L 12 AS 3811/09 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 250/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3811/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung.

Der Kläger, der mit seiner Familie laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, beantragte am 23. Oktober 2008 die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Hierzu legte er eine ärztliche Bescheinigung vor, wonach wegen Diabetes lebenslange Diät erforderlich sei.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab und wies den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2008 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 14. Januar 2009 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Juli 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids ergänzend ausgeführt, der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge sei in der dritten Auflage seiner Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe zu dem Ergebnis gelangt, dass bei Diabetes mellitus regelmäßig eine Vollkost angezeigt und ein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen sei. Das SG folge dem. Die Empfehlungen stellten ein antizipiertes Sachverständigengutachten dar, welches fächerübergreifend erarbeitet worden sei. Dem stehe die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. April 2008 - B 14/11b AS 3/07 R - nicht entgegen, da sich das Gericht dort zu den Empfehlungen aus dem Jahr 1997 geäußert habe. Die Erkrankung des Klägers weise keine Besonderheiten auf, die es rechtfertigen würden, abweichend von den Empfehlungen eine individuelle Begutachtung zu veranlassen.

Gegen das seiner Bevollmächtigten am 20. Juli 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. August 2009 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das SG gehe fälschlicherweise davon aus, dass die Empfehlungen des Deutschen Vereins als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen seien. Für die Empfehlungen aus dem Jahr 1997 habe das BSG bereits entschieden, dass den Empfehlungen der Wert eines antizipierten Sachverständigengutachtens nicht mehr zukomme. Auch die Empfehlung aus dem Jahr 2008 basiere auf den inzwischen sechs Jahre alten Werten der EVS 2003 und könne daher allenfalls als Orientierungshilfe angesehen werden. Schließlich seien die Verfasser der Empfehlung 2008 trotz der veralteten Werte auf einen Bedarf für Lebensmittel von täglich 6,21 EUR gekommen; im Regelsatz sei allerdings nur ein Tagessatz von 4,52 EUR für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren enthalten. Der Bedarf sei mit der Begründung einer preisbewussten Einkaufsweise nach unten korrigiert worden, ohne dass tatsächlich vollumfänglich die Produkte im unteren Preissegment angeboten würden. Tatsächlich benötige der Kläger zur Erhaltung seiner Gesundheit eine ausgewogene Diabeteskost, die aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren sei. Das Streitverfahren werfe Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Zu klären sei, ob die Empfehlungen des Deutschen Vereins 2008 ein antizipiertes Sachverständigengutachten darstellten, ob es Leistungsempfängern zumutbar sei, mit weniger als 2/3 des errechneten Betrags auskommen zu müssen und ob die Empfehlung des Deutschen Vereins im Hinblick auf die Kappung des nach eigenen Berechnungen täglichen Bedarfs von 6,21 EUR mit Verfassungsrecht vereinbar sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig (§ 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nicht gegeben sind.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts (LSG), wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.). Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben; streitig sind allein die Mehrbedarfszuschläge für den Zeitraum 23. Oktober bis 31. Dezember 2008. Das SG hat die Berufung im angefochtenen Urteil auch nicht zugelassen. Eine daher erforderliche Zulassung durch das LSG kommt vorliegend nicht in Betracht.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1.) Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle die notwendige Klärung erfolgt (so die ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 129, 132; BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60; SozR 3-1500 § 160a Nr. 16; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rdnrn. 28 f.; § 160 Rdnrn. 6 ff. (jeweils m.w.N.)). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 7).

Eine Tatsachenfrage kann auch dann die Zulassung der Berufung nicht begründen, wenn ihre Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen haben kann (Leitherer, a.a.O., § 144 Rdnr. 29, m.w.N.). Vorliegend geht es allein um eine Tatsachenfrage. Denn die Feststellung, ob ein Hilfebedürftiger auf Grund einer Erkrankung einer besonderen, kostenintensiven Ernährung bedarf, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Maßgebend sind die individuellen Verhältnisse des Hilfebedürftigen. Dementsprechend hat das BSG entschieden, dass der im Streit stehende Mehrbedarf jeweils im Einzelfall zu ermitteln ist (SozR 4-4200 § 21 Nr. 2). Die Notwendigkeit einer krankheitsbedingten kostenaufwändigen Ernährung ist daher eine Tatsachenfrage, über die Beweis erhoben werden kann. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat ggf. eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen sachkundigen Stellungnahmen zu dieser Frage zu erfolgen. Auch insofern hat das BSG allerdings bereits entschieden, dass die Empfehlungen des Deutschen Vereins im Regelfall noch als Orientierungshilfe dienen können und die weitere Amtsermittlung von den Besonderheiten des Einzelfalls abhängt (BSG, a.a.O.).

Keine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich ferner aus der Frage, welche Kosten für eine Vollkost tatsächlich anfallen, denn diese Frage ist durch die in die Empfehlungen eingegangene wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zum Thema: Lebensmittelkosten für eine vollwertige Ernährung, April 2008 (http:// www.dge.de/pdf/ws/Lebensmittel-vollwertige-Ernaehrung.pdf) wissenschaftlich geklärt. Entgegen den Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers wurde auch nicht ein errechneter Bedarf von 6,21 EUR für eine vollwertige Ernährung gleichsam willkürlich gekürzt. Bei dem Bedarf von 6,21 EUR handelt es sich um den durchschnittlichen Aufwand für Vollkost. Es ist jedoch auch in der Rechtsprechung völlig unbestritten, dass die mit den Grundsicherungsleistungen bezweckte Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums nicht einen durchschnittlichen Lebensstandard gewährleistet, so dass auch der Durchschnittswert nicht relevanter Bezugspunkt sein kann. Nach den Erhebungen der genannten Studie kann eine vollwertige Ernährung dann aus dem Regelsatz finanziert werden, wenn über alle Produktgruppen zu einem Preis eingekauft wird, der im unteren Viertel der Preisstreuung liegt. Verfassungsrechtliche Fragen stellen sich insoweit nicht.

(2.) Eine Abweichung der Entscheidung des SG von einer Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte liegt nicht vor. Eine solche setzt die Aufstellung eines Rechtssatzes voraus, der von einem von den genannten Gerichten aufgestellten objektiv abweicht. Dies ist hier nicht ersichtlich.

(3.) Ein Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist weder dargetan noch erkennbar.

Die Geltendmachung einer sachlichen Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung stellt nach § 144 Abs. 2 SGG keinen Grund dar, eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Berufung zuzulassen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 8. Juli 2009 wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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