L 1 R 169/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RA 347/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 169/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
AAÜG, fiktive Einbeziehung
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Februar 2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob zugunsten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und der dabei erzielten Entgelte festzustellen sind.

Dem 19xx geborenen Kläger wurde mit Urkunde der Technischen Hochschule M. vom 19xx der akademische Grad "Diplom-Ingenieur" verliehen. Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis (SVA) war der Kläger ab 19xx zunächst als Versuchsingenieur im VEB Schwermaschinenbau M. (SKL), Kombinat für Dieselmotoren und Industrieanlagen, beschäftigt. Ab Mitte J. 19xx war er bei der T GmbH tätig. Kurzzeitig vom April 19xx bis zum August 19xx war er wiederum im VEB SKL beschäftigt. Ab Januar 19xx kehrte er als Verkaufsingenieur zum VEB SKL zurück, wo er auch noch am 30. Juni 1990 zuletzt als Abteilungsleiter Werbung und Messen tätig war. Eine Zusatzversorgungszusage erhielt der Kläger nicht.

Am 30. Januar 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Mit Bescheid vom 13. Februar 2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Versorgungsanwartschaft sei nicht entstanden. Weder habe eine positive Versorgungszusage vorgelegen, noch sei am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt worden, die – aus bundesrechtlicher Sicht – dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen sei. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 18. Februar 2003 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 zurückwies. Darin führte sie u. a. aus, dass der Kläger zwar berechtigt gewesen sei, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Er sei jedoch nicht als Ingenieur, sondern als Abteilungsleiter Werbung und Messen beschäftigt gewesen. Dabei habe es sich nicht um eine ingenieurtechnische Beschäftigung i. S. der Versorgungsordnung gehandelt.

Am 19. Juni 2003 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Magdeburg erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass seine Aufgabe u. a. darin bestanden habe, nationale und internationale Messebeteiligungen vorzubereiten und durchzuführen, technische Dokumentationen der ausgestellten Produkte bereitzustellen und in Fachjournalen über die Produkte zu berichten. Die Tätigkeit sei im Wesentlichen technisch bestimmt gewesen und sei ohne Ingenieurtätigkeiten nicht zu bewältigen gewesen. Seiner Begründung hat der Kläger ein Schreiben seines ehemaligen Vorgesetzten R. K. vom 5. August 2003 beigefügt, der bestätigte, das eine wesentliche Voraussetzung für die Tätigkeit als Leiter der Abteilung Werbung und Messen eine ingenieurtechnische Qualifikation gewesen sei. Weiter hat der Kläger vorgetragen, dass die Werbung für die Produkte immer auch technologisch habe dargestellt werden müssen. So seien auch Entscheidungen zu treffen gewesen, welche technischen Details in den Prospekten hervorzuheben und welche technischen Neuentwicklungen darzustellen seien. Seine Anwesenheit auf den Messen sei schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Kunden ohne technische Betreuung und Beratung nicht bereit gewesen wären, Verträge abzuschließen. Für die Verkaufsdokumente habe man Schnittbilder anfertigen, Referenzfotos erstellen sowie Messeexponate vorbereiten müssen.

Die Beklagte hat ihre Argumentation vertieft und ausgeführt, dass der Kläger zwar die Tätigkeit als Abteilungsleiter Werbung und Messen aufgrund seiner beruflichen Qualifikation habe ausüben können. Es habe sich jedoch nicht um eine ingenieurtechnische Tätigkeit gehandelt, die unmittelbaren Einfluss auf die Produktionsvorgänge gehabt habe. Damit habe es sich nicht um eine solche herausgehobene Tätigkeit gehandelt, die von der Versorgungsordnung der technischen Intelligenz erfasst gewesen sei.

Mit Urteil vom 23. Februar 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, der Kläger habe als Abteilungsleiter Werbung und Messen keine ingenieurtechnische Tätigkeit i. S. der Versorgungsordnung ausgeübt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien nur Ingenieure einzubeziehen, die die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Ingenieurs bei der Arbeit benötigt hätten, nicht berufsfremd eingesetzt und aktiv in den Produktionsprozess oder Forschungsprozess eingegliedert gewesen seien. Der Kläger sei jedoch überwiegend organisatorisch tätig und für das Produktmarketing verantwortlich gewesen. Das Urteil ist dem Kläger am 20. März 2006 zugestellt worden.

Am 18. April 2006 hat der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er hat im Wesentlichen auf seinen Vortrag vor dem Sozialgericht verwiesen und nochmals bekräftigt, dass seine Tätigkeit als Abteilungsleiter Werbung und Messen technisch bestimmt und ohne Ingenieurkenntnisse nicht zu bewältigen gewesen sei. Eine ökonomische Tätigkeit habe er, entgegen der Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts, nicht ausgeführt. Er hat dazu eine weitere schriftliche Erklärung seines ehemaligen Vorgesetzten R. K. vom 12. September 2006 vorgelegt. Zum später erfolgten Vortrag der Beklagten, bei seinem Beschäftigungsbetrieb habe es sich im Juni 1990 nur noch um eine "leere Hülle" gehandelt, hat er u. a. ausgeführt, die Beklagte mutmaße nur, dass die Nachfolgegesellschaft bereits die Produktionsaufgaben und die wirtschaftliche Tätigkeit wahrgenommen habe, ohne dies wirklich belegen zu können. Die Eintragung der Nachfolgegesellschaft sei erst am 27. Juli 1990 erfolgt. Da noch am 16. Mai 1990 eine Eintragung hinsichtlich der Unterstellung des VEB SKL unter ein anderes Ministerium im Register der volkseigenen Wirtschaft erfolgt sei, sei es nicht nachvollziehbar, dass es sich bei dem Betrieb bereits ab 1. Mai 1990 lediglich nur noch um ein Rechtssubjekt ohne eigene Wirtschaftstätigkeit gehandelt habe. Auch aus der Satzung der Nachfolgegesellschaft ergebe sich, dass das erste Geschäftsjahr erst mit der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister beginnen sollte. Auch seien keine Unterlagen bekannt, aus denen auf eine Geschäftstätigkeit der Nachfolgegesellschaft vor der Eintragung geschlossen werden könne. Es existierten jedoch Unterlagen, die auf eine Geschäftstätigkeit des VEB SKL auch noch nach dem 1. Mai 1990 schließen ließen. Dazu gehörten z. B. Berichte in der Betriebszeitung "Motor" vom Juni 1990 über die Planerfüllung in den Monaten Mai und Juni 1990. Eine Warenproduktion der Vorgesellschaft der Nachfolgekapitalgesellschaft sei hingegen nicht belegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Februar 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeit des Klägers vom 23. September 1971 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie seine in dieser Zeit erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und hat auf ihre Ausführungen im sozialgerichtlichen Verfahren verwiesen. Nachdem sie auf Anfrage des Gerichts zunächst erklärt hat, dass der VEB Schwermaschinenbau M. die betrieblichen Voraussetzungen für die Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz erfülle, ist sie dann davon ausgegangen, dass es sich bei dem Betrieb am 30. Juni 1990 nur noch um eine "leere Hülle" gehandelt habe. Durch die Gründung der Nachfolgekapitalgesellschaft seien die Betriebsmittel (Fonds) auf diese übergegangen. Der VEB habe ab diesem Zeitpunkt nur noch als Rechtssubjekt bestanden, der aber keine Produktionsaufgaben mehr erfüllt habe. Er sei vielmehr vermögenslos gewesen. Die Produktionsaufgaben und die wirtschaftliche Tätigkeit seien bereits von der Vorgesellschaft wahrgenommen worden.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2003 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.

Der Kläger hat gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) keinen Anspruch auf die beantragte Feststellung von Zugehörigkeitszeiten. Er unterfällt nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der AVItech (Zusatzvorsorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehörte.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, S. 11).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Der Senat folgt nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann.

Der Senat ist zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 12). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das BSG wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle durch Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) veranlassen müssen. Denn die vom BSG vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben.

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den Einigungsvertrag Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des Einigungsvertrages zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113), jedoch ist aus der weiteren Gesetzesbegründung ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a. a. O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem Einigungsvertrag vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a. a. O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch, soweit erkennbar, nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des Einigungsvertrages umfasst ist.

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 12).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z. B. BVerfG, Beschl. v. 26.10.2005 – 1 BvR 1921/04 u. a., dokumentiert in Juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschl. v. 13.03.2007 – 1 BvF 1/05, dokumentiert in Juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (BVerfG, Beschl. v. 26.10.2005, a. a. O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das Bundesverfassungsgericht genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil er nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann. Der Senat geht außerdem davon aus, dass der Kläger unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung einen Anspruch auf Anerkennung von Zusatzversorgungszeiten hätte, da er die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt und das BSG noch keine Entscheidung zur Problematik der Umwandlung der VEB in Kapitalgesellschaften (Rechtsfigur der "leeren Hülle") getroffen hat. Damit ist die Abweichung von der Rechtsprechung des BSG auch erheblich.
Rechtskraft
Aus
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