L 6 U 127/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 77/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 127/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Oktober 2006 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Anerkennung einer Berufs-krankheit in Form einer obstruktiven Atemwegserkrankung durch chemisch-irritative oder toxische Stoffe, die zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten geführt hat.

Der im 1935 geborene Kläger war nach mehreren Vorbeschäftigungen seit dem 15. Oktober 1959 bis zum 31. August 1991 als Schweißer beim VEB M A , zuletzt M A AG, beschäftigt. Danach erhielt er Altersübergangsgeld und wurde Rentner. Mit Eingangsdatum vom 26. Februar 2002 wandte sich der Kläger an die Beklagte und beschrieb Einzelheiten seiner Schweißertätigkeit. Im Hinblick auf eine Bronchitis, Atemnot und einen bösartigen Blasentumor beantragte der Kläger die Anerkennung einer Berufserkrankung. Ergänzend teilte er mit, er sei bei dem Pulmolo-gen Dr. S seit 1996/97 wegen einer Bronchitis in Behandlung, die sich damals bemerkbar gemacht habe.

Auf Aufforderung der Beklagten erstattete der Facharzt für Lungen- und Bronchialheil-kunde Dr. S mit Datum vom 11. März 2002 die ärztliche Anzeige über eine Berufs-krankheit. Dabei ging er von einer irritativen Bronchitis nach Staubexposition in der Tätigkeit als Schweißer aus. Beigefügt waren verschiedene Berichte. In einem Bericht vom 22. Januar 1998 war als Beschwerdeäußerung eine seit Jahren bestehende Atemnot in Ruhe und unter Belastung mit Zunahme seit 1995 nach jahrelanger Asbestexposition als Schweißer angegeben. Aus der Lungenfunktionsdiagnostik ergab sich eine leichte periphere Obstruktion mit schwerer Erhöhung des Atemwegswider-standes und mittelschwerer Überblähung. Die Diagnose einer chronisch-obstruktiven Bronchitis fand sich auch in den jüngeren Berichten. Die Beklagte zog die betriebsärzt-lichen Unterlagen des Arbeitgebers bei.

Die eingeschaltete Präventionsabteilung gelangte für die Beklagte zu dem Ergebnis, der Kläger sei über den gesamten Beschäftigungszeitraum als Schweißer aromati-schen Aminen, polyzyklischen aromatischen Halogenen (PAH), Chrom/Nickel und deren Verbindungen, Asbest, allgemeinen Schweißrauchen, Nitrosegasen, Chlorwas-serstoff, Phosgen, Kohlenmonoxyd, Ozon und Farbzersetzungsprodukten ausgesetzt gewesen.

Die Arbeitsmedizinerin Dr. M vertrat unter dem 19. Juli 2002 die Auffassung, es liege kein Hinweis auf Behandlungen einer Lungenerkrankung, insbesondere einer Atemwegsobstruktion vor 1998 vor. Ein Zusammenhang einer solchen Erkrankung mit einer beruflichen Tätigkeit sei nur wahrscheinlich, wenn die Erkrankung noch unter der Einwirkung oder unmittelbar nach deren Beendigung nachweisbar sei. Nach einer Zeitdifferenz von mehr als zwei Jahren zwischen Beendigung der Tätigkeit und dem Auftreten der Erkrankung könne die berufliche Einwirkung nicht mehr als wesentliche Ursache angesehen werden. Die Anerkennung sei nicht zu empfehlen. Hinweise auf eine Asbestose der Lunge oder Pleura fänden sich ebenfalls nicht. Die Gewerbeärztin schloss sich in ihrer Stellungnahme vom 1. August 2002 dieser Auffassung an.

Mit Bescheid vom 12. September 2002 lehnte die Beklagte eine Entschädigung wegen einer Berufskrankheit der Atemwege durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe ab. Dabei stützte sie sich auf den langen Abstand zwischen dem Ende der Tätigkeit als Schweißer am 31. August 1991 und der Feststellung einer Atemwegsob-struktion im Jahre 1998.

Mit seinem noch im September 2002 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch gab der Kläger an, Atembeschwerden seien schon zu Zeiten der DDR aufgetreten. Er habe sie bei jeder jährlichen Reihenuntersuchung angegeben. Dabei hätte er nähere Angaben zur Einwirkung giftiger Gase bei Schweißarbeiten gemacht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2003 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er blieb bei der abgegebenen Begründung der Beklagten und führte ergänzend aus, der Kläger habe seine Tätigkeit nicht wegen der Erkrankung aufgegeben. Diese habe damals noch nicht vorgelegen.

Mit der am 24. April 2003 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangenen Klage ist der Kläger bei seinem Vortrag geblieben und hat auf verschiedene Untersuchungs- und Behandlungstermine verwiesen. Er habe an Reihenuntersuchungen in der PALT-Stelle (poliklinische Abteilung für Lungenkrankheiten und Tuberkulose) teilgenommen, sei aber wegen der Lunge nur während verschiedener Kuren behandelt worden. Er hat ein Krankenblatt des Internisten Dr. K , Bl. 71 - 83 d. A., vorgelegt. Darin befindet sich unter dem 9. März 1993 die Frage nach einer Abklärung wegen einer Bronchitis bei einer zur Zeit freien Lunge. Unter dem 25. März 1993 findet sich als Befund aus der Spirometrie eine mittelgradige kombinierte Ventilationsstörung.

Die Beklagte ist mit einer arbeitsmedizinischen Stellungnahme auf einen Befund vom 25. September 1990 in der betriebsärztlichen Akte eingegangen. In dem Befund wird nach Auswertung eines Röntgenbildes eine chronische Bronchitis als möglich bezeich-net. Dazu führt Frau M aus, der Begriff der chronischen Bronchitis stelle weder eine klinische noch eine röntgenologische Diagnose dar. Eine chronische Bronchitis sei nach der Begriffsbestimmung der Weltgesundheitsorganisation durch Husten und Auswurf während mindestens drei Monaten im Jahr über zwei aufeinanderfolgende Jahre gekennzeichnet. Eine chronisch obstruktive Bronchitis ginge hingegen mit einer messbaren Verengung der Atemwege einher. Die im Röntgenbild erkannte vermehrte Lungenzeichnung sei unspezifisch. Veränderungen im Bronchialsystem, die bis zum Ende der Exposition nicht zum Tragen gekommen seien, heilten nach deren Ende ab. Ein späterer Krankheitsbeginn sei nicht nachvollziehbar. Dies sei auch bereits Grund-lage der Anerkennung bei der Berufskrankheit Nr. 81 der Berufskrankheiten-Verordnung der DDR gewesen.

Das Gesundheitsamt der Stadt M hat mitgeteilt, PALT-Akten oder Kurunterlagen lägen dort nicht vor.

Mit Urteil vom 10. Oktober 2006 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, beim Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrank-heiten-Verordnung anzuerkennen. Es hat ausgeführt, nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten sei der Kläger in seiner Beschäftigung als Schweißer hinreichend chemisch-irritativen bzw. toxischen Stoffen ausgesetzt gewesen. Auch eine obstruktive Atemwegserkrankung sei spätestens durch den Bericht von Dr. S vom 22. Januar 1998 nachgewiesen. Diese sei mit der erforder-lichen Wahrscheinlichkeit auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen. Die Auffassung der Beklagten über den notwendigen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der Exposition finde weder im Merkblatt zu der Berufskrankheit noch im Reichenhaller Merkblatt eine Bestätigung. Dem Bericht der behandelnden Ärzte seien auch keine außerberuflichen Ursachen zu entnehmen. Selbst unter Berücksichtigung der Auffas-sung der Beklagten lasse sich ein Ursachenzusammenhang nicht verneinen. Nach der Aufgabe der Beschäftigung im August 1991 sei schon im März 1993 eine mittelgradige Ventilationsstörung erwähnt. Zudem sei in den betriebsärztlichen Unterlagen schon am 25. September 1990 eine mögliche chronische Bronchitis beschrieben. Dem tat-bestandlichen Unterlassungszwang sei genüge getan, weil der Kläger die belastende Tätigkeit im August 1991 aufgegeben habe. Zu diesem Zeitpunkt habe nach dem Röntgenbefund vom 25. September 1990 auch der Zwang zur Aufgabe der Schweißer-tätigkeit bestanden, weil dieser auslösend für eine obstruktive Atemwegserkrankung sei.

Gegen das ihr am 24. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. Novem-ber 2006 Berufung eingelegt. Sie führt aus, der Kläger habe selbst angegeben, die Bronchitis sei erstmals 1996/97 aufgetreten. Objektiv festgestellt worden sei sie erstmals 1998. Der Röntgenbefund vom 25. September 1990 reiche für einen vorheri-gen Nachweis nicht aus. Im Übrigen sei eine Sachentscheidung ohne entsprechendes fachärztliches Gutachten nicht möglich gewesen. Sie hat eine gutachtliche Stellung-nahme des Pneumologen Dr. med. S vom Arbeitsmedizinischen Zentrum der Städtischen Klinik in M vom 17. November 2006 vorgelegt, Bl. 154 - 158 d. A ... Sie räumt aber nunmehr – auf Rüge des Klägers – ein, diese Stellungnahme unterliege einem Verwertungsverbot.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Oktober 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstmalige Diagnose im März 1993 für ausreichend und stimmt den Ausfüh-rungen des Sozialgerichts zu.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 5. Mai 2009 – der Kläger – und 3. Juni 2009 – die Beklagte – zuge-stimmt. Neben den Akten der Beklagten – Az. 4 S 41 2002 004348 – haben die Befundunterlagen der Betriebspoliklinik der Arbeitgeberin des Klägers und acht Sozialversicherungsausweise des Klägers im Original bei der Entscheidungsfindung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 12. September 2002 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 27. März 2003 beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Ablehnung der Beklagten, eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in der Fassung durch VO v. 11. Juni 2009 (BGBl. I S. 1273, insoweit gegenüber den Fassungen seit Inkraft-treten in den östlichen Bundesländern unverändert) anzuerkennen, ist rechtmäßig.

Allein zu prüfen ist dieser Tatbestand allerdings nur dann, wenn die geltend gemachte Krankheit nach dem 31. Dezember 1991 eingetreten ist. Bei dem vom Kläger geltend gemachten Krankheitseintritt vor dem 1. Januar 1992 ist daneben auch der Anerke-nungsanspruch nach dem Berufskrankheitenrecht der DDR zu prüfen. Dies folgt aus § 1150 Abs. 2 S. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung durch G. v. 25. 7. 1991 (BGBl. I S. 1606), weil danach vor dem 1. Januar 1992 eingetretene Krankheiten, die nicht schon nach dem Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland versichert waren, lediglich als Berufskrankheiten nach dem Dritten Buch (der RVO) gelten, soweit sie Berufskrankheiten der Sozialversiche-rung nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht waren. Diese Voraussetzung wird nicht dadurch verdrängt, dass die Krankheit im hier vorliegenden Falle des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO zugleich nach dem Recht der RVO entschädigungsfähig sein müsste, weil die Krankheit einem der im Beitrittsgebiet vom 1. Januar 1991 an zustän-digen Unfallversicherungsträger erst nach dem 31. Dezember 1993, nämlich erst am 26. Februar 2002, bekannt geworden ist. § 1150 Abs. 2 RVO ist hier gem. § 215 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) weiterhin anwendbar, soweit es um die dort geregelte Übernahme einer – nach der Darstellung des Klägers – vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Krankheit geht. Darauf kommt es aber nicht an, da schon die Voraussetzungen der Berufskrankheit nach der RVO nicht vorliegen.

Nach den feststellbaren tatsächlichen Umständen hat der Kläger seine Schweißertätig-keit nicht im Sinne des Tatbestandes der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anl. 1 zur BKV unter dem Zwang zur Unterlassung dieser Tätigkeit wegen deren Ursächlichkeit für eine obstruktive Atemwegserkrankung aufgegeben. Denn es ist schon nicht feststellbar, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit durch Eintritt in den Bezug von Altersübergangsgeld am 1. September 1991 bereits unter einer obstruktiven Atemwegserkrankung litt.

Nach der sprachlichen Fassung des Tatbestandes der Nr. 4302 der Anl. 1 zur BKV steht die Aufgabe der maßgeblichen Tätigkeiten in einem zeitlichen Zusammenhang zur maßgeblichen Krankheit. Grundsätzlich geht es um Krankheiten, die die Aufgabe von Tätigkeiten erzwungen haben, weil die Tätigkeiten – schon vorher – für die Entstehung oder Verschlimmerung der Krankheit ursächlich waren. Die Krankheit muss wenigstens mit der Entstehung des Zwangs schon vorgelegen haben. Weiterhin muss die Aufgabe der Tätigkeit erzwungen sein, d. h. die Tätigkeit muss bis zum Entstehen des Zwangs noch ausgeübt worden sein. Auch wenn sie nicht subjektiv wegen des entstandenen Zwanges aufgegeben worden sein muss, sondern dafür andere Motive entscheidend gewesen sein dürfen (BSG, Urt. v. 8. 12. 1983 – 2 RU 33/82BSGE 56, 94), muss das Ende der Tätigkeit objektiv durch gesundheitlichen Zwang erklärbar sein. Insgesamt muss der Versicherte die gesundheitsschädigenden Tätigkeiten (ob-jektiv) durch die Krankheit gezwungen unterlassen haben; die tatsächliche Unterlas-sung muss (nach den objektiven Schädigungszusammenhängen) wesentlich durch die Krankheit verursacht worden sein (BSG, Urt. v. 29. 8. 1980 – 8a RU 72/79BSGE 50, 187, 188).

Soweit die Vorschrift auch auf Tätigkeiten abstellt, die – zukünftig – ursächlich für Krankheiten sein können, bezieht sie sich auf die dort genannte Fallgruppe des Wiederauflebens, dessen Möglichkeit ebenfalls den Aufgabezwang begründen kann. Auch dieser Fall setzt aber nach der Vorsilbe "Wieder-" mit Notwendigkeit voraus, dass die Krankheit schon früher vorgelegen hat. Auch insoweit muss sie zeitlich dem entstandenen Zwang vorausgegangen sein.

Für dieses Verständnis der notwendigen zeitlichen Reihenfolge innerhalb des Tatbe-standes spricht jetzt auch die Fassung der Ermächtigungsnorm des § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII, wonach die maßgebliche Krankheit sogar für die Unterlassung ursächlich gewesen sein müsste, nämlich zur Unterlassung "geführt haben" müsste. Wenn auch diese engere Ausdrucksweise nach herrschender Meinung losgelöst von subjektiven Beweggründen durch den objektiven Zwang zur Aufgabe ausgefüllt wird, wird aber deutlich, dass die Krankheit vor der Tätigkeitsaufgabe vorgelegen haben muss. Darin liegt auch dann ein Hinweis auf die Auslegung des Tatbestandes der BKV, wenn § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII wegen des behaupteten Krankheitsbeginns vor dem 1. Januar 1992 nach § 215 Abs. 1 S. 1 SGB VII auf den Fall des Klägers selbst noch nicht anzuwenden wäre. Denn mit § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII ist keine Einschränkung der Unterlassungsklauseln bezweckt worden, sondern eine klarstellende Ermächtigungs-grundlage für diese schon bestehenden Tatbestandsmerkmale der BKV geschaffen worden (Römer in Hauck, SGB VII, K § 9 Rdnr. 34).

Im Fall des Klägers ist die maßgebliche obstruktive Atemwegserkrankung vor Aufgabe der Schweißertätigkeit nicht ersichtlich.

Der Kläger hat die Schweißertätigkeit mit dem Wechsel in den Bezug von Altersüber-gangsgeld endgültig aufgegeben, weil es als Vorruhestandsleistung in den Rentenbe-zug überleitete. Diese Leistung setzte neben der Arbeitslosigkeit gem. § 249e Abs. 2 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der Fassung durch G. v. 25. 7. 1991 (BGBl. I S. 1606) eine freiwillige Beschränkung der Verfügbarkeit für die Vermittlung in Arbeit voraus. Sie leitete mit der Anspruchsdauer von 1560 Tagen unmittelbar in die Anwartschaftserfüllung für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach §§ 38, 237 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) über. Diese Umstände ließen in der Vorausschau und mangels späterer Tätigkeitsaufnahme auch endgültig den Schluss zu, der Kläger habe die Erwerbstätigkeit überhaupt und damit auch die Schweißertätigkeit aufgegeben.

Eine obstruktive Atemwegserkrankung ist hier frühestens durch das Ergebnis der Spirometrie vom 25. März 1993 nachgewiesen. Denn die danach geschilderte kombi-nierte Ventilationsstörung wird gerade im Hinblick auf ihren obstruktiven Bestandteil – neben einem restriktiven – als kombiniert bezeichnet. Nach den erhältlichen Unterla-gen über die Krankengeschichte des Klägers gibt es aber keinen früheren Beweis für das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung, von der der Senat sich eine volle Überzeugung bilden können müsste.

Insbesondere ergibt sich ein solcher Beweis nicht aus der Diagnose vom 25. Septem-ber 1990. Dies ist schon ausgeschlossen, weil eine Bronchitis danach nur als möglich bezeichnet wird. Hinzu tritt aber, dass eine chronische Bronchitis nicht mit einer ob-struktiven Atemwegserkrankung gleichgesetzt werden kann. So umfasst die chronische Bronchitis z.B. nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10-GM 2006) unter den Schlüsselziffern J 41.0 und J 42 einen weiteren Begriff einer Atemwegserkrankung, als die obstruktive Bron-chitis unter den Schlüsselziffern J 44.- bzw. J 44.8- (vgl. auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl., Stichwörter Bronchitis, chronische und Bronchitis, obstruktive). Die damals für "möglich" erachtete Bronchitis kann auch nicht nur eine obstruktive Atemwegserkrankung beschrieben haben, da selbst nach der Befunderhebung vom 25. März 1993 bei der kombinierten Ventilationsstörung auch ein nicht obstruktiver, nämlich restriktiver, Bestandteil vorgelegen hat, der 1990 allein das Krankheitsbild von Seiten der Atemwege bestimmt haben könnte.

Ältere Hinweise auf eine obstruktive Atemwegserkrankung liegen nicht vor. Sie folgen insbesondere nicht aus dem Krankenblatt von Dr. K. Zwar findet sich darin eine Eintragung mit dem Datum des 5. Juli 1982 in Form der Überschreibung eines anderen Datums. Nicht diesem Datum von 1982 zugeordnet werden kann aber die Eintragung von Diagnosen in dem darüber liegenden, besonders dafür vorgesehenen Vordruck-kasten. Folglich ist die dort unter Nr. 2 aufgenommene Diagnose der chronischen einfachen Bronchitis zeitlich nicht zuzuordnen. Daneben weist sie nach der Unterglie-derung der ICD-10 ohnehin nicht auf eine spezielle obstruktive Atemwegserkrankung hin. Im Übrigen finden sich neben dem Datum von 1982 nur anamnestische Angaben, während der erste direkt nachfolgende Befund einer Thoraxaufnahme – wohl derjeni-gen vom 25. September 1990 – schon vom 27. September 1990 datiert und die Herz-Gefäß-Verhältnisse wiedergibt. Hinweise auf eine obstruktive Atemwegserkrankung finden sich auch in dieser Auswertung der Thoraxaufnahme nicht.

Aus der Betriebskrankenakte über den Kläger geht das Ergebnis einer Spiroergometrie hervor, nach der (auch) von pulmonaler Seite kein Körperschaden vorliegt. Diese Untersuchung ist dem Jahr 1982 zuzuordnen. Denn trotz der offensichtlich über Jahrzehnte vollständigen Akte findet sich nur unter dem 7. Mai 1982 das Stichwort Spiroergometrie. Dies passt auch zu der auf dem Befund angebrachten Papierkontin-gent-Nummer aus dem Jahr 1978. Danach kann bereits dahinstehen, welche Befunde durch weniger aussagekräftige Befunderhebungen vorher erhoben worden sind; der Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung bis zu diesem Zeitpunkt ist danach aus den vorliegenden Unterlagen ausgeschlossen. Auch im Übrigen ergibt sich aus diesen Unterlagen keinerlei Hinweis auf eine solche Erkrankung, obwohl sie auch Krankenblätter über internistische Behandlungen enthalten. Die vorhandenen Kurunter-lagen über Kuren in den Jahren 1974, 1980 – jeweils in B D – und 1984 – in P – haben nur orthopädische Krankheitsbilder, insbesondere der Wirbelsäule, zum Gegenstand.

Auch die Verdachtsdiagnose einer Lungenstauung, die die Fachärztin für Allgemein-medizin T in Bezug auf eine seit 7. Dezember 1981 bestehende Arbeitsunfähigkeit gestellt hat und die über die Diagnoseschlüsselziffer wieder in einer Untauglichkeitsbe-scheinigung für die Kampfgruppe vom 29. Juni 1988 aufgegriffen worden ist, weist nicht auf eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung hin. Zum Einen handelt es sich um ein durchblutungsbedingtes und nicht obstruktives Krankheitsbild (Pschyrem-bel, Medizinisches Wörterbuch, 261. Aufl., Stichwörter Lungenstauung, Stauungslun-ge). Zum Zweiten ist jedenfalls ein überdauerndes Krankheitsbild durch das Ergebnis der Spiroergometrie vom 7. Mai 1982 widerlegt. Dies gilt auch im Hinblick auf die spätere Bescheinigung von 1988. Denn diese beruht nicht erkennbar auf späteren anderen Grundlagen, weil neue Befunderhebungen oder Erkenntnisse zu diesem Krankheitsbild sich aus den nachfolgenden Eintragungen bis 1988 nicht ergeben. Und schließlich ist eine Verdachtsdiagnose schon vom Ansatz her nicht als Grundlage voller richterlicher Überzeugungsbildung geeignet.

Aus der Durchsicht der gesamten Betriebskrankenakte, die ein ausführliches Bild des Gesundheitszustandes des Klägers über die Zeit von 1963 bis 1990 vermittelt, ergibt sich auch sonst kein Hinweis auf eine obstruktive Atemwegserkrankung.

Weitere Möglichkeiten zur Beweiserhebung erkennt der Senat nicht. Die Anfrage des Sozialgerichts bezüglich der PALT-Akten beim Gesundheitsamt der Stadt Magdeburg entspricht den Erfahrungen des Senats, wonach diese Akten einschließlich der gefertigten Röntgenaufnahmen in früheren Jahren dort noch zu bekommen waren. (Weitere) Kurberichte aus der Zeit der DDR sind nach den Erfahrungen des Senats nicht zu erlangen, soweit sie nicht ohnehin – wie hier in der Betriebskrankenakte – als Doppel in alten ärztlichen Unterlagen vorliegen.

Auf das – wohl bestehende – Verwertungsverbot bezüglich der gutachtlichen Stellung-nahme von Dr. S kommt es nicht an, da der Senat dessen Inhalt zur Begründung seiner Entscheidung nicht verwerten brauchte und es auch nicht verwertet hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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