L 20 B 2337/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 129 AS 33239/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 B 2337/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. November 2008 werden zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die darlehensweise Übernahme von rückständigen Kosten der Unterkunft.

Die 1972 geborene Antragstellerin zu 1) bildet mit den Antragstellern zu 2) bis 5), ihren 1990, 1993, 1996 und 2003 geborenen Kindern, eine Bedarfsgemeinschaft. Die Antragsteller zu 1) bis 5) beziehen seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Antragstellerin zu 1) ist verheiratet mit dem 1966 geborenen AK.

Die Antragstellerin zu 1) erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 24. März 2005 zwei in der L Straße in B gelegene Eigentumswohnungen. Die zusammengelegten Wohnungen haben eine Gesamtgröße von etwa 140 m². Auf den Kaufpreis von 81.650 Euro leisteten die Antragstellerin zu 1) und ihr Ehemann eine Anzahlung in Höhe von 5.000 Euro. Im notariellen Kaufvertrag war eine weitere Anzahlung in Höhe von 3.200 Euro am 30. Juni 2005 vereinbart. Der restliche Kaufpreis wurde gestundet. Die vierteljährlich zu entrichtenden Annuitätsraten belaufen sich auf 1.377,19 Euro (monatlich 459,06 Euro). Darin ist die dreiprozentige Tilgung des Kaufpreises enthalten (monatlich 183,63 Euro). Das Hausgeld für beide Wohnungen beträgt insgesamt 457,03 Euro.

Zum 01. August 2005 bezog die damals aus 6 Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft die - zusammengelegte - Wohnung in der L Straße.

Die Antragstellerin zu 1) beantragte bei dem Antragsgegner am 05. September 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Mit Bescheid vom 09. Dezember 2005 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft Regelleistungen in Höhe von 730 Euro monatlich, Leistungen für Kosten der Unterkunft wurden nicht bewilligt.

Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin zu 1) mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2005 Widerspruch ein.

Am 20. Januar 2006 beantragten die Antragsteller, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die jeweils anteiligen Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlich angemessenen Aufwendungen zu zahlen. Mit Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2006 (Az.: S 95 AS 731/06 ER) wurde der Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern monatlich 916,09 Euro für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II als Darlehen zu gewähren. Mit Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 09. November 2006 (Az.: L 19 B 187/06 AS ER) wurde auf die Beschwerde des Antragsgegners der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. Februar 2006 aufgehoben, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, den Antragstellern vom 01. Januar 2006 bis 30. Juni 2006 monatlich mehr als 775,00 Euro und für den Zeitraum 01. Juli 2006 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Dezember 2006, monatlich mehr als 732,47 Euro darlehensweise für Kosten der Unterkunft zu gewähren. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Ehemann verließ die eheliche Wohnung nach Angaben der Antragstellerin zu 1) zum 15. April 2008.

Den Antrag der Antragstellerin vom 28. Juli 2008 auf Übernahme der rückständigen Hausgeldzahlungen in Höhe von 2.879,86 Euro und der rückständigen Annuitätsraten (Zinsen- und Tilgungsraten) in Höhe von 5.022,93 Euro lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 mit der Begründung ab, dass sich die Antragstellerin zu 1) bereits seit 30. September 2006 mit den Annuitätsraten im Rückstand befände. Mit Bescheid des Finanzamtes N vom 02. März 2006 sei ihr rückwirkend ab 2005 eine jährliche Eigenheimzulage in Höhe von 3.615,00 Euro bewilligt worden. Spätestens seit Anfang August 2007 sei es ihr daher möglich und zumutbar gewesen, die Ansprüche aus der Eigenheimzulage ab 2007 an die Gläubiger weiterzuleiten bzw. abzutreten. Da sie die Eigenheimlage vorrangig zur Privatschuldentilgung sowie für die Wohnungsrenovierung verwendet habe, zeige sich, dass sie einen möglichen Wohnungsverlust bewusst in Kauf genommen habe. Des Weiteren seien laut Rückstandsaufstellung die Hausgelder u. a. für April und Oktober 2007 sowie für Januar und März 2008 offen. Die Annuitätsraten für drei Quartale seien von der Antragstellerin nicht gezahlt worden, obwohl in dieser Zeit die vollen Hausgeldkosten und vollen Schuldzinsen aufgrund des laufenden Alg II-Anspruches anerkannt und ausgezahlt worden seien.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 03. Dezember 2008 zurück.

Am 23. Oktober 2008 beantragten die Antragsteller, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern zur Sicherung der Unterkunft darlehensweise gemäß § 22 Abs. 5 SGB II die rückständigen Kosten der Unterkunft in Höhe von 6.400,12 Euro für Annuitätenraten an die S GmbH laut Aufstellung vom 14. Oktober 2008 sowie rückständiges Wohngeld in Höhe von 4.679,37 Euro an die W GmbH zu gewähren.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 12. November 2008 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Gericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Rechtfertigung einer Übernahme von Rückständen dann fehle, wenn der Verlust der Wohnung auch bei deren Übernahme nicht abgewendet werden könne. Vorliegend könne die Erklärung des Rücktritts vom Kaufvertrag der beiden zusammengelegten Eigentums-wohnungen der Antragsteller gemäß § 3 Nr. 5 des notariellen Vertrages vom 24. März 2005 nicht abgewendet werden, weil auch bei einer Übernahme der Rückstände in der im Antrag bezifferten Höhe für Annuitäten und Hausgeld die Rückstände an öffentlichen Lasten ausweislich der Mitteilung des Finanzamtes N an die S GmbH vom 03. November 2006 ungedeckt wären. Ferner sei ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden, da den Antragstellern nicht die akute Bedrohung von Wohnungslosigkeit bevorstehe. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht lehnte das Sozialgericht zudem den Antrag der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche einstweilige Rechtsschutzverfahren ab.

Gegen den am 14. November 2008 zugestellten Beschluss richten sich die am 09. Dezember 2008 eingelegten Beschwerden der Antragsteller.

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte und der Verwaltungsakte, die dem Senat vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigen Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. November 2008 sind unbegründet. Der Antragsgegner war nicht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern darlehensweise die rückständigen Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden ist.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erstattet, soweit diese angemessen sind.

Hinsichtlich der Tilgungsraten haben die Antragsteller bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Tilgungsraten sind keine Aufwendungen für die Unterkunft, weil es anderenfalls zu einer ungerechtfertigten Vermögensbildung aus öffentlichen Mitteln kommen würde. Leistungen des SGB II dienen aber gerade nicht der Vermögensbildung (BSG, Urteil vom 10. November 2006 - B 7 b AS 8/06 R -, zitiert nach juris) und sind nicht von § 22 Abs. 2 SGB II umfasst.

Bezüglich der weiteren von den Antragstellern begehrten Schuldenübernahme für die Schuldzinsen, das Wohngeld und die Steuerschulden kann es dahingestellt bleiben, ob und inwieweit auch die geltend gemachten Steuerschulden unter die Regelung des § 22 Abs. 2 SGB II fallen. Eine Übernahme dieser Schulden kann bereits deshalb nicht erfolgen, weil dies nicht im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist.

Gemäß § 22 Abs. 5 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 5 Satz 3 SGB II ist Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II vorrangig einzusetzen.

Nicht gerechtfertigt ist eine Schuldenübernahme, wenn die Entstehung der Rückstände auf einer Verletzung sozialrechtlicher Obliegenheiten beruht, oder Missbrauch bzw. grundsicherungsrechtliche Sanktionen in Rede stehen. Die Rechtsprechung (OVG Nordrhein-Westfalen FEVS 35, 28) und Literatur (Birk in LPK - SGB XII 7. Auflage 2005, § 234 Rdnr. 12; Schmidt in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 22 Rdnr. 148, Stand 9/06; Berlit in LPK - SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 Rdnr. 113) gehen davon aus, dass die darlehensgestützte Hilfe versagt werden kann, wenn der Hilfebedürftige trotz Hilfen der Leistungsträger keine Hilfe zur Selbsthilfe erkennen lasse. Andere Stimmen in der Literatur treffen eine Einschränkung dahingehend, dass nur im Wiederholungs- oder in anderweitig akzentuierten Extremfällen eine Versagung der Hilfe zur Wohnraumsicherung in Betracht kommt (ebenso Birk in LPK - SGB XII, 7. Auflage 2005, § 34 Rdnr. 12).

Durch die Schuldenübernahme soll der längerfristige Erhalt der Wohnung gesichert werden. Im vorliegenden Verfahren ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin zu 1) rechtzeitig ihr mögliche und zumutbare Versuche unternommen hat, die Schulden für die Finanzierung der Eigentumswohnung(en) zu verhindern oder zu senken. Die erstatteten Eigenheimzulagen sind von der Antragstellerin zu 1) nicht zur Schuldentilgung sondern u.a. dazu verwendet worden, grundsicherungsrechtliche Sanktionen des Ehemannes auszugleichen bzw. Steuerschulden des Ehemannes der Antragsstellerin zu 1) zu tilgen (vgl. eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin zu 1) vom 21.10.2008). Die durch die Leistungen des ALG II gedeckten Kosten für das Hausgeld und die Schuldzinsen wurden ebenfalls über einen längeren Zeitraum nicht zweckentsprechend verwendet, so dass bei Antragsstellung auf Erlass einstweiligen Rechtsschutzes am 23. Oktober 2008 bereits für das Hausgeld ein rückständiger Betrag von 4.679,37 EUR bestand. Spätestens nach der mit Schreiben der Wohnungseigentumsverwaltung vom 16. Juli 2008 erfolgten Ankündigung der Zwangsvollstreckung - wahrscheinlich aber schon viel früher - musste der Antragstellerin zu 1) damit bewusst gewesen sein, dass die Kosten der Unterkunft - bei der zweckfremden Nutzung der erfolgten Leistungen - nicht vertragsgemäß beglichen werden und zu einem Verlust des Wohnraumes führen können. Würde die Unterkunft dennoch beibehalten, wäre der Eintritt weiterer Schulden sowie in deren Folge ein weiteres Schuldenübernahmebegehren und - bei dessen Ablehnung - der Wohnungsverlust ohnehin zu befürchten. Ist mithin ein Umzug aller Voraussicht nach auch bei teilweiser Schuldenübernahme nicht zu vermeiden, besteht grundsätzlich nicht die Notwendigkeit, durch öffentliche Mittel den Zeitpunkt des Umzuges lediglich hinauszuschieben.

Aufgrund des nach wie vor entspannten Berliner Wohnungsmarkts ist auch die Übernahme der Mietschulden zur Vermeidung einer Wohnungslosigkeit nicht gerechtfertigt. Nach Angaben des Referatsleiters Wohnungspolitik bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gibt es bei einem aktuellen Wohnungsleerstand in Berlin von 100.000 Wohnungen verfügbaren Wohnraum in nahezu allen Größen und Preisklassen (zitiert nach Berliner Morgenpost vom 8. Oktober 2007 - S. 13, vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Februar 2008, Az.: L 19 B 2342/07 AS ER). Durch den sich abzeichnenden Verlust der Wohnung steht aus diesem Grund eine Wohnungslosigkeit nicht ernsthaft zu befürchten.

Vor diesem Hintergrund kann sowohl die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren als auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wegen fehlender Erfolgsaussicht keinen Erfolg haben (§ 73 a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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