S 13 KR 125/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 125/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 207/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten einer ambulanten Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff (HBO) vom 25.05. bis 22.06.2009 in Höhe von 3.885,80 EUR und vom 07.07. bis 31.07.2009 in Höhe von 3.108,64 EUR, insgesamt 6.994,44 EUR.

Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) links im Stadium IV und einem ischämischen diabetischem Fußsyndrom bei Diabetis mellitus Typ 1, rheumatoider Arthritis und einem exogenen Cushing-Syndrom. Vom 23.03. bis 01.04.2008 befand sie sich in stationärer Krankenhausbehandlung im Universitätsklinikum B ... Am 24.03.2009 erfolgte eine diagnostische Angiographie. Am 27.03.2009 wurde eine Probefreilegung der Arteria dorsalis des linken Fußes durchgeführt; dabei zeigten sich massive arteriosklerotische Veränderungen, sodass eine Bypassimplantation nicht durchgeführt wurde. Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine Wundheilungsstörung ohne Heilungstendenz; eine antibiotische Behandlung zeigte keine Wirkung.

Am 06.05.2009 beantragte die Klägerin über das HBO-Zentrum F./Dr. T. die Übernahme der Kosten für 25 ambulante HBO-Behandlungen. Dr. T. wies darauf hin, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) habe im November 2008 festgestellt, dass die HBO-Therapie bei Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom ab dem Stadium Wagner III bei fehlender Heilungstendenz der Wunde unter Standardtherapie falle und bei Ausschöpfen aller gefäßchirurgischen Möglichkeiten eine Methode sei, die stationär zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angewandt werden dürfe. Trotz der Nebendiagnosen sei die Klägerin in gutem Allgemeinzustand und noch relativ jung, sodass bei ihr "keinesfalls die Notwendigkeit der stationären Aufnahme im Krankenhaus für die Dauer der HBO-Therapie gerechtfertigt" sei. Die HBO-Therapie stelle für sie die letzte Chance dar, die Abheilung der Operationswunde zu erreichen und eine Amputation im Unterschenkelbereich zu vermeiden.

Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme durch Bescheid vom 08.05.2009 ab mit der Begründung, durch Beschluss des G-BA sei die ambulante HBO-Therapie aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen; sie dürfe vertragsärztlich ambulant nicht erbracht werden. Im Übrigen seien die Ärzte des HBO-Zentrums nicht als Vertragsärzte tätig.

Dagegen legte die Klägerin am 13.05.2009 Widerspruch ein: Ohne die HBO-Therapie drohe ihr eine Amputation, die Behandlung sei insoweit eine Ultima-ratio-Therapie.

Vom 25.05. bis 22.06.2009 erhielt die Klägerin - privatärztlich selbst beschafft - durch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte im HBO-Zentrum ambulant 20 HBO-Behandlungen. Hierfür stellte ihr das HBO-Zentrum 3.885,80 EUR in Rechnung.

Vom 23.06. bis 04.07.2009 befand sich die Klägerin wieder in stationärer Krankenhausbehandlug zur Revision von zwei nekrotisierenden Zehen. Während dieses stationären Aufenthalts wurden weitere zehn HBO-Behandlungen durchgeführt, die leistungsrechtlich dem stationären Aufenthalt zugerechnet wurden.

Vom 07.07. bis 31.07.2009 absolvierte die Klägerin weitere 16 ambulante HBO-Behandlungen im HBO-Zentrum; dafür wurden ihr Kosten in Höhe von 3.108,64 EUR in Rechnung gestellt. Aufgrund einer mit dem HBO-Zentrum getroffenen Vereinbarung sind der Klägerin die ihr in Rechnung gestellten Gesamtkosten von 6.994,44 EUR bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vor dem Sozialgericht gestundet.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 03.07.2009, zugegangen am 07.07.2009, zurück. Sie wies darauf hin, dass die HBO-Therapie als nicht zugelassene Methode in den Richtlinien des G-BA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung unter Nr. 16 der Anlage II (Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen) aufgeführt sei.

Dagegen hat die Klägerin am 07.08.2009 Klage erhoben. Sie räumt ein, dass die HBO keine vom G-BA anerkannte Behandlungsmethode im Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung sei. Sie sei jedoch im stationären Bereich unter bestimmten Voraussetzungen durch Beschluss des G-BA vom 13.03.2008 zugelassen worden. Die Klägerin sieht in der auf den stationären Bereich begrenzten Zulassung einen Mangel des Leistungssystems, der ihren Anspruch auf Freistellung von den Kosten begründe. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, die der G-BA ständig zu prüfen und zu bewerten habe, belegten den Nutzen und die medizinische Notwendigkeit der HBO-Therapie bei diabetischem Fußsyndrom sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Bereich. Die Anerkennung der HBO auch für den ambulanten Versorgungsbereich sei vom G-BA pflichtwidrig unterblieben; dies stelle sich ihr gegenüber als Systemversagen dar. Unabhängig davon resultiere die Leistungspflicht der Beklagten auch aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts. Es habe die akute Gefahr einer Amputation des linken Fußes infolge des ischämischen diabetischen Fußsyndroms bestanden. Dieser Extremitätenverlust hätte ihre Geh- und Bewegungsfähigkeit zunächst aufgehoben und langfristig erheblich eingeschränkt; ein prothetischer Ersatz wäre notwendig geworden. Der Leistungsausschluss der ambulanten HBO-Therapie hätte somit nicht nur zu einer erheblichen Verletzung der körperlichen Integrität, sondern auch zu einem unmittelbaren Verlust eines Körperteils geführt. Diese Folge sei wertungsmäßig derart schwerwiegend, dass unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ein Leistungsausschluss nicht gerechtfertigt sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.05.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2009 zu verurteilen, sie von den Kosten der in der Zeit vom 25.05. bis 22.06.2009 und vom 07.07. bis 31.07.2009 ambulant im HBO-Zentrum F. durchgeführten hyperbaren Sauerstofftherapie in Höhe von 6.994,44 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihre in den angefochtenen Bescheiden vertretene Rechtsauffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die von ihr selbst beschafften hyperbaren Sauerstofftherapien.

Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten bzw. für die Freistellung von entsprechenden Kostenforderungen für die in der Zeit vom 25.05. bis 22.06.2009 und vom 07.07. bis 31.07.2009 durchgeführten 36 HBO-Behandlungen ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Der in Betracht kommende Kostenerstattungs-/Kostenfreistellungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996 - 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11; Urteil vom 22.03.2005 - B 1 KR 11/03 R = SozR 4-2500 § 27a Nr. 1; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Die Beklagte ist zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Behandlung bei der Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie hier - nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12).

Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode i.S.v. §§ 92 Abs. 1, 135 SGB V, die ambulant nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen gewesen wäre, wenn bereits zum Zeitpunkt der Behandlung eine positive Empfehlung des Bundesausschusses vorgelegen hätte. Hieran fehlt es hier. Aufgrund der "Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung" gehört die hyperbare Sauerstofftherapie vielmehr zu den Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen (Anlage II Nr. 16). Die hyperbare Sauerstofftherapie kann mithin grundsätzlich nicht als ambulante ärztliche Leistung der gesetzlichen Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Unabhängig von diesem Richtlinienausschluss der Leistung steht dem Anspruch der Klägerin entgegen, dass die HBO-Behandlung von nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten erbracht worden ist.

Ein Kostenerstattungs-/Kostenfreistellungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des sog. Systemversagens. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkassen ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Ein solches Systemversagen liegt nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das einschlägige Prüf- und Bewertungsverfahren von den Krankenkassen oder dem Bundesausschuss in zurechenbarer Weise unzulässig verzögert oder verhindert worden ist. Der G-BA hat sich seit (mindestens) 2001 wiederholt und die eigenen Beschlüsse überprüfend mit der HBO befasst. Bis 2008 war diese Behandlungsmethode nicht nur für den ambulanten, sondern weitgehend auch für den stationären Bereich (vgl. die "Richtlinie des G-BA zu Untersuchungs- uns Behandlungsmethoden im Krankenhaus" , § 4 Ziffer 2.1 bis 2.5 (bei Myokardinfarkt, Erstmanifestation eines Neuroblastoms im Stadium IV, Weitwinkelglaukom, Morbus Perthes und Schädelhirntrauma) als Leistung der GKV ausgeschlossen. Durch den Beschluss des G-BA vom 13.03.2008 wurde unter Ziffer 2.6 auch die HBO beim diabetischen Fußsyndrom als alleinige Therapie oder in Kombination von der Versorgung der GKV ausgeschlossen; lediglich die adjuvante Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Stadium Wagner ab III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie blieb von diesem Ausschluss unberührt. In der Begründung des Beschlusses des G-BA vom 13.03.2008 heißt es im Abschnitt 2: "Die ... Entscheidung zu der Frage, ob die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse im Rahmen einer Krankenhausbehandlung erforderlich ist, beruht im Rahmen der durchgeführten Gesamtabwägung insbesondere auf folgenden Aspekten:

Zu den unerwünschten Folgen des Diabetes mellitus zählen u. a. pathologische Veränderungen an der unteren Extremität, hier insbesondere das diabetische Fußsyndrom. Die Prävalenz des diabetischen Fußulkus beträgt in der diabetischen Bevölkerung in verschiedenen Ländern zwischen 2 bis 10 %. Eine entsprechende jährliche Inzidenz von 2,2 bis 5,9 % wurde berichtet. In Deutschland werden ca. 70 % aller Amputationen bei Diabetikern durchgeführt.

Die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms besteht in einem multimodalen Therapiekonzept mit den Komponenten Optimierung der Stoffwechseleinstellung, Debridement avitaler Gewebeanteile, ggf. (Teil-)Resektion von Fußknochen, Druckentlastung, Infektionsbehandlung, lokale Wundbehandlung und ggf. Revaskularisation. Ziel der Behandlung ist die vollständige Wundheilung mit Vermeidung einer Amputation.

Bei Einsatz der HBO handelt es sich grundsätzlich um eine ergänzende therapeutische Option (adjuvante Behandlung) zu der dargestellten multimodalen Therapie. HBO wird definiert als Atmung von 100 % Sauerstoff bei erhöhtem Umgebungsdruck. Bisher wird die HBO von spezialisierten Zentren zur Behandlung von Patienten mit DFS angewandt, wenn diese auf konventionelle Maßnahmen therapierefraktär sind oder durch die Schwere der Erkrankung (ab Wagner-Grad III) eine Bedrohung der Extremität besteht. Die HBO wird bei Vorliegen bestimmter Randbedingungen als adjuvante Maßnahme bei Fortführung der Basistherapie angewendet. Ziel der HBO ist dann bei auf sonstige Maßnahmen therapierefraktären Wunden eine Besserung bis Abheilung, ggf. die Verhinderung einer Amputation oder zumindest Verschiebung der Amputationsebene nach distal. Nebenwirkungen der HBO-Therapie werden selten berichtet.

Zur Bewertung des Nutzens der adjuvanten HBO-Therapie bei der Behandlung des diabetischen Fußsyndroms wurden insgesamt 8 Primärstudien herangezogen, davon 4 kontrollierte randomisierte Vergleichsstudien (RCTs). Zusammenfassend ist festzustellen, dass alle Studienergebnisse gleichgerichtet sind und positive Effekte der HBO darstellen. Der aussagekräftigste patientenrelevante Endpunkt ist in der Reduktion der Major-Amputationsrate durch die HBO-Therapie zu sehen. Für diesen Endpunkt liegt die höchste Ergebnissicherheit aus der metaanalytischen Auswertung zu Gunsten der HBO-Therapie vor. Diese Auswertung aller relevanten Vergleichstudien mit Daten zur Major-Amputationsrate lässt eine relative Risikoreduktion von 36 % (95 % KI 22-59 %) durch die adjuvante HBO-Therapie annehmen, ohne Hinweise auf Heterogenität. Eine beschleunigte Wundheilung ist unter Berücksichtigung der oben angeführten erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom ebenfalls als patientenrelevanter Endpunkt zu werten. Auch diesbezüglich sind die Ergebnisse der HBO positiv, jedoch von geringerer Validität, da in den Studien nicht immer die vollständige Wundheilung als Endpunkt gewählt wurde.

Mit Blick auf die oben getroffenen Ausführungen, die hohe Relevanz der Erkrankung und das vermutliche Versorgungsdefizit bzgl. der Amputationsrate ist eine medizinische Notwendigkeit dieser Therapieform unter bestimmten Umständen anzunehmen. Angesichts der dramatischen Konsequenzen einer Major-Amputation für die Patienten sollte die HBO-Therapie als eine mögliche zusätzliche therapeutische Option gewertet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mehrzahl der in den Studien behandelten Patienten entweder höhere Wundschweregrade (Wagner-Grad ) I) oder komplizierte Heilungsverläufe (Infektionszeichen, fehlende Heilungstendenz innerhalb von 30 Tagen) aufwiesen. Die Behandlung in der als aussagekräftigste identifizierten Studie von Faglia et al. 1996 erfolgte zudem nach einem interdisziplinären Behandlungskonzept unter Einschluss konservativer und invasiver Diagnose- und Therapieverfahren. Die in dieser Studie festgestellte Senkung der Amputationsrate wurde ausschließlich in der Gruppe der Patienten mit Wagner Grad IV erzielt. Angesichts des erheblichen Aufwandes einer Druckkammertherapie und der damit einhergehenden möglichen Belastungssituation für die Patienten erscheint diese Therapieform daher nur für das diabetische Fußsyndrom medizinisch notwendig, welches auf andere therapeutische Maßnahmen nicht ausreichend anspricht und bei dem die Extremität gefährdet ist. In Anbetracht der Schwere dieser klinischen Verläufe erfolgt die Behandlung in der Regel im Rahmen eines stationären Aufenthalts.

Die Bewertung des Stellenwerts der HBO bei der Indikation diabetischer Fuß ist im deutschen Versorgungskontext komplex. So hat diese Bewertung den Schweregrad der Erkrankung ausreichend zu berücksichtigen. Die gegenwärtige Evidenz an großen Patientenzahlen belegt die Wirksamkeit hinsichtlich signifikanter Senkung der Major-Amputationsrate von Screening- und Frühbehandlungskonzepten in diabetischen Fußambulanzen in den niedrigen Krankheitsstadien Wagner I und II (McCabe et al., 1998), wie sie inzwischen in Disease Management Programmen in Deutschland umgesetzt werden. Die Hinweise zur Wirksamkeit der HBO in diesen niedrigen Wagner-Stadien entstammen hingegen aus Studien mit sehr kleinen Fallzahlen, zu denen bisher keine neuen bestätigenden Studien mit ausreichender Fallzahl publiziert wurden. Angesichts der Häufigkeit dieses Krankheitsbildes, die Folgestudien mit ausreichend hohen Patientenzahlen und von hoher Qualität grundsätzlich ermöglicht, bleibt die Notwendigkeit der HBO in diesen Krankheitsstadien des diabetischen Fußes nicht nur unbewiesen. Vielmehr ist zu befürchten, dass Patienten mit niedrigen Wagner-Stadien wirksame Screening- und Frühbehandlungskonzepte in der Hoffnung auf die Wirksamkeit der HBO vorenthalten bleiben. Deshalb ist die Behandlung von Wagner-Graden I und II des diabetischen Fußsyndroms durch die HBO von der Erstattung durch die GKV auszuschließen.

Die Entscheidung des G-BA erfolgte nach insgesamt schwierigen und eingehenden Bera-tungen. Die oben aufgeführten Aspekte erfuhren dabei im Einzelnen eine durchaus unter-schiedliche Bewertung durch die Beteiligten im G-BA. Auch die ursprünglich eingebrachten Beschlussvorschläge sind als Ausdruck dieser Kontroverse anzusehen. Zentraler Punkt war letztlich die Frage, ab welchem Wagner-Stadium eine Anwendung der HBO im Rahmen der Krankenhausbehandlung zu Lasten der GKV angemessen ist. Unstrittig und damit Grundlage für den getroffenen Beschluss war, dass als Voraussetzung für die adjuvante HBO-Anwendung ein Erkrankungszustand, der eine stationäre Behandlung erfordert, vorliegen müsse, insbesondere chirurgische Revaskularisationsmaßnahmen ausgeschöpft sind und keine weiteren Heilungstendenzen erkennbar sind. Diese Kriterien werden in der Regel von Patienten mit DFS Wagner-Stadium ) II erfüllt. Weiterhin war von Bedeutung, dass in der für den deutschen Versorgungskontext bedeutenden Leitlinie der DDG zum diabetischen Fußsyndrom für die HBO keine expliziten Empfehlungen abgegeben werden, die HBO in der Leitlinien-Kurzfassung ("Praxisleitlinie") nicht aufgeführt ist und der G-BA die etablierten Verfahren für die Versorgung von DFS im Stadium Wagner II in diesem Zusammenhang als ausreichend ansieht. Zusammenfassend ist daher aus Sicht des G-BA eine Erforderlichkeit der HBO-Therapie im Sinne des § 137c SGB V bezogen auf die Stadien Wagner &8804; II nicht gegeben. Ergänzend ist anzumerken, dass der G-BA sich mit dieser Entscheidung im Rahmen vergleichbarer Entscheidungen in anderen Gesundheitssystemen bewegt. So hat beispielsweise auch das Center for Medicare & Medicaid Services (CMS) in den USA entschieden, die Kosten für die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms mit HBO erst ab Wagner-Stadium III (ebenfalls geknüpft an Kriterien) zu tragen."

All dies belegt, dass sich der G-BA intensiv mit der Thematik der HBO befasst und seine Entscheidung für einen begrenzten Nichtausschluss - das beinhaltet keine positive Zulassung - dieser Behandlungsmethode für den stationären Bereich nach Abwägen des Für und Wider ausführlich begründet hat. Der G-BA hat sich auch nach dem Beschluss vom 13.03.2008 wieder mit der HBO befasst. Durch Beschlüsse vom 17.09.2009 hat er die HBO für zwei weitere Krankheitsbilder von der Versorgung der GKV im Rahmen von Krankenhausbehandlung ausgeschlossen. Ein Systemversagen in Bezug auf die (Nicht-)Anerkennung der HBO in der vertragsärztlichen - ambulanten und stationären - Versorgung liegt nicht vor.

Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen Krankheitssituation unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einem gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt ober sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des BVerfG gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der HBO-Behandlungen nicht erfüllt. Es lag bei ihr keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Allerdings drohte die Amputation des linken Fußes. Auch wenn eine Amputation eine die Lebensqualität erheblich einschränkende Maßnahme gewesen wäre, ist dies jedoch noch nicht mit dem Ausnahmekriterium einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung gleichzusetzen.

Unabhängig davon fehlt es aber auch an der zweiten vom BVerfG geforderten Voraussetzung. Denn es besteht zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms eine Standardtherapie in Form eines multimodalen Therapiekonzeptes mit den Komponenten Optimierung der Stoffwechseleinstellung, Debridement avitaler Gewebeanteile, ggf. (Teil-)Resektion von Fußknochen, Druckentlastung, Infektionsbehandlung, lokale Wundbehandlung und ggf. Revaskularisation. Ziel der Behandlung ist die vollständige Wundheilung mit Vermeidung einer Amputation. Beim Einsatz der HBO handelt es sich grundsätzlich (nur) um eine ergänzende therapeutische Option (adjuvante Behandlung) zu der dargestellten multimodalen Therapie (vgl. hierzu die tragenden Gründe des Beschlusses des G-BA vom 13.03.2008).

Nach alledem hat die Klägerin keinen Anspruch auf Freistellung von der Kostenforderung des HBO-Zentrums F. für die 36 Behandlungen mit hyperbaren Sauerstoff in der Zeit vom 25.05. bis 31.07.2009.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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