L 9 R 1788/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 340/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1788/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 17. März 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin über den 31. März 2007 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht.

Die 1954 geborene Klägerin kam im Juni 1993 aus dem heutigen Kosovo in die Bundesrepublik Deutschland. Sie war ab September 1999 zunächst bei den Oberschwäbischen Werkstätten als Packerin und ab November 2000 bei der Firma K. als Lagerarbeiterin beschäftigt.

Am 23. August 2001 erlitt sie bei einem Arbeitsunfall eine distale Oberschenkelfraktur links, welche osteosynthetisch versorgt wurde. Der am 2. August 2002 gestellte Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung blieb zunächst erfolglos (Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2003 und Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2004 sowie Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz (SG) vom 4. Mai 2005). Im Berufungsverfahren L 9 R 2322/05 erstattete der Arzt für Orthopädie Dr. K. im Auftrag des Senats das Gutachten vom 29. Mai 2006, in welchem er die Diagnosen Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks, Muskelminderung am linken Bein, chronifiziertes Schmerzsyndrom als Folgen des Arbeitsunfalls und eine Osteopenie mit zervikalem und dorsalem Wirbelsäulensyndrom stellte und zu dem Ergebnis gelangte, die Klägerin könne zwar noch leichte körperliche Arbeiten vollschichtig (8 Stunden täglich) verrichten, sie sei aber wegen einer Minderbelastbarkeit des linken Beines derzeit nicht in der Lage, eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten viermal täglich zurückzulegen. Auch könnten öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzt werden. Es sei der Erfolg einer im April 2006 durchgeführten schmerztherapeutischen Behandlung abzuwarten.

Die Beklagte anerkannte daraufhin, ausgehend von einem Leistungsfall am 23. August 2001 einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. April 2003 bis zum 31. März 2007.

Auf den Weitergewährungsantrag der Klägerin vom 12. März 2007 holte die Beklagte bei Dr. K. das Gutachten vom 30. Mai 2007 ein. Er diagnostizierte eine Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks nach Oberschenkelfraktur, ein chronifiziertes Schmerzsyndrom bei Osteoporose und ein lokales zervikales, thorakales und lumbales Wirbelsäulensyndrom und führte aus, aus orthopädischer Sicht seien leichte körperliche Arbeiten vollschichtig zumutbar. Wegen des chronischen Schmerzsyndroms rege er eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung an.

Der Neurologe und Psychiater Dr. G. führte im Gutachten vom 22. Oktober 2007 aus, es habe sich kein Hinweis auf das Vorliegen einer relevanten psychiatrischen Erkrankung finden lassen. Es bestünden eine histrionische Persönlichkeitsstörung und auf neurologischem Fachgebiet der Verdacht auf Migräne, woraus sich aber kein Anspruch auf Berentung ableiten lasse. Leichte körperliche Tätigkeiten im Bewegungswechsel ohne Zwangshaltungen seien der Klägerin 6 Stunden und mehr täglich zumutbar.

Mit Bescheid vom 8. November 2007 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag ab. Den Widerspruch der Klägerin vom 13. Dezember 2007 wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 2008 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 6. Februar 2008 Klage zum SG und machte geltend, sie sei wegen einer zunehmenden Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit weiterhin nicht wegefähig. Auch sei die von Dr. R. im Befundbericht vom 2. April 2007 festgestellte subdepressive Stimmungslage nicht gewürdigt worden.

Das SG befragte die Ärztin für Innere Medizin Dr. R. als sachverständige Zeugin (Auskunft vom 2. September 2008) und holte das fachorthopädische Gutachten von Dr. H. vom 11. Dezember 2008 ein.

Dr. R. teilte mit, bei der Klägerin bestünden im Wesentlichen ein chronifiziertes Schmerzsyndrom bei Zustand nach Oberschenkelfraktur links und eine somatisierte Depression. Nennenswerte internistische Erkrankungen lägen nicht vor. Das maßgebliche Leiden liege vorwiegend im orthopädischen Bereich. Inwieweit eine somatisierte Depression durch einen Psychiater behandelt werden sollte, bleibe abzuwarten. Die Klägerin negiere das Vorliegen einer Depression, eine Vorstellung bei einem Facharzt sei bisher nicht erfolgt. Nach ihrer Beurteilung könne eine leichte oder sitzende Tätigkeit vollschichtig verrichtet werden. Die Klägerin laufe auf ebener Strecke mit Gehstock leicht hinkend, es bestünden keine neurologischen Ausfälle.

Dr. H. stellte bei der Klägerin chronische schmerzhafte Funktionsstörungen des linken Kniegelenks und des linken Beines nach solider knöchener Ausheilung eines wenig verschobenen Oberschenkelbruchs links mit anhaltenden deutlichen Bewegungseinschränkungen im linken Knie und einen teils knöchern fixierten Hohlrundrücken mit zahlreichen Blockierungen im Bereich der Brustwirbelsäule und lokalen Beschwerden ohne neurologische Begleiterscheinungen fest. Auch wenn er sich den genauen Mechanismus nicht richtig erklären könne, gehe er dennoch davon aus, dass die Klägerin tatsächlich eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks nach Ausheilung einer knienahen Oberschenkelfraktur habe. Ihr seien nur noch leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen aber mit der Möglichkeit zwischendurch zu stehen oder zu gehen zumutbar. Zwangshaltungen der Wirbelsäule etwa durch Arbeiten unter Akkord- und Fließbandbedingungen sollten vermieden werden. Unter diesen Bedingungen erschienen leichte Montagearbeiten vollschichtig zumutbar. Er habe keinen Zweifel daran, dass die Klägerin in der Lage sei, viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, wobei sich diese Angaben auf einigermaßen ebene Wegstrecken mit rutschfestem Untergrund bezögen. Auf sehr hügeligem Gelände oder sehr glattem Untergrund sei das Gehen deutlich stärker eingeschränkt. Die Beurteilung von Dr. K. vom Mai 2006 könne er angesichts der funktionellen Anamnese (die Klägerin könne mit einer Unterarmgehstütze rechts etwa eine halbe Stunde lang in gemächlichem Tempo gehen) nicht teilen.

Mit Gerichtsbescheid vom 17. März 2009 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente, weil sie nicht voll und auch nicht teilweise erwerbsgemindert sei. Ein vollschichtiges Leistungsvermögen ergebe sich aus den vorliegenden Gutachten und der Beurteilung der behandelnden Ärztin. Es bestehe auch kein Rentenanspruch, weil die Klägerin einen Arbeitsplatz nicht erreichen könne. Es komme für die Wegefähigkeit nicht auf den konkreten Arbeitsweg, sondern darauf an, welche Wege üblich seien. Sehr hügelige Wege oder ein sehr glatter Untergrund seien jedoch im Regelfall nicht zu erwarten.

Gegen den am 20. März 2009 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 17. April 2009 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangen ist. Sie beruft sich in der am 16. Oktober 2009 vorgelegten Berufungsbegründung auf das Urteil des SG Konstanz im Verfahren S 8 U 2827/07 vom 22. Juli 2009, wonach die Entziehung der Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. August 2001 vom SG nicht zugelassen worden sei. Auch leide sie an einer Konversionsneurose und reaktiven Depressionen. Auch habe sich eine Schmerzstörung entwickelt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 17. März 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 8. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 31. März 2007 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtbescheid für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des SG und die Senatsakten L 9 R 2322/05 und L 9 R 1788/09.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, sie ist jedoch sachlich nicht begründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. März 2007 hinaus hat.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung - §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - benannt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung über den 31. März 2007 nicht besteht, weil die Klägerin nicht nur sechs Stunden täglich leistungsfähig, sondern auch wieder in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu erreichen. Das SG hat unter Hinweis auf das grundlegende Urteil des Bundessozialgerichts zur erforderlichen Wegefähigkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10) auch dargelegt, dass besondere Schwierigkeiten der persönlichen Wohnsituation nicht zu dem versicherten Risiko der Erwerbsminderung gehörten. Vielmehr sei das Risiko nach allgemeinen, für alle gleichermaßen geltenden Kriterien abzugrenzen, die sich daran orientierten, welche Leistungsfähigkeit im Regelfall gegeben sein müsse, um Arbeitsmöglichkeiten wahrzunehmen. Zum Regelfall gehörten die Zurücklegung von Wegen in sehr hügeligem Gelände oder auf sehr glattem Untergrund nicht. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück.

Neue Gesichtspunkte haben sich im Berufungsverfahren nicht ergeben. Der Senat entnimmt auch dem von der Klägerin vorgelegten Urteil des SG im Verfahren S 8 U 2827/07 vom 22. Juli 2009, dass die von der behandelnden Internistin Dr. R. angenommene reaktive Depression und Schmerzstörung wegen der komplizierten Oberschenkelfraktur links bisher keiner nervenärztlichen Behandlung zugeführt wurde. Dies ergibt sich auch aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. R. vom 2. September 2008 im erstinstanzlichen Verfahren. Weitere Ermittlungen hierzu sind daher nicht veranlasst, zumal auch Dr. R. eine leichte sitzende Tätigkeit vollschichtig für zumutbar erachtet hat und das maßgebliche Leiden im orthopädischen Bereich sieht.

Die dem Urteil vom 22. Juli 2009 zu entnehmenden Feststellungen zu den Unfallfolgen auf der Grundlage des vom SG in diesem Verfahren eingeholten orthopädischen Gutachtens von Dr. B. vom 6. Dezember 2008 weichen nicht von den Feststellungen von Dr. H. ab. Während Dr. B. die in ihrem Ausmaß wechselnden Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk auch als Ausdruck einer Konversionsneurose sieht, führt Dr. H. aus, er gehe, obwohl er den genauen Mechanismus nicht erklären könne, dennoch von einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks aus. In beiden Feststellungen wird somit eine psychische Komponente der Bewegungseinschränkung angesprochen und bewertet. Während die Klägerin bei Dr. H. am 31.Oktober 2008 nur ein Bewegungsausmaß im linken Kniegelenk von 70/0/0 erreichte, maß Dr. B. im Gutachten vom 6. Dezember 2008 eine Beweglichkeit von 90/0/0. Auch hier sind weitere Ermittlungen nicht veranlasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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