L 6 V 2940/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 V 8610/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 2940/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1928 geborene Kläger begehrt eine einmalige Entschädigung beziehungsweise Beschädigtenrente im Rahmen eines Zugunstenverfahrens.

Der Kläger beantragte am 17.03.1986 Beschädigtenrente. Er führte aus, am 03.09.1939 sei er evakuiert und in einem Zug im Bahnhof S. infolge eines deutschen Flieger-Bombardements verwundet worden. Infolgedessen habe sein linker Unterschenkel amputiert werden müssen und sei seine rechte Hand dauerhaft beeinträchtigt. Aktenkundig wurden die Zeugenaussagen der H. B. und des J. G. vom 16.01.1946, der Bescheid der Ärztlichen Bezirkskommission in L. vom 22.03.1947 über einen Verdienstfähigkeitsverlust des Klägers von 80 % sowie die ärztlichen Unterlagen des Prof. Dr. S. vom 06.12.1977, des Dr. N. vom 13.05.1978, des Krankenhauses in O. vom 30.05.1986 und des Krankenhauses in L. vom 30.05.1986 sowie die Zeugenaussagen von K. K. vom 05.05.1986 und L. P.-J. vom 06.05.1986.

Auf Anfrage des VA teilte der Kläger unter Vorlage seiner Kennkarte mit, er sei polnischer Volkszugehöriger. Auch seine Eltern seien P. gewesen und hätten sich nicht in die deutsche Volksliste eingetragen. Ferner habe er bislang keine Rente oder Entschädigung von deutschen Behörden erhalten. Mit Bescheid vom 01.12.1987 lehnte das VA den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Gewährung einer Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sei für Ausländer nur möglich, wenn die Schädigung in D. durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten sei. Da der Kläger polnischer Staatsangehöriger sei und die geltend gemachte Schädigung außerhalb des Gebietes D. erlitten habe, gehöre er nicht zu dem Personenkreis, auf den das BVG Anwendung finde.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Ergänzend führte er aus, wegen der polnischen Gesetze sei seine Kriegsbeschädigung nicht berücksichtigt worden. Da der Krieg von D. ausgegangen sei, sollte er auch von D. entschädigt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.1988 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Versorgung von ausländischen Kriegsopfern, die in ihrem Heimatstaat zu Schaden gekommen seien, sei durch das BVG nicht vorgesehen.

Am 10.03.2008 beantragte der Kläger eine Überprüfung. Er legte das ärztliche Attest des Arztes A. vom 07.01.2005 vor. Das zuständig gewordene LRA lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 18.06.2008 ab. Der Kläger habe keine neuen Gesichtspunkte oder rechtserhebliche Tatsachen vorgebracht, die nicht schon bei Erteilung des inzwischen rechtsverbindlich gewordenen Ablehnungsbescheides bekannt gewesen seien.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er nahm auf Artikel 25 der Haager Landkriegsordnung von 1907, wonach unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnungen oder Gebäude nicht angegriffen werden dürfen, Bezug und legte die Kopie eines Fotos des Sammelgrabes der bei dem Luftangriff am 03.09.1939 Verstorbenen vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 18.12.2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Er legte die ärztliche Bescheinigung des Krankenhauses S. Z. vom 13.12.2000 vor.

Mit Urteil vom 19.03.2009 wies das SG die Klage ab. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die vom Kläger beantragte Bescheidrücknahme seien unter Gesichtspunkten des direkten nationalen Leistungsrechts insgesamt nicht erfüllt. Nichts anderes ergebe sich aus Artikel 25 der Haager Landkriegsordnung. Denn die Einzelvorschriften dieses Abkommens als Teil des speziellen Völkerrechts, die zwar die einzelnen Staaten bänden, seien keine geeignete Rechtsgrundlage für Individualansprüche einzelner Staatsbürger beziehungsweise staatenloser Personen. Das vom Kläger geltend gemachte Versorgungsbegehren stelle einen derartigen Individualanspruch dar, weshalb er auch unter diesem Gesichtspunkt mangels rechtlich tragfähiger Anspruchsgrundlage nicht durchdringen könne.

Gegen das ihm am 20.04.2009 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 29.06.2009 Berufung eingelegt. Zwar sei er mit den Ausführungen des SG, dass das deutsche Recht für Ausländer keine Möglichkeit vorsehe, eine Invalidenrente zu gewähren "einigermaßen einverstanden". Darauf beriefen sich alle Institutionen, an die er sich gewandt habe. Auch sei es richtig, dass das Ereignis noch während des Bestehens P. stattgefunden habe und S. durch deutsche Truppen noch nicht besetzt gewesen sei. Aber der Angriff auf die wehrlosen Menschen sei doch durch deutsche Flugzeuge erfolgt. Er beantrage daher eine Entschädigung in Höhe von 400.000 Euro für die erlittene langjährige Invalidität, die durch die Handlung des deutschen Staates entstanden sei. Damit würde er seine weiteren Bemühungen um eine Entschädigung aufgeben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Entschädigung in Höhe von 4000.000 Euro zu gewähren, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2009 und den Bescheid vom 18.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 01.12.1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1988 zurückzunehmen und ihm Beschädigtenrente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Sachverhalt sei zutreffend gewürdigt worden. Sachargumente, die eine abweichende Beurteilung begründen könnten, seien nicht vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine einmalige Entschädigung in Höhe von 4000.000 Euro.

Zum einen ist dieses erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachte Begehren unzulässig, da hierüber keine rechtsbehelfsfähige Entscheidung des Beklagten vorliegt. Denn mit dem angegriffenen Bescheid vom 18.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2008 hat der Beklagte nur eine Rücknahme des Bescheides vom 01.12.1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1988 sowie Beschädigtenrente, nicht aber eine einmalige Entschädigung abgelehnt. Eine durch den Senat überprüfbare Entscheidung des Beklagten über die Ablehnung einer einmaligen Entschädigung liegt somit nicht vor. Zum anderen könnte der Kläger mit diesem Begehren auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht durchdringen. Denn das BVG sieht keine einmaligen Leistungen vor.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 01.12.1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1988 und daher auch nicht auf Beschädigtenrente.

Verfahrensrechtlich richtet sich das Begehren des Klägers auf Überprüfung des Bescheides vom 01.12.1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1988 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Materiellrechtlich richtet sich das Begehren des Klägers auf Beschädigtenrente nach §§ 1, 7 und 31 BVG.

Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung (§ 1 Abs. 1 BVG). Einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG stehen unter anderem Schädigungen gleich, die durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung herbeigeführt worden sind (§ 1 Abs. 2 Buchst. a BVG).

Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ab 25 (§ 31 Abs. 1 BVG).

Das BVG wird angewendet auf Deutsche und deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 BVG), Deutsche und deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in den zum Staatsgebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 gehörenden Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie oder im Ausland haben (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 BVG) oder andere Kriegsopfer, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BVG haben, wenn die Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichem Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht oder in D. oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG).

Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BVG, da er nicht Deutscher oder deutscher Volkszugehöriger war oder ist. Er erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG, da er weder seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in D. hatte oder hat und er im Übrigen die Bombensplitterverletzung weder im Rahmen eines Dienstes für die deutsche Wehrmacht oder eines militärähnlichen Dienstes für eine deutsche Organisation noch auf einem von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet erlitten hat. Der Kläger ist mithin nicht vom persönlichen Geltungsbereich des BVG erfasst und hat daher keinen Anspruch auf Beschädigtenrente nach §§ 1 und 31 BVG.

Zutreffend hat das SG auch darauf hingewiesen, dass der Kläger aus Artikel 25 der Haager Landkriegsordnung keine Rechte für sich herleiten kann. Insoweit verweist der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG.

Der Bescheid vom 01.12.1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1988 war daher rechtmäßig und daher nicht zurückzunehmen.

Zwar verkennt das Gericht nicht, dass der Kläger durch den von deutschem Boden ausgegangenen Krieg schwierige Lebensumstände hat bewältigen müssen. In Ausfluss des sich aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) ergebenden verfassungsrechtlichen Grundsatzes, dass die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist, darf das Gericht gemäß § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) Rechte aber nur begründen, soweit es ein Gesetz vorschreibt oder zulässt. Es ist dem Gericht daher verwehrt, dem Kläger eine einmalige Entschädigung oder Beschädigtenrente zuzusprechen.

Mithin hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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