L 3 R 422/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 10 R 352/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 422/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die den Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee verlängernden Zeiten eines Strafarrestes sind keine Pflichtbeitragszeiten des Wehrdienstes "aufgrund gesetzlicher Pflicht" im Sinne von § 248 Abs. 1 SGB VI.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 11. Juli 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von drei Monaten Strafarrest während des Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee (NVA) als Pflichtbeitragszeit.

Der am 1952 geborene Kläger leistete ab dem 1. November 1971 seinen Grundwehrdienst ab. Nach seinen Angaben wurde er als Angehöriger der NVA nach Anklage durch einen Militärstaatsanwalt zu einer "Disziplinarmaßnahme mit Freiheitsentzug" verurteilt, die er in der Zeit vom 17. April bis 16. Juli 1973 im Militärgefängnis in S verbüßte. Am 17. Juli 1973 habe er seien Grundwehrdienst ohne erneute Einberufung fortgesetzt. Für den Gesamtzeitraum vom 1. November 1971 bis zum 27. Juli 1973 enthält der Wehrdienstausweis des Klägers die Eintragung "Wehrdienst" [14 V], sein Sozialversicherungsausweis die Eintragung "NVA" [Eintrag des VEB K L 29 - 30 V].

Mit Bescheid vom 25. März 2004 stellte die Beklagte nach § 149 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis zum 31. Juli 1997 für die Beteiligten verbindlich fest, soweit diese nicht bereits früher festgestellt waren. Über die Zeit vom 1. November 1971 bis zum 27. Juli 1973 werde gesondert entschieden [29a ff. V].

In einer von der Beklagten angeforderten Bescheinigung vom 10. Juni 2004 bestätigte die Wehrbereichsverwaltung Ost, der Kläger habe im Zeitraum vom 1. November 1971 bis zum 27. Juli 1973 18 Monate Grundwehrdienst, verlängert um sonstige Zeiten entsprechend dem Wehrpflichtgesetz/Wehrdienstgesetz der ehemaligen DDR geleistet; davon vom 1. November 1971 bis zum 16. April 1973 und vom 17. bis zum 27. Juli 1973 Grundwehrdienst sowie vom 17. April bis zum 16. Juli 1973 sonstige Zeiten. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2004 [40 a ff. V] teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass der Feststellungsbescheid für die Zeit vom 1. November 1971 bis zum 27. Juli 1973 neu erteilt werde. Der als Anlage 2 beigefügte Versicherungsverlauf weist für die Zeiträume vom 1. November 1971 bis zum 16. April 1973 und vom 17. bis zum 27. Juli 1973 Pflichtbeiträge für Wehrdienst/Zivildienst aus; für den dazwischen liegenden Zeitraum enthält der Versicherungsverlauf keine Angaben.

Mit seinem am 28. Oktober 2004 eingelegten Widerspruch machte der Kläger die Anerkennung auch des Zeitraums vom 17. April bis zum 16. Juli 1973 als Pflichtbeitragszeit geltend. Er habe vom 1. November 1971 bis zum 27. Juli 1973 ununterbrochen Wehrdienst geleistet. Auch der Zeitraum der Verlängerung seines Wehrdienstes bei der NVA sei eine Pflichtbeitragszeit im Sinne des § 248 Abs. 1 SGB VI.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Zeit vom 17. April bis 16. Juli 1973 könne weder als Beitragszeit nach § 248 Abs. 1 SGB VI noch als den Beitragszeiten nach Bundesrecht nach § 248 Abs. 3 Satz 1 SGB VI gleichgestellte Zeit berücksichtigt werden. Der Grundwehrdienst in der DDR habe regelmäßig 18 Monate betragen und sei von der Wehrbereichsverwaltung nur für die Zeiträume vom 1. November 1971 bis zum 16. April 1973 und vom 17. bis zum 27. Juli 1973 bescheinigt worden. Sein Dienst als Armeeangehöriger in dem dazwischen liegenden Zeitraum habe nicht auf einer gesetzlichen Pflicht, sondern auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht. Da für die Zeiten des Strafvollzuges nach dem Recht der DDR grundsätzlich keine Beiträge zu zahlen gewesen seien, lägen die Voraussetzungen einer Berücksichtigung als Beitragszeit nicht vor. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VI seien nicht erfüllt.

Mit seiner am 14. April 2005 bei dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Die Beklagte habe zu Unrecht die Anerkennung der Zeit vom 17. April bis zum 16. Juli 1973 als rentenrelevante Zeit abgelehnt. Der Grundwehrdienst habe nur in der Regel 18 Monate betragen. Dieser Zeitraum habe sich bei ihm um Zeiten seines Strafarrestes verlängert.

Mit Urteil vom 11. Juli 2006 hat das Sozialgericht Halle den angefochtenen Bescheid abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Zeitraum vom 17. April bis zum 16. Juli 1973 als Pflichtbeitragszeit nach § 248 Abs. 1 SGB VI festzustellen. Die Voraussetzungen einer Anerkennung dieser Pflichtbeitragszeit lägen vor, da der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum seiner gesetzlichen Wehrpflicht nachgekommen sei. Der Wehrdienst sei am 16. April 1973 weder vorzeitig beendet noch unterbrochen worden. Der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht vom Wehrdienst freigestellt, zurückgestellt oder ausgeschlossen worden. Die allgemeine Wehrpflicht habe die Strafverbüßung mit eingeschlossen. Eine ungerechtfertige Ungleichbehandlung mit nicht sozialversicherungspflichtigen Häftlingen ergebe sich daraus nicht, da der Kläger durch seine Strafverbüßung Wehrdienst geleistet habe.

Gegen das ihr am 16. August 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. September 2006 Berufung eingelegt. § 248 Abs. 1 SGB VI sehe die Anerkennung von Beitragszeiten nur für die Ableistung von (aktivem) Grundwehrdienst vor, den der Kläger während seiner Strafverbüßung nicht habe ableisten können. Das ergebe sich insbesondere daraus, dass nach § 2 der Verordnung über die Besoldung der Wehrpflichtigen für die Dauer des Dienstes in der Nationalen Volksarmee ((Besoldungsverordnung) vom 24. Januar 1962 GBl. der DDR Teil II Nr. 7 S. 49) für die Dauer einer Untersuchungshaft und während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe kein Wehrsold zu zahlen gewesen sei. Würde die Auffassung des Sozialgerichts zutreffen, müsste die Beklagte für den streitgegenständlichen Zeitraum - ohne aktive Dienstleistung - gemäß § 256a Abs. 4 SGB VI 0,75 Entgeltpunkte berücksichtigen, was gegenüber Versicherten, die ihren Wehrdienst im Rahmen von 18 Monaten abgeleistet hätten, einen nicht unerheblichen, nach Sinn und Zweck des § 248 Abs. 1 SGB VI nicht gerechtfertigten wirtschaftlichen Vorteil bedeute. Im Übrigen stelle § 13 Abs. 4 des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht ((Wehrpflichtgesetz) vom 24. Januar 1962, GBl. Teil I Nr. 1 S. 2) der DDR nur klar, dass der Wehrpflichtige insgesamt seiner gesetzlichen Pflicht zur Ableistung des vorgeschriebenen Wehrdienstes von 18 Monaten nachkommen müsse.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 11. Juli 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er habe nicht als Zivilist im Gefängnis gesessen, sondern als Wehrdienstleistender in einem Militärgefängnis, sodass die Zuordnung des streitgegenständlichen Zeitraums zum als Pflichtbeitragszeit zu berücksichtigenden Wehrdienst gerechtfertigt sei.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt [Kläger 68 GA, Beklagte 75 GA].

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie insbesondere gemäß § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Der Senat durfte nach § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

Die Berufung ist auch begründet, da das Sozialgericht zu Unrecht den angefochtenen Feststellungsbescheid abgeändert und die Beklagte verurteilt hat, den Zeitraum vom 17. April bis zum 16. Juli 1973 als Pflichtbeitragszeit festzustellen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).

Die Voraussetzungen Feststellung der Zeit vom 17. April 1973 bis zum 16. Juli 1973 als Pflichtbeitragszeit nach § 248 Abs. 1 SGB VI liegen nicht vor.

Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt, stellt er die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, nach § 249 Abs. 5 Satz 1 SGB VI durch Bescheid fest. Daten im Sinne dieser Vorschrift sind insbesondere Beitragszeiten im Sinne des § 55 SGB VI, zu denen nach Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift auch die Zeiten gehören, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Nach § 248 Abs. 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten in diesem Sinne auch Zeiten, in denen Personen auf Grund gesetzlicher Pflicht nach dem 8. Mai 1945 mehr als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst im Beitrittsgebiet geleistet haben. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt der vom Kläger in der Zeit vom 17. April 1973 bis zum 16. Juli 1973 verbüßte Strafarrest jedoch nicht.

Der Kläger hat seinen über den Zeitraum von 18 Monate hinaus verlängerten Wehrdienst im Umfang dieser Verlängerung nicht auf Grund (allgemeiner) gesetzlicher Pflicht, sondern auf Grund richterlicher Anordnung geleistet. Den Grundwehrdienst, den der Kläger in der Zeit vom 17. April 1973 bis zum 16. Juli 1973 ohne seine Verurteilung hätte leisten müssen, hat er im Anschluss daran "nachgedient", sodass für ihn insgesamt nur der allgemein geschuldete Wehrdienst im Umfang von 18 Monaten als Beitragszeit anerkannt wurde.

Der Begriff des "Wehrdienstes auf Grund gesetzlicher Pflicht" ist als Einheit zu sehen und ist dahingehend auszulegen, dass der allgemein nach dem Gesetz geschuldete Grundwehrdienst gemeint ist (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 1. Februar 2005 - B 8 KN 5/03 R - Die Beiträge Beilage 2005, 211 ff. und Urteil vom 29. November 2007 - B 13 R 7/07 R -). Die "gesetzliche Pflicht" muss sich unmittelbar aus den einschlägigen Bestimmungen über den Wehrdienst ergeben. Das ist bei dem Kläger nicht der Fall. Denn ohne das Hinzutreten einer Entscheidung über die Verhängung des Strafarrestes hätte sein Wehrdienst nach § 21 Abs. 1 Wehrpflichtgesetz nach 18 Monaten geendet. Für dieses Ergebnis spricht auch der Wille des Gesetzgebers, mit § 248 Abs. 1 SGB VI eine § 15 Abs. 3 Satz 2 Fremdrentengesetz (FRG) entsprechende Vorschrift zu schaffen (vgl. Bundestags-Drucksache 12/405 zu Nr. 54). Nach dieser Vorschrift des FRG galten als Beitragszeiten nur solche Zeiten, in denen der Versicherte nach dem 8. Mai 1945 im Herkunftsgebiet seinen Grundwehrdienst abgeleistet hatte.

Für die Berücksichtigung als Pflichtbeitragszeit spielt es insoweit keine Rolle, ob der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum Wehrsold oder Sachbezüge erhielt. Diesbezüglich ist bereits zweifelhaft, ob auf den vom Kläger verbüßten Strafarrest die Besoldungsregelungen bezüglich der Verbüßung einer Freiheitsstrafe Anwendung fanden, wie die Beklagte meint. Denn der Strafarrest konnte nach § 252 Abs. 3 des Strafgesetzbuches der DDR vom 12. Januar 1968 (GBl. I Nr. 1) nur bis zu drei Monate andauern, während die Freiheitsstrafe mindestens drei Monate betrug. Im Übrigen galten auch andere Vorschriften z.B. bezüglich einer Berücksichtigung als Vorstrafe für den Strafarrest nicht.

Darauf kommt nach der einschlägigen Vorschrift des § 13 Abs. 4 Wehrpflichtgesetz indes nicht an, weil der Strafarrest die Zeit des Wehrdienstes, nicht aber den insgesamt zu leistenden Grundwehrdienst verlängerte. Entsprechend kommt auch dem Umstand keine Bedeutung zu, dass der Kläger nach Verbüßung des Arrestes nicht erneut einberufen wurde. Denn sein Wehrdienst - nicht sein Grundwehrdienst - bestand fort. Dem entspricht auch die Bescheinigung der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 10. Juni 2004. Die Vorschrift des § 21 Abs. 1 Wehrpflichtgesetz sieht entgegen der Auffassung des Klägers keine Ausnahmen von der Dauer des Grundwehrdienstes vor (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 1. Februar 2005 - B 8 KN 5/03 R -).

Der Kläger hat sein Begehren ausdrücklich auf die Anerkennung einer Pflichtbeitragszeit beschränkt, sodass die Prüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf eine Berücksichtigung des streitgegenständlichen Zeitraumes als rentenrelevante Zeit dem Senat im Übrigen verwehrt ist. Anhaltspunkte dafür, dass der streitgegenständliche Zeitraum nach sonstigen Vorschriften als einer Beitragszeit gleichgestellte Zeit oder Ersatzzeit anzuerkennen sein könnte, liegen im Übrigen auch nicht vor, sodass ein an den Kläger gerichteter Hinweis des Senats hat unterbleiben können. Eine einer Beitragszeit nach § 248 Abs. 3 SGB VI gleichgestellte Zeit läge auch dann nicht vor, wenn der Wehrsold des Klägers während des streitgegenständlichen Zeitraums fortgezahlt worden wäre, denn dieser war nach der Besoldungsordnung nicht versicherungspflichtig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Vor dem Hintergrund der Urteile des BSG vom 1. Februar 2005 (- B 8 KN 5/03 R - Die Beiträge Beilage 2005, 211 ff.) und vom 29. November 2007 (- B 13 R 7/07 R -) handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht [Die Beklagte wünscht allerdings die Zulassung der Revision, 89 RS].
Rechtskraft
Aus
Saved