L 6 U 70/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 U 220/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 70/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einem anerkannten Arbeitsunfall.

Der 1971 geborene Kläger, der Maschinist für Tagebau und Vulkaniseur gelernt hat, war seit August 1992 als Kraftfahrer tätig. Am 29. November 2000 erlitt er während der Ausübung versicherter Tätigkeit einen Arbeitsunfall. Er befand sich im Führerhaus eines Abrollkipperfahrzeugs, als sich ein Container während der Aufnahme mittels Lasthaken löste, eine Gewichtsverlagerung eintrat und hierdurch der Kläger im Führerhaus herumgeschleudert wurde. Ein Rettungswagen brachte den Kläger mit massiven Schmerzen in der Lendenwirbelsäule (LWS) und im Becken ins H. -Klinikum Z. Der Oberarzt des Klinikums und Facharzt für Chirurgie Dr. K. diagnostizierte eine LWK-2 Fraktur (Fraktur des 2. Lendenwirbelkörpers) ohne neuro-logische Ausfälle.

Der Kläger befand sich anschließend bis zum 31. Dezember 2000 im Städtischen Klinikum St. Georg in L. Dort erfolgte die Stabilisierung des LWK 2 mittels eines Beckenkammes unter Einbeziehung der Wirbelkörper L1 und L3. Der Aufenthalt in der Rehabilitationseinrichtung Median-Klinik B. L. vom 4. Januar 2001 bis 8. Februar 2001 führte zur Mobilisierung des Klägers und Besserung der Beschwer-den.

Die weitere Behandlung des Klägers nahm der Oberarzt des Städtischen Klinikums St. Georg L. Dr. K. vor, der unter dem 28. Februar 2001 berichtete, der Kläger könne Tätigkeiten als Schlosser, Vulkaniseur und Kraftfahrer nicht mehr ausüben und Heben und Tragen schwerer Lasten sowie Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und schrä-gen Ebenen nicht mehr wettbewerbsfähig ausführen. Unter dem 12. April 2001 schätzte er die Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vom Hundert (vH) ein. Mit Datum vom 9. August 2001 teilte er der Beklagten mit, aus dem Unfallereignis seien gelegentliche Beschwerden unterhalb der Narbe verblieben. Ansonsten bestehe weitgehende Beschwerdefreiheit. Die am 24. Juli 2001 angefertigten Röntgenaufnah-men zeigten eine gute Stellung und knöcherne Heilung im Frakturbereich des 2. Lendenwirbelkörpers.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 25. Oktober 2001 eine Maßnahme der Belastungserprobung und Arbeitstherapie, die der Kläger bei seinem letzten Arbeitgeber, der BUK Entsorgungs - GmbH, absolvierte. Unter dem 7. Dezember 2001 berichtete Dr. K. , der Kläger habe am 23. November 2001 erklärt, er komme mit den Arbeitsmodalitäten in vollem Umfang zurecht. Er schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit weiterhin um 20 vH ein und hielt den Kläger ab dem 26. November 2001 für arbeitsfähig.

Die Beklagte beauftragte den Geschäftsführenden Chefarzt des Städtischen Klinikums St. Georg L. und Arzt für Unfallchirurgie Prof. Dr. G. mit der Erstattung des ersten Rentengutachtens vom 28. Mai 2002 nach Untersuchung des Klägers am 29. April 2002. Der Gutachter führte darin aus, die Drehbeweglichkeit des Rumpfes sei bei fixiertem Becken mit 20/0/20 Grad nicht, die Seitneigung des Rumpfes mit 25/0/25 Grad endgradig eingeschränkt. Der Finger-Boden-Abstand bei Vorneigung des Rumpfes bei gestreckten Kniegelenken betrage 40 cm, der Schober-Index bei Vor-/Rückneigung des Rumpfes 9/10/12 cm.

Mit Bescheid vom 23. Juli 2002 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 29. November 2000 als Arbeitsunfall mit den nachfolgenden Unfallfolgen an: Knöchern fest verheilte Fraktur des 2. Lendenwirbelkörpers mit noch liegendem Fixateur interne, Bewegungs-einschränkung des Rumpfes nach operativer Versteifung der Wirbelsegmente L1 - L3, Minderung der Trage- und Belastungsfähigkeit des Rumpfskelettes sowie Narbenbil-dung mit Missempfindungen über dem linken Beckenkamm. Sie bewilligte dem Kläger ab dem 26. November 2001 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH.

In der Zeit vom 8. Oktober 2002 bis 16. Oktober 2002 erfolgte im Städtischen Klinikum St. Georg L. die Entfernung der Implantate.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Prof. Dr. G. das Gutachten zur Feststel-lung der Rente auf unbestimmte Zeit vom 12. April 2003. Bei der Untersuchung des Klägers am 2. April 2003 stellte der Gutachter eine leichte Einschränkung der Drehbe-weglichkeit des Rumpfes bei fixiertem Becken mit 20/0/15 Grad und eine mäßige Einschränkung der Seitneigung des Rumpfes mit 20/0/20 Grad fest. Der Finger-Boden-Abstand bei Vorneigung des Rumpfes bei gestreckten Kniegelenken betrage 50 cm. Der Schober-Index betrage 10/12 cm. Er schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vH ein.

Nachdem die Beklagte den Kläger unter dem 29. April 2003 zur beabsichtigten Entziehung der bewilligten vorläufigen Entschädigung angehört hat, entzog sie ihm diese mit Bescheid vom 22. Mai 2003 mit Ablauf des Monats Mai 2003 und lehnte die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab Juni 2003 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die anerkannten Unfallfolgen minderten die Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigendem Grade. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2003 zurück. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen Bezug auf das Gutachten von Prof. Dr. G. zur Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit.

Mit der am 11. November 2003 vor dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat den Facharzt für Neurochirurgie des Zentrums für Rückenmarkverletzte und Klinik für Orthopädie Bergmannstrost Dr. R. mit der Erstattung des Gutachtens vom 4. Juni 2004 beauftragt. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Kläger leide an einem posttraumatischen intermittierend auftretenden Lumbalsyndrom, Taubheitsgefühlen über der linken Oberschenkelaußenseite, Minderung der Trage- und Belastungsfähigkeit des Rumpfskelettes und Einschränkung der Rumpfbeweglichkeit nach Versteifung der Segmente L1/2 und L2/3. Es liege keine Instabilität vor, jedoch eine komplette Blockierung der Bewegungssegmente L1/2 und L2/3. In der Sagittalebene bestehe eine angedeutete Kyphose von drei Grad. Nach dem Segmentprinzip sei der Komplettausfall der Lendenwirbel mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 3,3 Prozent und 3,6 Prozent einzuschätzen und für L1/2 und L2/3 jeweils mit Faktor 3 sowie für L1/2 mit dem Faktor 2 zu multiplizieren. Hieraus ergäbe sich rechnerisch in der Addition eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 27,3 vH. Verglichen mit der MdE-Tabelle für Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen und erheblichen Instabilitäten sei es angemessen, die Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH anzunehmen.

Mit Urteil vom 13. April 2005 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der weitgehend noch bestehenden Leistungsfähigkeit der Wirbelsäule ohne Nervenschädigung entspreche die Funktionsbeeinträchtigung nicht der eines instabilen Wirbelkörperbruchs mit Bandscheibenbeteiligung bzw. der Obergrenze eines stabilen Wirbelkörperbruchs unter Achsabknickung, die jeweils mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH zu bewerten seien. Die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vH orientiere sich an dem Rahmen der Tabellenwerte, die für einen stabilen Wirbelkörper-bruch ohne weitere Beeinträchtigung keine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit vorsehen.

Gegen das am 20. April 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Mai 2005 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat er sich im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. R. bezogen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 13. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH ab 1. Juni 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren, insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. G. zur Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit.

Das Landessozialgericht hat den Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. U. vom Institut für Medizinische Begutachtung J. mit der Erstattung des Gutachtens vom 5. August 2008 beauftragt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die statische Funktion der Wirbelsäule sei nicht gestört. Es bestehe eine Kyphose von drei Grad, die die statische Funktion der Wirbelsäule nicht mindere. Auch die Seitverschiebung von fünf Grad sei aufgrund ihrer geringgradigen Ausprägung für die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit irrelevant, weil hieraus keine statisch wirksame Achsabweichung resultiere. Als Folge der Versteifung zweier für die Rumpfbewegung wichtiger Segmen-te der Lendenwirbelsäule sei die Rumpfwirbelsäulengesamtbeweglichkeit beim Kläger leicht bis mittelgradig eingeschränkt, wobei - im Gegensatz zu den Feststellungen der Vorgutachter - nur noch die Seitneigung mit 20/0/20 Grad eingeschränkt sei. Muskuläre Funktionsstörungen sowie neurologische Ausfälle bestünden nicht. Da der volle Bewegungsumfang in der Seitneigung im Arbeitsalltag kaum benötigt werde, könne sich der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch im üblichen Umfang bewegen. Die Sensibilitätsstörungen infolge der operativen Durchtrennung der oberflächlichen Hautnervenäste beim Zugang zur Lendenwirbelsäule schränkten den Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über die eingeschränkte Rumpfwirbelsäulengesamtbeweg-lichkeit hinaus nicht zusätzlich ein. Entgegen der Ausführungen von Dr. R. betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Segmentprinzip rechnerisch 20,7 vH, weil die Achsabknickung nicht erhöhend zu berücksichtigen sei. Da die Rumpfwirbel-säulengesamtbeweglichkeit trotz der Versteifung zweier Segmente der Lendenwirbel-säule relativ gut erhalten sei, sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit aber nur um 10 vH einzuschätzen.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten mit dem Aktenzeichen 500114 96 U vorgelegen. Diese waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungs-findung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Klage ist zulässig. Der Kläger greift den Bescheid vom 22. Mai 2003, mit dem die Beklagte die als vorläufige Entschädigung gewährte Verletztenrente mit Wirkung vom 1. Juni 2003 entzogen und zugleich die Gewährung einer Verletztenrente auf Dauer ab diesem Zeitpunkt abgelehnt hat, mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage an.

Für die neben der Anfechtungsklage zusätzlich erhobene Leistungsklage hat der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 5. Februar 2008 - B 2 U 6/07 R - zitiert nach Juris, Rdnr. 11). Zwar kann er schon mit der Anfechtungsklage klären, ob ihm die Beklagte zum Zeitpunkt der letzten Verwal-tungsentscheidung die vorläufige Entschädigung entziehen durfte. Im Regelfall wird mit dem Ausspruch der Aufhebung gleichzeitig die Rechtsfolge des § 62 Abs. 2 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) eintreten, wonach kraft Gesetzes die vorläufige Entschädigung allein durch Zeitablauf zur Rente auf unbestimmte Zeit wird. Im Obsiegensfalle steht damit gleichwohl aber nur fest, dass die Voraussetzungen für die Entziehung zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungs-entscheidung (vgl. zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt bei der Anfechtungsklage BSG, Urteil vom 20. April 1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr. 18) nicht vorgele-gen haben. Die Beklagte könnte zu jedem nachfolgenden Zeitpunkt, insoweit auch rückwirkend, im Rahmen der Möglichkeiten des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die Rente erneut zu entziehen versuchen. Damit kann der Betroffene sich begnügen, muss es aber nicht.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2003 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger hat gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII ab Juni 2003 keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH. Insoweit folgt das Gericht im Ergebnis dem Gutachten von Prof. Dr. G. zur Festsetzung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit und dem Gutachten von Dr. U ...

Grundlage für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII der Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft (BSG, Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R - Breithaupt S. 565; Urteil vom 2. November 1999 - B 2 U 49/98 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 6). Diese sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis.

Danach ist die Einschätzung des Sachverständigen Dr. U. , die mit der Einschät-zung von Prof. Dr. G. in dem Gutachten zur Feststellung einer Rente auf unbe-stimmte Zeit übereinstimmt, überzeugend, wonach die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab Juni 2003 höchstens einen Grad von 10 vH erreicht. Dies ergibt sich aus den erhobenen Befunden zur Erkrankung des Klägers unter Heranziehung der medizinischen Erfahrungssätze zur Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Zur Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Wirbelsäulenverletzung steht die Wirbelsäulenfunktion im Vordergrund. Kriterien für das Einschätzen der Minderung der Erwerbsfähigkeit sind: stabile oder instabile Ausheilung im Sinne einer abnormen Beweglichkeit, Ankylose (knöcherne Versteifung eines Gelenks) oder Instabilität des Bewegungssegments, erhebliche Achsenabweichung ab 15 Grad, ungenügende Wiederertüchtigung der Wirbelsäulen-Haltemuskulatur und Beurteilung nach unterschiedlichen Graden der Bandscheibenbeteiligung (Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, Abschnitt 8.3.2.8, S. 535 f.).

Der Kläger hat bei dem Arbeitsunfall am 29. November 2000 eine LWK-2 Fraktur erlitten. Diese Fraktur war im Juni 2003 nach den übereinstimmenden Feststellungen der Gutachter Prof. Dr. G. , Dr. R. und Dr. U. ausgeheilt. Operativ war der LWK 2 mit dem LWK 1 und LWK 3 durch einen Beckenkammspan verbunden. Die hierdurch erreichte Stabilisierung der L1/2 und L2/L3 hat zur Versteifung der drei Lendenwirbel geführt. Dr. R. und Dr. U. haben ferner eine Kyphose der Lendenwirbelsäule in der Sagittalebene von drei Grad, Dr. U. darüber hinaus eine Seitverschiebung von fünf Grad festgestellt. Ferner haben die Gutachter die von der Beklagten mit Bescheid vom 22. Mai 2003 als weitere Unfallfolgen anerkannte Minde-rung der Trage- und Belastungsfähigkeit des Rumpfskelettes sowie die Narbenbildung mit Missempfindungen über dem linken Beckenkamm benannt. Nervenschäden oder Beeinträchtigungen der Bandscheiben hat keiner der Gutachter beschrieben.

Nach den medizinischen Erfahrungssätzen wird die Einbusse der Funktionen der Lendenwirbelsäule an den Schäden der Wirbelkörper festgemacht. So wird wie folgt unterschieden: Der isolierte Wirbelkörperbruch ohne Bandscheibenbeteiligung und der stabile Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung bedingen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 10 vH. Der stabile Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteili-gung und statisch wirksamem Achsenknick führt zu einer Minderung der Erwerbsfähig-keit zwischen 10 und 20 vH. Erst der instabile Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbe-teiligung bedingt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH (Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 536; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Loseblatt, Abschnitt 500, S. 33). Unter Berücksichtigung dieser medizinischen Erfahrungswerte ist der bei dem Kläger vorliegende stabile isolierte Wirbelkörperbruch ohne Bandscheibenbeteiligung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vH einzuschätzen. Eine zusätzliche Achsabweichung, die erst ab einer erheblichen Abweichung ab 15 Grad zum Normalwert bei der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen ist, hat bei dem Kläger nicht vorgelegen. Auch waren keine neurologischen Ausfälle festzustellen, so dass von einer Schädigung der Nervenstränge an der Wirbelsäule nicht auszugehen ist. Die weitere als Unfallfolge anerkannte Minderung der Trage- und Belastungsfähigkeit des Rumpfskelettes ist als typische Folge einer stabilen Wirbelsäulenverletzung in der Einschät-zung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bereits berücksichtigt. Die Missempfindungen an den Narben führen nicht zu einer wesentlichen Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Hierauf hat auch Dr. U. hingewiesen.

Folgt man dem Segmentprinzip, so ist nachfolgende Berechnung vorzunehmen: Aufgrund der bestehenden Ankylose ist für L1/2 ein Wert von 3,3 und für L2/3 ein Wert von 3,6, jeweils verdreifacht, zu Grunde zu legen (vgl. zur Berechnung Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. Tabelle S. 537). Entgegen der Berechnung von Dr. R. ist die Kyphosierung der Wirbelsäule mit drei Grad (nach der Untersuchung durch Dr. U. mit bis zu fünf Grad) bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule nicht werterhöhend zu berücksichtigen. Denn diese Achsabknickung wirkt sich noch nicht einschränkend auf die Beweglichkeit der Wirbelsäule aus. Hierauf hat Dr. U. hingewiesen. Erst eine Achsabknickung ab 15 Grad ist in die Berechnung nach dem Segmentprinzip mit einem Faktor 2 des jeweiligen Segmentwertes einzustellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 535). Der für die betroffenen Lendenwirbel ermittelte Betrag ist sodann zu addieren und zeigt den rechnerischen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 537 f.). Danach ergibt sich eine rechnerische Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20,7 vH.

Dieser Wert entspricht aber nicht den Erfahrungswerten der MdE-Tabelle. Dr. U. hat überzeugend ausgeführt, dass dieser Wert zu hoch ist. Mit Dr. U. ist der Senat davon überzeugt, dass die Beweglichkeit des Rumpfes des Klägers noch gut erhalten ist. Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule wird anhand der Seitneigung und der Drehung des Rumpfes bei festgestelltem Becken sowie Vorneigung der Lendenwirbel-säule (Schober-Index) gemessen. Die Seitneigung ist üblicherweise ohne Einschrän-kung mit 30-40/0/30-40 Grad, die Drehung mit 30/0/30 Grad möglich. Der Schober-Index liegt bei 15/10 cm (Romper/Erlenkämper, 3. Auflage 1998, S. 252; Mehrhoff/-Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Auflage 2005, S. 138). Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. G. zur Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit am 2. April 2003 lag mit 20/0/15 Grad eine leichte bis mäßiggradige Einschränkung bei der Drehung des Rumpfes mit fixiertem Becken und mit 20/0/20 Grad eine mäßiggradige Einschränkung bei der Seitneigung des Rumpfes vor. Der Schober-Index hat einen Wert in der Vorneigung von 12/10 cm ergeben. Damit ist lediglich die dynamische Funktion der Wirbelsäule leicht bis mäßiggradig eingeschränkt, die statische Funktion hingegen nicht. Hier folgt der Senat der Ansicht von Dr. U ... Denn die Röntgenbilder der Wirbelsäule vom 7. Juli 2008 zeigen, dass die drei miteinander verbundenen Lendenwirbelkörper nahezu in Streckstellung zueinander stehen und ein statisch wirksamer Achsknick nicht vorliegt. Da eine Schädigung des Rückenmarks und der Nervenwurzel nicht nachgewiesen ist, ist auch die Schutzfunktion der Lendenwirbelsäule nicht beeinträchtigt. Schließlich geht auch Dr. R. lediglich von einer leicht eingeschränkten Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule aus.

Diese Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule rechtfertigen nicht, den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH festzusetzen. Vielmehr ist auch hiernach allenfalls von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vH auszugehen.

Da sich hieraus kein Anspruch auf eine Verletztenrente ergibt, kann es auch dahingestellt bleiben, welcher Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei der Untersuchung durch Dr. U. am 7. Juli 2008 vorgelegen hat. Denn am 7. Juli 2008 war nur noch die Beweglichkeit in der Seitneigung leicht bis mäßiggradig eingeschränkt. Die Drehung des Rumpfes war dem Kläger demgegenüber ohne Beeinträchtigung möglich. Auch der Schober-Index lag mit 14/10 cm annähernd beim Normalwert.

Die Beklagte war gemäß § 62 Abs. 2 SGB VII berechtigt, die Rente als vorläufige Entschädigung - auch ohne wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwal-tungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) - mit Ablauf des Monats Mai 2003 aufzuheben und die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab Juni 2003 abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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