L 7 B 10/06 SB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 SB 178/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 B 10/06 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
PKH bei unvollständiger Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 30. März 2006 wird aufgehoben und der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt.

Gründe:
I.
Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) stritt im Hauptsacheverfahren um die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 nach dem Recht der schwerbehinderten Menschen. Sie hatte am 13. Dezember 2005 Klage beim Sozialgericht Dessau (jetzt Dessau-Roßlau) erhoben und am 12. Januar 2006 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Dazu hat sie den von ihr unterschriebenen Vordruck "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" vorgelegt und als Einnahmen eine Rente in Höhe von 632,63 EUR sowie als Vermögen ein Bankguthaben von 694,26 EUR angegeben. In der Rubrik "Wohnkosten" hat sie ausgeführt, sie wohne bei der Tochter. Abzüge, Zahlungsverpflichtungen oder besondere Belastungen hat sie nicht angegeben.

Im Hauptsacheverfahren holte das Sozialgericht zur medizinischen Aufklärung des Sachverhaltes Befundberichte ein, nach deren Auswertung sich der Beklagte bereit erklärte, ab August 2005 einen GdB von 60 sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festzustellen. In der nichtöffentlichen Sitzung vom 22. März 2006 schlossen die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits einen entsprechenden gerichtlichen Vergleich, mit dem sich der Beklagte zusätzlich verpflichtete, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin zu erstatten. Mit Beschluss vom selben Tage hat das Sozialgericht der Antragstellerin PKH ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und für diese Entscheidung keine Gründe angegeben. Gegen diesen Beschluss hat die Bezirksrevisorin beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt am 29. März 2006 Beschwerde eingelegt und darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der monatlichen Nettoeinkünfte von 632,63 EUR sowie des Abzugs eines Grundfreibetrages von 380 EUR über ein Einkommen von 252,63 EUR verfüge, das zu einer PKH-Bewilligung mit monatlichen Raten von 95,00 EUR führen müsse. Falls die Beschwerdeführerin weitere absetzbare Belastungen nachweise, werde die Rücknahme der Beschwerde geprüft. Daraufhin hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 30. März 2006 seinen Beschluss vom 22. März 2006 aufgehoben und PKH mit einer Ratenzahlungsverpflichtung von monatlich 95 EUR bewilligt.

Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 13. April 2006 Beschwerde mit der Begründung eingelegt, es seien absetzbare Belastungen zu berücksichtigen, und hat diese Belastungen im Einzelnen belegt. In Einzelnen hat sie folgende Belastungen angegeben:

Wasser 26,00 EUR alle zwei Monate Abwasser 50,00 EUR alle zwei Monate aufgelaufenen Rückstände Abwasser 50,00 EUR monatlich Gas 76,00 EUR monatlich Sterbeversicherung 14,48 EUR monatlich Hundesteuer 20,00 EUR jährlich Grundsteuer 69,93 EUR jährlich Schornsteinfegerkosten 36,95 EUR jährlich Müllgebühren 37,00 EUR jährlich Raten für Fahrzeug Restbetrag 5.980,00 EUR 130,00 EUR monatlich Kfz-Versicherung 33,58 EUR monatlich offene Rechnung RAin Reichrath 20,00 EUR monatlich.

Daraus ergebe sich ein monatlicher Gesamtbetrag in Höhe von 350,72 EUR, so dass PKH ohne Ratenzahlung zu gewähren sei. Das Sozialgericht hat der Beschwerde mit Verfügung/Beschluss vom 22. Mai 2006 nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht vorgelegt.

Die Beschwerdeführerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 30. März 2006 abzuändern und ihr Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung zu bewilligen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf Bewilligung von ratenfreier PKH für das abgeschlossene Verfahren vor dem Sozialgericht. Ihre Einnahmen belaufen sich auf 632,63 EUR. Das zwischenzeitlich von der AOK gezahlte Pflegegeld in Höhe von 205,00 EUR monatlich erhielt sie nur für drei Monate bis März 2006. Es ist als Einkommen nicht zu berücksichtigen.

Abzusetzen sind gemäß § 115 Abs. 1 Buchst. a ZPO i. V. mit § 82 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zunächst die monatlichen Beiträge zur Sterbeversicherung in Höhe von 14,48 EUR und zur Kfz-Versicherung in Höhe von 33,58 EUR, die nach Grund und Höhe angemessen sind. Diese Kosten belaufen sich auf 48,06 EUR im Monat

Ferner sind als Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 3 ZPO folgende monatliche Ausgaben abzusetzen:

Wasser 13,00 EUR Abwasser 25,00 EUR Gas 76,00 EUR Grundsteuer 5,83 EUR Schornsteinfegerkosten 3,08 EUR Müllgebühren 3,08 EUR Kosten der Unterkunft u. Heizung gesamt: 125,99 EUR

Abzusetzen ist auch der Unterhaltsfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO in Höhe von 110% des sog. Eckregelsatzes, der durch Rechtsverordnung nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB XII festgesetzt wird. Der nach § 115 Abs. 1 Satz 5 ZPO für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2006 maßgebende Betrag beläuft sich auf 380,00 EUR (Zweite Prozesskostenhilfebekanntmachung 2005 vom 23. März 2005, BGBl. I S. 924).

Schließlich ist gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 4 ZPO als besondere Belastung der Mehrbedarfsbetrag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 17 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes (345,00 EUR, Verordnung über die Festsetzung von Regelsätzen in Sachsen-Anhalt vom 28 Juni 2005, GVBl. LSA S. 311) abzusetzen; dieser Betrag beläuft sich auf 58,65 EUR. Zuletzt sind als besondere Belastung auch die Anwaltskosten aus einem früheren Prozess in Höhe von 232,89 EUR mit monatlichen Raten von 20,00 EUR zu berücksichtigen (Philippi in Zöller, Zivilprozessordnung, RdNr. 40 zu § 115).

Insgesamt ergeben sich folgende Absetzungen:

Versicherungsbeiträge 48,06 EUR Kosten der Unterkunft u. Heizung 125,99 EUR Unterhaltsfreibetrag 380,00 EUR Mehrbedarf 58,65 EUR Anwaltskosten 20,00 EUR Summe: 632,70 EUR

Die Summe der Absetzungen ist höher als die monatlichen Einkünfte, so dass kein Einkommen zu berücksichtigen ist. Daher brauchte der Senat nicht mehr zu prüfen, ob weitere Absetzungen für einen Kfz-Kredit und Hundesteuer vorzunehmen waren.

Diesem Ergebnis steht nicht der Grundsatz entgegen, wonach bis zum Abschluss einer Instanz der vollständig ausgefüllte Vordruck "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" mit allen erforderlichen Unterlagen bei dem zuständigen Gericht vorliegen muss (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i. V.m. § 117 Abs. 3 und 4 Zivilprozessordnung). Denn mit der Bewilligung von PKH sollen einem mittellosen Kläger die Prozesshandlungen ermöglicht werden, die für ihn mit Kosten verbunden sind. Sind diese Handlungen jedoch schon vor der ordnungsgemäßen Beantragung von PKH vorgenommen worden, so hängen sie nicht mehr davon ab, dass zuvor die entsprechenden Kosten gedeckt werden. Vielmehr geht es dann nur noch darum, einem Prozessbevollmächtigten durch die nachträgliche Bewilligung von PKH einen Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen. Eine solche Bewilligung ist deshalb grundsätzlich nur noch dann möglich, wenn das Gericht vorher über den Antrag positiv hätte entscheiden können (so bereits BGH, Beschluss vom 30. September 1981 – IV b ZR 694/80 -, zitiert nach juris; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. März 2007, L 7 B 3/07 SB). Allerdings darf das PKH-Gesuch nicht sofort zurückgewiesen werden, wenn der Prozessbeteiligte den Vordruck nicht benutzt, ihn unvollständig ausfüllt oder keine Belege beigefügt. Ihm ist eine Frist zu setzen, innerhalb derer er den Vordruck einzureichen, zu vervollständigen oder die fehlenden Belege nachzureichen hat. Dies gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Philippi a.a.O., RdNr. 17 zu § 117). Hier hat das Sozialgericht trotz der offensichtlich unvollständigen Angaben und ohne weitere Nachfrage beim Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zunächst Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt, so dass der Beschwerdeführerin nach teilweiser Rücknahme dieser Entscheidung Gelegenheit zu geben war, die fehlenden Angaben nachzureichen.

Nach allem war der Beschwerde stattzugeben und der Beschwerdeführerin PKH ohne Ratenzahlung zu bewilligen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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