L 9 U 1167/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 1823/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1167/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. November 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2006 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Unfall des Klägers vom 12. Oktober 2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat und dass die Beigeladene Nr. 2 der zuständige Unfallversicherungsträger ist.

Im übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beigeladenen Nr. 2 zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene Nr. 2 haben die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen je zur Hälfte zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung seines Unfalls vom 12.10.2005 als Arbeitsunfall.

Der geborene Kläger, von Beruf selbstständiger Versicherungskaufmann, half am Mittwoch, den 12.10.2005, seinem Schwager Markus Hellstern (H.), von Beruf Zerspanungsmechaniker, beim Abdecken alter Eternit-Dachplatten. Hierbei rutschte der Kläger von einer Diele ab auf eine Dachplatte, die durchbrach, und fiel auf Grund dessen auf den Fruchtboden (Dachboden). Hierbei zog er sich eine komplette Beckenringfraktur links zu.

H., der Mitglied bei der Beklagten war, meldete dieser den Unfall am 27.10.2005, wobei er am 7.12.2005 angab, er habe seinen landwirtschaftlichen Betrieb seit 2002 verpachtet; es werde nur noch der Forst bewirtschaftet (2,37 Hektar Wald, 0,27 Hektar Grünland, 0,30 Hektar Hoffläche). Der Kläger gab unter dem 10.11.2005 gegenüber der Beklagten an, der Unfall sei nach ca. 90 Minuten beim Abdecken alter Eternit-Dachplatten eingetreten. Ohne den Unfall hätte er noch die alten Dachplatten durch neue ersetzt. Die Tätigkeit hätte insgesamt ca. 180 Minuten gedauert. Eine frühere Mithilfe im Unfallbetrieb sei nicht erfolgt. Es sei eine Entlohnung von 7,- EUR vereinbart oder gezahlt worden.

Mit Bescheid vom 30.12.2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 12.10.2005 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, der Unfall habe sich bei einer Tätigkeit für den Haushalt seines Schwagers ereignet. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten stünden nur dann unter Versicherungsschutz, wenn der Haushalt dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich diene. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da sein Schwager lediglich noch 0,27 Hektar Grünland und 2,70 Hektar Forst bewirtschafte, was dem Haushalt kein landwirtschaftliches Gepräge gebe und ihn auch nicht wesentlich beeinflusse.

Hiergegen legte der Kläger am 4.1.2006 Widerspruch ein und machte geltend, der Unfall habe sich im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung eines land- bzw. forstwirtschaftlichen Betriebes ereignet. Es habe sich dabei um das Dach eines Aussiedlerhofes gehandelt, bei dem sich Scheunenteil und Stallungen sowie das Wohnhaus unter einem Dach (32 m lang) befänden. Im Scheunenteil würden Heu und Maschinen gelagert. Der Wald befinde sich in einer Entfernung von 50 m. Sein Schwager zahle Beiträge an die Beklagte.

Die Beklagte veranlasste Ermittlungen durch Herrn W., der eine Ortsbesichtigung vornahm und H. sowie den Kläger im Beisein seiner Bevollmächtigten befragte. In seinem Ermittlungsbericht vom 20.2.2006 führte Herr W. aus, bei dem von H. und seiner (damals) 83-jährigen Mutter bewohnten Gebäudekomplex handele es sich um ein Wohnhaus (20 m x 9 m) und ein Wirtschaftsgebäude (16 m x 15 m mit Viehstall und Scheune). Das Wirtschaftsgebäude sei auf der Nordseite 1,5 m höher als der Wohnbereich; auf der Rückseite des Gebäudes verlaufe das Dach ineinander. Das gesamte Dach auf dem Wohnhaus sei komplett erneuert worden mit neuen Dachrinnen und Kamineinfassungen, das Dach auf dem Wirtschaftsteil nicht, hier sei noch der Hagelschaden vom 29.7.2005 zu erkennen. Im Viehstall stünden zwei Motorsägen, Benzin- und Ölkanister, neue Dachrinnen und ein Gartenschlauch. In der Scheune lägen altes Heu und Brennholz, und es stünden dort ein altes Heugebläse, ein Balkenmäher, ein Kreiselmäher, ein PKW-Anhänger sowie Heugabeln. Unter der Scheune seien ein Schlepper und landwirtschaftliche Anhänger untergestellt.

H. gab am 17.2.2006 an, auf Grund des Hagelschadens habe er von der Gebäudeversicherung 9.800 EUR erhalten. Für eine Dacherneuerung durch eine Firma hätte er rund 50.000 EUR zahlen müssen. Da er diesen Betrag nicht gehabt habe, habe er die Dacherneuerung in Eigenarbeit durchführen wollen, weswegen er am Haus ein Gerüst habe aufstellen lassen. Am Unfalltag hätten er und der Kläger um 13:00 Uhr mit der Arbeit begonnen; der Unfall sei nach ca. 45 bis 50 Minuten passiert. Ohne den Unfall hätte die Mithilfe des Klägers bis ca. 17:00 Uhr gedauert. Sie hätten die alten und teilweise beschädigten Dachplatten entfernen wollen. Es habe sich um eine einmalige Aushilfe bei der Dacherneuerung gehandelt. Die neuen Dachplatten seien am 13.10.2005 von einem Zimmergeschäft angebracht worden. Der Kläger habe seine Mithilfe angeboten; auf Grund der Verwandtschaft sei kein Lohn gezahlt worden. In den Jahren 2004 bis 2005 habe der Kläger an 7 bis 10 Tagen stundenweise im Haus- und Hofbereich, im Wald oder Garten ausgeholfen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Unfall des Klägers habe sich bei einer Tätigkeit für den unversicherten Haushalt seines Schwagers ereignet. Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestünden deshalb nicht.

Mit Schreiben vom 21.1.2006, eingegangen am 24.1.2006, zeigte H. den Unfall der Unfallkasse Baden Württemberg (Beigel. Nr. 1) an, wobei er unter dem 8.2.2006 ausführte, die reinen Baukosten hätten 10.000 EUR betragen, der Wert der Eigenleistungen 4000 EUR. Die Mithilfe des Verunglückten sei unentgeltlich erfolgt. Als mithelfende Personen nannte er einen Bekannten/Freund und einen Verwandten. Der Kläger habe 1,5 Arbeitsstunden geleistet; es seien noch 2,45 Stunden bis zur Fertigstellung geplant gewesen.

Am 1.2.2006 meldete H. den Unfall der Bau-Berufsgenossenschaft (Beigel. Nr. 2), wobei er unter dem 20.2.2006 angab, es seien Eigenbauarbeiten von insgesamt 120 Stunden geplant gewesen. Sein Schwager habe 1,5 Stunden geleistet; geplant gewesen seien 14 Stunden. In einem weiteren Vordruck vom 20.2.2006 werden 10 vom Kläger geleistete Arbeitsstunden genannt.

Am 19.5.2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen, mit der er die Anerkennung des Unfalls vom 12.10.2005 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen von der Beklagten, hilfsweise von der Beigel. Nr. 2 und höchsthilfsweise von der Beigel. Nr. 1 begehrte.

Das SG lud mit Beschluss vom 16.8.2006 die Unfallkasse Baden-Württemberg (Beigel. Nr. 1) und die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (Beigel. Nr. 2) bei.

Der Kläger trug unter dem 15.3.2007 vor, er habe am Unfalltag bis zum Unfall 90 Minuten gearbeitet; insgesamt hätte er am Unfalltag drei Stunden Zeit zur Mithilfe gehabt. Außer ihm habe B. M., ein Cousin des H., ca. 14 Tage vor dem Unfall bei der Neueindeckung des vorderen Dachbereichs geholfen. Da dieser keine Zeit mehr gehabt habe, habe H. den Zimmermann R. Bürkle mit dem Eindecken des hinteren Bereichs beauftragt. Dieser habe zur Bedingung gemacht, dass die alten Platten abgetragen sein müssten. Nach seiner Auffassung seien für die gesamten Eigenleistungen (einschließlich der Leistung von H.) 120 Stunden notwendig gewesen. R. Bürkle (Zimmermann) und Hans Hellstern (Flaschner, mit seinem Schwager nicht verwandt) hätten gewerbliche Leistungen erbracht.

In der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2007 hörte das SG den Kläger persönlich an und vernahm H. als Zeugen.

Der Kläger erklärte, die Dachsanierungsarbeiten hätten etwa zwei bis drei Wochen vor seinem Unfall begonnen. Den vorderen Teil habe sein Schwager mit seinem Cousin Bernhard Maier abgedeckt. Da dieser nur noch selten Zeit gehabt habe, habe er am 12.10.2005 beim Abdecken des rückseitigen Teils des Daches geholfen. Das bloße Abdecken der Platten des rückwärtigen Teils des Daches hätte ca. vier Stunden gedauert. Es sei nicht geplant gewesen, dass sie auch das Dach neu eindeckten. Er habe bereits am Montag vor dem Unfall den Zimmerer aufgesucht und gefragt, wann er das Dach neu eindecken könne. Dieser habe gesagt, er könne dies am Donnerstag tun, wenn das Dach vollständig abgedeckt sei. Er habe seinen Schwager auch schon früher im landwirtschaftlichen Betrieb geholfen.

H. sagte aus, sie hätten mit den Arbeiten am vorderen Teil des Daches begonnen. Zu diesem Zeitpunkt hätten ihm sein Cousin B. M. und dessen Bruder R. geholfen. Das Abdecken des vorderen Teils der Dachplatten habe er selbst gemacht; das Eindecken des vorderen Teils habe er zusammen mit den Maiers gemacht. Für das Abdecken und Neueindecken des vorderen Dachbereichs seien etwa 14 Stunden notwendig gewesen. In den angegebenen geplanten 120 Stunden Eigenbauarbeiten seien das Auf- und Abbauen des Gerüstes sowie die Entsorgung mit eingerechnet. Das Gerüst habe B. M. aufgestellt. R. M. sei montags den ganzen Tag über tätig gewesen; er schätze ca. 10 Stunden. Kurz darauf sei er nochmals den ganzen Tag, ca. 10 Stunden, da gewesen. Diese Stunden bezögen sich ausschließlich auf die Arbeiten auf dem Dach. An den Tagen, an denen R. M. geholfen habe, sei auch B. M. da gewesen. Er habe allerdings nicht so viel wie R. M. gearbeitet. Er dürfte an diesen beiden Tagen ca. 5 bis 6 Stunden gearbeitet haben. Die gerade genannten Stunden bezögen sich ausschließlich auf die Dachdeckerarbeiten. Das Gerüst hätten sie zu dritt zusammen in ca. 5 bis 6 Stunden aufgebaut. Für den Abbau dürfte nochmals die gleiche Zeit angefallen sein. Die Zeit von 5 Stunden für Gerüstaufbau und -abbau beziehe sich auf jeden einzelnen von ihnen, d. h. auf die beiden Maiers und auf ihn. Als er noch Viehhaltung betrieben habe, habe ihm sein Schwager im Schnitt 5 Stunden pro Monat geholfen. Meist sei er im Einsatz gewesen, wenn Heuernte gewesen sei. Er habe sich hin und wieder auch um die Tiere gekümmert. Auch nach Aufgabe der Tierhaltung habe ihm sein Schwager bei allen möglichen Tätigkeiten geholfen, sei es beim Streichen des Hauses oder anderen Sachen. Dies sei selbstverständlich gewesen.

Mit Urteil vom 29.11.2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe bereits zu Recht ihre Zuständigkeit für das Unfallereignis verneint. Zuständiger Unfallversicherungsträger sei die Beigel. Nr. 2, da für die geplanten Bauarbeiten mehr als die im Bauhauptgewerbe geltende tarifliche Wochenarbeitszeit tatsächlich verwandt worden sei. Auf Grund der schlüssigen Angaben des Zeugen stehe fest, dass neben dem Kläger die Verwandten des Zeugen B. und R. (R.) M. mitgeholfen hätten. R. (R.) Maier habe insgesamt 20 Stunden und B. M. habe insgesamt mindestens fünf Stunden bei dem Dacharbeiten mitgeholfen. Hinzuzurechnen sei die Arbeitszeit für den Auf- sowie Abbau des Gerüstes, womit R. und B. M. insgesamt 10 Stunden beschäftigt gewesen sein. Damit entfielen allein auf die Helfer mindestens 45 Stunden, sodass die im Bauhauptgewerbe geltende tarifliche Wochenarbeitszeit allein für die Dacharbeiten bei Weitem überschritten worden sei.

Der Unfall des Klägers sei jedoch kein Arbeitsunfall. Der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit verrichtet, da die zum Unfall führende Verrichtung nach Art und Umfang durch das verwandtschaftliche Verhältnis geprägt gewesen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestehe zwischen dem Kläger und seinem Schwager nicht nur ein Verhältnis formal familiärer Art, sondern es sei durch tatsächlich bestehende familiäre Bindungen geprägt, sodass es für den Kläger selbstverständlich gewesen sei, seinem Schwager bei den Dacharbeiten zu helfen. Dies ergebe sich sowohl aus den Einlassungen des Klägers wie auch den Bekundungen des Zeugen, wonach die regelmäßige Mitarbeit des Klägers auf dem Hof und bei anderen Gelegenheiten eine Selbstverständlichkeit gewesen sei.

Gegen das am 19.2.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7.3.2008 Berufung eingelegt und vorgetragen, bei seinem Unfall habe es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt. Es habe nicht lediglich nur eine Gefälligkeit vorgelegen, da die Hilfeleistung nicht von den familiären Bindungen zwischen Angehörigen geprägt gewesen sei; er sei vielmehr wie ein Beschäftigter tätig geworden. Der Schwager sei der Bruder seiner Ehefrau. Die verwandtschaftlichen Kontakte seien keineswegs eng. Er habe seinem Schwager, einem eher zurückgezogen lebenden Eigenbrödler, der nicht in der Lage gewesen sei, sich darum zu kümmern, dass das Dach vor dem Herbst wieder geschlossen sei, geholfen. Er habe die Initiative ergriffen und seinem Schwager einen Flaschner sowie einen Zimmermann besorgt. Er habe seinen Schwager hin und wieder bei konkreten Tätigkeiten geholfen, zuletzt zum Jahreswechsel 2004/2005, um eine Anpflanzung im Wald auszuholzen. Dafür habe er zwar kein Geld erhalten; seinem Sohn, der noch studiere, sei jedoch Geld zugesteckt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. November 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2006 aufzuheben und festzustellen, dass es sich beim Unfall vom 12. Oktober 2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat und dass die Beklagte, hilfsweise die Beigel. Nr. 2 und höchst hilfsweise die Beigel. Nr. 1 der zuständige Versicherungsträger ist.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen Nr. 1 und 2 beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigel. Nr. 2, die am 14.4.2008 Anschlussberufung eingelegt hat, trägt vor, ihre Zuständigkeit sei nicht gegeben, da für das Bauvorhaben nicht mehr als die im Bauhauptgewerbe geltende tarifliche Wochenarbeitszeit von 39 Stunden verwendet worden sei. In dem ihr am 20.2.2006 übersandten Fragebogen zur Unfallsache habe der Bauherr H. angegeben, der zeitliche Umfang der Bauarbeiten habe 120 Stunden betragen. In einem weiteren am 20.2.2006 übersandten Fragebogen sei auf die Frage, wie viele Mitarbeiter insgesamt bei der Durchführung der Eigenbauarbeiten eingesetzt gewesen seien, angegeben worden, dass als Helfer lediglich eine Person, nämlich der Kläger, tätig gewesen sei. Als Zahl der geleisteten Arbeitsstunden des Klägers seien 10 angegeben worden. In einem Telefonat am 27.9.2006 habe der Bauherr einer Mitarbeiterin gegenüber bestätigt, dass der Kläger lediglich 10 Stunden tätig gewesen sei. In den im Unfallfragebogen angegebenen 120 Stunden seien seine eigenen Arbeitsstunden enthalten gewesen. Ausdrücklich bestätigt worden sei in diesem Telefonat, dass weitere Helfer nicht tätig gewesen seien. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Reutlingen habe der Bauherr als Zeuge angegeben, dass weitere Helfer tätig gewesen und insgesamt zwischen 40 und 42 Helferstunden angefallen seien. Diese Aussage sei nicht glaubhaft. Den Angaben des Zeugen zum Umfang der Mithilfe in der Landwirtschaft und der Zeit nach Aufgabe der Landwirtschaft habe der Kläger nicht widersprochen. Wenn das familiäre Verhältnis so gestört sei, wie der Kläger behaupte, sei nicht nachvollziehbar, warum er trotzdem bei dem Dachabdecken geholfen habe. Der Rahmen der Gefälligkeit werde auch nicht durch die Gefährlichkeit der Arbeit gesprengt. Nach den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung sei die Dachneigung nicht besonders stark gewesen und ein entsprechend gutes Gerüst sei um das Haus herum aufgebaut gewesen. Das SG habe zutreffend festgestellt, dass es sich um ein Gefälligkeitsverhältnis gehandelt habe.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, der Beigel. Nr. 2, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist auch im Wesentlichen begründet, denn er hat Anspruch auf die Feststellung, dass es sich bei seinem Unfall vom 12.10.2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat und die Beigel. Nr. 2, nicht jedoch die Beklagte, der zuständige Versicherungsträger ist.

Die Anschlussberufung der Beigel. Nr. 2 ist zulässig, obwohl sie durch das Urteil des SG, das die Klage abgewiesen hat, nicht beschwert ist. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für die Anschlussberufung keine Beschwer erforderlich, weil sie nicht eigentliches Rechtsmittel, sondern ein angriffsweise wirkender Antrag des Anschließenden innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers mit der Möglichkeit ist, die von diesem angefochtene Entscheidung auch zu seinen, des Anschließenden, Gunsten ändern zu lassen (BSG SozR 1750 § 521 Nr. 3). Im vorliegenden Verfahren wendet sich die Beigel. Nr. 2 dagegen, dass sie als zuständiger Versicherungsträger - für den Fall der Annahme eines Arbeitsunfalls - angesehen werden könnte.

Die Anschlussberufung der Beigel. Nr. 2 ist jedoch nicht begründet, da sie der zuständige Versicherungsträger für den Arbeitsunfall des Klägers vom 12.10.2005 ist.

Das SG hat die gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sowie die vom BSG dazu bzw. zu der entsprechenden Vorgängerregelung des § 539 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) entwickelten Grundsätze zutreffend dargelegt; hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

Verwandtschaft bei Freundschafts- oder Gefälligkeitsdiensten schließt einen Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII bzw. § 539 Abs. 2 RVO nicht von vornherein aus. Ein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift ist aber nicht gegeben, wenn die unter Verwandten vorgenommene Gefälligkeitshandlung im Wesentlichen durch die familiären Beziehungen zwischen den Verwandten geprägt ist. Dies ist dann der Fall, wenn es sich lediglich um Gefälligkeitshandlungen handelt, die ihr gesamtes Gepräge von der familiären Bindung zwischen Angehörigen erhalten. Je enger die verwandtschaftliche Beziehung ist, umso eher scheint die Annahme gerechtfertigt, dass es sich um Gefälligkeitsdienste handelt, die ihr Gepräge allein durch die familiären Beziehungen erhalten und deshalb nicht mehr als arbeitnehmerähnlich angesehen werden können. Dabei sind neben der Stärke der verwandtschaftlichen Beziehungen die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der vorgesehenen Tätigkeit (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 37 m. w. N.). Dabei steht dem Versicherungsschutz nicht entgegen, dass unter Verwandten die Bereitschaft zu Freundschafts- und Gefälligkeitsleistungen größer ist und deshalb die Tätigkeit, die sonst auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses oder jedenfalls gegen Entgelt verrichtet wird, hier als Freundschafts- oder Gefälligkeitsdienst erbracht wird. Wären Verwandte, die eine Tätigkeit aus Freundschaft oder Gefälligkeit verrichten, vom Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen, wäre gegebenenfalls derjenige, der sich bezahlte Arbeitskräfte für seinen Privathaushalt oder Kleinbetrieb überhaupt nicht leisten und unentgeltlich Tätige außerhalb des Verwandtenkreises nicht finden kann, seinem Verwandten, der bei einer dringenden, sonst nicht zu bewältigenden Arbeit uneigennützig einspringt, für den dabei eintretenden Unfall gegebenenfalls persönlich schadensersatzpflichtig. Der einem wirtschaftlich schwachen Unternehmer Helfende hätte weder Versicherungsschutz in der Unfallversicherung noch die Möglichkeit, einen eventuellen Schadensersatzanspruch zu verwirklichen (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 55).

Ausgehend von den oben genannten Darlegungen gelangt der Senat zum Ergebnis, dass der Kläger am 12.10.2005 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Zwischen dem Kläger und dem Bauherrn bestand kein so enges verwandtschaftliches Verhältnis wie zwischen Vater und Sohn (Vater und Tochter) bzw. zwischen Brüdern, wo gegebenenfalls größere Hilfeleistungen erwartet werden und üblich sind (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 134: umfangreiche Pflegeleistungen einer Tochter, die Krankenschwester ist, für den erkrankten Vater; BSG SozR 3-2200 § 657 Nr. 1: familiäre Gefälligkeit bei Renovierung einer vom Sohn gemieteten Wohnung, wenn der Vater 10 Stunden, Schwiegervater 40 Stunden und Schwiegermutter 35 Stunden helfen). Der Kläger war vielmehr lediglich der Schwager des Bauherrn, nämlich der Ehemann der Schwester des H. Zwar bestanden neben den rein formalen familiären Beziehungen tatsächliche familiäre Beziehungen zwischen dem Kläger und seinem Schwager. So half der Kläger - nach seinen eigenen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung vor dem SG - auch schon vor dem Unfall im landwirtschaftlichen Betrieb des H. (Rasen mähen, Heu machen, Mithilfe beim Baumfällen). Nach Angaben des Bauherrn H. bei seiner Zeugenvernehmung vor dem SG erbrachte der Kläger bis zum Jahr 2002, als H. noch Viehhaltung betrieb, Hilfeleistungen in einem Umfang von ca. 5 Stunden monatlich, zumeist bei der Heuernte. Auch nach Aufgabe der Tierhaltung half der Kläger H. bei allen möglichen Tätigkeiten, so z. B. beim Streichen des Hauses. Diese Hilfstätigkeiten waren nach Angaben von H. selbstverständlich. Für die Feststellung, dass tatsächlich bestehende und gelebte familiäre Beziehungen bestanden, ist dabei unerheblich, ob die vom Zeugen genannte Stundenzahl zutreffend war. Entscheidend ist jedenfalls, dass der Kläger seinem Schwager H. bei zahlreichen Tätigkeiten geholfen hat.

Bei den Dacharbeiten handelt es sich jedoch nicht um Mithilfe bzw. um Arbeiten im landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betrieb des H., sondern um Baumaßnahmen bzw. die Reparatur eines durch Hagel beschädigten Daches. Diese Arbeiten erhalten nach Überzeugung des Senats ihr Gepräge nicht wesentlich durch verwandtschaftliche Beziehungen und sind auch nicht als Erfüllung gesellschaftlicher, nicht rechtlicher Verpflichtungen anzusehen, die bei besonders engen Beziehungen zwischen Verwandten, Freunden oder Nachbarn typisch, üblich und deshalb zu erwarten sind. So hat auch das BSG Dacharbeiten/Imprägnierarbeiten eines Onkels für seine Nichte, die ungefähr 3 bis 3½ Stunden gedauert hätten, nicht als durch die verwandtschaftlichen Beziehungen geprägt angesehen und eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit angenommen (BSG, Urt. vom 30.4.1991 - 2 RU 78/90 - in JURIS).

Bei den Arbeiten am Dach des Wohnhauses des H. mit einer Grundfläche von 20 auf 9 Metern handelte es sich um Arbeiten, die einen erheblichen Umfang und einen erheblichen Gefährlichkeitsgrad aufweisen und im Regelfall von Fachleuten, nämlich Dachdeckern, durchgeführt werden. Diese Dachdeckerarbeiten sind mit der vom Kläger ansonsten geleisteten Mithilfe im land- und forstwirtschaftlichen Betrieb des H. nicht zu vergleichen und dienten auch nicht dessen landwirtschaftlichen Betrieb, wie das SG zutreffend ausgeführt hat. Für den Kläger, der weder Dachdecker war noch einen vergleichbaren handwerklichen Beruf ausübte, sondern als Versicherungskaufmann selbstständig tätig war, waren dies ungewohnte und damit auch gefährliche Tätigkeiten, auch wenn er selbst das Risiko nicht als hoch eingeschätzt hatte. Die geplante Arbeitszeit von ca. 4 Stunden für die Dacharbeiten ist nicht so geringfügig, dass diese Tätigkeit auf Grund dessen als durch das familiäre Verhältnis geprägt anzusehen wäre. Dies zeigt auch die oben genannte Entscheidung des BSG zu den Imprägnierungsarbeiten. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger für die Dacharbeiten, die nach Angaben von H. insgesamt 120 Stunden Eigenarbeiten erforderten, gar nicht von Anfang an eingeplant war. Vielmehr wollte H., der von seiner Versicherung für den Hagelschaden vom 29.7.2005 am Wohn- und Wirtschaftsgebäude 9.800 EUR erhalten und nach seinen Angaben kein Geld für gewerbliche Reparaturarbeiten, die 50.000 EUR gekostet hätten, hatte, die Dacharbeiten zusammen mit seinen Cousins Richard und Bernhard Maier in Eigenarbeit verrichten. Dies klappte jedoch nicht so zügig wie erwartet, da die Cousins für die Fortsetzung der begonnenen Arbeit keine Zeit hatten und deswegen Mitte Oktober des Jahres 2005 lediglich der vordere Teil des Daches am Wohngebäude eingedeckt war. Angesichts dieser Situation und des bevorstehenden Herbstes bzw. Winters fühlte sich der Kläger - nach seinen den Senat überzeugenden Angaben - zur Mithilfe verpflichtet und nahm Kontakt zu einem Zimmermann auf, der am Montag, dem 10.10.2005 erklärte, er könne das (restliche) Dach des Wohngebäudes am Donnerstag, dem 13.10.2005 neu eindecken, wenn bis dahin die alten Dachziegel entfernt seien. Der Umstand, dass die alsbaldige Entfernung der alten Dachziegel Voraussetzung für die gewerbliche Tätigkeit des Zimmermanns zwar, spricht aus Sicht des Senats ebenfalls dafür, dass die Tätigkeit des Klägers am Mittwoch, dem 12.10.2005, einen Tag vor dem Tätigwerden des Zimmermanns, arbeitnehmerähnlich und nicht lediglich eine unter Verwandten bzw. Verschwägerten übliche Gefälligkeitsleistung war. So hat das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 10.3.1993 - L 2 U 592/91 -, nachgehend BSG, Beschluss vom 28.9.1993 - 2 BU 74/93 - in JURIS sogar die kurzzeitige Tätigkeit eines Sohnes (Auswechseln von 10 bis 15 Dachziegeln, Arbeitszeit eine Stunde) als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit angesehen. Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem vom BSG (SozR 3-2200 § 539 Nr. 25) entschiedenen Fall vergleichbar, in dem Eternitplatten auf einem Garagendach (zwei Arbeitstage für zwei Arbeitskräfte: Vater/Schwiegersohn) ausgewechselt werden mussten, und das BSG eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit des verunglückten Vaters verneint hat. Hier lebten der Vater und die Tochter (mit Ehemann/Schwiegersohn) zusammen in einem Dreifamilienhaus mit drei Garagen. Das Haus gehörte ursprünglich dem Vater und war auf die Tochter - unter Beibehaltung eines mietfreien Dauerwohnrechtes des Vaters einschließlich Garage - übertragen worden. Hier bestand eine so enge häusliche und tatsächliche Gemeinschaft "unter einem Dach" zwischen dem dortigen Kläger/Vater und der Tochter, dass die zweitägige Reparatur des Garagendaches noch im Rahmen dessen gesehen werden konnte, was auf Grund der engen Familien- und Hausgemeinschaft von dem dortigen Kläger als Gefälligkeit erwartet werden konnte. Entsprechendes gilt für den vom Bayerischen LSG entschiedenen Fall vom 28.5.2008 - L 2 U 28/08 - in JURIS, in dem ein minderjähriger Sohn bei ca. acht Monate bzw. 260 Stunden dauernden Baumaßnahmen (wöchentlich acht Stunden) half, bei dem es um die Schaffung seines zukünftigen Zuhause ging, in dem er weiterhin mit seinen Eltern wohnen sollte. Eine derart enge häusliche und familiäre Bindung bestand zwischen dem Kläger und dem Bauherrn H. nicht. Zuständiger Versicherungsträger ist - wie das SG in den Entscheidungsgründen des Urteils zutreffend ausgeführt hat - die Beigel. Nr. 2. Denn für das Bauvorhaben des H. waren mehr als die im Bauhauptgewerbe geltende tarifliche Wochenarbeitszeit von 39 Stunden erforderlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur die Stundenzahl der nicht gewerbsmäßigen Helfer zu berücksichtigen ist, welche im Rahmen der Bauarbeiten unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung - in der Regel nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII - stehen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 129 Rdnr. 5.1). Auf Grund der Angaben des Bauherrn bei der Zeugenvernehmung vor dem SG geht der Senat davon aus, dass diesem seine beiden Cousins R. und B. M. beim Gerüstaufbau und -abbau sowie beim Eindecken des vorderen Teils des Daches geholfen haben. Dabei hat R. M. bei den Dacharbeiten an zwei Tagen jeweils 10 Stunden, d. h. 20 Stunden, und B. M. jeweils ca. 5 bis 6 Stunden, d. h. mindestens 10 Stunden, geholfen. Hinzukommen die Gerüstaufbau und -abbauarbeiten, die jeweils ca. 5 bis 6 Stunden gedauert haben und bei denen die beiden Cousins wiederum geholfen haben, sodass weitere 20 Stunden zu berücksichtigen sind. Insgesamt ergeben sich allein daraus - ohne Berücksichtigung der Mithilfe des Klägers - 50 Helferstunden. Der zeitliche Umfang dieser Hilfeleistungen lässt sich auch zwanglos mit dem vom Mitarbeiter der Beklagten W. bei der Augenscheineinnahme am 20. 2.2006 festgestellten Umfang der Dachreparatur vereinbaren. Danach war zu diesem Zeitpunkt wegen des am 29.7.2005 eingetretenen Hagelschadens am Dach des Wohnhauses (mit einer Grundfläche von 20 auf 9 Meter) dieses komplett erneuert worden, während die Hagelschäden an den Dächern der Wirtschaftsgebäude (noch) nicht beseitigt waren.

Soweit die Beigel. Nr. 2 die Angaben des Zeugen H. bezweifelt und auf die zuvor ausgefüllten Fragebögen vom 20.2.2006 verweist, in der als Mitarbeiter bei den Eigenbauarbeiten lediglich der Schwager/Kläger angegeben ist, ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Fragebögen offensichtlich nicht von H., sondern vom Kläger ausgefüllt und von H. lediglich unterschrieben wurden, und zum anderen, dass diese Fragebögen keine eingehende Befragung zum gesamten Bauvorhaben, wie es sich im Herbst 2005 darstellte, ersetzen können. Soweit die Beklagte auf den Telefonvermerk vom 28.9.2006 abstellt, ist ebenfalls nicht erkennbar, dass umfassend über das gesamte Bauvorhaben gesprochen wurde. Darüber hinaus berücksichtigt die Beigel. Nr. 2 auch nicht, dass H. (bzw. der Kläger) schon vor dem 20.2.2006, nämlich am 8.2.2006, Angaben gegenüber der Beigel. Nr. 1 gemacht hat und dabei außer dem Schwager einen Freund/Bekannten als Helfer zusätzlich genannt hat. Darüber hinaus dürfte es auch nicht der Lebenserfahrung entsprechen, dass H. das notwendige Gerüst allein auf- und abgebaut hat.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Unfall des Klägers vom 12.10.2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat und dass zuständiger Unfallversicherungsträger die Beigel. Nr. 2 ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte zu Unrecht das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneint und den Vorgang nicht an die zuständige Berufsgenossenschaft weitergeleitet hat, so dass sie Klagveranlassung gegeben hat. Ferner berücksichtigt der Senat, dass die Beigel. Nr. 2 während des gerichtlichen Verfahrens zu Unrecht das Vorliegen eines Arbeitsunfalls und ihre Zuständigkeit verneint hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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