L 18 R 866/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 354/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 R 866/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 378/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine über § 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) hinausgehende, gelegentlich notwendige zusätzliche Pause von ca. drei bis fünf Minuten zur Blutzuckermessung bzw. Insulininjektion rechtfertigt auch dann nicht die Annahme, dass der/die Versicherte nur unter betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen erwerbstätig sein kann, wenn in Ausnahmefällen noch eine weitere zusätzliche Pause im selben zeitlichen Umfang hinzukommt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.11.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1952 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war im Zeitraum von 1988 bis 2003 als Hausservice-Arbeiterin im Krankenhaus versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 2003 ist sie arbeitslos gemeldet.

Am 28.10.2004 stellte die Klägerin Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Untersuchung der Klägerin durch den Sozialmediziner Dr. v. G. und lehnte den Rentenantrag - gestützt auf sein Gutachten vom 10.12.2004 - mit Bescheid vom 17.12.2004 ab. Den hiergegen am 12.01.2005 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2005 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 25.05.2005 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Im Auftrag des SG hat der Internist, Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde und Arbeitsmedizin Dr.S. gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Untersuchung der Klägerin am 10.07.2006 ein Gutachten erstattet und darin zusammenfassend die Auffassung vertreten, dass die Klägerin trotz der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen täglich noch 6 Stunden und mehr leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten unter Berücksichtigung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Als Folge des Diabetes mellitus liege eine diabetische Polyneuropathie vor, die sich in einer Sensibilitätsminderung an den Füßen zeige. Da sich die Insulininjektionen auf den Morgen, die Mittagszeit und den Abend beschränkten, seien keine regelmäßigen zusätzlichen Pausen notwendig, auch wenn es gelegentlich möglich sei, dass an einzelnen Tagen eine zusätzliche Pause von drei bis fünf Minuten notwendig werde, um den Blutzucker zu messen und ggf. Insulin zu applizieren.

Mit Urteil vom 23.11.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die von der Klägerin berichteten Unterzuckerungen könne sie durch die Einnahme von Traubenzucker rasch wieder ausgleichen. Zeitliche Leistungseinschränkungen ließen sich durch den Diabetes mellitus nicht begründen. Auch wenn gelegentlich Pausen erforderlich seien, um den Blutzucker zu kontrollieren und ggf. Insulin zu spritzen, so hielten sich diese im Allgemeinen im Rahmen der üblichen Verteilzeiten und könnten von den Betroffenen ebenso wahrgenommen werden wie z.B. notwendige Toilettengänge. Regelmäßige zusätzliche Pausen, die den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht entsprächen, benötige die Klägerin nach der ärztlichen Einschätzung von Dr.S. jedenfalls nicht. Die Beurteilung des Dr.S., dass die Klägerin in ihrem zeitlichen Leistungsvermögen nicht eingeschränkt sei, sei unter Berücksichtigung der von Dr.S. beschriebenen Befunde nachvollziehbar. Das Attest des behandelnden Hausarztes Dr.R. entkräfte das Gutachtensergebnis von Dr.S. nicht. Die genannten Diagnosen habe Dr.S. aufgrund eigener Untersuchungen berücksichtigt, wobei er allerdings eine koronare Herzkrankheit nicht habe feststellen können. Dr.R. habe in seinem Attest nicht aufgezeigt, mit welcher Begründung er der Beurteilung von Dr.S. nicht folge. Er habe lediglich ausgeführt, dass er eine frühzeitige Erwerbsunfähigkeitsberentung "befürworten" würde.

Gegen das Urteil des SG richtet sich die beim Bayer. Landessozialgericht am 19.12.2006 eingegangene Berufung der Klägerin. Das SG habe ihre qualitativen Einschränkungen nicht ausreichend berücksichtigt. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn der Gutachter Dr.S. aufgrund der Diagnose Diabetes mellitus zu dem Ergebnis komme, dass bei ihr lediglich an einzelnen Tagen eine zusätzliche Pause von drei bis fünf Minuten für die Blutzuckermessung und die Insulingabe notwendig sei. Bei ihr seien vielmehr regelmäßige Blutzuckermessungen und Insulingaben erforderlich, sodass sie zusätzliche Pausen einhalten müsse.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, die Schwerbehindertenakte des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS), Region Mittelfranken, sowie Befundberichte des Neurologen und Psychiaters Priv.Doz. Dr.S. vom 01.06.2007, des Allgemeinmediziners Dr.R. vom 31.07.2007 und den Arztbrief des Nuklearmediziners Dr.W. vom 14.05.2007 beigezogen.

Anschließend hat im Auftrag des Senats der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.H. gemäß § 106 SGG nach ambulanter Untersuchung der Klägerin das Gutachten vom 21.09.2007 erstattet und darin die Auffassung vertreten, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen täglich noch mindestens sechs Stunden verrichten könne.

Gemäß Beweisanordnung vom 23.10.2007 hat danach der Orthopäde Prof. Dr.S., Chefarzt der Orthopädischen Klinik mit Poliklinik, W.Krankenhaus E., nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 14.12.2007 ein Gutachten gemäß § 106 SGG erstattet und ist darin zur sozialmedizinischen Beurteilung gelangt, dass der Klägerin leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit eines Wechsels zum Stehen und Gehen in Abhängigkeit von der aktuellen Tagesform und unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen täglich noch mindestens sechs Stunden zumutbar seien.

Im Auftrag des Senats hat anschließend Dr.S. gemäß § 106 SGG nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 07.03.2008 ein Gutachten erstattet und ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit wechselnder Haltung (Sitzen 60 %, 20 %, Gehen 20 %) und unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen täglich noch mindestens sechs Stunden verrichten könne. Zusätzliche Messungen/Injektionen seien notwendig, um den Blutzucker zu messen und ggf. Insulin zu spritzen. Sie könnten manchmal im Umfang einer Zeitdauer von ca. drei bis fünf Minuten notwendig sein, meist im Umfang einer zusätzlichen Arbeitspause pro Schicht von drei bis fünf Minuten Dauer, selten zweier zusätzlicher Arbeitspausen pro Schicht.

Unter Übersendung von ärztlichen Attesten des Dr.R. vom 05.06.2008 und 16.07.2008 trägt die Klägerin vor, dass sich ihr Gesundheitszustand in der letzten Zeit verschlechtert habe. Dr.R. weise darauf hin, dass je nach BZ-Wert Zwischenmahlzeiten erforderlich seien, sodass sie auf längere Pausen angewiesen sei.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.11.2006 und den Bescheid
der Beklagten vom 17.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.04.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihr den
Leistungsfall der Erwerbsminderung mit dem 28.10.2004 anzuerkennen und
ihr ab dem frühest möglichen Zeitpunkt die entsprechenden gesetzlichen
Leistungen auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg
vom 23.11.2006 zurückzuweisen

Nach Einschätzung des Gutachters Dr.S. sei in einer Schicht allenfalls von einer einmaligen zusätzlichen Arbeitspause von etwa drei bis fünf Minuten auszugehen. Aufgrund dieser zusätzlich erforderlichen Pause sei aber nicht von arbeitsunüblichen Bedingungen bei einem an sich noch möglichen, mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen des Klägers auszugehen. Diese zusätzliche Arbeitspause könne im Rahmen der persönlichen Verteilzeit genutzt und ohne Probleme in den täglichen Arbeitsablauf integriert werden. Arbeitsplätze, die zusätzliche kurze Pausen ermöglichten, gebe es in ausreichender Zahl. Die kurzfristigen Unterbrechungen, die für bestimmte persönliche Verrichtungen ohnedies notwendig seien und auch das Arbeitspensum nicht einschränkten, fielen nicht ins Gewicht und seien dem Arbeitsablauf nicht hinderlich. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Attest des Dr.R. vom 16.07.2008 ergäben sich keine neuen, bisher nicht berücksichtigten medizinischen Fakten.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das SG die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2005 abgewiesen, denn der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch idF ab 01.01.2001 (SGB VI n.F.) zu. Die Klägerin ist nämlich weder voll erwerbsgemindert iS des § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI n.F. noch teilweise erwerbsgemindert iS des § 43 Abs.1 Satz 2 SGB VI n.F ...

Gemäß § 43 Abs.2 Satz 1 SGB VI n.F. haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
voll erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI n.F. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Gemäß § 43 Abs.1 Satz 1 SGB VI n.F. haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI n.F. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs.3 SGV VI n.F. nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Voraussetzungen der Absätze 2 und 1 des § 43 SGB VI n.F. liegen im vorliegenden Fall nicht vor.

Dies steht zur Überzeugung des Senats fest nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund der Würdigung der in den Akten enthaltenen Befunde und der im Berufungsverfahren eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten des Nervenarztes Dr.H. vom 21.09.2007, des Orthopäden Prof. Dr.S. vom 14.12.2007 und des Internisten, Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde und Arbeitsmedizin Dr.S. vom 07.03.2008. Das vom SG gefundene Beweisergebnis, das auf einer Beurteilung der beigezogenen ärztlichen Unterlagen und Würdigung der gutachterlichen Ausführungen des vom SG gehörten ärztlichen Sachverständigen Dr.S. in seinem Gutachten vom 10.07.2006 beruht, wird durch die Beurteilung der im Berufungsverfahren gehörten gerichtsärztlichen Sachverständigen weitgehend bestätigt.

Danach liegen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen vor:
Auf internistischem Fachgebiet:
Insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit leichter sensibler diabetischer Poly-
neuropathie.
Behandelter Bluthochdruck.
1.3 Adipositas.
1.4 Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung ohne respiratorische Insuffi-
zienz.
2. Auf orthopädischem Fachgebiet:
2.1 Degeneratives HWS-Syndrom ohne sichere Wurzelreizsymptomatik oder
ein einer Nervenwurzel zuordenbares sensibles oder motorisches Defizit.
2.2 Degeneratives BWS-Syndrom mit radiologisch erkennbaren, erheblich fort-
geschrittenen Bandscheibenveränderungen.
2.3 Degeneratives LWS-Syndrom mit pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung
im rechten Unterschenkel.
2.4 Halux valgus ohne hieraus resultierende relevante Funktionseinschrän-
kung.
2.5 Anamnestisch Impingement-Syndrom beider Schultern (links mehr als
rechts) bei für leichte körperliche Tätigkeiten ohne Arbeiten über Kopf aus
reichender Funktion.
Auf nervenärztlichem Fachgebiet:
Leichte sensible diabetische Polyneuropathie.
Somatisierungsstörung (F 45.0) iS eines multiplen Beschwerdesyndroms
mit häufig wechselnden Beschwerden.
Analgetikacephalgie.

Zutreffend hat der gerichtsärztliche Sachverständige Dr.S. in seinem Gutachten vom 07.03.2008 festgestellt, dass die derzeitig vorliegenden Folgeerscheinungen des Diabetes mellitus keine quantitative Leistungsminderung der Klägerin begründen. Hinweise für eine wesentliche diabetische Retinopathie sind nicht dokumentiert. Zwar konnte bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr.S. - wie auch bereits im Jahr 2006 - im Bereich der Leber eine verdichtete Binnenstruktur iS einer Fettleber festgestellt werden. Diese Fettleber ist jedoch ein Symptom einer diabetischen Hepatopathie, wobei auch das Übergewicht der Klägerin zur Entstehung der Fettleber mit beiträgt. Die Prüfung der Leberwerte zeigte keinen auffälligen Befund. Sowohl die Transaminasen als auch die Gamma-GT lagen jeweils im Normbereich. Auch eine stärker beeinträchtigende diabetische Nephropathie konnte nicht nachgewiesen werden.

Eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ergibt sich im vorliegenden Fall nicht daraus, dass die Klägerin trotz mindestens sechsstündiger täglicher Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dreimal am Tag Insulin spritzen muss.

Zwar gilt der Arbeitsmarkt trotz an sich mindestens sechsstündiger Erwerbsfähigkeit als verschlossen, wenn nur unter nicht "betriebsüblichen Arbeitsbedingungen" gearbeitet werden kann (BSGE 44, 39, 40 = SozR 2200 § 1246 Nr.19). Zur Bestimmung des Begriffs "betriebsübliche Arbeitsbedingungen" kann die Rechtsprechung zu §119 Abs.4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bzw. zum früheren
§ 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) herangezogen werden (BSG SozR 3-2200
§ 1247 Nr.14). Danach muss auch die Dauer, Lage und Verteilung der Pausen arbeitszeitüblichen Bedingungen entsprechen (vgl. BSGE 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr.3; SozR 4100 § 103 Nrn.17 und 23). Benötigt der Versicherte zusätzliche Arbeitspausen, die im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht vorgesehen sind, ist zu prüfen, ob Arbeitnehmer unter solchen Bedingungen eingestellt werden (BSG SozR 2200 § 1247 Nr.43; s. auch Urteil vom 22.04.1993 - 5 RJ 34/92 -).

Nach § 4 Satz 1 ArbZG ist die Arbeit durch im Voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis zu 9 Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden insgesamt zu unterbrechen. Die Ruhepausen nach Satz 1 können in Zeitabschnitten von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden, Satz 2.

Abgesehen davon, dass u.U. die 30-minütige Pause gemäß Satz 2 des § 4 Abs.1 ArbZG in Zeitabschnitten von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden kann, sodass ggf. nur eine zusätzliche Pause in dem von Dr.S. dargestellten Umfang erforderlich wäre, ist auch bei Annahme einer fehlenden Möglichkeit einer derartigen Aufteilung die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich. Dass in diesem Fall bei unzureichender Blutzuckereinstellung - worauf Dr.S. zutreffend hinweist - zusätzlich zu den Insulininjektionen morgens, mittags und abends ggf. noch eine zusätzliche Pause von drei bis fünf Minuten notwendig und auch nicht auszuschließen ist, dass in besonderen Situationen noch eine zweite Pause in diesem zeitlichen Umfang am Arbeitstag erforderlich ist, bedeutet nicht, dass die Klägerin nur unter betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen bzw. nur mit einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung erwerbstätig sein kann. Denn eine gelegentliche zusätzliche Pause von drei bis fünf Minuten, ggf. in besonderen Situationen eine zweite Pause in diesem zeitlichen Umfang kann - worauf das SG zu Recht hinweist - im Rahmen der persönlichen Verteilzeit in Anspruch genommen werden (s. Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 23.10.2001 - L 5 RJ 238/0 -), in der kurzfristige Unterbrechungen für bestimmte persönliche Verrichtungen ohnedies notwendig und dem Arbeitsablauf nicht hinderlich sind. Die von Dr.S. ggf. für notwendig erachteten kurzen Pausen können ohne Probleme in den täglichen Arbeitsablauf integriert werden. Der zeitliche Umfang der von Dr.S. für notwendig erachtete Pausen ist nach Auffassung des Senats auch dann zugrunde zulegen, wenn die Klägerin - wie sie vorträgt - zusätzliche kleine Zwischenmahlzeiten einnehmen muss. Hingegen können die von Dr.R. in seinem Attest vom 16.07.2008 für erforderlich gehaltenen mehrmaligen täglichen längeren Pausen schon wegen ihrer Unbestimmtheit hinsichtlich des jeweiligen zeitlichen Umfangs nicht die Notwendigkeit der Benennung einer Verweisungstätigkeit begründen.

Der hier vorliegende Fall ist auch nicht mit der der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.06.1986 (5b RJ 42/85) zugrundeliegenden Fallkonstellation vergleichbar. Im dort zu entscheidenden Fall hat das BSG bei der Notwendigkeit zweier zusätzlicher Pausen von je 15 Minuten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit für erforderlich erachtet (Anschluss an und Fortführung von BSG 18.02.1981 - 1 RJ 124/79 = SozR 2200 § 1246 Nr. 75 und BSG vom 01.03.1984 - 4 RJ 43/83 = SozR 2200 § 1246 Nr.117). Angesichts des geringen zeitlichen Umfangs einer ggf. erforderlichen zusätzlichen Pause von drei bis fünf Minuten, ggf. auch in Ausnahmesituationen einer zweiten Pause in diesem Umfang, ist im vorliegenden Fall - im Gegensatz zu dem vom BSG entschiedenen Fall - die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich.

Aus dem von der Klägerin in diesem Zusammenhang zitierten Urteil des BSG vom 19.08.1997 - 13 RJ 11/96 - (bzw. Parallelentscheidung vom 20.08.1997
- 13 RJ 39/96 -) lässt sich keine hiervon abweichende Rechtsauffassung herleiten, weil es eine andere Rechtsfrage betrifft. Insoweit hatte das BSG festgestellt, dass zur Vermeidung einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung die Feststellung genügen kann, dass dem Versicherten noch bestimmte Arten körperlicher Verrichtungen (z.B. Sortieren, Montieren) möglich sind, wenn diese in einem hinreichend großen Arbeitsfeld gefordert werden. Soweit die Klägerin auf das Urteil des BSG vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - verweist, ergibt sich für den vorliegenden Fall ebenfalls keine andere Beurteilung. Zwar hat das BSG wiederholt darauf hingewiesen, dass einem Versicherten, der zusätzliche, in der Arbeitszeitordnung nicht vorgesehene Pausen benötigt, der Arbeitsmarkt verschlossen sein kann, wenn auch in der Praxis Arbeitnehmer zu solchen Bedingungen nicht eingestellt werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1247 Nr.43 mwN). Im vorliegenden Fall sind jedoch gelegentlich eine bzw. in Ausnahmefällen zwei Pausen zusätzlich notwendig, sodass sie im Rahmen der persönlichen Verteilzeit (z.B. im Bürobereich) in Anspruch genommen werden können und die Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich ist.

Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Blutzuckereinstellung sollten der Klägerin jedoch keine Tätigkeiten in Nacht- oder Wechselschicht zugemutet werden, da hierdurch die Insulineinstellung erschwert wird.

Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin ergibt sich auch nicht aus ihren weiteren Gesundheitsstörungen. Der Blutdruck ist behandelt. Eine Herzkatheter-Untersuchung wurde zuletzt im Jahr 2004 durchgeführt und zeigte ein völlig unauffälliges System der Koronararterien und eine normale Funktion der linken Herzkammer.

Bei der körperlichen Untersuchung der Klägerin durch Dr.S. am 03.03.2008 konnten über der Lunge keine krankhaften Atemgeräusche gehört werden. Auch bei einer früheren Untersuchung am 08.05.2006 lagen keine krankhaften Nebengeräusche vor. Im Rahmen der Untersuchung durch die Beklagte im Jahr 2004 wurde ebenfalls ein normales Bronchovesikuläratmen dokumentiert. Wie die Lungenfunktionsbefunde zeigen, liegt dennoch eine obstruktive Atemwegserkrankung vor. Die Lungenfunktionsbefunde zeigten eine manifeste Bronchialobstruktion, gleichzeitig fällt auf, dass diese Bronchialobstruktion gut durch bronchodilatatorisch wirkende Medikamente reversibel und behandelbar ist. Es ist - nach der zutreffenden Auffassung von Dr.S. - unverständlich, dass die bisherige antiobstruktive Therapie abgesetzt wurde. Von einer adäquaten Behandlung wäre auch eine wesentliche Besserung der Atemwegserkrankung zu erwarten. Im Hinblick auf die obstruktive Atemwegserkrankung sind der Klägerin keine Tätigkeiten mehr zumutbar, die mit der Einwirkung von atemwegsreizenden Arbeitsstoffen einhergehen, wie z.B. Kleberdämpfe, Lackdämpfe, Lötrauche, Schweißrauche. Auch schwere Tätigkeiten sind bei bestehender Bronchialobstruktion nicht mehr möglich.

Bei der Begutachtung der Klägerin durch Prof. Dr.S. am 14.12.2007 erschien die Klägerin mit einer Unterarmgehstütze, die rechts benutzt wurde. Bei der nervenärztlichen Begutachtung der Klägerin am 21.09.2007 durch Dr.H. findet sich kein Hinweis auf die Benutzung von Gehhilfen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass sich bei der körperlichen Untersuchung auf orthopädischem Fachgebiet keinerlei pathologische Auffälligkeiten oder Funktionsstörungen ergaben, die die Notwendigkeit einer Unterarmgehstütze rechtfertigen würden. Bei der Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr.S. fanden sich weder für die oberen noch für die unteren Gliedmaßen ein einer Nervenwurzel zuordenbares sensibles oder motorisches Defizit. Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule waren altersentsprechend einzustufen. Es lagen objektiv degenerative Veränderungen der Brust-, Hals- und Lendenwirbelsäule vor, sodass sich hieraus - nach der zutreffenden Auffassung von Prof. Dr.S. - Einschränkungen für schwere und auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten, für monotone Arbeiten in Körperzwangshaltungen, wie z.B. in vornüber gebeugter Haltung, aber auch für Arbeiten über Kopf ergeben. Gleiches gilt für Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten oder auch bei wechselnden Witterungseinflüssen.

Bei den oberen Gliedmaßen bestand links betont ein Impingement-Syndrom für die Schultern. Dieser Befund bedingt ebenfalls, dass Arbeiten über Kopf nur eingeschränkt möglich sind. Weder im Bereich der Hüft-, noch der Knie-, Sprung- und Fußgelenke ergaben sich Auffälligkeiten, die zu einer zusätzlichen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit führen könnten.

Aufgrund der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet kann die Klägerin schwere Tätigkeiten nicht mehr, mittelschwere Tätigkeiten nur noch sehr eingeschränkt durchführen. Diese Tätigkeiten sollten überwiegend im Sitzen - mit der Möglichkeit des Wechsels zum Stehen und Gehen - ausgeübt werden. Zu vermeiden sind Arbeiten in monotonen Körperzwangshaltungen, wechselnde Witterungseinflüsse, Arbeiten unter Zeitdruck, in Zwangshaltungen, wie z.B. das Heben und Tragen sowie Bewegen von schweren Lasten. Weiterhin nicht möglich sind der Klägerin Arbeiten in gebückter Haltung oder im Knien sowie Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten.

Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin in rentenberechtigendem Maße ergibt sich auch nicht aufgrund der von Dr.H. erhobenen Untersuchungsbefunde. Hinweise auf die Diagnose einer Anpassungsstörung fanden sich bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr.H. am 14.09.2007 nicht. Hier sei - wie der gerichtliche Sachverständige Dr.H. zutreffend ausführt - in Kenntnis der nervenärztlichen Berichte von kurz andauernden depressiven Reaktionen zu sprechen. Auch werden die diagnostischen Leitlinien einer "depressiven Episode" nach F 32.0 nicht erfüllt. Vielmehr ist von einer Somatisierungsstörung auszugehen. Charakteristisch sind hier multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die bei der Klägerin seit einigen Jahren bestehen. Behandelt werden sie überwiegend vom Hausarzt, eine konsequente nervenärztliche Betreuung wurde nicht für notwendig erachtet.

Bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr.H. lagen keine Gedächtnisstörungen, Konzentrations-, Aufmerksamkeits- oder Merkfähigkeitsstörungen vor. Die vom behandelnden Nervenarzt Dr.S. angegebene leichte kognitive Störung war bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr.H. in keiner Weise nachweisbar. Ebenso fehlen im Gutachten Dr.S. Hinweise darauf.

Bei der neurologischen Untersuchung konnte eine Lumboischialgie, d.h. Schmerzen mit radikulärer Ausstrahlung oder gar radikulärem Defizit, nicht gefunden werden.

Aus den Gesundheitsstörungen der Klägerin auf nervenfachärztlichem Gebiet ergibt sich, dass sie nicht mehr in der Lage ist, mittelschwere und schwere Arbeiten zu verrichten. Ihre Arbeitshaltung kann wechselnd - gleichmäßig aufgeteilt zwischen Gehen, Stehen und Sitzen - sein. Die Arbeiten sollten überwiegend in geschlossenen Räumen stattfinden und nicht mit Zeitdruck oder Nachtschicht verbunden sein. Vermieden werden müssen Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, insbesondere Tätigkeiten mit Absturzgefahr und Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten mit Fremd- und Selbstgefährdung sowie Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, ebenso häufiges Heben und Tragen von Lasten sowie Überkopfarbeiten und Arbeiten in Zwangshaltung. Vermieden werden sollten Arbeiten bei Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen sowie Arbeiten, bei denen es zu Lärm, Staub, Dampf, Rauch und Reizstoffen kommt. Merkfähigkeit, Auffassungsgabe, Konzentrations- und Reaktionsvermögen erscheinen nicht gestört. Zusammenfassend konnten bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr.H. keine wesentlichen psychischen Störungen festgestellt werden.

Die vom behandelnden Hausarzt im Attest vom 11.07.2007 Dr.R. vertretene Meinung, die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeiten von mehr als drei Stunden täglich sei nicht mehr realisierbar, ist nicht schlüssig. Insbesondere begründet Dr.R. nicht, weshalb aus den von ihm angegebenen Gesundheitsstörungen eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin resultieren soll.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Klägerin somit weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert iS der Absätze 2 und 1 des § 43 SGB VI n.F ... Denn sie ist noch in der Lage, täglich mindestens sechs Stunden leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen zu verrichten, § 43 Abs.3 SGB VI n.F ... Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 Absätze 2 und 1 SGB VI n.F. scheidet somit aus.

Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 23.11.2006 zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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