Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 KN 18/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wenn neben dem Versorgungszweck ein zumindest gleichgewichtiges anderes Motiv für eine Eheschließung zur Überzeugung des Gerichts feststeht, ist die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt.
2. Ein derartiger gleichwertiger weiterer Zweck kann sein, dass es den Beteiligten mit der Eheschließung darum geht, nach langjährigem Zusammenleben die bestehende Liebesbeziehung – auch im Interesse des aus der Verbindung hervorgegangenen Kindes – formal zu bekräftigen.
2. Zu berücksichtigen ist neben den Begleitumständen auch die konkrete Krankheitsgeschichte – hier: hohe Überlebenswahrscheinlichkeit im Falle einer Transplantation.
2. Ein derartiger gleichwertiger weiterer Zweck kann sein, dass es den Beteiligten mit der Eheschließung darum geht, nach langjährigem Zusammenleben die bestehende Liebesbeziehung – auch im Interesse des aus der Verbindung hervorgegangenen Kindes – formal zu bekräftigen.
2. Zu berücksichtigen ist neben den Begleitumständen auch die konkrete Krankheitsgeschichte – hier: hohe Überlebenswahrscheinlichkeit im Falle einer Transplantation.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2006 verurteilt, der Klägerin ab 04.02.2005 große Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente hat.
Die am 1944 geborene Klägerin ist Witwe des am 1945 geborenen und am 22.01.2005 verstorbenen Versicherten (Im Folgenden: Versicherter). Die Klägerin bezieht seit September 2004 Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die sich zwischenzeitlich auf 703,82 Euro brutto (638,02 Euro netto) beläuft. Darüber hinaus erhält sie Kindergeld in Höhe von etwa 154 Euro. Die Klägerin lebt in einem kleinen Haus, das ihr von ihrem Vater übertragen wurde und für das sie nach ihren Angaben weder Miete noch Abtrag zu zahlen hat.
Im April 1968 schloss die Klägerin erstmals die Ehe mit dem Versicherten. Aus dieser Ehe, die bis August 1973 andauerte und dann insbesondere aufgrund des übermäßigen Alkoholkonsums des Versicherten rechtskräftig geschieden wurde, resultiert ein gemeinsamer Sohn, der am 1968 geboren wurde und an einer geistigen Behinderung leidet. Im Rahmen der Scheidung wurde der Klägerin für den Sohn das alleinige Sorgerecht übertragen. In der Folgezeit lebten die Klägerin und der Versicherte etwa ein halbes Jahr getrennt. Dann zogen sie nach Angaben der Klägerin wieder zusammen und lebten in den folgenden Jahren in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.
Im Jahr 1992 erkrankte der Versicherte an einer Hepatitis B und in der Folgezeit weiter an einer Hepatitis C. Im Jahr 1999 wurde bei ihm eine alkoholische Leberzirrhose festgestellt.
Aufgrund dieser Erkrankung war der Kläger am 02.09.2004 und am 01.10.2004 ambulant in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums J. vorstellig.
Am 15.10.2004 schlossen die Klägerin und der Versicherte erneut die Ehe.
Vom 16.10. bis 05.11.2004 erfolgte eine stationäre Behandlung des Versicherten in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums J. Dabei wurde der Versicherte insbesondere im Hinblick auf etwaige Kontraindikationen zu einer Lebertransplantation untersucht. In der entsprechenden Epikrise vom 02.12.2004, auf die verwiesen wird, wird in der sog. "Vorgeschichte" unter anderem ausgeführt, dass nach Angaben des Versicherten seit sechs Monaten eine Alkoholkarenz bestehe. Abschließend heißt es unter "Zusammenfassung und Verlauf", dass in Zusammenschau der erhobenen Befunde eine schwergradige Leberzirrhose auf dem Boden eines langjährigen Alkoholabusus bestehe. Von Seiten der Untersuchungsbefunde sowie der Patienten-compliance ergäben sich keine Kontraindikationen zur geplanten Lebertransplantation. Nach einem orientierenden Aufklärungsgespräch über den Stand der Untersuchungen sowie das geplante Procedere sei der Versicherte in die ambulante Weiterbehandlung entlassen worden.
Im Januar 2005 erkrankte der Versicherte dann an einer abszedierenden Pneumonie. Es erfolgte eine Drainage der Abszesshöhle. Am 22.1.2005 kam es zu einer fulminanten Öso- phagusvarizenblutung, an der der Versicherte verstarb.
Am 04.02.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer großen Witwenrente nach § 46 Sozialgesetzbuch (SGB) – Sechstes Buch (VI) – Gesetzliche Rentenversicherung -.
Die Beklagte holte daraufhin eine Auskunft bei dem behandelnden Arzt des Versicherten Dr. K. ein. Dieser bestätigte in seinem Schreiben vom 04.09.2005 unter anderem, dass bei dem Versicherten bereits im Jahre 1999 eine Leberzirrhose diagnostiziert worden sei. Weiterhin seien vor der Hochzeit eine chronische Virushepatitis B und eine Hepatitis C bekannt gewesen.
Ferner holte die Beklagte eine Auskunft bei der AOK Sachsen-Anhalt über die Erkrankungen des Versicherten in den Jahren 2003 und 2004 ein. Auf die entsprechende Auskunft vom 21.09.2005 nebst Anlagen wird Bezug genommen (Bl. 100 bis 110 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 23.09.2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Anspruch nach § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen sei, da die am 15.10.2004 geschlossene Ehe lediglich bis zum 22.01.2005 und damit weniger als ein Jahr bestanden habe. Sowohl aus dem Befundbericht des behandelnden Arztes als auch aus der eingeholten Auskunft der AOK Sachsen-Anhalt gehe hervor, dass bei dem Versicherten bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung schwerste Erkrankungen vorgelegen hätten. Auch die von der Klägerin angeführte langjährig bestehende Lebensgemeinschaft und die erfolgte Eheschließung in einem Zeitpunkt, als die schwere Erkrankung bereits vorgelegen habe, spreche für das Vorliegen einer Versorgungsehe.
Dagegen legte die Klägerin am 12.10.2005 Widerspruch ein und führte aus, dass sie den Versicherten nicht lediglich aus Versorgungszwecken geheiratet habe und dass sie ihn, sofern dies ihr Ziel gewesen wäre, bereits Jahre zuvor hätte heiraten können, zumal der Versicherte schon vor Jahren an seiner Leber erkrankt sei. Da für ihn eine Lebertransplantation vorgesehen gewesen sei, hätten sie und der Versicherte die Hoffnung auf ein weiteres Lebens des Versicherten gehabt, auch als er schon sehr krank gewesen sei. Die eheähnliche Gemeinschaft habe bereits seit 38 Jahren bestanden. Die erneute Eheschließung sei seit Jahren geplant gewesen, nämlich mit der Vollendung ihres 60. Lebensjahres. Sie habe dabei nicht gewusst, dass der Versicherte so schwer erkrankt sei, vor allem nicht, dass die Krankheit einen so schnellen "Verlauf" nehmen würde. Den gemeinsamen, geistig behinderten Sohn hätten sie und der Versicherte gemeinsam 37 Jahre lang erzogen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2006 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch mit der Begründung zurück, die im laufenden Widerspruchsverfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen bestätigten eindeutig, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung bei dem Versicherten bereits schwerste Erkrankungen vorgelegen hätten. Besondere Umstände im Sinne der Rechtsprechung, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, lägen nicht vor.
Am 10.02.2006 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor: Abgesehen davon, dass sie mit dem Versicherten 38 Jahre zusammengelebt und gemeinsam mit ihm den geistig behinderten Sohn erzogen habe, sei zu berücksichtigen, dass sie auch 2 Jahre den schwer kranken Vater des Versicherten gepflegt habe. Der Versicherte habe sie mehrfach zu einer nochmaligen Heirat gedrängt. Für sie sei eine erneute Heirat aber nur in Betracht gekommen, wenn er bis zu ihrem 60. Geburtstag keinen Alkohol mehr tränke. Zwar sei ihr die Erkrankung des Versicherten bekannt gewesen; ihr sei jedoch nicht bekannt gewesen, dass sein Ableben unmittelbar bevorstehe. Der Versicherte sei im Hinblick auf die geplante Lebertransplantation im Universitätsklinikum J. in ärztlicher Behandlung gewesen. Die behandelnden Ärzte hätten sowohl im Jahr 2004 als auch im Jahr 2005 eingeschätzt, dass bei ihm in Ansehung des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gesundheitszustandes, eine Lebertransplantation möglich sei. Zum Zeitpunkt der Hochzeit hätten sowohl sie als auch der Versicherte auf Genesung und auf eine Spendenleber gehofft. Die Heirat sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie davon habe ausgehen können, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten auch weiter verbessern würde. Das alleinige Erziehungsrecht für den gemeinsamen Sohn sei ihr lediglich aufgrund der Alkoholkrankheit des Versicherten übertragen worden. Dessen ungeachtet sei dem Versicherten der Umgang mit seinem Sohn jederzeit möglich gewesen und ihr Sohn habe ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sie aufgrund ihrer Altersrente in Höhe von 703,82 Euro brutto und des Kindergeldes über eine hinreichende eigene Versorgung verfüge.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 23.09.2005 in der Fassung des Widerspruchs-bescheides vom 09.01.2006 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 04.02.2005 große Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren und führt ergänzend aus: Die von der Klägerin angegebenen Gründe für die Heirat widerlegten nicht die Vermutung einer Versorgungsehe. Die Schwere der Erkrankung des Versicherten sei seit über 6 Jahren bekannt gewesen. Die Entscheidung zur Lebertransplantation sei erst während des stationären Aufenthaltes vom 26.10.2004 bis 15.11.2004, also nach der Heirat, erfolgt. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach der Scheidung das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn gehabt habe. Der Einwand, dass der Klägerin die gesundheitlichen Umstände nicht bekannt gewesen seien, könne nicht zu einer anderen Auffassung führen. Für die Beurteilung, ob eine sogenannte Versorgungsehe vorliege, seien nicht allein die Beweggründe der Klägerin zu beachten.
Das Gericht hat Auskünfte bei den Ärzten des Universitätsklinikums J. und bei dem behandelnden Arzt des Versicherten Dr. K. eingeholt.
Prof. Dr. S. , Direktor des Universitätsklinikums J. , und Dr. Ü. , Oberarzt des Universitätsklinikums J. , haben in ihren Stellungnahmen vom 25.04.2007 und 18.05.2007 unter anderem mitgeteilt, dass der Versicherte im Universitätsklinikum J. am 02.09., 01.10. und 16.12.2004 ambulant vorstellig gewesen sei. Zu der Lebenserwartung bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung könne im Allgemeinen keine exakte Aussage getroffen werden. Komplikationen seien in solchen Situationen möglich und könnten zu einem plötzlichen Tod führen. Eine Lebertransplantation werde aber nur indiziert und bei Organverfügbarkeit durchgeführt, wenn eine gute Überlebenschance bestehe. Inwieweit die Klägerin und der Versicherte über die Schwere der Erkrankung informiert gewesen seien, könne nicht exakt nachvollzogen werden, da dies immer von der individuellen Verarbeitung des Sachverhalts durch den Patienten und dessen Angehörigen abhänge. Prinzipiell werde jeder Patient, der sich zu einer Evaluierung (Vorbereitung) für eine mögliche Lebertransplantation vorstelle, bereits in der Transplantationssprechstunde detailliert über die Erkrankung, Prognose und Risiken der Therapieverfahren aufgeklärt.
Dr. K. hat in seiner Auskunft vom 19.12.2007 im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Versicherten nochmals bestätigt, dass ihm bereits vor der Hochzeit am 15.10.2004 eine bereits im Jahr 1999 diagnostizierte Leberzirrhose, eine chronische Virushepatitis B und eine Hepatitis C sowie ein chronischer Alkoholabusus bekannt gewesen seien. Diese bereits vor dem 15.10.2004 vorhandenen Erkrankungen hätten in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Tod des Versicherten gestanden. Laut Abschlussbericht des Krankenhauses in Z. habe der Kläger im Januar 2005 eine abszedierende Pneumonie bekommen. Es sei eine Drainage der Abszesshöhle erfolgt. Nach vorübergehender Besserung des Allgemeinzustandes sei es am 22.01.2005 um 13.45 Uhr zu einer fulminanten Ösophagusvarizenblutung gekommen, infolge dessen der Versicherte verstorben sei. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt der Heirat am 15.10.2004 über die Schwere und über die Prognose der Erkrankung des Versicherten nicht aufgeklärt gewesen. Diese Aufklärung habe er erst nach dem Tode des Versicherten in einem persönlichen Gespräch mit der Klägerin am 21.04.2005 durchgeführt. Die Klägerin habe dabei angegeben, der Versicherte habe mit ihr nie über die Schwere seiner Krankheit gesprochen. Am 08.07.2004 sei die Möglichkeit der Therapie, gegebenenfalls auch einer Lebertransplantation in einer Spezialklinik mit dem Versicherten erörtert worden. Am 02.09.2004 habe der Versicherte dann einen Termin in der Uni J. zur Evaluierung einer Lebertransplantation gehabt. Diesbezüglich hat Dr. K. unter Hinweis auf eine Dissertation von Robert Pfitzmann, FU Berlin, weiter ausgeführt, dass der Versicherte eine 15-Jahres-Überlebensrate von 68,2 % gehabt hätte, sofern die Lebertransplantation erfolgt und das Organ angenommen worden, keine Reinfektion der Leber eingetreten und der chronische Alkoholabusus aufgegeben worden wäre. Patienten, die das erste Jahr überlebten, das seien 91,4%, wiesen danach insgesamt ein deutlich geringeres Sterberisiko auf. Von insgesamt 1245 in der Studie untersuchten lebertransplantierten Patienten seien insgesamt 275 gestorben; davon 107 im ersten postoperativen Jahr. Die Ösophagusvarizenblutung könne im Gefolge einer dekompensierten Leberzirrhose auftreten. Ohne die abszedierende Pneumonie wäre die Blutung möglicherweise aber wesentlich später eingetreten und hätte auch therapeutisch beherrscht werden können. Die Überlebensrate bei dekompensierter Leberzirrhose ohne Lebertransplantation betrage nach R. Perillo et al in Hepatology 2001, S. 33, 424-432 bei 100 Patienten nach 2 Jahren ca. 50 % und nach 5 Jahren 14 %.
Schließlich ist die Klägerin von der Kammer angehört worden. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2008 wird insoweit Bezug genommen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten (Versicherungsnummer: ) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2006 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Klägerin hat – wie beantragt - ab dem 04.02.2005 Anspruch auf die begehrte große Witwenrente gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI.
Nach dieser Vorschrift haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen in der Person der Klägerin vor. Sie ist Witwe des am 22.01.2005 verstorbenen Versicherten. Dass dieser die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren gemäß § 50 SGB VI erfüllt hat, ist nicht streitig. Die Klägerin hat auch nicht wieder geheiratet und im Zeitpunkt des Todes des Versicherten das 45. Lebensjahr vollendet.
Dem Anspruch auf große Witwenrente steht die Vorschrift des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entgegen. Danach haben Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenversorgung zu begründen.
Zwar hatte die Ehe vorliegend zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten weniger als ein Jahr gedauert, so dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift und zunächst unterstellt wird, dass die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war und somit ein Anspruch auf Witwenrente ausscheidet.
Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil v. 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900, § 15 Nr. 3 m. w. N.). "Besondere Umstände des Falles" im Sinne von § 46 Abs. 2a SGB VI sind dabei alle Umstände, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst sind und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen (Kasseler Kommentar/Niesel, Stand: 12/2007, § 46 SGB VI Rn. 46 c m. w. N.). Insoweit genügt der Nachweis, dass unter den Beweggründen jedenfalls nur eines der Eheschließenden der Zweck, dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen, keine maßgebende Bedeutung hatte (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 20.09.2007 – L 3 RJ 126/05 -; Kasseler Kommentar/Niesel, Stand: 12/2007, § 46 SGB VI Rn. 46c m. w. N.).
Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe ist die Kammer hier – entgegen der Beurteilung der Beklagten - nach der Einholung von sachverständigen Zeugenauskünften bei dem Hausarzt des Versicherten sowie bei den Ärzten des Universitätsklinikums J. und ausführlicher Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits überzeugt, dass nach den besonderen Umständen des Falles hier nicht die Annahme gerechtfertigt ist, alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat sei die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen. Die von der Klägerin glaubhaft geltend gemachten Gründe für die Heirat und die nicht auf eine Versorgungsabsicht hindeutenden Begleitumstände stehen zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser nicht überwiegt und dementsprechend auch nicht alleiniger Zweck der Heirat war. Zur Überzeugung der Kammer steht insoweit fest, dass es – jedenfalls auf Seiten der Klägerin - neben etwaigen Versorgungserwägungen zumindest gleichgewichtiger Zweck der Eheschließung war, nach dem langjährigen Zusammenleben mit dem Versicherten die beiderseitige Liebesbeziehung durch den Akt der Eheschließung noch einmal – auch im Interesse der Absicherung des gemeinsamen behinderten Sohnes - formal und rechtlich zu manifestieren, um – wie die Klägerin sich ausdrückte – in der Rentenzeit nicht allein zu sein und den Lebensabend gemeinsam zu verbringen.
Im Einzelnen waren dabei für die Kammer aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die folgenden Erwägungen in ihrer Gesamtschau für die gewonnene Überzeugung leitend: 1. Schon die konkrete Krankheits- und Leidensgeschichte des Versicherten vor der Eheschließung rechtfertigt nach Überzeugung der Kammer nicht die Annahme, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente zu begründen. Denn nach den vorliegenden Befunden zum Gesundheitszustand des Versicherten war hier nach Auffassung der Kammer zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht ohne Weiteres abzusehen, dass der Versicherte in näherer Zukunft sterben würde. Zwar stand zu diesem Zeitpunkt – wie den Auskünften des behandelnden Arztes Dr. K. und auch der Auskunft der AOK Sachsen-Anhalt vom 21.09.2005 zu entnehmen ist – fest, dass der Versicherte an einer schweren, bereits im Jahre 1999 diagnosizierten Leberzirrhose, einer chronischen Virushepatitis B sowie einer Hepatitis C erkrankt war und an einem chronischen Alkoholabusus litt. Auch hat Dr. K. dargelegt, dass die Ösophagusvarizenblutung, welche hier zum Tode des Versicherten führte, infolge einer dekompensierten Leberzirrhose auftreten kann. Allerdings hat Dr. K. auch ausgeführt, dass die Blutung möglicherweise wesentlich später eingetreten wäre oder auch therapeutisch hätte beherrscht werden können, sofern der Versicherte nicht im Januar 2005 zusätzlich an einer abszedierenden Pneumonie erkrankt wäre. Er hat ferner unter Hinweis auf die einschlägige Literatur – aus Sicht der Kammer schlüssig und nachvollziehbar - dargelegt, dass die Überlebensrate bei dekompensierter Leberzirrhose ohne Lebertransplantation bei 100 Patienten nach 2 Jahren 50% und nach 5 Jahren 14% beträgt. Dies zugrunde gelegt, war danach nach Auffassung der Kammer, obwohl bei dem Versicherten - wie Dr. Ü. vom Universitätsklinikum J. in seiner Stellungnahme vom 18.05.2007 ausgeführt hat – eine lebensbedrohliche Erkrankung vorlag und Komplikationen in solchen Situationen möglich sind, nicht ohne Weiteres mit einem Ableben des Versicherten in absehbarer Zukunft zu rechnen. Darüber hinaus ist der Auskunft des behandelnden Arztes Dr. K. zu entnehmen, dass mit dem Versicherten bereits am 08.07.2004 über die Möglichkeit einer Therapie, gegebenenfalls auch einer Lebertransplantation in einer Spezialklinik, gesprochen wurde und der Versicherte bereits am 02.09.2004, und damit noch vor der Hochzeit am 15.10.2004, einen Termin im Universitätsklinikum J. zur Evaluierung einer Lebertransplantation hatte. Letzteres Datum ist auch der Auskunft der Ärzte des Universitätsklinikums J. , Prof. Dr. S. und Dr. Ü. , vom 25.04.2007 zu entnehmen. Während des dortigen stationären Aufenthaltes vom 26.10. bis 05.11.2004 konnten – wie es in dem Entlassungsbericht vom 02.12.2004 heißt - keine Kontraindikationen zur geplanten Lebertransplantation festgestellt werden. Nachträglich wurde durch Dr. Ü. in seiner Auskunft vom 18.05.2007 bestätigt, dass Lebertransplantationen nur indiziert und bei Organverfügbarkeit durchgeführt werden, wenn eine gute Überlebenschance besteht. Dr. K. hat in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf eine einschlägige Dissertation ausgeführt, dass, sofern die Lebertransplantation erfolgt und das Organ angenommen worden wäre, keine Reinfektion der Leber eingetreten und der chronische Alkoholabusus aufgegeben worden wäre, der Versicherte statistisch eine 15-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 68,2 % gehabt hätte. Patienten, die das erste Jahr überlebten, das seien 91,4%, wiesen dabei insgesamt ein deutlich geringeres Sterberisiko auf. Auch vor dem Hintergrund einer danach zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits angedachten und nach den Ausführungen der Ärzte des Universitätsklinikums möglichen Lebertransplantation, die die Lebenserwartung des Versicherten mit großer Wahrscheinlichkeit verlängert hätte, erscheint es der Kammer zweifelhaft, vorliegend bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung von einer lebensbedrohlichen Erkrankung auszugehen, die zwingend in absehbarer Zeit einen tödlichen Verlauf nehmen würde. 2. Jedenfalls erscheint der Kammer vor diesem Hintergrund – als weiterer in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Faktor - die Einlassung der Klägerin glaubhaft, wonach sie nicht mit dem plötzlichen Tod des Versicherten rechnete. Die Klägerin hat insoweit schlüssig dargelegt, dass ihr zwar seit mehreren Jahren bekannt gewesen sei, dass der Versicherte Probleme mit seiner Leber gehabt habe, ihr zum Zeitpunkt der Eheschließung aber nicht bewusst gewesen sei, dass er so bald sterben würde und die Krankheit einen so schnellen Verlauf nehmen würde, sie vielmehr gemeinsam mit ihm auf eine Lebertransplantation gehofft habe. Ihre diesbezüglichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, wonach der Versicherte – wahrscheinlich um sie nicht zu beunruhigen - nie über die Schwere seiner Krankheit mit ihr gesprochen habe und sie erst durch den Hausarzt des Versicherten nach dessen Tod in einem persönlichen Gespräch über die Erkrankung aufgeklärt worden sei, wurden in der Auskunft von Dr. K. bestätigt. Dr. K. gab insoweit an, die Klägerin erst in einem persönlichen Gespräch am 21.04.2005 über die Schwere und die Prognose der Erkrankung des Versicherten aufgeklärt zu haben. Die Kammer hat daher keine vernünftigen Zweifel, dass das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin den Tatsachen entspricht. 3. Auch die langjährige Liebesbeziehung der Klägerin mit dem Versicherten, bei der es sich nach den Angaben der Klägerin um eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" handelte, die seit etwa 38 Jahren bestand, steht nach Überzeugung der Kammer einem alleinigen oder überwiegenden Versorgungsgedanken entgegen. Zwar kann eine lange oder kurze Zeit des Zusammenlebens – je nach den Verhältnissen im konkreten Fall – sowohl für als auch gegen eine Versorgungsehe sprechen und daher für sich allein den gesetzlich vermuteten Versorgungscharakter nicht widerlegen (Butzer, in: GK-SGB VI, Stand: 11/2006, § 46 Rn.113; vgl. dazu auch Schleswig-Holsteinisches LSG , Urteil v. 07.03.2007 – L 8 R 207/06 – zitiert nach Juris, Rn. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.01.2007- L 16 R 487/06 – zitiert nach Juris, Rn. 21; SG Chemnitz, Urteil v. 13.10.2005 – S 14 KN 129/03 – zitiert nach Juris, Rn. 27 f.). Doch stellt die langjährige Lebensgemeinschaft nach Auffassung der Kammer einen in die Gesamtabwägung gegen die gesetzliche Vermutung einzubeziehenden Umstand dar, der nicht unberücksichtigt bleiben kann und vorliegend gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe spricht. In Abgrenzung zur klassischen Versorgungsehe nach kurzer Bekanntschaft, in der die Ehe zu Versorgungszwecken missbraucht wird, waren die Klägerin und der Versicherte bereits einmal verheiratet, haben – worauf noch einzugehen sein wird – einen gemeinsamen Sohn und hatten ihre Lebensführung nach der Scheidung ihrer ersten Ehe – auch finanziell – eigenständig ausgestaltet. Auch hat die Klägerin anlässlich ihrer persönlichen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung unter detaillierter Schilderung ihres Zusammenlebens mit dem Versicherten bekräftigt, dass von Seiten des Versicherten schon seit Jahren der Wunsch bestanden habe, wieder zu heiraten. Sie konnte auch plausibel erklären, weshalb die Ehe dann trotz dieses langjährigen Heiratswunsches des Versicherten erst im Oktober 2004 erneut geschlossen wurde. Danach wollte sie zunächst abwarten, ob der Versicherte seine Alkoholsucht und die damit einhergehende Aggressivität, die die Klägerin während ihrer ersten Ehe mit dem Versicherten immer wieder zu spüren bekommen hatte, dauerhaft ablegen würde. Die Klägerin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung – übereinstimmend mit ihren Äußerungen im Vorverfahren – glaubhaft dargelegt, dass sie es vor diesem Hintergrund mit einer erneuten Heirat nicht eilig gehabt habe und dem Versicherten auf sein Drängen zugesagt habe, ihn erneut zu heiraten, wenn er bis zu ihrem 60. Geburtstag keinen Alkohol mehr tränke. Nachdem der Alkoholkonsum des Versicherten – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert hat - dann nach einer im Jahr 1980 durchgeführten Alkoholentziehungskur gegenüber der Zeit ihrer ersten Ehe deutlich zurückgegangen war und er es – übereinstimmend mit seinen Angaben in der Epi-krise des Universitätsklinikums J. – schaffte, in den letzten Monaten vor ihrem 60. Geburtstag abstinent zu bleiben, entschied sie sich dann – auch im Interesse des gemeinsamen Sohnes – erneut die Ehe mit ihm einzugehen. Überzeugend erscheint der Kammer in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Argumentation der Klägerin, dass sie den Versicherten schon viele Jahre früher hätte heiraten können, wenn es ihr lediglich um die Sicherstellung von Versorgungsansprüchen gegangen wäre, zumal ihr bereits seit mehreren Jahren bekannt gewesen sei, dass der Versicherte Probleme mit seiner Leber gehabt habe. 4. Weiter spricht nach Auffassung der Kammer auch die Existenz des gemeinsamen Sohnes gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe. So wird in der Regel angenommen, dass im Falle der Existenz gemeinsamer Kinder die Eheschließung von der Motivation der Familiengründung und nicht derjenigen der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung getragen war (Butzer, in: GK-SGB VI, Stand: 11/2006, § 46 Rn. 114 m. w. N.). Nichts anderes ergibt sich im vorliegenden Fall nach Überzeugung der Kammer daraus, dass die Klägerin und der Versicherte bereits einmal verheiratet waren und der Klägerin im Rahmen der Scheidung das alleinige Sorgerecht für den Sohn übertragen wurde. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang überzeugend dargelegt, dass ihr das Sorgerecht zwar aufgrund der Alkoholabhängigkeit des Versicherten übertragen worden sei, ihr Sohn aber dennoch ein sehr gutes und enges Verhältnis zu seinem Vater gehabt habe und von ihr und dem Versicherten, nachdem dieser wieder bei ihr eingezogen war, gemeinsam erzogen worden sei. Vor diesem Hintergrund erscheint es der Kammer naheliegend und glaubhaft, dass es der Klägerin und dem Versicherten bei der erneuten Eheschließung insbesondere auch darum ging, - wie es die Klägerin ausführte - im Interesse der Absicherung des gemeinsamen Sohnes "formal vor dem Gesetz" wieder eine Familie darzustellen. 5. Letztlich war auch der Umstand zu würdigen, dass die Klägerin auch ohne die Eheschließung abgesichert gewesen wäre und über eine ausreichende eigene Versorgung verfügt. Zwar ist eine ausreichende eigene Versorgung nicht per se geeignet, die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe zu widerlegen, sie ist jedoch ebenso wie die bereits oben genannten Umstände nach Auffassung des Gerichts ein weiteres Indiz (vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil v. 07.03.2007 – L 8 R 207/06 – zitiert nach Juris, Rn. 34; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.01.2007 – L 16 R 487/06 – zitiert nach Juris, Rn. 21), das vorliegend gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe spricht. Hier bezog die Klägerin zum Zeitpunkt der Eheschließung Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 695,95 Euro brutto (634,01 Euro netto), die sich zwischenzeitlich auf 703,82 Euro brutto (638,02 Euro netto) beläuft. Daneben bezieht sie nach ihren Angaben Kindergeld in Höhe von etwa 154,00 Euro. Da sie nach ihren insoweit glaubhaften Angaben in einem kleinen Haus lebt, das ihr von ihrem Vater übertragen wurde und für das sie weder Abtrag noch Miete zu zahlen hat, war und ist ihr eigener Lebensunterhalt damit hinreichend gesichert.
Zwar ist davon auszugehen, dass sich durch die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung die wirtschaftliche Situation der Klägerin insgesamt verbessert. Dies kann aber angesichts der wirtschaftlichen Absicherung der Klägerin nicht dazu führen, den Versorgungsgedanken, der naturgemäß (auch) eine Rolle für den Entschluss zur Heirat gespielt haben mag, als alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat anzusehen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.01.2007 – L 16 R 487/06 – zitiert nach Juris, Rn. 21).
6. Im Ergebnis der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist die Kammer nach alledem zu der Überzeugung gelangt, dass die gesetzliche Vermutung einer ausschließlich oder überwiegend aus Versorgungsgründen geschlossenen Ehe in der Zusammenschau aller objektiv feststellbaren Umstände widerlegt ist und die Ehe der Klägerin ihrem Wesen nach auf Dauer geschlossen wurde. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente hat.
Die am 1944 geborene Klägerin ist Witwe des am 1945 geborenen und am 22.01.2005 verstorbenen Versicherten (Im Folgenden: Versicherter). Die Klägerin bezieht seit September 2004 Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die sich zwischenzeitlich auf 703,82 Euro brutto (638,02 Euro netto) beläuft. Darüber hinaus erhält sie Kindergeld in Höhe von etwa 154 Euro. Die Klägerin lebt in einem kleinen Haus, das ihr von ihrem Vater übertragen wurde und für das sie nach ihren Angaben weder Miete noch Abtrag zu zahlen hat.
Im April 1968 schloss die Klägerin erstmals die Ehe mit dem Versicherten. Aus dieser Ehe, die bis August 1973 andauerte und dann insbesondere aufgrund des übermäßigen Alkoholkonsums des Versicherten rechtskräftig geschieden wurde, resultiert ein gemeinsamer Sohn, der am 1968 geboren wurde und an einer geistigen Behinderung leidet. Im Rahmen der Scheidung wurde der Klägerin für den Sohn das alleinige Sorgerecht übertragen. In der Folgezeit lebten die Klägerin und der Versicherte etwa ein halbes Jahr getrennt. Dann zogen sie nach Angaben der Klägerin wieder zusammen und lebten in den folgenden Jahren in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.
Im Jahr 1992 erkrankte der Versicherte an einer Hepatitis B und in der Folgezeit weiter an einer Hepatitis C. Im Jahr 1999 wurde bei ihm eine alkoholische Leberzirrhose festgestellt.
Aufgrund dieser Erkrankung war der Kläger am 02.09.2004 und am 01.10.2004 ambulant in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums J. vorstellig.
Am 15.10.2004 schlossen die Klägerin und der Versicherte erneut die Ehe.
Vom 16.10. bis 05.11.2004 erfolgte eine stationäre Behandlung des Versicherten in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums J. Dabei wurde der Versicherte insbesondere im Hinblick auf etwaige Kontraindikationen zu einer Lebertransplantation untersucht. In der entsprechenden Epikrise vom 02.12.2004, auf die verwiesen wird, wird in der sog. "Vorgeschichte" unter anderem ausgeführt, dass nach Angaben des Versicherten seit sechs Monaten eine Alkoholkarenz bestehe. Abschließend heißt es unter "Zusammenfassung und Verlauf", dass in Zusammenschau der erhobenen Befunde eine schwergradige Leberzirrhose auf dem Boden eines langjährigen Alkoholabusus bestehe. Von Seiten der Untersuchungsbefunde sowie der Patienten-compliance ergäben sich keine Kontraindikationen zur geplanten Lebertransplantation. Nach einem orientierenden Aufklärungsgespräch über den Stand der Untersuchungen sowie das geplante Procedere sei der Versicherte in die ambulante Weiterbehandlung entlassen worden.
Im Januar 2005 erkrankte der Versicherte dann an einer abszedierenden Pneumonie. Es erfolgte eine Drainage der Abszesshöhle. Am 22.1.2005 kam es zu einer fulminanten Öso- phagusvarizenblutung, an der der Versicherte verstarb.
Am 04.02.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer großen Witwenrente nach § 46 Sozialgesetzbuch (SGB) – Sechstes Buch (VI) – Gesetzliche Rentenversicherung -.
Die Beklagte holte daraufhin eine Auskunft bei dem behandelnden Arzt des Versicherten Dr. K. ein. Dieser bestätigte in seinem Schreiben vom 04.09.2005 unter anderem, dass bei dem Versicherten bereits im Jahre 1999 eine Leberzirrhose diagnostiziert worden sei. Weiterhin seien vor der Hochzeit eine chronische Virushepatitis B und eine Hepatitis C bekannt gewesen.
Ferner holte die Beklagte eine Auskunft bei der AOK Sachsen-Anhalt über die Erkrankungen des Versicherten in den Jahren 2003 und 2004 ein. Auf die entsprechende Auskunft vom 21.09.2005 nebst Anlagen wird Bezug genommen (Bl. 100 bis 110 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 23.09.2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Anspruch nach § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen sei, da die am 15.10.2004 geschlossene Ehe lediglich bis zum 22.01.2005 und damit weniger als ein Jahr bestanden habe. Sowohl aus dem Befundbericht des behandelnden Arztes als auch aus der eingeholten Auskunft der AOK Sachsen-Anhalt gehe hervor, dass bei dem Versicherten bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung schwerste Erkrankungen vorgelegen hätten. Auch die von der Klägerin angeführte langjährig bestehende Lebensgemeinschaft und die erfolgte Eheschließung in einem Zeitpunkt, als die schwere Erkrankung bereits vorgelegen habe, spreche für das Vorliegen einer Versorgungsehe.
Dagegen legte die Klägerin am 12.10.2005 Widerspruch ein und führte aus, dass sie den Versicherten nicht lediglich aus Versorgungszwecken geheiratet habe und dass sie ihn, sofern dies ihr Ziel gewesen wäre, bereits Jahre zuvor hätte heiraten können, zumal der Versicherte schon vor Jahren an seiner Leber erkrankt sei. Da für ihn eine Lebertransplantation vorgesehen gewesen sei, hätten sie und der Versicherte die Hoffnung auf ein weiteres Lebens des Versicherten gehabt, auch als er schon sehr krank gewesen sei. Die eheähnliche Gemeinschaft habe bereits seit 38 Jahren bestanden. Die erneute Eheschließung sei seit Jahren geplant gewesen, nämlich mit der Vollendung ihres 60. Lebensjahres. Sie habe dabei nicht gewusst, dass der Versicherte so schwer erkrankt sei, vor allem nicht, dass die Krankheit einen so schnellen "Verlauf" nehmen würde. Den gemeinsamen, geistig behinderten Sohn hätten sie und der Versicherte gemeinsam 37 Jahre lang erzogen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2006 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch mit der Begründung zurück, die im laufenden Widerspruchsverfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen bestätigten eindeutig, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung bei dem Versicherten bereits schwerste Erkrankungen vorgelegen hätten. Besondere Umstände im Sinne der Rechtsprechung, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, lägen nicht vor.
Am 10.02.2006 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor: Abgesehen davon, dass sie mit dem Versicherten 38 Jahre zusammengelebt und gemeinsam mit ihm den geistig behinderten Sohn erzogen habe, sei zu berücksichtigen, dass sie auch 2 Jahre den schwer kranken Vater des Versicherten gepflegt habe. Der Versicherte habe sie mehrfach zu einer nochmaligen Heirat gedrängt. Für sie sei eine erneute Heirat aber nur in Betracht gekommen, wenn er bis zu ihrem 60. Geburtstag keinen Alkohol mehr tränke. Zwar sei ihr die Erkrankung des Versicherten bekannt gewesen; ihr sei jedoch nicht bekannt gewesen, dass sein Ableben unmittelbar bevorstehe. Der Versicherte sei im Hinblick auf die geplante Lebertransplantation im Universitätsklinikum J. in ärztlicher Behandlung gewesen. Die behandelnden Ärzte hätten sowohl im Jahr 2004 als auch im Jahr 2005 eingeschätzt, dass bei ihm in Ansehung des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gesundheitszustandes, eine Lebertransplantation möglich sei. Zum Zeitpunkt der Hochzeit hätten sowohl sie als auch der Versicherte auf Genesung und auf eine Spendenleber gehofft. Die Heirat sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie davon habe ausgehen können, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten auch weiter verbessern würde. Das alleinige Erziehungsrecht für den gemeinsamen Sohn sei ihr lediglich aufgrund der Alkoholkrankheit des Versicherten übertragen worden. Dessen ungeachtet sei dem Versicherten der Umgang mit seinem Sohn jederzeit möglich gewesen und ihr Sohn habe ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sie aufgrund ihrer Altersrente in Höhe von 703,82 Euro brutto und des Kindergeldes über eine hinreichende eigene Versorgung verfüge.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 23.09.2005 in der Fassung des Widerspruchs-bescheides vom 09.01.2006 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 04.02.2005 große Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren und führt ergänzend aus: Die von der Klägerin angegebenen Gründe für die Heirat widerlegten nicht die Vermutung einer Versorgungsehe. Die Schwere der Erkrankung des Versicherten sei seit über 6 Jahren bekannt gewesen. Die Entscheidung zur Lebertransplantation sei erst während des stationären Aufenthaltes vom 26.10.2004 bis 15.11.2004, also nach der Heirat, erfolgt. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach der Scheidung das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn gehabt habe. Der Einwand, dass der Klägerin die gesundheitlichen Umstände nicht bekannt gewesen seien, könne nicht zu einer anderen Auffassung führen. Für die Beurteilung, ob eine sogenannte Versorgungsehe vorliege, seien nicht allein die Beweggründe der Klägerin zu beachten.
Das Gericht hat Auskünfte bei den Ärzten des Universitätsklinikums J. und bei dem behandelnden Arzt des Versicherten Dr. K. eingeholt.
Prof. Dr. S. , Direktor des Universitätsklinikums J. , und Dr. Ü. , Oberarzt des Universitätsklinikums J. , haben in ihren Stellungnahmen vom 25.04.2007 und 18.05.2007 unter anderem mitgeteilt, dass der Versicherte im Universitätsklinikum J. am 02.09., 01.10. und 16.12.2004 ambulant vorstellig gewesen sei. Zu der Lebenserwartung bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung könne im Allgemeinen keine exakte Aussage getroffen werden. Komplikationen seien in solchen Situationen möglich und könnten zu einem plötzlichen Tod führen. Eine Lebertransplantation werde aber nur indiziert und bei Organverfügbarkeit durchgeführt, wenn eine gute Überlebenschance bestehe. Inwieweit die Klägerin und der Versicherte über die Schwere der Erkrankung informiert gewesen seien, könne nicht exakt nachvollzogen werden, da dies immer von der individuellen Verarbeitung des Sachverhalts durch den Patienten und dessen Angehörigen abhänge. Prinzipiell werde jeder Patient, der sich zu einer Evaluierung (Vorbereitung) für eine mögliche Lebertransplantation vorstelle, bereits in der Transplantationssprechstunde detailliert über die Erkrankung, Prognose und Risiken der Therapieverfahren aufgeklärt.
Dr. K. hat in seiner Auskunft vom 19.12.2007 im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Versicherten nochmals bestätigt, dass ihm bereits vor der Hochzeit am 15.10.2004 eine bereits im Jahr 1999 diagnostizierte Leberzirrhose, eine chronische Virushepatitis B und eine Hepatitis C sowie ein chronischer Alkoholabusus bekannt gewesen seien. Diese bereits vor dem 15.10.2004 vorhandenen Erkrankungen hätten in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Tod des Versicherten gestanden. Laut Abschlussbericht des Krankenhauses in Z. habe der Kläger im Januar 2005 eine abszedierende Pneumonie bekommen. Es sei eine Drainage der Abszesshöhle erfolgt. Nach vorübergehender Besserung des Allgemeinzustandes sei es am 22.01.2005 um 13.45 Uhr zu einer fulminanten Ösophagusvarizenblutung gekommen, infolge dessen der Versicherte verstorben sei. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt der Heirat am 15.10.2004 über die Schwere und über die Prognose der Erkrankung des Versicherten nicht aufgeklärt gewesen. Diese Aufklärung habe er erst nach dem Tode des Versicherten in einem persönlichen Gespräch mit der Klägerin am 21.04.2005 durchgeführt. Die Klägerin habe dabei angegeben, der Versicherte habe mit ihr nie über die Schwere seiner Krankheit gesprochen. Am 08.07.2004 sei die Möglichkeit der Therapie, gegebenenfalls auch einer Lebertransplantation in einer Spezialklinik mit dem Versicherten erörtert worden. Am 02.09.2004 habe der Versicherte dann einen Termin in der Uni J. zur Evaluierung einer Lebertransplantation gehabt. Diesbezüglich hat Dr. K. unter Hinweis auf eine Dissertation von Robert Pfitzmann, FU Berlin, weiter ausgeführt, dass der Versicherte eine 15-Jahres-Überlebensrate von 68,2 % gehabt hätte, sofern die Lebertransplantation erfolgt und das Organ angenommen worden, keine Reinfektion der Leber eingetreten und der chronische Alkoholabusus aufgegeben worden wäre. Patienten, die das erste Jahr überlebten, das seien 91,4%, wiesen danach insgesamt ein deutlich geringeres Sterberisiko auf. Von insgesamt 1245 in der Studie untersuchten lebertransplantierten Patienten seien insgesamt 275 gestorben; davon 107 im ersten postoperativen Jahr. Die Ösophagusvarizenblutung könne im Gefolge einer dekompensierten Leberzirrhose auftreten. Ohne die abszedierende Pneumonie wäre die Blutung möglicherweise aber wesentlich später eingetreten und hätte auch therapeutisch beherrscht werden können. Die Überlebensrate bei dekompensierter Leberzirrhose ohne Lebertransplantation betrage nach R. Perillo et al in Hepatology 2001, S. 33, 424-432 bei 100 Patienten nach 2 Jahren ca. 50 % und nach 5 Jahren 14 %.
Schließlich ist die Klägerin von der Kammer angehört worden. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2008 wird insoweit Bezug genommen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten (Versicherungsnummer: ) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2006 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Klägerin hat – wie beantragt - ab dem 04.02.2005 Anspruch auf die begehrte große Witwenrente gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI.
Nach dieser Vorschrift haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen in der Person der Klägerin vor. Sie ist Witwe des am 22.01.2005 verstorbenen Versicherten. Dass dieser die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren gemäß § 50 SGB VI erfüllt hat, ist nicht streitig. Die Klägerin hat auch nicht wieder geheiratet und im Zeitpunkt des Todes des Versicherten das 45. Lebensjahr vollendet.
Dem Anspruch auf große Witwenrente steht die Vorschrift des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entgegen. Danach haben Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenversorgung zu begründen.
Zwar hatte die Ehe vorliegend zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten weniger als ein Jahr gedauert, so dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift und zunächst unterstellt wird, dass die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war und somit ein Anspruch auf Witwenrente ausscheidet.
Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil v. 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900, § 15 Nr. 3 m. w. N.). "Besondere Umstände des Falles" im Sinne von § 46 Abs. 2a SGB VI sind dabei alle Umstände, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst sind und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen (Kasseler Kommentar/Niesel, Stand: 12/2007, § 46 SGB VI Rn. 46 c m. w. N.). Insoweit genügt der Nachweis, dass unter den Beweggründen jedenfalls nur eines der Eheschließenden der Zweck, dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen, keine maßgebende Bedeutung hatte (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 20.09.2007 – L 3 RJ 126/05 -; Kasseler Kommentar/Niesel, Stand: 12/2007, § 46 SGB VI Rn. 46c m. w. N.).
Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe ist die Kammer hier – entgegen der Beurteilung der Beklagten - nach der Einholung von sachverständigen Zeugenauskünften bei dem Hausarzt des Versicherten sowie bei den Ärzten des Universitätsklinikums J. und ausführlicher Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits überzeugt, dass nach den besonderen Umständen des Falles hier nicht die Annahme gerechtfertigt ist, alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat sei die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen. Die von der Klägerin glaubhaft geltend gemachten Gründe für die Heirat und die nicht auf eine Versorgungsabsicht hindeutenden Begleitumstände stehen zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser nicht überwiegt und dementsprechend auch nicht alleiniger Zweck der Heirat war. Zur Überzeugung der Kammer steht insoweit fest, dass es – jedenfalls auf Seiten der Klägerin - neben etwaigen Versorgungserwägungen zumindest gleichgewichtiger Zweck der Eheschließung war, nach dem langjährigen Zusammenleben mit dem Versicherten die beiderseitige Liebesbeziehung durch den Akt der Eheschließung noch einmal – auch im Interesse der Absicherung des gemeinsamen behinderten Sohnes - formal und rechtlich zu manifestieren, um – wie die Klägerin sich ausdrückte – in der Rentenzeit nicht allein zu sein und den Lebensabend gemeinsam zu verbringen.
Im Einzelnen waren dabei für die Kammer aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die folgenden Erwägungen in ihrer Gesamtschau für die gewonnene Überzeugung leitend: 1. Schon die konkrete Krankheits- und Leidensgeschichte des Versicherten vor der Eheschließung rechtfertigt nach Überzeugung der Kammer nicht die Annahme, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente zu begründen. Denn nach den vorliegenden Befunden zum Gesundheitszustand des Versicherten war hier nach Auffassung der Kammer zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht ohne Weiteres abzusehen, dass der Versicherte in näherer Zukunft sterben würde. Zwar stand zu diesem Zeitpunkt – wie den Auskünften des behandelnden Arztes Dr. K. und auch der Auskunft der AOK Sachsen-Anhalt vom 21.09.2005 zu entnehmen ist – fest, dass der Versicherte an einer schweren, bereits im Jahre 1999 diagnosizierten Leberzirrhose, einer chronischen Virushepatitis B sowie einer Hepatitis C erkrankt war und an einem chronischen Alkoholabusus litt. Auch hat Dr. K. dargelegt, dass die Ösophagusvarizenblutung, welche hier zum Tode des Versicherten führte, infolge einer dekompensierten Leberzirrhose auftreten kann. Allerdings hat Dr. K. auch ausgeführt, dass die Blutung möglicherweise wesentlich später eingetreten wäre oder auch therapeutisch hätte beherrscht werden können, sofern der Versicherte nicht im Januar 2005 zusätzlich an einer abszedierenden Pneumonie erkrankt wäre. Er hat ferner unter Hinweis auf die einschlägige Literatur – aus Sicht der Kammer schlüssig und nachvollziehbar - dargelegt, dass die Überlebensrate bei dekompensierter Leberzirrhose ohne Lebertransplantation bei 100 Patienten nach 2 Jahren 50% und nach 5 Jahren 14% beträgt. Dies zugrunde gelegt, war danach nach Auffassung der Kammer, obwohl bei dem Versicherten - wie Dr. Ü. vom Universitätsklinikum J. in seiner Stellungnahme vom 18.05.2007 ausgeführt hat – eine lebensbedrohliche Erkrankung vorlag und Komplikationen in solchen Situationen möglich sind, nicht ohne Weiteres mit einem Ableben des Versicherten in absehbarer Zukunft zu rechnen. Darüber hinaus ist der Auskunft des behandelnden Arztes Dr. K. zu entnehmen, dass mit dem Versicherten bereits am 08.07.2004 über die Möglichkeit einer Therapie, gegebenenfalls auch einer Lebertransplantation in einer Spezialklinik, gesprochen wurde und der Versicherte bereits am 02.09.2004, und damit noch vor der Hochzeit am 15.10.2004, einen Termin im Universitätsklinikum J. zur Evaluierung einer Lebertransplantation hatte. Letzteres Datum ist auch der Auskunft der Ärzte des Universitätsklinikums J. , Prof. Dr. S. und Dr. Ü. , vom 25.04.2007 zu entnehmen. Während des dortigen stationären Aufenthaltes vom 26.10. bis 05.11.2004 konnten – wie es in dem Entlassungsbericht vom 02.12.2004 heißt - keine Kontraindikationen zur geplanten Lebertransplantation festgestellt werden. Nachträglich wurde durch Dr. Ü. in seiner Auskunft vom 18.05.2007 bestätigt, dass Lebertransplantationen nur indiziert und bei Organverfügbarkeit durchgeführt werden, wenn eine gute Überlebenschance besteht. Dr. K. hat in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf eine einschlägige Dissertation ausgeführt, dass, sofern die Lebertransplantation erfolgt und das Organ angenommen worden wäre, keine Reinfektion der Leber eingetreten und der chronische Alkoholabusus aufgegeben worden wäre, der Versicherte statistisch eine 15-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 68,2 % gehabt hätte. Patienten, die das erste Jahr überlebten, das seien 91,4%, wiesen dabei insgesamt ein deutlich geringeres Sterberisiko auf. Auch vor dem Hintergrund einer danach zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits angedachten und nach den Ausführungen der Ärzte des Universitätsklinikums möglichen Lebertransplantation, die die Lebenserwartung des Versicherten mit großer Wahrscheinlichkeit verlängert hätte, erscheint es der Kammer zweifelhaft, vorliegend bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung von einer lebensbedrohlichen Erkrankung auszugehen, die zwingend in absehbarer Zeit einen tödlichen Verlauf nehmen würde. 2. Jedenfalls erscheint der Kammer vor diesem Hintergrund – als weiterer in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Faktor - die Einlassung der Klägerin glaubhaft, wonach sie nicht mit dem plötzlichen Tod des Versicherten rechnete. Die Klägerin hat insoweit schlüssig dargelegt, dass ihr zwar seit mehreren Jahren bekannt gewesen sei, dass der Versicherte Probleme mit seiner Leber gehabt habe, ihr zum Zeitpunkt der Eheschließung aber nicht bewusst gewesen sei, dass er so bald sterben würde und die Krankheit einen so schnellen Verlauf nehmen würde, sie vielmehr gemeinsam mit ihm auf eine Lebertransplantation gehofft habe. Ihre diesbezüglichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, wonach der Versicherte – wahrscheinlich um sie nicht zu beunruhigen - nie über die Schwere seiner Krankheit mit ihr gesprochen habe und sie erst durch den Hausarzt des Versicherten nach dessen Tod in einem persönlichen Gespräch über die Erkrankung aufgeklärt worden sei, wurden in der Auskunft von Dr. K. bestätigt. Dr. K. gab insoweit an, die Klägerin erst in einem persönlichen Gespräch am 21.04.2005 über die Schwere und die Prognose der Erkrankung des Versicherten aufgeklärt zu haben. Die Kammer hat daher keine vernünftigen Zweifel, dass das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin den Tatsachen entspricht. 3. Auch die langjährige Liebesbeziehung der Klägerin mit dem Versicherten, bei der es sich nach den Angaben der Klägerin um eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" handelte, die seit etwa 38 Jahren bestand, steht nach Überzeugung der Kammer einem alleinigen oder überwiegenden Versorgungsgedanken entgegen. Zwar kann eine lange oder kurze Zeit des Zusammenlebens – je nach den Verhältnissen im konkreten Fall – sowohl für als auch gegen eine Versorgungsehe sprechen und daher für sich allein den gesetzlich vermuteten Versorgungscharakter nicht widerlegen (Butzer, in: GK-SGB VI, Stand: 11/2006, § 46 Rn.113; vgl. dazu auch Schleswig-Holsteinisches LSG , Urteil v. 07.03.2007 – L 8 R 207/06 – zitiert nach Juris, Rn. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.01.2007- L 16 R 487/06 – zitiert nach Juris, Rn. 21; SG Chemnitz, Urteil v. 13.10.2005 – S 14 KN 129/03 – zitiert nach Juris, Rn. 27 f.). Doch stellt die langjährige Lebensgemeinschaft nach Auffassung der Kammer einen in die Gesamtabwägung gegen die gesetzliche Vermutung einzubeziehenden Umstand dar, der nicht unberücksichtigt bleiben kann und vorliegend gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe spricht. In Abgrenzung zur klassischen Versorgungsehe nach kurzer Bekanntschaft, in der die Ehe zu Versorgungszwecken missbraucht wird, waren die Klägerin und der Versicherte bereits einmal verheiratet, haben – worauf noch einzugehen sein wird – einen gemeinsamen Sohn und hatten ihre Lebensführung nach der Scheidung ihrer ersten Ehe – auch finanziell – eigenständig ausgestaltet. Auch hat die Klägerin anlässlich ihrer persönlichen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung unter detaillierter Schilderung ihres Zusammenlebens mit dem Versicherten bekräftigt, dass von Seiten des Versicherten schon seit Jahren der Wunsch bestanden habe, wieder zu heiraten. Sie konnte auch plausibel erklären, weshalb die Ehe dann trotz dieses langjährigen Heiratswunsches des Versicherten erst im Oktober 2004 erneut geschlossen wurde. Danach wollte sie zunächst abwarten, ob der Versicherte seine Alkoholsucht und die damit einhergehende Aggressivität, die die Klägerin während ihrer ersten Ehe mit dem Versicherten immer wieder zu spüren bekommen hatte, dauerhaft ablegen würde. Die Klägerin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung – übereinstimmend mit ihren Äußerungen im Vorverfahren – glaubhaft dargelegt, dass sie es vor diesem Hintergrund mit einer erneuten Heirat nicht eilig gehabt habe und dem Versicherten auf sein Drängen zugesagt habe, ihn erneut zu heiraten, wenn er bis zu ihrem 60. Geburtstag keinen Alkohol mehr tränke. Nachdem der Alkoholkonsum des Versicherten – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert hat - dann nach einer im Jahr 1980 durchgeführten Alkoholentziehungskur gegenüber der Zeit ihrer ersten Ehe deutlich zurückgegangen war und er es – übereinstimmend mit seinen Angaben in der Epi-krise des Universitätsklinikums J. – schaffte, in den letzten Monaten vor ihrem 60. Geburtstag abstinent zu bleiben, entschied sie sich dann – auch im Interesse des gemeinsamen Sohnes – erneut die Ehe mit ihm einzugehen. Überzeugend erscheint der Kammer in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Argumentation der Klägerin, dass sie den Versicherten schon viele Jahre früher hätte heiraten können, wenn es ihr lediglich um die Sicherstellung von Versorgungsansprüchen gegangen wäre, zumal ihr bereits seit mehreren Jahren bekannt gewesen sei, dass der Versicherte Probleme mit seiner Leber gehabt habe. 4. Weiter spricht nach Auffassung der Kammer auch die Existenz des gemeinsamen Sohnes gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe. So wird in der Regel angenommen, dass im Falle der Existenz gemeinsamer Kinder die Eheschließung von der Motivation der Familiengründung und nicht derjenigen der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung getragen war (Butzer, in: GK-SGB VI, Stand: 11/2006, § 46 Rn. 114 m. w. N.). Nichts anderes ergibt sich im vorliegenden Fall nach Überzeugung der Kammer daraus, dass die Klägerin und der Versicherte bereits einmal verheiratet waren und der Klägerin im Rahmen der Scheidung das alleinige Sorgerecht für den Sohn übertragen wurde. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang überzeugend dargelegt, dass ihr das Sorgerecht zwar aufgrund der Alkoholabhängigkeit des Versicherten übertragen worden sei, ihr Sohn aber dennoch ein sehr gutes und enges Verhältnis zu seinem Vater gehabt habe und von ihr und dem Versicherten, nachdem dieser wieder bei ihr eingezogen war, gemeinsam erzogen worden sei. Vor diesem Hintergrund erscheint es der Kammer naheliegend und glaubhaft, dass es der Klägerin und dem Versicherten bei der erneuten Eheschließung insbesondere auch darum ging, - wie es die Klägerin ausführte - im Interesse der Absicherung des gemeinsamen Sohnes "formal vor dem Gesetz" wieder eine Familie darzustellen. 5. Letztlich war auch der Umstand zu würdigen, dass die Klägerin auch ohne die Eheschließung abgesichert gewesen wäre und über eine ausreichende eigene Versorgung verfügt. Zwar ist eine ausreichende eigene Versorgung nicht per se geeignet, die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe zu widerlegen, sie ist jedoch ebenso wie die bereits oben genannten Umstände nach Auffassung des Gerichts ein weiteres Indiz (vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil v. 07.03.2007 – L 8 R 207/06 – zitiert nach Juris, Rn. 34; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.01.2007 – L 16 R 487/06 – zitiert nach Juris, Rn. 21), das vorliegend gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe spricht. Hier bezog die Klägerin zum Zeitpunkt der Eheschließung Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 695,95 Euro brutto (634,01 Euro netto), die sich zwischenzeitlich auf 703,82 Euro brutto (638,02 Euro netto) beläuft. Daneben bezieht sie nach ihren Angaben Kindergeld in Höhe von etwa 154,00 Euro. Da sie nach ihren insoweit glaubhaften Angaben in einem kleinen Haus lebt, das ihr von ihrem Vater übertragen wurde und für das sie weder Abtrag noch Miete zu zahlen hat, war und ist ihr eigener Lebensunterhalt damit hinreichend gesichert.
Zwar ist davon auszugehen, dass sich durch die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung die wirtschaftliche Situation der Klägerin insgesamt verbessert. Dies kann aber angesichts der wirtschaftlichen Absicherung der Klägerin nicht dazu führen, den Versorgungsgedanken, der naturgemäß (auch) eine Rolle für den Entschluss zur Heirat gespielt haben mag, als alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat anzusehen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.01.2007 – L 16 R 487/06 – zitiert nach Juris, Rn. 21).
6. Im Ergebnis der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist die Kammer nach alledem zu der Überzeugung gelangt, dass die gesetzliche Vermutung einer ausschließlich oder überwiegend aus Versorgungsgründen geschlossenen Ehe in der Zusammenschau aller objektiv feststellbaren Umstände widerlegt ist und die Ehe der Klägerin ihrem Wesen nach auf Dauer geschlossen wurde. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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