L 6 V 465/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 V 2569/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 465/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.12.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Pflegezulage nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Das damalige VA gewährte dem am 05.07.1929 geborenen und in P. lebenden Kläger in Ausführung des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 11.11.1988 - L 8 V 2217/85 mit Bescheid vom 01.10.1990 vorläufig und mit Bescheid vom 16.11.1993 endgültig wegen des am 16.01.1945 erlittenen Verlustes der rechten Hand Teilversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, seit 21.12.2007 Grad der Schädigungsfolgen [GdS] - vergleiche § 30 Abs. 1 BVG i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007, BGBl. I, S. 2904, 2909) um 50 vom Hundert. Der gegen den Bescheid vom 16.11.1993 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.1995 zurückgewiesen. In der Folgezeit wandte sich der Kläger wiederholt mit dem Ziel, eine höhere Versorgung zu erhalten, erfolglos gegen Bescheide, mit denen das VA aufgrund der entsprechenden Anpassungsverordnungen die Teilversorgung erhöhte.

Unter dem 16.06.2000 erließ das VA wiederum einen Bescheid über die Anpassung der Teilversorgung. Mit dem am 08.09.2000 gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch machte der Kläger zugleich einen Anspruch auf eine Pflegezulage geltend. Er legte unter anderem medizinische Unterlagen aus P. vor, in denen ein erheblicher Grad der Behinderung seit 1998 und eine Hilfsbedürftigkeit des Klägers angenommen (Feststellung des Grades der Behinderung) und eine Cholecystolithiasis mit akuter Gallenblasenentzündung, eine Lungenentzündung, ein Rechtsschenkelblock, ein Zustand nach Amputation der rechten Hand (Informationskarte vom 21.03.2000 nach stationärer Behandlung in W. vom 18.03. bis 21.03 2000) sowie ein Gallenblasenemphysem mit perivesikaler Vereiterung (Informationskarte vom 31.03.2000 nach stationärer Behandlung in W. vom 21.03. bis 31.03.2000) beschrieben werden. Das VA teilte dem Kläger mit Schreiben vom 16.11.2000 mit, dass - das Einverständnis des Klägers unterstellt - das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 16.06.2000 im Hinblick auf eine zu erwartende höchstrichterliche Entscheidung ruhe. Ferner veranlasste das VA die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme des Obermedizinalrats N. vom 29.03.2001. Dieser führte aus, das im Jahr 2000 diagnostizierte Gallenblasenleiden mit Gallensteinen und die Lungenentzündung stünden nicht mit schädigenden Einflüssen während der Kriegszeit in Verbindung. Ob der Kläger hilflos sei, könne allein aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht entschieden werden. Das VA zog die der Feststellung des Grades der Behinderung in P. zugrunde liegenden Unterlagen bei. Darunter befinden sich das ärztliche Attest der Psychiaterin R. vom 02.02.1998 (psychoorganischer Symptomenkomplex - Depressionen, Kopfschmerzen, erhebliche Schwerhörigkeit rechts, Atheromatose, Verlust der rechten Hand, Koronarkrankheit) sowie das Gutachten eines Mitglieds der Gutachterkommission vom 21.03.1998 (Zustand nach Amputation der rechten Mittelhand 1945, subdepressiver Symptomenkomplex bei generalisierten EEG-Veränderungen, psychoorganischer Symptomenkomplex, chronische Koronarkrankheit, Schwerhörigkeit rechts). In der weiteren vä Stellungnahme vom 06.08.2001 führte Obermedizinalrat N. aus, der Kläger benötige nach den vorgelegten Unterlagen wegen eines hirnorganischen Psychosyndroms Hilfen bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen (Kochen, Waschen und Pflege der Wohnung). Nur beim Anziehen werde Hilfe im Sinne der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) 1996 benötigt. Aufgrund dieser Feststellung sei der Kläger nicht als hilflos zu betrachten. Mit Bescheid vom 23.08.2001 lehnte das VA den am 08.09.2000 gestellten Antrag auf Neufeststellung des Versorgungsanspruchs nach § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) und mit Bescheid vom 24.08.2001 den am selben Tag gestellten Antrag auf Pflegezulage ab. Im Rahmen eines Berufungsverfahrens wegen der Höhe der Teilversorgung (L 8 V 2477/02) legte der Kläger unter anderem die Bescheinigung des Chirurgen Dr. W. vom 23.04.2002 (der Kläger werde seit 23.02.2002 wegen der Thrombose der tiefen Ader des rechten unteren Beines behandelt) und die Bescheinigung des Psychiaters Dr. Dr. S. vom 24.05.2002 (depressive Störungen, chronische Schlaflosigkeit, die möglicherweise mit der Kriegsinvalidität zusammenhingen) vor. Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 23.08. und 24.08.2001 blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 11.11. und 12.11.2002).

Die gegen die Widerspruchsbescheide vom 11.11.2002 und vom 12.11.2002 erhobene Klage wies das Sozialgericht Stuttgart (SG) mit Urteil vom 12.12.2003 ab (S 6 V 6298/02).

Am 04.03.2004 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Pflegezulage. Er legte u. a. die Bescheinigung der Internistin M. vom 27.01.2004 vor (Behandlung wegen Venenthrombose und Gelenkdegeneration; die Fortbewegung sei eingeschränkt und der Kläger sei auf die Pflege Dritter angewiesen). Mit Bescheid vom 07.06.2004 lehnte der Beklagte den Antrag, den er als Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) wertete, ab. Seine an den D. B. gerichtete und an den Petitionsausschuss des L. von B.-W. weitergeleitete Petition blieb ohne Erfolg.

Am 07.09.2005 wandte sich der Kläger an das LRA und beantragte sinngemäß erneut u. a. die Gewährung einer Pflegezulage. Er übersandte unter anderem das Gutachten zur Feststellung des Erwerbsminderungsgrades vom 21.03.1998, die Bescheinigung der Heilanstalt R.-med vom 27.01.2004 (der Kläger stehe wegen der Thrombose von tiefen Venen und Degenerationsschäden an den Gelenken in Behandlung und erfordere ständiges Verabreichen der Arzneien) und die Bescheinigung des Instituts für Gehörphysiologie und -pathologie vom 03.12.2004 (der Kläger sei wegen seiner Invalidität - Fehlen des rechten Armes - bei der Bedienung von Hörgeräten auf Hilfe Dritter angewiesen). Mit Bescheid vom 22.11.2005 lehnte das LRA den Antrag vom 07.09.2005, den sie wiederum als Antrag auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X wertete, ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.07.2006).

Den nächsten, jetzt streitgegenständlichen Antrag auf Pflegezulage stellte der Kläger am 26.10.2006. Das LRA wertete ihn wiederum als Antrag nach § 44 SGB X und lehnte ihn mit Bescheid vom 04.12.2006 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2007 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 30.03.2007 Klage bei dem SG. Der Beklagte trat der Klage entgegen. Mit Gerichtsbescheid vom 27.12.2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X lägen nicht vor, denn der Bescheid vom 24.08.2001 sei rechtmäßig. Weder zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Bescheides noch aktuell hätten die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage vorgelegen bzw. lägen diese vor.

Am 09.01.2008 ging bei dem LRA ein weiterer Antrag auf Gewährung von Pflegezulage ein. Der Kläger legte den Röntgenbefund des Thorax vom 16.11.2007 und die Informationskarte einer W. Klinik für Innere Krankheiten und Nephrologie vom 26.11.2007 über die dortige stationäre Behandlung vom 17. bis 26.11.2007 (bilaterale Lungenentzündung, chronische, bilaterale Herzinsuffizienz) vor.

Am 28.01.2008 hat der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des SG Berufung bei dem LSG eingelegt.

Der Senat hat über den p. Rentenversicherungsträger Z. U. S. die folgenden Unterlagen und Auskünfte beigezogen: - Erklärung der Schwester und Pflegerin des Klägers J. S. vom 16.10.2008 (der Kläger sei in allen alltäglichen Lebenssituationen hilflos; sie erbringe sämtliche Leistungen, die er im Alltag brauche). - Erklärung der Ärztin F. von der Anstalt für Gesundheitsfürsorge R.-med o. D. über die stationäre Behandlung vom 17. bis 26.11.2007 - Erklärung der Fachärztin für Psychiatrie P. von der Beratungsstelle für psychische Gesundheit o. D.: Behandlung seit 1990 wegen depressiver Störungen; bei der Erörterung der Störung dominierten Depression, Unruhe, Schlafstörungen, Dysorexie, zyklische Resignationsgedanken. Die Beschwerden seien teilweise mit Kriegserlebnissen des Klägers verbunden. - Auskunft der Ärztin für Psychiatrie P. vom 09.01.2009: Der Kläger bedürfe der Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität rund um die Uhr. Wegen allgemeiner Durchblutungsstörungen und Durchblutungsstörungen des Gehirns werde diese Hilfe benötigt. - Gleichlautende Erklärung der Ärztin F. vom 16.01.2009.

Über den p. Rentenversicherungsträger hat der Senat der Pflegerin S. ferner einen Fragebogen zu den einzelnen geleisteten Hilfeleistungen im Bereich der Grundpflege im Sinne der Deutschen Pflegeversicherung übersandt, den diese am 18.05.2009 ausgefüllt hat. Sie hat darin auch angegeben, ob die entsprechende Hilfeleistung wegen des als Schädigungsfolge anerkannten Verlusts einer Hand erforderlich ist oder nicht.

Der Kläger hat folgende Unterlagen vorgelegt: - Überweisung an eine fachärztliche neurologische Praxis der Ärztin F. vom 11.12.2008 wegen Störungen des Gehirnkreislaufes und kurzzeitigen Ohnmachtsanfällen - Attest des Facharztes für Familienmedizin und Neurologie C. vom 15.12.2008: Der Kläger habe zweimal das Bewusstsein verloren. Das erste Mal sei er im Jahr 2007 stationär behandelt worden wegen einer Verschlechterung der chronischen Herzinsuffizienz während einer beiderseitigen Lungenentzündung. Im November 2008 sei ein weiterer kurzzeitiger Bewusstseinsverlust bei einem Schwächeanfall eingetreten. Bei seiner neurologischen Untersuchung habe er Merkmale eines psychoorganischen Syndroms sowie deliberative Symptome, ein pathologisches Romberg-Zeichen als Zeichen für Störungen des allgemeinen Kreislaufs (orthostatisch) und des Gehirnkreislaufs, erhebliche rezeptive Hypakusis rechtsseitig und einen Zustand nach der Amputation der rechten Hand festgestellt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.12.2007 und den Bescheid des Beklagten vom 04.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.02.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 24.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2002 zurückzunehmen und ihm eine Pflegezulage mindestens nach der Pflegestufe I zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 10.06.2009 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, insgesamt sei eine wirklich zuverlässige Bewertung des Gesamtzustandes nur orientierend möglich. Man gewinne den Eindruck, dass hier offensichtlich ein zentraler Abbau in den letzten Jahren im Vordergrund stehe mit daraus resultierender Pflegebedürftigkeit. Nach Lage der Akten könne man nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die anerkannte Schädigungsfolge, also der Verlust der rechten Hand, zu irgendeinem Zeitpunkt neben den Nichtschädigungsleiden eine annähernd gleichwertige Bedingung für den bestehenden Pflegeaufwand gewesen sei bzw. zum jetzigen Zeitpunkt noch darstelle. Die Angaben der Schwester und Pflegerin des Klägers zur Pflegebedürftigkeit seien unbrauchbar.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Akten des SG S 15 V 3867/83, S 6 V 4155/01, S 6 V 909/02, S 6 V 6298/02 und des LSG L 8 V 2217/85 sowie L 8 V 2477/02 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen und der Beklagte den erneut geltend gemachten Anspruch auf Pflegezulage mit dem Bescheid vom 04.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.02.2007 abgelehnt. Entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung war aber der hier streitgegenständliche Antrag des Klägers auf Pflegezulage vom 26.10.2006 nicht nur als Antrag auf eine Überprüfungsentscheidung nach § 44 SGB X zu werten, sondern auch als Erstantrag auf die erneut beantragte Leistung. Dass der Kläger im vorliegenden Fall nicht nur eine Korrektur des Bescheids vom 24.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2002 begehrte, ergibt sich für den Senat schlüssig aus der Tatsache, dass er nach Erteilung dieser Bescheide weitere Unterlagen, insbesondere aus den Jahren 2004 sowie 2007 vorgelegt hat, die bisher bei den ablehnenden Entscheidungen nicht berücksichtigt worden waren. Wenn das SG diese Problematik auch nicht ausdrücklich erörtert hat, so hat es doch im Ergebnis seinen Prüfungsumfang zutreffend bestimmt. Dies schließt der Senat aus dem vorletzten Absatz der Entscheidungsgründe, wonach weder zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 24.08.2001 noch aktuell die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage vorgelegen hätten bzw. vorlägen. Soweit der Antrag vom 26.10.2006 auf eine Erstentscheidung für die Zeit ab 26.10.2006 gerichtet war, war er ohne Bindung an vorausgegangene Entscheidungen zu prüfen und zu verbescheiden. Insbesondere war § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hier nicht einschlägig. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ein Bescheid, mit dem eine Leistung - wie hier die Gewährung einer Pflegezulage - abgelehnt worden ist, stellt nämlich keinen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung dar (BSGE 58, 27).

Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG hat ein Beschädigter, solange er in Folge der Schädigung hilflos ist, Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Pflegezulage der Stufe I. Hilflos im Sinne des Satzes 1 ist der Beschädigte, wenn er für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BVG). Diese Voraussetzungen sind nach Satz 3 dieser Bestimmung auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.

§ 35 Abs. 1 BVG ist im hier maßgeblichen Zeitraum vom 08.09.2000 bis 17.09.2009 mehrfach neu gefasst worden. Dies ist hier jedoch nicht rechtserheblich, denn der Maßstab für den Inhalt des Begriffs "hilflos" hat sich dadurch nicht geändert. Erforderlich ist stets, dass die anerkannten Schädigungsfolgen jedenfalls eine annähernd gleichwertige Mitursache für den Gesamtzustand bilden, der bei der Prüfung von Hilflosigkeit von Bedeutung ist (BSGE 41, 80, 83 f; 90, 185 ff.). Zu den von § 35 Abs. 1 BVG erfassten Verrichtungen zählt entgegen der von Förster in Wilke u. a., Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage 1992, Anmerkung 11 zu § 35 BVG vertretenen Meinung nach der ständigen Rechtssprechung des BSG (vgl. statt aller Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 19/95 in SozR. 3-3100 § 35 Nr. 6), welcher der Senat folgt, nicht der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Bei den zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf des täglichen Lebens unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Hinzu kommen nach der Rechtssprechung des BSG (vgl. BSGE 72, 285) Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistige Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen - vgl. BSG vom 10.12.2002 - B 9 V 3/01 R = BSGE 90,185 ff.).

Zwischen der Hilflosigkeit und den Schädigungsfolgen muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Ob dieser vorliegt, beurteilt sich nach dem im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsmaßstab der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 25.08.1960 - 11 RV 1368/59, zitiert nach Juris). Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Kriegsverletzung zeitlich die "letzte", die Hilflosigkeit "auslösende" Bedingung ist. Auch Gesundheitsstörungen, die nach der Schädigung und unabhängig von dieser auftreten - sogenannte Nachschäden - sind als Mitursachen der Hilflosigkeit nicht auszuschließen; diese muss nur wesentlich auch auf die Kriegsversehrtheit zurückgehen (BSG 41, 80 ff.).

Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 24.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2002. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die genannten Bescheide sind jedoch rechtmäßig. Der Beklagte hat den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, indem er den Anspruch auf Pflegezulage abgelehnt hat.

Der Senat lässt offen, ob der Kläger bei Erteilung des Bescheids vom 24.08.2001 und des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2002 hilflos im Sinne des § 35 Abs. 1 BVG war. Denn jedenfalls kam dem als Schädigungsleiden anerkannten Verlust der rechten Hand hierfür keine annähernd gleichwertige Bedeutung zu wie den Nichtschädigungsleiden. Dem ärztlichen Attest der Psychiaterin R. vom 02.02.1998 und dem Gutachten eines Mitglieds der Gutachterkommission vom 21.03.1998 entnimmt der Senat, dass bei dem Kläger (schon) damals ein psychoorganischer Symptomenkomplex mit Depressionen und Kopfschmerzen, eine erhebliche Schwerhörigkeit rechts sowie eine chronische Koronarkrankheit bei allgemeiner Atheromatose vorgelegen haben. Den Informationskarten vom 21. und vom 31.03.2000 ist ferner zu entnehmen, dass der Kläger im Zeitraum vom 18.03. bis 31.03.2000 wegen einer Gallensteinerkrankung mit akuter Gallenblasenentzündung, einem Gallenblasenemphysem sowie einer perivesikalen Vereiterung, einer Lungenentzündung und eines Rechtsschenkelblocks behandelt wurde. Im Jahr 2002 kam ausweislich der Bescheinigung des Chirurgen Dr. W. vom 23.04.2002 eine Behandlung wegen Thrombose der tiefen Ader des rechten unteren Beins hinzu sowie eine Behandlung wegen depressiver Störungen und chronischer Schlaflosigkeit (Bescheinigung des Psychiaters Dr. S. vom 24.05.2002). Nicht hilflos ist im Übrigen, wer nur in einem relativ geringen Umfang auf fremde Hilfe angewiesen ist. In der Regel ist ein Hilfebedarf von mindestens zwei Stunden Voraussetzungen für den Anspruch auf Pflegezulage nach der Stufe I (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 V 3/01 R = SozR. 3 - 3100 § 35 Nr. 12). Hilfe in diesem Umfang benötigte der Kläger wegen des Verlustes der rechten Hand nicht. Er benötigte deshalb, wie Obermedizinalrat N. in seiner Stellungnahme vom 06.08.2001 zutreffend dargelegt hat, Hilfe beim An- und Auskleiden. Auch wenn der Hinweis in der Bescheinigung des Instituts für Gehörphysiologie und -pathologie vom 03.12.2004 zutreffen sollte, der Kläger sei wegen des Fehlens des rechten Arms bei der Bedingung von Hörgeräten auf die Hilfe Dritter angewiesen, würde dies den schädigungsbedingten Pflegeaufwand nicht wesentlich erhöhen. Ob der sogenannte psychoorganische Symptomenkomplex einerseits und die koronare Herzerkrankung andererseits damals schon einen Pflegebedarf bedingt haben, muss offen bleiben. War dies in erheblichem Umfang der Fall, so kam diesen Nichtschädigungsleiden für das Ausmaß des Pflegebedarfs die überwiegende Bedeutung zu. Verneint man diese Frage, so ist nicht nachgewiesen, dass der Hilfebedarf insgesamt den vom BSG geforderten Umfang erreicht hat. Hierfür reichte jedenfalls der durch den Verlust der rechten Hand bedingte Hilfebedarf nicht aus. Hierbei hat der Senat auch berücksichtigt, dass der Kläger seine rechte Hand schädigungsbedingt bereits im Alter von 15 1/2 Jahren verloren, sich im Laufe seines Lebens an diese Behinderung gewöhnt und mit dieser insbesondere auch berufliche Tätigkeiten, nämlich als Dienstbote und Pförtner verrichtet hat. Soweit er Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen wie Kochen, Waschen und Pflege der Wohnung benötigte, müssen diese, wie ausgeführt, außer Betracht bleiben.

Im Zeitraum zwischen der streitgegenständlichen Antragstellung vom 26.10.2006 und dem Entscheidungszeitpunkt vom 17.09.2009 hat sich der Pflegebedarf wegen des Verlustes der rechten Hand nicht verändert. Hingegen haben sich die Nichtschädigungsleiden deutlich verschlechtert. Dies gilt zum einen für die Gesundheitsstörungen von Seiten des Herz-Kreislauf-Gebiets. Im Jahr 2007 musste der Kläger nämlich wegen einer Verschlechterung seiner chronischen Herzinsuffizienz stationär behandelt werden. Für das Jahr 2009 haben die Psychiaterin P. und die Ärztin F. außerdem allgemeine Durchblutungsstörungen bescheinigt. Soweit die genannten Ärztinnen in ihren Erklärungen vom 9. und 16.01.2009 Durchblutungsstörungen des Gehirns und der Neurologe C. in seinem Attest vom 15.12.2008 Störungen des "Gehirnkreislaufs" bescheinigt haben, ist hieraus mit Dr. W. zu schließen, dass in den letzten Jahren ein zerebraler Abbau mit daraus resultierender Pflegebedürftigkeit im Vordergrund stand. Diese Beurteilung wird durch das zuletzt vom Kläger vorgelegte Attest der Anstalt R.-Med vom 26.08.2009 zusätzlich bestätigt. Denn hieraus ergibt sich schlüssig, dass sich die schädigungsunabhängigen Leiden weiter verschlimmert haben. Ausweislich der Bescheinigung der Heilanstalt R.-Med vom 27.01.2004 bestand von da an auch eine Hilfsbedürftigkeit in Folge schlechter Beweglichkeit durch Degenerationsschäden an den Gelenken. Der unverändert gebliebenen Schädigungsfolge des Verlusts der rechten Hand kam jetzt verglichen mit dem Zustand von 2000/2002 erst recht keine annähernd gleich große Bedeutung in Bezug auf den gesamten Pflegeaufwand zu.

Die Angaben, welche die Schwester und Pflegerin des Klägers, J. S., als Zeugin schriftlich zu seinem Pflegebedarf gemacht hat, waren nicht verlässlich genug, um das Urteil hierauf zu stützen. Beispielsweise kann es nicht nachvollzogen werden, dass bei dem Kläger täglich ein Hilfebedarf von 210 Minuten beim Treppensteigen erforderlich sein soll und dass für die Hilfe beim Duschen, Baden, und Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung jeweils täglich derselbe Zeitaufwand notwendig sein soll.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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