ASt in keiner Weise glaubhaft dargelegt worden. Vielmehr hat sie angegeben, ihr Ehemann beziehe eine Rente in Höhe von 865,66 EUR. Zusammen mit der ihr tatsächlich ausgezahlten Rente in Höhe von 359,24 EUR ergeben sich somit allein aus den Renteneinkommen der Ehegatten Einkünfte in Höhe von 1.224,00 EUR. Ob die ASt bzw. ihr Ehemann zusätzliche Einkommen haben, ist nicht bekannt. Bereits das Renteneinkommen jedoch liegt über den Regelsätzen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Damit aber hat die ASt nicht glaubhaft dargelegt, dass die einstweilige Anordnung zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils erforderlich ist. Der tatsächlich ausgezahlte Rentenbetrag liegt weit über den für Grundsicherungsempfänger vorgesehenen Regelsatz. Welche Ausgaben die ASt neben dem Lebensunterhalt noch zu tragen hat (Miete, Heizung etc.) und ob ggf. ein Mehrbedarf zu berücksichtigen ist, hat sie - obwohl die Ag auch in der Beschwerdebegründung ausdrücklich die fehlenden Angaben hierzu angesprochen hat - nicht dargelegt und sie hat auch nicht erklärt, keine weiteren Einkünfte zu haben.
Daher ist ein Nachteil finanzieller Art der ASt, der durch die Nachzahlung im Falle ihres Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden könnte, nicht erkennbar. Hingegen wäre eine Rückzahlung überzahlter Leistungen der ASt aber gerade dann nicht möglich, wenn ihre Existenz durch den Abzug von 40,16 EUR monatlich gefährdet wäre. Im vorliegenden Einzelfall ist deshalb insbesondere auch unter Berücksichtigung der Höhe des Abzugsbetrages im Verhältnis zu der tatsächlich ausgezahlten Rente zuzüglich der Rente ihres Ehemannes ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft dargelegt.
Nach alledem war auf die Beschwerde der Ag der Beschluss des SG aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf die entsprechende Anwendung des
§ 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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