L 8 AL 1222/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 3059/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 1222/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rückforderung erbrachter Leistungen einschließlich Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung streitig.

Der am 20.02.1962 geborene Kläger war vom 23.08.1991 bis 31.01.2002 als Zuschneider bei der Firma K. C., A., versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber gekündigt. Auf Antrag des Klägers wurde ihm von der Beklagten für die Zeit vom 01.02.2002 bis 26.01.2003 Arbeitslosengeld (Alg) geleistet. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.10.2002 forderte die Beklagte vom Kläger Leistungen iHv. 711,14 EUR zurück. Ab 27.01.2003 war der Alg-Anspruch erschöpft. Am 27.01.2003 beantragte der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi). Er verneinte über Konten bzw. Geldanlagen (Bargeld, Sparbücher, Sparbriefe/sonstige Wertpapiere, Zinserträge und Grundstücke) zu verfügen und bestätigte seine Angaben mit seiner Unterschrift. Mit Bescheiden vom 14.05.2003 und 02.01.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alhi für die Zeit vom 27.01.2003 bis 31.12.2003 iHv. täglich 25,27 EUR und ab 01.01.2004 iHv. täglich 25,61 EUR.

Als Ergebnis eines Datenabgleichs zwischen dem Bundesamt für Finanzen und der Beklagten wurden der Beklagten unter dem 24.11.2003 Freistellungsaufträge im Jahr 2002 des Klägers für einen Kapitalertrag iHv. 819 EUR mitgeteilt. Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 10.12.2003 auf, Nachweise über sein Vermögen und der Zinseinnahmen zu erbringen. Am 22.12.2003 teilte der Kläger der Beklagten schriftlich mit, er habe von seinem Bruder aus Rumänien 35.000 DM bekommen, weil sich sein Bruder in Deutschland zwei LKW habe kaufen wollen. Den Geldbetrag habe er bei der Sparkasse angelegt. Im Januar 2003 habe sein Bruder das Geld (18.690 EUR) nach Rumänien zurückgeholt. Der Kläger legte einen "Gutschriftsbeleg" der Sparkasse Z. über den Betrag 18.690,56 EUR (Zahlungsempfänger am 31.10.2002 der Kläger), weitere Kontoauszüge in Kopie sowie eine Erklärung seines Bruders vom 06.01.2004 und weitere Unterlagen vor.

Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsschreiben vom 16.02.2004) hob die Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 09.03.2004 die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 27.01.2003 auf und forderte vom Kläger in der Zeit vom 27.01.2003 bis 26.01.2004 erbrachte Leistungen iHv. 9.232,39 EUR, Krankenversicherungsbeiträge iHv. 1.375,63 EUR und Pflegeversicherungsbeiträge iHv. 156,95 EUR, insgesamt 10.764,97 EUR gemäß § 50 Abs. 1 SGB X und § 335 Abs. 1 SGB III zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, wegen Vermögens sei er nicht bedürftig gewesen. Dadurch habe er keinen Anspruch auf Alhi gehabt. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil der Kläger in seinem Antrag vom 27.01.2003 zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht habe. Der in der Verwaltungsakte befindliche Bescheidentwurf enthält unter "abgesandt am:" den Stempelaufdruck "9.03.04".

Mit Bescheid vom 25.03.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alhi ab 27.01.2004 weiter.

Am 16.03.2005 sprach er Kläger bei der Beklagten persönlich vor und erkundigte sich - unter Bezug auf eine "Zahlungsmitteilung" der Beklagten an den Kläger vom 06.03.2005 über Zahlungsverpflichtungen aus Bescheiden vom 08.03.2004 (Alhi 9.232,39 EUR, Krankenversicherungsbeiträge 1.375,63 EUR, Pflegeversicherungsbeiträge 44,75 EUR) und vom 23.10.2002 (Alg 561,98 EUR) - weshalb er 11.214,75 EUR erstatten müsse. Er teilte mit, keinen Bescheid erhalten zu haben. Er machte geltend, Nachweise vorgelegt zu haben, dass das Geld seinem Bruder gehöre (Vermerke der Beklagten vom 15.03.2005 und 16.03.2005). Mit Schreiben vom 17.03.2005 übersandte die Beklagte dem Kläger eine Kopie des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 09.03.2004.

Am 21.03.2005 legte der Kläger Widerspruch ein. Er trug zur Begründung vor, er habe alle Unterlagen zur Herkunft des Geldes vorgelegt und nachgewiesen, dass er das Geld seinem Bruder zurückbezahlt habe. Er sei sich keiner Schuld bewusst. Der Kläger legte zum Beleg Unterlagen vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.04.2005 wurde der Widerspruch des Klägers wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen.

Die Beklagte wertete das Widerspruchsschreiben des Klägers als Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 09.03.2004 gemäß § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 19.04.2005 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, da weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei, müsse es bei der Entscheidung verbleiben.

Am 15.04.2005 und 28.04.2005 beantragte der Kläger durch seine Bevollmächtigte schriftlich Akteneinsicht, die gewährt wurde. Die Beklagte wertete das am 28.04.2005 eingegangene Schreiben als Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.04.2005 (Schreiben der Beklagten vom vom 02.05.2005). Der Kläger führte zur Begründung des Widerspruches aus, er habe erst nach der erteilten Akteneinsicht und weiterer Informationen gewusst, weshalb die Aufhebung der Bewilligung erfolgt sei. Für die relevante Zeit sei der Verbleib des Geldes des Bruders lückenlos nachgewiesen und der Nachweis geführt worden, dass die Zinserträge 2002 allein aus dem Geld seines Bruders stammten. Der Kläger legte zum Beleg Unterlagen vor. Die Belege hätten bei einem Hinweis der Beklagten schon damals vorgelegt werden können. Die Aufhebung der Bewilligung von Alhi sei zu Unrecht erfolgt. Er habe 2003 kein verwertbares Vermögen gehabt. Nach alledem habe er nichts vorsätzlich verschwiegen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.04.2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe keinen Nachweis erbringen können, dass das Geld tatsächlich seinem Bruder gehört und dass er das Geld diesem wieder zurückgegeben habe.

Hiergegen erhob der Kläger am 12.09.2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Er machte zur Begründung unter Bezug auf ergangene Bescheide und Mitteilungen der Beklagten sowie seiner Erklärungen im Verwaltungsverfahren geltend, er sei davon ausgegangen, dass die von ihm eingereichten Unterlagen ausgereicht hätten, zu belegen, dass er selbst kein Vermögen gehabt habe. Erst als er die Zahlungsmitteilung vom 06.03.2005 erhalten habe, habe für ihn Anlass zur Nachfrage bestanden, warum er soviel Geld zurückzahlen müsse, nachdem er hierzu keinen Bescheid erhalten habe. Für ihn sei völlig überraschend gewesen, dass er eine Rückforderungsmitteilung wegen der Alhi für das Jahr 2003 erhalten habe. Die Ansicht der Beklagten sei auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil ihm aufgrund der vorgelegten Unterlagen ab 27.01.2004 die Leistung weiterbewilligt worden sei. Er sei davon ausgegangen, dass die Vermögensfrage für beide Zeiträume damit geklärt sei und dass einheitlich entschieden werde. Auf den ersten Blick habe nicht erkannt werden können, worüber eine Entscheidung getroffen worden sei. Im Übrigen habe er inzwischen nachgewiesen, dass er zu Beginn des Bewilligungsabschnittes am 27.01.2003 tatsächlich kein Vermögen gehabt habe. Den Bescheid vom 09.03.2003, mit dem er nicht gerechnet habe und nicht habe rechnen müssen, habe er nicht erhalten, weshalb er nicht habe reagieren können. Er selbst sei nicht in der Lage gewesen, mehr an Vermögen anzusammeln, als zur Rückzahlung eines Pkw-Darlehens erforderlich gewesen sei. Sein Bruder habe über ausreichend Geldmittel verfügt, um ihm, dem Kläger, die anvertrauten Geldmittel zur Abwicklung von Geschäften zur Verfügung zu stellen. Der Kläger legte weitere Unterlagen vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie trug unter Bezugnahme auf ein Urteil des LSG Schleswig-Holstein vor, das Vermögen sei auf den Namen des Klägers als Kontoinhaber angelegt gewesen. Nur ihm sei es möglich gewesen, über das Geld zu verfügen. Die vorgelegten Unterlagen seien nicht als beweiskräftige Nachweise anzusehen, dass das Geld dem Bruder gehört habe.

Das SG erhob in der öffentlichen Sitzung am 24.01.2008 durch die Vernehmung des Bruders des Klägers M.-C. B. als Zeuge Beweis. Hierzu wird auf die Niederschrift vom 24.01.2008 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 24.01.2008 verurteilte das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2005, dem Kläger bezüglich des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 09.03.2004 einen Rückforderungsbescheid nach § 44 SGB X zu erteilen. Zur Begründung führte das SG aus, die Grundvoraussetzung des § 45 SGB X, wonach ein begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden darf, wenn er rechtswidrig ist, sei nicht erfüllt. Das Gericht sei aufgrund der schriftlichen Erklärungen des Bruders des Klägers sowie seiner Zeugenaussage am 24.01.2008 davon überzeugt, dass es sich bei dem Geldbetrag von 18.743,91 EUR ausschließlich um das Geld des Bruders gehandelt habe, womit der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht habe bestreiten können. Dementsprechend sei der Kläger bedürftig gewesen, weshalb ihm Alhi zu Recht zuerkannt worden sei. Die Beklagte sei nicht befugt gewesen, die Alhi-Bewilligungen zurückzunehmen und erbrachte Leistungen zurückzuverlangen. Die Beklagte sei damit verpflichtet, den bindend gewordenen Bescheid vom 09.03.2004 (Widerspruchsbescheid vom 06.04.2005) gemäß § 44 SGB X aufzuheben.

Gegen das der Beklagten am 13.02.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt Urteil hat sie am 10.03.2008 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat zur Begründung ausgeführt, der angegriffene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei entgegen der Ansicht des SG rechtmäßig ergangen. Nach der Rechtsprechung des 8. Senats des LSG Baden-Württemberg könne sich der Kläger nicht auf eine treuhänderische Bedingung des auf seinem Konto angelegten Geldes iHv. 18.743,91 EUR berufen, da er das Vermögen und die nun vorgegebene treuhänderische Bindung des Vermögens bei der Antragstellung nicht offengelegt habe, weshalb der Betrag bereits aus diesem Gesichtspunkt als sein Vermögen bei der Bedürftigkeitsprüfung mit einzubeziehen sei. Im Übrigen halte die mündliche Treuhandvereinbarung einem Fremdvergleich nicht stand. Dass der Geldbetrag dem Bruder des Klägers gehört habe, halte sie für eine reine Schutzbehauptung. Eindeutige Belege lägen nicht vor. Abgesehen von der Zeugenaussage des Bruders des Klägers sei durch keinen anderen Nachweis belegt, woher das Geld auf dem Konto gekommen bzw. wohin es geflossen sei. Die Entscheidung allein auf die Zeugenaussage des Bruders zu stützen, wie es das SG getan habe, halte sie für gänzlich verfehlt. Die Aussage, dass das Geld für einen Lkw-Kauf vorgesehen gewesen sei, halte sie für vorgeschoben und unglaubhaft. Außerdem habe der Kläger nach einer Erklärung des Zeugen über mehr Barvermögen verfügen können, als zunächst angenommen, was bedeute, dass der Kläger eine weitere Treuhand nicht offengelegt gehabt habe. Angaben des Zeugen hinsichtlich Geldübergaben wegen des Kaufs eines gebrauchten Mercedes sowie wegen Investitionen in Rumänien seien nicht glaubwürdig. Dass der Kläger keine Zugriffsoptionen auf das Geld gehabt habe und er den im Streit befangenen Betrag tatsächlich dem Bruder vollständig zurückgegeben habe, sei eine reine Schutzbehauptung. Der beweispflichtige Kläger müsse sich am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen. Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Alhi über verwertbares Vermögen verfügen können, das bei der Bedürftigkeitsprüfung hätte berücksichtigt werden müssen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24 Januar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände seien nicht zutreffend. Er habe das Geld nicht als eigenes Vermögen angesehen und habe nicht verschwiegen, selbst ein Guthaben zu haben, über das er frei verfügen könne, weil das Guthaben das seines Bruders gewesen sei, über das er nur gemäß den Anweisungen seines Bruders habe verfügen dürfen. Weil für ihn als juristischen Laien das Geld allein Geld seines Bruders gewesen sei, habe er den Betrag nicht angegeben. Er sei davon ausgegangen, dass er nur das Vermögen angeben müsse, das ihm für eigene Zwecke zur Verfügung stehe. Bei der Vernehmung des Zeugen hätten weitere Belege durch den Zeugen vorgelegt werden können, was weder vom Gericht noch vom Beklagtenvertreter verlangt worden sei.

Auf ein Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 10.06.2009, dass der Rückforderungs- und Erstattungsbescheid vom 09.03.2004 bereits wegen Versäumung der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X rechtswidrig sein könnte, haben die Beteiligten mit Schriftsatz vom 15.07.2009 (Beklagte) und vom 14.08.2009 (Kläger) weiter streitig vorgetragen. Die Beklagte hat ausgeführt, die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei nicht versäumt. Fristbeginn sei frühestens der Erlass des Bescheides vom 09.03.2004. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass ihm dieser Bescheid nicht zugegangen sei. Sie habe das ihr Mögliche getan, die Versendung des Bescheides nachzuweisen. Sämtliche dem Kläger jemals übersandten Schriftstücke seien dem Kläger auch zugegangen. Die Aktenlage stehe dem nicht entgegen. Der ihr obliegende Beweis für die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes könne auf Indizien gestützt und im Wege der freien Beweiswürdigung geführt werden. Die Zustellungsfiktion des § 37 SGB X greife ein, weshalb die Jahresfrist nicht versäumt sei. Die Beklagte hat sich auf Rechtsprechung des BFH und Entscheidungen des LSG berufen. Der Kläger hat ausgeführt, nach der Aktenlage und der von ihm im Verwaltungsverfahren gezeigten Reaktionen könne nicht davon ausgegangen werden, er greife auf die übliche Ausrede zurück, der Bescheid sei ihm nicht zugegangen.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Das SG ist im angefochtenen Urteil unter zutreffender Heranziehung der hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung des § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 09.03.2004 sowie der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid vom 06.04.2005 rechtswidrig ist und dass dem Kläger deshalb ein Anspruch gegen die Beklagte auf die Rücknahme dieser Bescheide gemäß § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X zusteht. Dabei kann der Senat unentschieden lassen, ob der vom Kläger verteidigten Ansicht des SG zu folgen ist, dass der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten im streitigen Zeitraum bedürftig gewesen sei und dass ihm deshalb Alhi zu Recht zuerkannt worden sei, weshalb die Beklagte nicht befugt gewesen sei, die Alhi-Bewilligungen aufzuheben und die erbrachten Leistungen vom Kläger zurückzufordern, oder ob den hiergegen im Berufungsverfahren erhobenen Einwendungen der Beklagten zu folgen ist. Denn der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 09.03.2004 erweist sich bereits deshalb als rechtswidrig, weil die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht eingehalten ist.

Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit, wie dies durch den Bescheid vom 09.03.2004 erfolgt ist, innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, zurückgenommen werden. Bei dieser Frist handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die selbst in Fällen arglistiger Täuschung zu beachten ist (BSG, Urteil vom 27.07.1989 - 11 RAr 42/87 -, SozR 1300 § 45 Nr. 44; Waschull in LPK-SGB X § 45 RdNr. 100, 104).

Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X begann vorliegend spätestens mit der Fertigung des Bescheides vom 09.03.2004 am 09.03.2004. Davon geht auch die Beklagte aus. Darauf, ob die Jahresfrist bereit früher begonnen hat, kommt es vorliegend nicht an. Für die Fristwahrung reicht jedoch das Fertigen des Bescheides nicht aus. Die Frist wird vielmehr erst durch den Erlass des Verwaltungsaktes, d.h. durch seine Bekanntgabe gewahrt (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.1989, a.a.O.). Dass der Bescheid vom 09.03.2004 dem Kläger vor Ablauf der Jahresfrist am 09.03.2005 bekannt gegeben worden ist, kann nicht festgestellt werden.

Nach Aktenlage steht nur fest, dass der Bescheid vom 09.03.2004 dem Kläger erst nach Ablauf der Jahresfrist durch das Schreiben der Beklagten vom 17.05.2005 in Kopie zugegangen und damit bekannt gegeben worden ist.

Ein früherer Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 09.03.2004 lässt sich nicht feststellen.

Ein Zugangsnachweis findet sich in der Akte der Beklagten nicht. Eine förmliche Zustellung des Bescheides vom 09.03.2004 ist nicht erfolgt.

Ein früherer Zeitpunkt der Bekanntgabe kann auch nicht im Wege der Zugangsfiktion festgestellt werden. Gemäß § 37 Abs. 2 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post bekannt gegeben. Dies gilt dann nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X setzt voraus, dass sich ein Absendevermerk in den Akten befindet (vgl. etwa Engelmann in v. Wulffen, Kommentar zum SGB X, 5. Aufl., § 37 Anm. 12 sowie Hauck/Haines Kommentar zum SGB X, § 37 Rdnr. 16), d.h. dass dem Verwaltungsakt ein Vermerk über den Tag der Aufgabe zur Post entnommen werden kann (vgl. Waschull in LPK-SGB X, § 37 RdNr. 11). Der in der Verwaltungsakte befindliche Entwurf des Bescheides vom 09.03.2004 enthält die Vorgabe "abgesandt am:" mit Stempelabdruck "9.03.2004". Ob ein solcher Vermerk ausreicht, die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X auszulösen, oder ob ein Absendevermerk zudem den Aussteller erkennen lassen muss (so LSG Sachsen, Beschluss vom 07.04.2005 - L 3 B 188/02 AL -, juris), was vorliegend nicht erkennbar ist, kann offen bleiben. Denn selbst dann, wenn mit der Beklagten davon ausgegangen wird, dass der Bescheid vom 09.03.2004 am 09.03.2004 zur Post gegeben wurde, bestehen Zweifel, dass der Bescheid dem Kläger zugegangen ist.

Der Kläger hat den Zugang des Bescheides bestritten. Dies ergibt sich aus dem Vermerk vom 15.03.2005 (Blatt 156 der Verwaltungsakte) sowie aus seinem Vorbringen zur Klagebegründung, dass für ihn erst als er die Zahlungsmitteilung vom 06.03.2005 erhalten habe, Anlass zur Nachfrage bestanden habe, warum er soviel Geld zurückzahlen müsse, nachdem er hierzu keinen Bescheid erhalten habe. Daraufhin habe er eine Kopie des Bescheides vom 09.03.2004 erhalten, der ihm somit erstmals zugegangen sei. Auch der Inhalt des Vermerks vom 16.03.2005 (Blatt 155 der Verwaltungsakte), der Kläger habe um Mitteilung gebeten, weshalb er 11.214,75 EUR erstatten müsse, ist, entgegen der Ansicht der Beklagten, jedenfalls ein Indiz dafür, dass der Kläger den Bescheid vom 09.03.2004 nicht kannte. Der Senat hält es - mit dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 14.08.2009 - auch für fernliegend, dass der Kläger erst auf die Zahlungsmitteilung vom 06.03.2005 reagiert, wenn ihm der Bescheid vom 09.03.2004 tatsächlich zeitnah zugegangen ist. Der Kläger hat sich bereits auf das Schreiben der Beklagten vom 10.12.2003, mit dem er zum Nachweis seines Vermögens aufgefordert worden ist, gegen die Zurechnung des streitbefangenen Geldbetrages zu seinem Vermögen, der Anlass des Bescheides vom 09.03.2004 war, unter Vorlage von Unterlagen gewandt. Diese Sachlage spricht dagegen, dass der Kläger den Bescheid vom 09.03.2004 hätte bestandskräftig werden lassen. Dafür, dass der Kläger auf die Ausrede zurückgreift, der Bescheid sei ihm nicht zugegangen, findet sich auch sonst kein Hinweis. Darauf, ob etwa ein Drittel aller Fälle die im Vermerk vom 15.03.2005 festgehaltenen Angaben machen, kommt es nicht entscheidungserheblich an, nachdem der Kläger auch sonst den Zugang des Bescheides in Abrede stellt. Unabhängig davon ist es eine Frage des Einzelfalles, ob ein Verwaltungsakt dem Adressaten zugegangen ist.

Indizien, die gleichwohl die zeitnahe Bekanntgabe des Bescheides vom 09.03.2004 belegen, liegen nicht vor. Die Rechtsprechung hat bereits geklärt, dass ohne eine nähere Regelung weder eine Vermutung für den Zugang eines mit einfachem Brief übersandten Schreibens besteht (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 15.05.1991 - 1 BvR 1441/90 -, NJW 1991, 2757; ebenso bereits Bundesfinanzhof (BFH) vom 23.09.1966, BFHE 87, 203) noch insoweit die Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten (BFH vom 14.03.1989, BFHE 156, 66 unter Aufgabe früherer Rechtsprechung: S 73; Bundesgerichtshof (BGH) vom 05.04.1978 - IV ZB 20/78, VersR 1978, 671; BGH vom 24.04.1996 - VIII ZR 150/95, NJW 1996, 2033, 2035 aE; ebenso BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 4/06 R, zit. nach juris). Denn die volle Überzeugung des Gerichts vom Zugang lässt sich auf eine - wenn auch große - Wahrscheinlichkeit nicht gründen (BFH vom 14.03.1989, BFHE 156, 66, 71). Vom Adressaten eines angeblich nicht eingetroffenen einfachen Briefes kann auch nicht mehr verlangt werden, als ein schlichtes Bestreiten, das Schreiben erhalten zu haben. Denn ihm ist im Regelfall schon aus logischen Gründen nicht möglich, näher darzulegen, ihm sei ein per einfachem Brief übersandtes Schreiben nicht zugegangen. Anders ist die Sachlage beim behaupteten verspäteten Zugang (hierzu zB. BVerwG vom 24.04.1987 - 5 B 132/86): Hier kann der Empfänger vortragen, wann genau und unter welchen Umständen er die Erklärung erhalten hat (BSG a.a.O.; vgl. zu Vorstehenden auch das Urteil des erkennenden Senats vom 14.03.2008 - L 8 AS 5579/07 -). Allein die Umstände, dass sich in der Verwaltungsakte kein Originalbescheid oder ein Briefrücklauf befindet, wie auch, dass nach dem Vorbringen der Beklagten sämtliche dem Kläger jemals übersandten Schriftstücke, dem Kläger zugegangen seien, reicht danach bei bestrittenem Zugang nicht aus, gleichwohl gemäß § 37 SGB X den Zugang des Bescheides vom 09.03.2009 (vor der Übersendung einer Kopie mit Schreiben vom 17.05.2005) zu fingieren.

Im vorliegenden Einzelfall hat die Beklagte damit nicht den von ihr zu erbringenden Nachweis geführt, dass der Bescheid vom 09.03.2004 dem Kläger vor Ablauf der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bekannt gegeben worden ist.

Die von der Beklagten genannten Entscheidungen, auf die sie zur Begründung ihrer Ansicht (unreflektiert) berufen hat, rechtfertigen keine andere Entscheidung. Diesen Entscheidungen liegen Einzelfallentscheidungen zugrunde, die mit dem vorliegenden Rechtsstreit nicht vergleichbar sind und von denen der Senat auch nicht abweicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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