S 31 AS 317/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 317/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 28.06. und 28.07.2009 sowie eines weiteren Widerspruchs unbekannten Datums gegen die Bescheide vom 08.10.2008, 04.06. und 24.07.2009, wird abgelehnt. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum 20.08.2009 - 31.10.2009 ergänzende Sachleistungen in Form von Lebensmittelgutscheinen zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten zu 1/4.

Gründe:

I. Streitig sind insbesondere sanktionsweise Absenkungen der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende –, zuletzt in Höhe des gesamten Arbeitslosengeldes II (Alg II) für August bis Oktober 2009.

Der am 02.03.1977 geborene Antragsteller lebt zusammen mit seiner Ehefrau sowie fünf zwischen 2000 und 2007 geborenen Kindern in Neukirchen-Vluyn. Die Familie steht im laufenden Bezug von SGB II-Leistungen, zuletzt aufgrund Bescheids vom 29.07.2009.

Die Leistungen des Antragstellers wurden seit 2006 wiederholt sanktionsweise gekürzt.

Ein am 18.08.2008 begonnenes Arbeitsverhältnis des Antragstellers bei der Firma Randstad wurde am 17.09.2008 fristlos gekündigt. Nach Angaben der Firma Randstad vom 30.09.2008 gegenüber der Antragsgegnerin habe der Antragsteller u.a. mehrere Tage unentschuldigt gefehlt. Auf eine Anhörung teilte der Antragsteller am 07.10.2008 u.a. mit, er habe nicht genug Geld für die Fahrtkosten gehabt. Er werde im Fall einer Sanktion einen Anwalt beauftragen. Mit Bescheid vom 08.10.2008 senkte die Antragsgegnerin das Alg II des Antragstellers um monatlich 30 vH der Regelleistung für den Zeitraum "01.10.2008 - 17.12.2009" ab. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass bei wiederholter Pflichtverletzung eine Absenkung um 60 vH erfolgen würde.

In einer am 26.02.2009 geschlossenen und mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehenen Eingliederungsvereinbarung verpflichtete sich der Antragsteller, in der Zeit vom 26.02. - 26.05.2009 20 Bewerbungsbemühungen nachzuweisen und an einer Vermittlung durch die RAG-Bildung Kamp-Lintfort teilzunehmen.

Am 17.04.2009 kündigte die RAG-Bildung dem Antragsteller fristlos wegen unentschuldigten Fehlens "trotz mehrfacher Abmahnungen" bei der Maßnahme "Übungswerkstatt" im Zeitraum 16.03. - 17.04.2009. Auf eine Anhörung teilte der Antragsteller mit, er sei überqualifiziert für die Maßnahme. Zudem habe das zunächst nicht und dann in zu geringer Höhe bewilligte Fahrgeld nicht mehr ausgereicht. Mit Bescheid vom 04.06.2009 senkte die Antragsgegnerin das Alg II des Antragstellers um 60 vH der Regelleistung für Juli bis September 2009 ab. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass bei wiederholter Pflichtverletzung der Leistungsanspruch vollständig entfalle. Am 28.06.2009 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein. Seine Krankmeldungen seien nicht akzeptiert worden. Er habe nur deshalb keine Atteste vorlegen können, da er die Praxisgebühr nicht habe bezahlen können. Wegen Sanktionen und Einbehaltungen hätten die gewährten 45,00 EUR Fahrgeld nicht ausgereicht. Es gebe nichts, was er im Kurs hätte lernen können.

Mit Bescheid vom 24.07.2009 minderte die Antragsgegnerin das Alg II des Antragstellers um 100 vH für August bis Oktober 2009, da er keinerlei Bewerbungsbemühungen nachgewiesen habe. Am 28.07.2009 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein. Der Mitarbeiter der Antragsgegnerin Herr Winter habe ihm gesagt, für die Dauer der Maßnahme würde auf den Nachweis von Bewerbungsbemühungen verzichtet. Er bemühe sich ständig um Arbeit, mangels Geld für Bewerbungsmaterial allerdings vorwiegend telefonisch.

Über einen Bevollmächtigten teilte der Antragsteller am 31.07.2009 mit, er habe auch gegen die "erste Sanktion verbunden mit der Absenkung um 30%" anlässlich einer persönlichen Vorsprache Widerspruch eingelegt, der aber offenbar nicht protokolliert worden sei.

Am 20.08.2009 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag gestellt.

Der Antragsteller nimmt Bezug auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Er trägt ergänzend vor, zwei seiner Kinder gingen zur Schule, zwei in den Kindergarten.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung der Widersprüche vom 28.06. und 28.07.2009 sowie eines weiteren Widerspruchs unbekannten Datums gegen die Bescheide vom 08.10.2008, 04.06. und 24.07.2009 anzuordnen,

hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ergänzende Leistungen nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II ab Antragstellung zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, der Bescheid vom 08.10.2008 sei bestandskräftig. Angesichts bewilligter Fahrtkosten für die Teilnahme an der RAG-Maßnahme sowie der Vereinbarung der Übernahme von Bewerbungskosten könne der Vortrag des Antragstellers nicht überzeugen. Die RAG-Bildung habe auf Nachfrage verneint, dass der Antragsteller eine Unterforderung geltend gemacht habe. Bewerbungskosten seien nie geltend gemacht worden. Es sei unzutreffend, dass er von der Pflicht, Bewerbungsbemühungen nachzuweisen, für die Dauer der Maßnahme befreit worden sei. Spätstens nach Abbruch der Maßnahme hätten Bewerbungsbemühungen erfolgen können.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.

II. Der überwiegend zulässige Antrag ist im Wesentlichen unbegründet.

Soweit der Antragsteller sich auch gegen die sanktionsweise Leistungsabsenkung am 08.10.2008 wendet, fehlt es an einem Widerspruch, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte. Soweit vorgetragen wird, es sei mündlich Widerspruch eingelegt worden, finden sich im entsprechenden Schriftsatz vom 30.07.2009 keine näheren Angaben zum Zeitpunkt des vermeintlichen Widerspruchs. Sowohl die Begründung dieses Schreibens als auch ein Schreiben des Antragstellers vom 11.05.2009 werfen im Übrigen die Frage auf, ob nicht vielmehr ein anderer Sanktionsbescheid (nämlich einer vom 18.07.2008 wegen wiederholten Nichterscheinens zu einem Meldetermin, mit dem Leistungen ebenfalls um 30 vH abgesenkt wurden) gemeint ist. Aus den aktenkundigen Vermerken ist ein Widerspruch, der gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen ist, jedenfalls nicht ersichtlich. Die Stellungnahme des Antragstellers zur Anhörung vom 07.10.2008 kann nicht als Widerspruch angesehen werden. Dort wird lediglich ein solcher Widerspruch angekündigt. Da zu diesem Zeitpunkt lediglich eine Anhörung erfolgt war, konnte auch nicht etwa eine ausnahmsweise Widerspruchseinlegung vor Bekanntgabe des Bescheids erfolgen (vgl. hierzu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 84 Rdnr. 4c).

Der Antrag ist im Hinblick auf die Möglichkeit ergänzender Leistungen bei sanktionsweisen Leistungsabsenkungen von mehr als 30 vH nach § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II dahingehend auszulegen, dass für den Fall der Ablehnung des Hauptantrags hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung solcher ergänzender Leistungen begehrt wird. Dies ergibt sich insbesondere aus der Antragsschrift, in der fehlende Ersparnisse und fehlende Lebensmittel erwähnt werden. Zwar ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller sich wegen Lebensmittelgutscheinen schon vorher an die Antragsgegnerin gewandt hat. Zum einen hat der Antragsteller aber schon mit zwei Schriftsätzen vom 28.07.2009 Leistungen (für Strom und Unterkunft) begehrt. Zum anderen hat die Antragsgegnerin auf die ausdrückliche Erwähnung fehlender Lebensmittel in der Antragsschrift nicht reagiert.

1. Die Erfolgsaussicht des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beurteilt sich - soweit zulässig - nach dem Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung. Hierbei sind neben einer allgemeinen Abwägung der Folgen bei Gewährung bzw. Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Erfolgssaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache von Bedeutung. Dabei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.02.2007, L 7 B 11/07 AS ER).

Die hiernach anzustellende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Die angefochtenen Sanktionsbescheide begegnen bei summarischer Prüfung keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht verbleiben, sind diese im Hauptsacheverfahren zu klären. Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Entscheidung in § 39 SGB II hat der Antrag dann keinen Erfolg.

Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b und c SGB II wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 vH der maßgeblichen Regelleistung abgesenkt, wenn der Hilfebedürftige sich trotz Belehrung ohne wichtigen Grund weigert, in einer Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen bzw. eine in einer Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen bzw. fortzuführen. Bei einer ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II wird das Arbeitslosengeld II um 60 vH der Regelleistung abgesenkt, bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung wird das (gesamte) Arbeitslosengeld II um 100 vH abgesenkt (§ 31 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II). Nach § 31 Abs. 3 Satz 4 SGB II liegt eine wiederholte Pflichtverletzung nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt.

Hier sind eine erste und eine weitere wiederholte Pflichtverletzung im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b bzw. c SGB II gegeben.

Der Antragsteller ist nach Aktenlage nicht im geforderten Umfang den Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung vom 26.02.2009 nachgekommen und hat damit Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b bzw. c SGB II begangen.

Bewerbungsbemühungen sind überhaupt nicht nachgewiesen. Dass dem Antragsteller mitgeteilt wurde, für die Dauer der Maßnahme brauche er sich nicht zu bewerben, ist aus der Akte nicht ersichtlich. Soweit sich diese Frage nicht weiter aufklären lassen sollte, trägt der Antragsteller für diese Behauptung die Beweislast. Jedenfalls erklärt der Antragsteller selbst, ihm sei gesagt worden, er müsse sich für die Dauer der Maßnahme nicht bewerben. Nachdem dem Antragsteller von Seiten des Maßnahmeträgers noch im April gekündigt wurde, konnte er sich danach nicht darauf verlassen, dass er auch weiter keinerlei Bemühungen unternehmen müsse. Immerhin bestand die Pflicht ausweislich der Eingliederungsvereinbarung für einen Zeitraum bis Ende Mai. Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe kein Geld für schriftliche Bewerbungen gehabt, so steht dies einem Nachweis eventueller telefonischer Bewerbungen nicht entgegen. Im Übrigen wird der Antragsteller in der Eingliederungsvereinbarung darauf hingewiesen, dass Bewerbungskosten bis zu 260,00 EUR jährlich erstattet werden können, ein entsprechender Antrag wurde aber offenbar nie gestellt.

Durch unentschuldigtes Fehlen bei der Maßnahme RAG-Bildung hat der Antragsteller sich des Weiteren konkludent geweigert, diese Maßnahme aufzunehmen bzw. fortzuführen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Ähnliches liegen nicht vor. Im Übrigen hat der Antragsteller gerade in zeitlicher Hinsicht keine präzisen Angaben zur vermeintlichen Arbeitsunfähigkeit gemacht.

Nach gegenwärtigem Verfahrensstand waren die hier verletzten Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung vom 26.02.2009 nicht rechtswidrig.

Die Pflicht, 20 Bewerbungsbemühungen in einem Zeitraum von drei Monaten nachzuweisen, begegnet keinen Bedenken, selbst wenn gleichzeitig die Pflicht zur Teilnahme an einer Maßnahme besteht.

Was die Maßnahme selbst angeht, so kann in einem eventuellen Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob die inhaltliche Ausgestaltung derartige Mängel aufwies, dass die Teilnahme nicht weiter zumutbar war. Allerdings werden die Anforderungen hier nicht zu hoch anzusetzen sein. Allein die kontinuierliche Teilnahme an einer Maßnahme als solche kann für zukünftige Bewerbungen insofern einen positiven Effekt haben, als sie die Bereitschaft des Teilnehmers zur Eingliederung in den Arbeitsmakt, insbesondere zu regelmäßigem und pünktlichem Erscheinen dokumentiert. Dies gilt im Fall des Antragstellers umso mehr, als es bereits wiederholt zu Meldeversäumnissen gekommen ist und die Fähigkeit zu pünktlichem Erscheinen gerade in Frage steht. Da die Ehefrau des Antragstellers nicht erwerbstätig ist, kann der Antragsteller sich auch nicht etwa auf das Erfordernis der Betreuung seiner Kinder stützen (vgl. hierzu § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II), von denen nur eines mangels Kindergarten- oder Schulbesuchs ganztägig betreut werden muss. Problematisch könnte sein, dass die Maßnahmebeschreibung in der Eingliederungsvereinbarung sehr knapp ausfällt. Hier wäre weiter zu klären, ob der Inhalt der Maßnahme bei Abschluss der Vereinbarung eventuell durch mündliche Hinweise präzisiert wurde. Der Antragsteller hat aber jedenfalls die Maßnahme tatsächlich angetreten, ohne dass Unklarheiten über deren Inhalt bzw. die aus der Eingliederungsvereinbarung insofern resultierenden Pflichten geltend gemacht worden wären.

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist nicht glaubhaft gemacht. Die Ausführungen zum Tatbestand von § 31 Abs. 1 SGB II gelten entsprechend.

Es liegen jeweils wiederholte Pflichtverletzungen im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 2 SGB II vor, die eine Absenkung zunächst um 60 vH der Regelleistung und sodann um 100 vH des Alg II rechtfertigen. Mit Bescheid vom 08.10.2008 wurde im September 2008 eine erste Pflichtverletzung im Sinne von § 31 Abs. 1 SGB II festgestellt. Nach gegenwärtigem Sachstand ist davon auszugehen, dass dieser Bescheid bestandskräftig ist. Eine inhaltliche Überprüfung dieses Bescheides im Rahmen der Prüfung von § 31 Abs. 3 SGB II ist damit entbehrlich (vgl. hierzu Söhngen, in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, Rdnr. 199). Beide hier gegenständlichen Pflichtverletzungen erfolgten sodann innerhalb eines Jahres seit Beginn des mit Bescheid vom 08.10.2008 festgestellten Sanktionszeitraums. Beide sind unter § 31 Abs. 1 SGB II zu subsumieren, was für die Annahme einer "wiederholten" Pflichtverletzung ausreicht (vgl. Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 31 Rdnr. 50b). Dass die Absenkungsentscheidung wegen "erster" wiederholter Pflichtverletzung vom 04.06.2009 zum Zeitpunkt der Absenkungsentscheidung wegen "weiterer" wiederholter Pflichtverletzung noch nicht bestandskräftig war, steht letzterer nicht entgegen (vgl. Söhngen, a.a.O., Rdnr. 198).

Der Antragsteller ist über die möglichen Sanktionierungen mit den von ihm unterzeichneten Eingliederungsvereinbarungen und auch mit den jeweils vorangegangenen Absenkungsbescheiden belehrt worden. Jedenfalls ab der Eingliederungsvereinbarung vom 14.10.2008 erfolgten die Belehrungen auch im Hinblick auf § 31 Abs. 3 SGB II in zutreffender Weise. Im Bescheid vom 08.10.2008 und 04.06.2009 wurde die Absenkungshöhe für den Fall einer eventuellen (weiteren) wiederholten Pflichtverletzung genau angegeben.

Die Absenkungen vom 04.06.2009 und 24.07.2009 erfolgten jeweils entsprechend § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II ab dem Monat, der auf den Monat des Wirksamwerdens des jeweiligen Absenkungsbescheids folgte und entsprechend § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II für jeweils drei Monate.

Der Absenkungsbescheid vom 24.07.2009 enthält eine Ermessensausübung hinsichtlich § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB II (Frage der Reduzierung der Absenkung auf 60 vH der Regelleistung bei nachträglichem Wohlverhalten). Insofern kann dahinstehen, ob im Fall einer fehlenden Ermessensausübung die Absenkung (teilweise) rechtswidrig ist (vgl. zu § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.06.2008, L 7 B 140/08 AS; vgl. zu § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.06.2009, L 7 B 130/09 AS und Beschluss vom 09.09.2009, L 7 B 211/09 AS ER). Zwar ist abgesehen von einem Aktenvermerk (vgl. Blatt 897 der Leistungsakte) eine vorherige Anhörung hierzu in der Leistungsakte nicht dokumentiert. Der Antragsteller hat sich aber jedenfalls nicht nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen, was Voraussetzung für die Ermessensentscheidung ist (vgl. hierzu Berlit, in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 31 Rdnr. 93 ff.). Und aus dem Gesetz lässt sich nicht ableiten, dass der Leistungsträger den Hilfebedürftigen hierzu gezielt zu befragen hat (anders möglicherweise LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2009, L 7 B 211/09 ER zu § 31 Abs. 3 Satz 5 und 6 SGB II). Das gilt im vorliegenden Fall jedenfalls insofern, als der Antragsteller schon im Absenkungsbescheid vom 08.10.2008 (Seite 3), in der Eingliederungsvereinbarung vom 26.02.2009 (Seite 2) und zuletzt im Absenkungsbescheid vom 04.06.2009 (Seite 3) auf die Möglichkeit der Reduzierung der Absenkung bei nachträglichem Wohlverhalten hingewiesen wurde.

Sowohl im Bescheid vom 04.06. als auch im Bescheid vom 24.07.2009 fehlt allerdings eine (Ermessens-) Entscheidung über ergänzende Leistungen nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II, die hier gemäß § 31 Abs. 3 Satz 7 SGB II gewährt werden "sollen". Eine solche Entscheidung ist - entgegen den Hinweisen in den angefochtenen Bescheiden (jeweils Seite 2 und 3) - von Amts wegen zu treffen (vgl. Berlit, a.a.O., Rdnr. 103; Winkler, in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: Dez. 2006, § 31 SGB II Rdnr. 157). Dies führt allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Bescheide (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.06.2009, L 7 B 130/09 AS und Beschluss vom 09.09.2009, L 7 B 211/09 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6.12.2008, L 10 B 2154/08 AS ER, juris; nach Berlit, a.a.O., ist dagegen "eine fehlerfreie Gewährungsentscheidung ... auch in den Fällen nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung von Absenkung und Wegfall, in denen in der Bedarfsgemeinschaft minderjährige Kinder leben"). Auch nach Auffassung der Gegenmeinung handelt es sich bei der Entscheidung über ergänzende Leistungen um eine von der Sanktionsentscheidung unabhängige, eigene Verwaltungsentscheidung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2009, L 7 B 211/09 AS ER). Da der entsprechende Antrag auf die Gewährung von (ergänzenden) Leistungen gerichtet ist, ist statthafte Antragsart insofern der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Es erscheint auch aus der von der Gegenmeinung angeführten grundrechtlichen Sicht nicht erforderlich, vom Leistungsträger die gleichzeitige Entscheidung über Absenkung und ergänzende Leistungen zu fordern und bei Fehlen einer Entscheidung über die ergänzenden Leistungen die über die Absenkung insgesamt als rechtswidrig anzusehen. Dies wäre schon insofern problematisch, als im Fall des Unterlassens einer Ermessensentscheidung nach § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB II oder § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II allenfalls eine teilweise Rechtswidrigkeit in Betracht kommen dürfte (vgl. zu § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.10.2008, L 25 B 1835/08 AS ER). Als Folge einer fehlenden Entscheidung über ergänzende Leistungen die gesamte Absenkung für rechtswidrig zu erklären, wäre im Vergleich hiermit überzogen. Eine Entscheidung über ergänzende Leistungen kann ohne Weiteres über den genannten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durchgesetzt werden. Voraussetzung ist dann grundsätzlich, dass sich der Hilfebedürftige zuvor an die Verwaltung gewandt hat (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rdnr. 26b). Dies gilt im Rahmen ergänzender Leistungen nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II umso mehr, als der Leistungsträger ohne nähere Informationen des Hilfebedürftigen gar keine sachgemäße Entscheidung hinsichtlich des "Wie" ergänzender Leistungen treffen kann. Dieses Problem sieht auch die Gegenmeinung, die deshalb vor Erlass des Absenkungsbescheids eine entsprechende Information des Hilfebedürftigen fordert (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2009, L 7 B 211/09 AS ER). Gerade dann aber, wenn ohnehin eine "Mitwirkung" des Hilfebedürftigen erforderlich ist, ist nicht ersichtlich, warum die Gewährung ergänzender Leistungen nicht nachträglich bzw. unabhängig von der Absenkungsentscheidung erfolgen kann. Dies gilt zumindest dann, wenn der Hilfebedürftige - wie hier in allen genannten Absenkungsbescheiden und Eingliederungsvereinbarungen - vorab auf die Möglichkeit ergänzender Leistungen ausdrücklich hingewiesen worden ist.

2. Die Erfolgsaussicht des damit zu prüfenden Hilfsantrags bestimmt sich nach § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II. Ein Anordnungsgrund besteht im Hinblick auf Lebensmittelgutscheine, da Schonvermögen o.Ä. nicht ersichtlich ist und gegenwärtig überhaupt keine Leistungen gezahlt werden. Hinsichtlich der Lebensmittel kann der Antragsteller auch nicht auf Leistungen für andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verwiesen werden. Soweit der Antragsteller im Verwaltungsverfahren mit seinen Schriftsätzen vom 28.07.2009 Strom- und insbesondere Unterkunftskosten anspricht, ist dagegen kein Eilbedarf gegeben. Erst mit Bescheid vom 07.05.2009 hat die Antragsgegnerin darlehensweise Leistungen für Stromrückstände erbracht. Hinzu kommt, dass auf den Antragsteller wegen der Aufteilung nach Kopfteilen nur ein Siebtel der Unterkunftskosten entfällt, weswegen deren Nichtgewährung für drei Monate nicht die Gefahr eines Wohnungsverlustes birgt (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB). Das Drohen insbesondere eines Wohnungsverlustes ist auch sonst nicht glaubhaft gemacht.

Die zeitliche Beschränkung der Anordnung entspricht der Dauer der sanktionsweisen Leistungsabsenkung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG analog.
Rechtskraft
Aus
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