S 36 AS 172/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
36
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 36 AS 172/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Kläger zu 1) war von Juni 2006 bis Dezember 2007 als Lader bei der Firma DLG Personalservice GmbH auf dem Flughafen Düsseldorf und von Februar bis einschließlich Juni 2008 als Helfer bei der Firma Randstad Deutschland GmbH & Co. KG tätig.

Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen, als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II. Der Kläger erhielt monatliche Zuschläge von seinem Arbeitgeber für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, die von der Beklagten als Einkommen auf den Bedarf der Kläger angerechnet wurden.

Am 20.01.2009 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag gem. § 44 SGB X bei der Beklagten und begründete diesen damit, dass in den Bescheiden vom 24.07.2006, 23.08.2006, 25.09.2006, 20.10.2006, 22.11.2006, 19.12.2006, 24.01.2007, 21.02.2007, 26.03.2007, 23.04.2007, 24.05.2007, 25.06.2007, 25.07.2007, 27.08.2007, 24.09.2007, 24.10.2007, 26.11.2007, 18.12.2007, 24.01.2008, 25.03.2008, 23.04.2008, 26.05.2008, 23.06.2008 und 23.07.2008, das ihm zur Verfügung stehende Einkommen von der Beklagten falsch berechnet wurde, da nicht alle Absetz- und Freibeträge berücksichtigt worden seien. Er forderte für den gesamten Zeitraum die nachträgliche Auszahlung, der von der Beklagten im Rahmen des Einkommens angerechneten Zuschläge für Nachtarbeit und Arbeit an Sonn- und Feiertagen in Höhe von 1708.05 Euro (wegen der Einzelheiten wird auf die Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers in der Leistungsakte der Beklagten verwiesen).

Mit Ablehnungsbescheid vom 02.02.2009 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag mit der Begründung ab, dass die Bescheide unanfechtbar geworden seien. Daher komme eine Rücknahme für die Vergangenheit nur in Betracht, wenn das Recht unrichtig angewandt worden sei oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Beides sei im vorliegenden Verfahren nicht der Fall. Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge würden demselben Zweck wie das SGB II dienen und seien daher gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II in Abzug zu bringen.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 10.02.2009 Widerspruch mit der Begründung ein, dass die Entscheidung im Hinblick auf das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg, Urteil vom 26.10.2007, Az.: S 28 AS 1055/07, ungerechtfertigt sei. Die Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit dürften hiernach nicht als Einkommen berücksichtigt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass der erwähnten Entscheidung nicht zu folgen sei. Arbeitnehmer müssten schließlich nicht für die Selbstverpflegung täglich einkaufen gehen. Auch seien Mahlzeiten in Kantinen oder ähnlichem auch an Wochenenden zu den gleichen Preisen erhältlich. Außerdem sei der Kläger von Juni 2006 bis Dezember 2007 an einem Flughafen tätig gewesen. Soweit kein Erwerb möglich gewesen sein sollte, ist davon auszugehen, dass selbstgemachte Speisen mitgebracht worden seien. Auf das Argument der Steuerfreiheit komme es indes nicht an.

Daraufhin erhoben die Kläger am 19.05.2009 Klage beim Sozialgericht Duisburg und verwiesen zur Begründung nochmals auf die Entscheidung des SG Lüneburg.

Die Kläger beantragen:

den Bescheid der Beklagten vom 02.02.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Bescheide vom 24.07.2006, 23.08.2006, 25.09.2006, 20.10.2006, 22.11.2006, 19.12.2006, 24.01.2007, 21.02.2007, 26.03.2007, 23.04.2007, 24.05.2007, 25.06.2007, 25.07.2007, 27.08.2007, 24.09.2007, 24.10.2007, 26.11.2007, 18.12.2007, 24.01.2008, 25.03.2008, 23.04.2008, 26.05.2008, 23.06.2008 und 23.07.2008 abzuändern und den Klägern weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt in Höhe von 1708.05 Euro für die Zeit vom 01.06.2006 bis 30.06.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger sind durch die angefochtenen Entscheidungen nach deren Abänderung im Klageverfahren nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie in dieser Form rechtmäßig sind.

Zuschläge für Nachtarbeit und für Arbeit an Sonn- und Feiertagen sind voll als Einkommen anzurechnen. Die in Rechtsprechung und Literatur wohl mehrheitlich vertretene Ansicht sieht Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge als zweckbestimmte und daher nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II an (vgl. LSG Thüringen, Beschluss vom 08.03.2005, L 7 AS 112/05 ER; SG Chemnitz, Urteil vom 20.06.2008, S 22 AS 4269/07; SG Lüneburg, Urteil vom 25.10.2007, S 28 AS 1055/07; Brühl, in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rdnr. 54; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: VIII/08, § 11 Rdnr. 231; Zeitler/Dauber, in: Mergler/Zink, SGB II, Stand: Oktober 2008, § 11 Rdnr. 89). Nur vereinzelt werden Zweifel geäußert (vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rdnr. 39; Hänlein, in: Gagel, SGB II/SGB III Stand: Januar 2009, § 11 SGB II Rdnr. 61a). Als Argument für eine Zweckbestimmung wird insbesondere angeführt, Arbeit in der Nacht, oder an Sonn- und Feiertagen, beanspruche den Menschen physisch stärker als Arbeit, die am Tage geleistet werde, weswegen zusätzliche Mahlzeiten und insofern besondere Aufwendungen erforderlich seien. Die Nachtzuschläge hätten insofern Aufwandsentschädigungscharakter (vgl. LSG Thüringen, a.a.O.). Demgegenüber wird eingewandt, es sei nicht erkennbar, welcher spezifische Aufwand durch die Zuschläge für Nachtarbeit abgedeckt werden solle (vgl. Hänlein, a.a.O.). Das Gericht ist der Auffassung, dass der Zuschlag für Nachtarbeit im Wesentlichen einen Anreiz darstellt, nachts zu arbeiten. Die Kompensation etwaiger Mehraufwendungen steht nach Ansicht der Kammer dagegen nicht im Vordergrund. Das LSG Thüringen (a.a.O.) hat im Zusammenhang mit der Erörterung der Nachtarbeitszuschläge, zu Zuschlägen für Sonn- und Feiertagsarbeiten ausgeführt, dass der Verpflegungsaufwand während Sonn- und Feiertagen höher sei. Dieses Argument ist gerade angesichts geänderter Ladenöffnungszeiten zweifelhaft. Auch im konkreten Fall hat der Kläger zu 1) erklärt, dass er bei den Nachtschichten oder den Schichten an Sonn- und Feiertagen, wie auch bei anderen Schichten, in der Kantine des Flughafens gegessen habe. Dies sei nur dann nicht der Fall gewesen, wenn die Kantine geschlossen gehabt habe, was üblicherweise nur bei Nachtschichten der Fall war. In diesem Fall habe er sich seine Verpflegung von zuhause mitgebracht oder in den angrenzen Lebensmittelgeschäften gekauft. Ob Nachtarbeit tatsächlich zu einem höheren Verpflegungsaufwand führt, lässt das Gericht offen. Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, so ist dies nicht eigentlicher Grund für die Gewährung von Nachtzuschlägen. In diesem Fall müsste auch ein erhöhter Verpflegungsaufwand für körperlich anstrengendere Arbeiten am Tage anerkannt werden, was nicht der Fall ist. Die Kammer stützt sich bei dieser Einschätzung auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Steuerfreiheit von Nachtzuschlägen. Der BFH führte zwar in einem Urteil vom 26.10.1984 (VI R 99/80) aus: "Durch die Steuerfreiheit soll dem Arbeitnehmer ein finanzieller Ausgleich für die besonderen Erschwernisse und Belastungen, die mit dieser Arbeit verbunden sind, gewährt werden". Hier wird also durchaus eine Ausgleichsfunktion erwähnt. Sie wird jedoch nicht den Nachtzuschlägen, sondern der Steuerfreiheit zugeschrieben. Zu dieser Steuerbefreiung heißt es jedoch in einer späteren Entscheidung vom 21.05.1987 (IV R 339/84), dass diese "einen zusätzlichen Anreiz zur Leistung von Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie zur Nachtzeit" biete. Die Beibehaltung dieser Steuerbefreiung sei 1973 aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Gründen für zweckmäßig gehalten worden, weswegen die Steuerbefreiung "als Leistungsanreiz" erhalten werden sollte. Zu den Zuschlägen selbst, heißt es in einem Urteil vom 28.11.1990 (VI R 90/87), sie stellten "ein Entgelt für Arbeiten an besonders ungünstigen Zeiten" dar. Ergänzend wird auf die Definition im Online-Lexikon Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Zuschlag f%C3%BCr Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, 06.08.2009) hingewiesen: "Mit dem Zuschlag zum Grundlohn soll die Leistungserbringung des Arbeitnehmers zu Zeiten, an denen die Mehrheit der Beschäftigten arbeitsfrei hat, finanziell vom Arbeitgeber honoriert werden." Dafür, dass die Nachtzuschläge im Wesentlichen einen Leistungsanreiz für das Arbeiten an besonders ungünstigen Zeiten und nicht in erster Linie eine Aufwandsentschädigung darstellen, spricht auch die Tatsache, dass es sich hierbei um pauschale Zuschläge handelt, die auf den Einkommensbescheinigungen nicht etwa als Aufwandsentschädigungen ausgewiesen werden. Die demnach im Vordergrund stehende Anreizfunktion steht dem generellen "Zweck" von Arbeitseinkommen so nah, dass ein Anrechnungsausschluss nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II nicht gerechtfertigt ist. Dass Nachtarbeit besonders anstrengend sein mag, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch dann, wenn ein Arbeitnehmer tariflich höher eingestuft ist, weil er eine als anstrengender bzw. härter angesehene Arbeit verrichtet, wird der aus der Höhereinstufung resultierende Mehrverdienst nicht als zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II angesehen. Auch das Argument der Benachteiligung eines Leistungsempfängers nach dem SGB II gegenüber einem Arbeitnehmer, der nicht im Leistungsbezug steht vermag nicht zu überzeugen. Handelt es sich bei er Steuererhebung um Eingriffsverwaltung, so handelt es sich bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II um Leistungsverwaltung. In diesem Bereich, in dem der Arbeitnehmer vom Leistungsträger Unterstützung zum Lebensunterhalt erhält, kann sich dieser nicht auf die gleichen Privilegien berufen, die ein Arbeitnehmer genießt, der keine Unterstützung erhält.

Des weiteren hat die Beklagte zu Recht das "Verpflegungsgeld" als anrechenbares Einkommen des Klägers zu 1) zugrunde gelegt. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Bei dem Verpflegungsentgelt handelt es sich um Einnahmen in Geld. Eine der genannten Ausnahmen liegt nicht vor (so auch SG Lübeck, Beschluss vom 29.02.2008, Az.: S 28 AS 261/08 ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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