L 7 AS 323/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 AS 562/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 323/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ist die durch einstweilige Anordnung des Sozialgerichts verpflichtete Behörde dieser Leistungspflicht vollständig nachgekommen, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde. Es ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten zu klären, ob der Anspruch nach dem materiellen Recht tatsächlich besteht oder nicht.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14.04.2009 wird als unzulässig verworfen.
Die Anschlussbeschwerde der Beschwerdegegner wird zurückgewiesen.
Außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.

Streitig ist, ob und in welchem Umfang die Beschwerdeführerin (BF) die Kosten einer
privaten Krankenversicherung vorläufig zu übernehmen hat.

Die Antragsteller, Beschwerdegegner und Anschlussbeschwerdeführer sind verheiratet. Der Ehemann (BG zu 1.) ist Zollbeamter. Er und seine Ehefrau (BG zu 2.) sind beihilfeberechtigt. Der im Jahr 1993 geborene schwerbehinderte leibliche Sohn der BG zu 2. lebt überwiegend in einem heilpädagogischen Wohnheim und erhält Leistungen der Sozialhilfe vom Bezirk Oberbayern. Die Familie verfügte mehrere Jahre nicht über eine ergänzende private Krankenversicherung.

Mit Schreiben vom 11.12.2008 teilte die Zollverwaltung dem BG zu 1. mit, dass Beihilfe ab 01.01.2009 nur noch gewährt werde, wenn eine Krankenversicherung für den nicht von der Beihilfe abgedeckten Teil bestehe. Der BG zu 1 beantragte am 19.12.2008 bei der BF für sich, seine Ehefrau und deren Sohn Arbeitslosengeld II für die Zeit ab 01.01.2009. Der BG zu 1. gab dabei an, dass die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben würden. Im Februar 2009 wurden dem BG zu 1. Bezüge in Höhe von 2109,85 EUR ausbezahlt. Ein Teilbetrag wird von einer Bank gepfändet.

Mit Bescheid vom 06.03.2009 wurden laufende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die Gewährung von Zuschussleistungen zur Kranken- beziehungsweise Pflegeversicherung abgelehnt. Das anrechenbare Einkommen übersteige den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, wobei der Sohn wegen des Aufenthalts in einer stationären Einrichtung vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Ein Anspruch auf einen Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung bestehe nicht, weil das Einkommen auch ausreiche, um diesen Bedarf zu decken. Am 18.03.2009 wurde Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde.

Am 16.03.2009 beantragte der BG zu 1. beim Sozialgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 14.04.2009 stellte das Sozialgericht im Wege der einstweiligen Anordnung fest, dass die BF verpflichtet sei, dem BG zu 1. und der BG zu 2. nach Abschluss eines Vertrages über eine private Krankenversicherung vorläufig bis zum 31.07.2009 einen Zuschuss zu den Aufwendungen für diese Krankenversicherung in Höhe von 122,57 EUR beziehungsweise 142,07 EUR monatlich zu leisten. Im Übrigen werde der Antrag abgelehnt. Es bestehe gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) ein Anordnungsanspruch auf einen Zuschuss zu den Beiträgen einer privaten Krankenversicherung, sobald der entsprechende Vertrag abgeschlossen werde. Von den voraussichtlichen Versicherungsbeiträgen von 170,89 EUR (BG zu 1.) und 190,39 EUR (BG zu 2.) sei das überschießende Einkommen von 96,64 EUR hälftig (mit jeweils 48,32 EUR) abzuziehen. Ein Anspruch des Sohnes bestehe nicht, weil der Bezirk Oberbayern zugesichert habe, die dafür anfallenden Kosten zu übernehmen. Der Beschluss wurde der BF am 17.04.2009 übermittelt.

Am 21.04.2009 schloss der BG zu 1. eine private Krankenversicherung ab. Bei einem Versicherungsbeginn am 01.05.2009 wurden Monatsbeiträge im halbierten Basistarif in Höhe von zusammen 170,90 EUR festgelegt (je 85,45 EUR für den BG zu 1. und die BG zu 2.). Wegen verspäteter Erfüllung der Versicherungspflicht wurde gemäß § 193 Abs. 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ein einmaliger Beitragzuschlag in Höhe von 512,70 EUR (drei Monatsbeiträge zu je 170,90 EUR) festgesetzt.

Am 06.05.2009 hat die BF beim Sozialgericht München Beschwerde gegen den Beschluss vom 14.04.2009 erhoben. Der Sohn sei zwar für die Wochenendaufenthalte und die Schulferien im Rahmen einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen. Das anrechenbare Einkommen übersteige gleichwohl den Gesamtbedarf. Auf die ausführliche Berechnung im Schriftsatz vom 30.04.2009 wird verwiesen. Die vom Sozialgericht angeordneten Leistungen für die Monate Mai, Juni und Juli hat die BF erbracht.

Mit Schreiben vom 15.05.2009, hat der BG zu 1. sinngemäß geltend gemacht, dass die BF sich nun weigere, den einmaligen Beitragszuschlag von 512,70 EUR zu übernehmen. Er habe den Beitragszuschuss im Dezember 2008 beantragt. In einem weiteren Schreiben teilte er mit, dass die wirtschaftliche Lage sich verschlechtert habe, da seine Ehefrau im November 2008 das Kindergeld für den Sohn für sich beantragt habe und bis zu einer Entscheidung des Vormundschaftsgerichts Kindergeld bis auf weiteres nicht mehr bezahlt werde. In einem Schreiben an das Vormundschaftsgericht hat der BG zu 1. im April 2009 beantragt, ihm das Kindergeld "bis zu einer tatsächlichen Trennung" zuzusprechen. Auf Befragen hat der BG zu 1. erklärt, dass seine Ehefrau der Bezügestelle mitgeteilt habe, dass das Ehepaar seit 01.11.2008 in der gemeinsamen Wohnung getrennt lebe. Der Familienzuschlag werde deshalb von der Bezügestelle zurückgefordert. Auch er denke an Trennung und Scheidung. Die Beiträge zur Krankenversicherung und den Beitragszuschlag habe er inzwischen bezahlt. Die Bezügepfändung würde wegen der Krankenversicherungsbeiträge wahrscheinlich vermindert werden. Weil die Nebenkosten der Wohnung gestiegen seien, benötige er auch weiterhin einen Zuschuss zur Krankenversicherung.

Die BF beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14.04.2009 aufzuheben.

Die BG beantragen,
den Antrag der BF zurückzuweisen.

Die BG beantragen ferner sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14.04.2009 dahingehend abzuändern, dass die BF verpflichtet wird, auch den Beitragszuschlag in Höhe von 512,70 EUR und den Zuschuss auch für die Zeit ab 01.08.2009 vorläufig zu übernehmen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte des Sozialgerichts, die Akte des Landessozialgerichts und die Akte der BF verwiesen.

II.

Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen für die beihilfeergänzende private Krankenversicherung der BG zu 1. und 2. Es liegt eine Beschwerde der BF gegen die vorläufige Leistungsverpflichtung durch den Beschluss des Sozialgerichts vor und eine Anschlussbeschwerde der BG, die die Übernahme des Beitragszuschlags von 512,70 EUR wegen der verspäteten Erfüllung der Versicherungspflicht und einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Zeit ab 01.08.2009 begehren. Ansprüche des Sohnes sind nicht im Streit, da dessen Krankenversicherung vom Bezirk Oberbayern im Rahmen der Sozialhilfe sichergestellt ist.

1. Beschwerde der BF

Die Beschwerde der BF richtet sich gegen die vorläufige Leistungsgewährung durch den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14.04.2009.

In dem Beschluss des Sozialgerichts wurde festgestellt, dass die BF verpflichtet ist, dem BF zu 1. und der BF zu 2. nach Abschluss des Vertrages über die private Krankenversicherung vorläufig bis zum 31.07.2009 einen Zuschuss zu den Aufwendungen für diese Krankenversicherung in Höhe von 122,57 EUR beziehungsweise 142,07 EUR (zusammen 264,64 EUR) monatlich zu leisten. Dem Tenor und der Begründung des Beschlusses (vgl. die dortige Berechnung auf Seite 5 oben) ist zu entnehmen, dass die BF verpflichtet wurde, die laufenden Beiträge zur ergänzenden Krankenversicherung zu übernehmen. Eine Verpflichtung, den Beitragszuschlag wegen der verspäteten Erfüllung der Versicherungspflicht zu übernehmen, enthält der Beschluss nicht. Die BF hat den Beschluss in der vorgenannten Weise ausgelegt und nur für Mai, Juni und Juli die im Beschluss des Sozialgerichts genannten Beträge an den BG zu 1. überwiesen.

Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht erhoben (§ 173 SGG). Der Beschwerdewert von mehr als 750,- EUR nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGG wurde erreicht, da nach der obigen Auslegung des Beschlusses vom 14.04.2009 drei Monatsbeträge von je 264,64 EUR strittig waren, mithin 793,92 EUR.

Die Beschwerde der BF ist als unzulässig zu verwerfen, weil sich das Rechtsschutzinteresse durch die vollständige Erbringung der vom Sozialgericht verfügten Leistung erledigt hat.

In der Regel sind Beschwer und Rechtsschutzinteresse in der Rechtsmittelinstanz
deckungsgleich (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, RdNr. 5 vor § 143). Die bei Einlegung der Beschwerde zunächst vorliegende Beschwer der BF darf nicht später weggefallen sein oder prozessual überholt worden sein (vgl. Leitherer a.a.O., RdNrn. 7 und 10 vor § 143, § 176 Rn. 3).

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat den Zweck, eine vorläufige Regelung für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung zu schaffen. Die Eilentscheidung schafft nur eine prozessuale Zwischenregelung - es ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten zu klären, ob bei einer Regelungsanordnung das materielle Recht tatsächlich besteht oder nicht (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage 2008, RdNr. 344 und 347). Wenn die Leistungsverpflichtung aus dem Beschluss des Sozialgerichts wie hier vollständig erfüllt wurde, entfällt das Rechtsschutzinteresse und die Beschwerde wird unzulässig. Für eine sachliche Überprüfung der Entscheidung des Sozialgerichts ist dann im Eilverfahren kein Raum mehr (wie hier LSG Hamburg , 29.05.2007, L 5 B 591/06 ER, NZS 2008, 168). Teilweise wird vertreten, dass die Beschwerdemöglichkeit auch der rechtstreu vorläufig leistenden Behörde offen bleiben muss (so LSG Berlin-Brandenburg, 25.09.2007, L 32 B 1565/07 AS ER, die dortige Beschwerde wurde dann aber in der Sache abgelehnt). Dies überzeugt nicht, weil die Behörde im Eilverfahren einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG stellen kann und im Übrigen auf das Hauptsacheverfahren verwiesen wird.

Wenn im Hauptsacheverfahren festgestellt werden sollte, dass der Leistungsanspruch tatsächlich nicht bestand, muss der Leistungsempfänger die Leistung zurückzahlen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86b RdNr. 49, 22). Die BG können also nicht darauf vertrauen, dass sie die Leistung aus dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf Dauer behalten dürfen. Der einstweilige Rechtsschutz bewirkt nur eine vorläufige Regelung.

2. Anschlussbeschwerde der BG

Die BG begehren die Übernahme des Beitragszuschlags von 512,70 EUR wegen der verspäteten Erfüllung der Versicherungspflicht, der gemäß § 193 Abs. 4 VVG vom Versicherungsunternehmen gefordert wurde. Daneben wird die vorläufige Gewährung eines Zuschusses zu den Aufwendungen der Krankenversicherung für die Zeit ab 01.08.2009 begehrt.

Die Anschlussbeschwerde ist unbegründet. Da die BG eine Erweiterung ihrer Rechtsposition anstreben, ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist) voraus.

Hinsichtlich des Beitragszuschlags ist ein Anordnungsgrund nicht erkennbar. Der BG zu 1. hat mitgeteilt, dass er auch den Beitragszuschuss bereits bezahlt hat, obwohl er hierfür keine vorläufigen Leistungen erhalten hatte. Dies kann daran liegen, dass der BG zu 1. im Dezember 2008 als Bundesbeamter eine Jahressonderzuwendung in Höhe von 2,5 % seiner Jahresbezüge (Bundessonderzahlungsgesetz) und infolge der Umstellung auf eine laufende Auszahlung mit den Monatsbezügen Ende Juni 2009 eine halbe Jahressonderzuwendung erhielt. Der BG zu 1. hat die einschlägigen Bezügemitteilungen im Gegensatz zu laufenden Nebenkostenabrechnungen für die Wohnung nicht vorgelegt.

Hinsichtlich der Gewährung eines Zuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit ab 01.08.2009 kann das Gericht einen Anordnungsanspruch nicht bejahen. Die tatsächlichen Krankenversicherungsbeiträge liegen mit 85,45 EUR pro Monat und Person wegen der Beitragshalbierung nach § 12 Abs. 1c S. 4 VAG weit unter dem Betrag, der zunächst mitgeteilt wurde und von dem auch das Sozialgericht ausgegangen ist. Außerdem ist die vorgenannte Bezügeerhöhung anzurechnen. Wenn die Bezügepfändung, wie vom BG zu 1. angekündigt, entsprechend den Krankenversicherungsbeiträgen vermindert wird, löst sich das Finanzierungsproblem ohnehin. Im Übrigen spricht alles dafür, dass das Ehepaar seit November 2008 dauernd getrennt lebt und eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II nicht mehr besteht. In der Folge ist auch § 38 SGB II nicht anwendbar. Dies wird die BF bei der Prüfung des materiellen Anspruchs im Hauptsacheverfahren zu beachten haben. Dabei können Kindergeld und Leistungen des Bezirks Oberbayern für den Sohn nur angerechnet werden, wenn diese Zahlungen tatsächlich geleistet wurden bzw. werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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