L 1 R 342/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 6 RA 56/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 342/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
AAÜG, fiktive Einbeziehung, betriebliche Voraussetzung
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten, Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen.

Der am 1945 geborene Kläger bestand ausweislich der Urkunde der Ingenieurschule für Bauwesen L. 1969 die Prüfung als Ingenieurökonom. Vom 1969 bis 1969 war er als Ingenieur für Bauwirtschaft beim VE (B) W G. beschäftigt. Anschließend arbeitete er vom 1969 bis zum 1979 beim VEB B.- u. M. C. H. als Ingenieur für Forschung und Entwicklung, Ingenieur für Rationalisierung sowie als Ingenieur für Bautechnologie und -planung. Während der Beschäftigung beim VEB B. u. M. C. H. studierte er ab September 1970 im Abend- bzw. Fernstudium an der Hochschule für Bauwesen L ... Nach erfolgreichem Abschluss verlieh im diese Hochschule mit Urkunde vom 1975 den akademischen Grad Diplom-Ingenieur. Ab 1980 war er wie folgt als Ingenieur für Hochbauplanung tätig: – bis. 1981 beim VEB B. u. S. W. bzw. nach dessen Übernahme beim VE B. B., – vom 1981 bis zum 1984 beim VEB I. f. R-, Betrieb des VEB K.-K. B., vom 1984 bis zum 1985 beim VEB L. Werke, vom 1986 bis über den 30. Juni 1990 hinaus bei der Akademie H ...

Ab dem 1. Juli 1975 zahlte er Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR). Eine Zusatzversorgungszusage erhielt er während des Bestehens der DDR nicht.

Am 23. April 2002 beantragte der Kläger die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Mai 2003 mit der Begründung ab, die am 30. Juni 1990 in der A. ausgeübte Beschäftigung entspreche zwar der technischen Qualifikation, jedoch sei sie nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden, wie es die Versorgungsordnung bzw. die hierzu ergangene 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 (GBl I der DDR S. 487; im Folgenden: 2. DB) gefordert habe.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 12. Juni 2003 Widerspruch ein: Seiner Auffassung nach habe die A. zu den wissenschaftlichen Instituten im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB gezählt. Aufgrund seiner Tätigkeit im Konstruktionsbüro einer technischen Abteilung der A. seien die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die AVItech erfüllt. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2004 mit der Begründung zurück, bei der A. – Verwaltungs- und Dienstleistungseinrichtung H. –, in der der Kläger am 30. Juni 1990 tätig gewesen sei, habe es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) und auch nicht um einen gleichgestellten Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB gehandelt.

Dagegen hat der Kläger am 27. Januar 2004 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und vorgetragen, mit der 2. DB habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass das Zusatzversorgungssystem nicht nur für Mitarbeiter in volkseigenen Produktionsbetrieben zu gelten gehabt habe, sondern dass ein breites Spektrum von Wissenschaftseinrichtungen, Hochschulen, Verwaltungen, Ministerien usw. gleichzustellen seien. Weder in der 2. DB noch in nachfolgenden Ergänzungen seien die technischen und naturwissenschaftlichen Forschungsinstitute der A. von der Gleichstellung namentlich ausgegrenzt worden. Die A. sei als interdisziplinärer Dachverband von zentral geleiteten Forschungseinrichtungen als eine Art Hauptverwaltung der Forschung zu betrachten. Als solche sei sie, wie die Hoch- und Fachschulen, dem zuständigen Wissenschaftsministerium direkt unterstellt gewesen. Seit ihrer Gründung habe die A. aus einer Vielzahl fachlich und wirtschaftlich autark agierender Forschungsinstitute bestanden. Er selbst sei in der Abteilung Technik in einem Konstruktionsbüro am Standort H. tätig gewesen. Diese Abteilung sei dem Direktionsbereich VDE angegliedert gewesen. Sie habe, vergleichbar der Praxis in der Industrie, über eigene Baukapazitäten mit bau- und betriebstechnischem Fachpersonal sowie wie mit entsprechender Gerätetechnik verfügt. Mit diesen Kapazitäten seien die anstehenden baulichen und technischen Instandhaltungsaufgaben abgesichert und alle zur Errichtung von Bauwerken (auch größeren) erforderlichen Leistungen ausgeführt worden. Außerdem sei er direkt den Instituten am Standort H. zur Schaffung der materiell-technischen Voraussetzungen des produktionswirksamen anwendungsorientierten Forschungsbetriebes zugeordnet gewesen. Zur VDE hätten darüber hinaus hochqualifizierte Spezialisten für den wissenschaftlichen Gerätebau (insbesondere für die Elektronenmikroskopie) gehört. Die Leistungen im Bereich des wissenschaftlichen Gerätebaus (inklusive Wartung, Instandhaltung und Reparatur von hochwertigen Elektronenmikroskopen) seien mit zentralem Auftrag eigenständig für alle Forschungsinstitute sowie für die Hoch- und Fachschulen der DDR durchgeführt worden. Zum A.-Standort H. hätten u.a. Metallbauwerkstätten (Schlosserei, Dreherei) und für den wissenschaftlichen Gerätebau konstruktiv tätige Ingenieure (Konstruktionsgruppe für Metall- und Vorrichtungsbau) gehört.

Mit Urteil vom 22. Juni 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen. Die A., VDE H. sei insbesondere kein Forschungsinstitut gewesen, da sich ihre Tätigkeit nicht auf die Forschung beschränkt habe, sondern vielfältig gewesen sei.

Gegen das ihm am 19. Juli 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. August 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt, die er nicht begründet hat.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Juni 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Zeitraum vom 1. August 1969 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und die während dieses Zeitraumes erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der Senat hat vom Bundesministerium für Bildung und Forschung Unterlagen aus einer Internet-Recherche zur A. sowie von der B.-B. Akademie das Statut der A., die Gründungsanweisung und die Ordnung der VDE H. sowie den Jahresbericht 1989 und Schriftverkehr erhalten.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben bei der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Januar 2004 beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellungen gemäß §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 5 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG, i.d.F.v. Artikel 13 des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl. I S. 3024) hinsichtlich des Zeitraums vom 1. August 1969 bis zum 30. Juni 1990, weil er nach den am 30. Juni 1990 vorliegenden Gegebenheiten nicht im Sinne dieser Vorschrift eine Anwartschaft in einem Zusatzversorgungssystem erworben hatte.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Artikel 19 des Einigungsvertrages (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 11).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des Bundessozialgerichts folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom Bundessozialgericht aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).

I.

Der Senat ist zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 12). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom Bundessozialgericht behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des Bundessozialgerichts tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das Bundessozialgericht wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle durch Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) veranlassen müssen. Denn die vom Bundessozialgericht vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Artikel 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben.

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Artikel 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den Einigungsvertrag Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des Einigungsvertrages zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113), jedoch ist aus der weiteren Gesetzesbegründung ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a. a. O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem Einigungsvertrag vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom Bundessozialgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des Bundessozialgerichts konkret einbezogen war (BSG, a. a. O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch, soweit erkennbar, nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des Einigungsvertrages umfasst ist.

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 12).

Artikel 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z. B. BVerfG, Beschluss v. 26.10.2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. –, dokumentiert in Juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das Bundessozialgericht der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss v. 13.03.2007 – 1 BvF 1/05 –, dokumentiert in Juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (BVerfG, Beschluss v. 26.10.2005, a. a. O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das Bundesverfassungsgericht genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

II.

Aber auch wenn man der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des Bundessozialgerichts folgen würde, hätte das Begehren des Klägers keinen Erfolg. Danach hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. der DDR I, Nr. 93 S. 844 – im Folgenden: VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für (1.) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und (2.) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar (3.) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben. Dies ergibt die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, weil "aufgrund einer Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem" im Sinne der Vorschrift Anwartschaften nur nach den Versorgungsregelungen der DDR erworben werden konnten. Gegenstand einer Rechtsposition vor dem Versorgungsfall selbst konnte danach außer einer erteilten Versorgungszusage gegebenenfalls der Anspruch auf eine solche Zusage sein. Die Fortwirkung der maßgeblichen Rechtspositionen bis zum 30. Juni 1990 setzt § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG voraus, weil sonst – mit Ausnahme der in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG bundesrechtlich ausdrücklich durch Unterstellung getroffenen Regelung – keine Position besteht, die im Sinne von § 4 Abs. 5 AAÜG in die Rentenversicherung überführt werden könnte. Denn schon überführungsfähige "Anwartschaften" nach § 22 Abs. 3 des Rentenangleichungsgesetzes (RAG) vom 28. Juni 1990 (GBl. der DDR I Seite 495) konnten bei Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Juli 1990 (§ 35 RAG) nur Positionen sein, die im Versorgungsfall einen Versorgungsanspruch begründet hätten. Dies war nur angesichts noch gültiger Versorgungszusagen möglich. Entsprechend kann auch der Anspruch auf deren Erteilung nach den gesetzlichen Voraussetzungen, soweit er auf Grund der geltenden Versorgungsvorschriften schon vor Schließung der Zusatzversorgungssysteme erloschen war, von einer Auslegung des Begriffs der Anwartschaft in § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG nicht betroffen sein.

In Anwendung dieser Maßstäbe hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech. Denn er erfüllte nicht die abstrakt-generellen und zwingenden Voraussetzungen (vgl. dazu Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 41/01 RSozR 3-8570 § 1 Nr. 6) des hier betroffenen Versorgungssystems. Hierzu gehört neben der hier gegebenen Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung (insbes. "Ingenieur") zu führen, auch die Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb.

Für die Frage, ob die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, ist auf die AdW als Ganzes und nicht isoliert auf die VDE H. abzustellen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Statuts der A. handelte es sich bei dieser Einrichtung um eine juristische Person und Haushaltsorganisation. Haushaltsorganisationen waren bis zu einem bestimmten Grade verselbständigte staatliche Einrichtungen der DDR. Aus § 4 der Ordnung der VDE H. ergibt sich, dass diese Bestandteil der einheitlichen Haushaltsorganisation der A. war. Weder der Gründungsanweisung noch dieser Ordnung oder dem Statut der A. ist zu entnehmen, dass es sich bei der VDE H. um eine selbständige juristische Person handelte. Vielmehr konnte auch deren Direktor nach § 5 der Ordnung der VDE H. nur im Namen der A. tätig werden. Somit handelte es sich bei der VDE um eine unselbständige Einrichtung der A ...

Die A. war aber weder ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch war er ein gleichgestellter Betrieb. Die A. war schon kein volkseigener Betrieb – was der Name verdeutlicht – und erst recht kein Produktionsbetrieb im Sinne der 2. DB. Die Voraussetzung der Beschäftigung in einem Produktionsbetrieb enthält § 1 Abs. 1 der 2. DB im Umkehrschluss, weil andernfalls die Gleichstellung nichtproduzierender Betriebe in § 1 Abs. 2 der 2. DB mit Produktionsbetrieben ohne Bezug wäre. Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt haben. Der Betrieb muss auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein (BSG, Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 41/01 R –, SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 Seite 47). Die Bedeutung der damit verbundenen Begriffsbildung in der Wirtschaft der DDR hat das BSG unter Darstellung der Wirtschaftsgeschichte zur Zeit des Erlasses der maßgeblichen Versorgungsnormen herausgearbeitet (BSG, Urteil v. 09.04.2002 – B 4 RA 41/01 R –, a.a.O., Seite 46 f.). Im Bereich des Bauwesens erfasst der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe, die standardisierte Produkte massenhaft ausstoßen und eine komplette Serienfertigung von gleichartigen Bauwerken zum Gegenstand haben (BSG, Urteil v. 08.06.2004 – B 4 RA 57/03 R –, SozR 4-8570 § 1 Nr. 3, Seite 20 f.).

Bei der A. handelte es sich weder um einen Produktionsbetrieb der Industrie noch des Bauwesens. Denn sie produzierte weder massenhaft Sachgüter noch bestand ihr Hauptzweck in der Massenproduktion von Bauwerken. Ein anderes Ergebnis würde sich auch nicht ergeben, wenn isoliert auf die VDE abgestellt würde. Schon nach dem Vortrag des Klägers produzierte diese nicht massenhaft im Sinne einer Serienproduktion Sachgüter oder Bauwerke.

Die A. kann auch nicht als gleichgestellter Betrieb i. S. v. § 1 Abs. 2 der 2. DB eingeordnet werden. Nach dieser Vorschrift waren den volkseigenen Betrieben gleichgestellt: Wissenschaftliche Institute; Forschungsinstitute; Versuchsstationen; Laboratorien; Konstruktionsbüros; technische Hochschulen; technische Schulen; Bauakademie und Bauschulen; Bergakademie und Bergbauschulen; Schulen, Institute und Betriebe der Eisenbahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens; Maschinen-Ausleih-Stationen und volkseigene Güter, Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Energie); Vereinigungen volkseigener Betriebe, Hauptverwaltungen und Ministerien.

Bei der A. handelte es sich nicht um ein wissenschaftliches Institut bzw. Forschungsinstitut im Sinne dieser Vorschrift. Wissenschaftliche Institute bzw. Forschungsinstitute im vorgenannten Sinne sind Forschung betreibende selbstständige Einrichtungen der Wirtschaft, deren Hauptzweck die zweck- und betriebsbezogene (wissenschaftliche) Forschung und Entwicklung war, und zwar in der Gestalt einer rechtlich selbstständigen Wirtschaftseinheit als Betrieb (vgl. BSG, Urteil v. 26.10.2004 – B 4 RA 40/04 R –, SozR 4-8570 § 5 Nr. 5). Zu den durch § 1 Abs. 2 der 2. DB als Forschungsinstitute gleichgestellten Betrieben gehören demnach vor allem volkseigene Betriebe, die nicht Produktionsbetriebe waren, aber deren Aufgabe die Forschung und Entwicklung war (vgl. BSG a.a.O.). In der DDR wurde zwischen (staatlicher) Forschung an der A. und an den dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen unterstellten Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen einerseits (vgl. die Verordnung über die Aufgaben der Universitäten, wissenschaftlichen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen mit Hochschulcharakter vom 25. Februar 1970 (GBl. II der DDR S. 189); Verordnung über die Leitung, Planung und Finanzierung der Forschung an der Akademie der Wissenschaften und an Universitäten und Hochschulen – Forschungs-VO – vom 23. August 1972, GBl. II der DDR S. 589) und der Forschung an den Wirtschaftseinheiten andererseits unterschieden. Die A. und die Hochschulen hatten die Aufgabe, nach neuen Erkenntnissen über bisher unbekannte objektive gesetzmäßige Zusammenhänge sowie nach neuen Prozessen und Eigenschaften und ihre Nutzungsmöglichkeiten planmäßig zu forschen, neue wissenschaftliche Methoden und Erfahrungen zu entwickeln und wissenschaftliche Grundlagen für die Beherrschung technologischer Prozesse und Verfahren zu schaffen sowie die wissenschaftlichen Grundlagen für die angewandte Forschung, die Entwicklung und die Überleitung ihrer Ergebnisse in die gesellschaftliche Praxis ständig zu erweitern (§ 2 Abs. 2 Forschungs-VO). Den Wirtschaftseinheiten hingegen oblag die zweck- und betriebsbezogene Forschung und Entwicklung. Die Kombinate als grundlegende Wirtschaftseinheiten in der materiellen Produktion verfügten auch über wissenschaftlich-technische Kapazitäten (vgl. § 1 Abs. 1 der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe – Kombinats-VO – vom 8. November 1979, GBl. I der DDR S. 355). Sie hatten die Verantwortung nicht nur für die bedarfsgerechte Produktion, sondern auch für die Entwicklung neuer Erzeugnisse mit wissenschaftlich-technischem Höchststand (vgl. § 2 Kombinats-VO 1979; dazu auch § 15 Abs. 2 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. März 1973, GBl. I der DDR S. 129 und §§ 1 Abs. 2, 8, 18, 19 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes vom 9. Februar 1967, GBl. II der DDR S. 121). Nach § 34 Abs. 3 der Kombinats-VO 1979 war der Betrieb verpflichtet, die wissenschaftlich-technische Arbeit konsequent auf die Leistungs- und Effektivitätsentwicklung der Volkswirtschaft auszurichten.

Die A. verfolgte jedoch gerade keine zweck- und betriebsbezogene Forschung. Zwar mögen einzelne Forschungsprojekte auch von unmittelbarem Interesse für die Industrie gewesen sein, dies führt jedoch nicht zur Gleichstellung nach § 1 Abs. 2 der 2. DB.

Ein anderes Ergebnis ergäbe sich auch dann nicht, wenn es sich beim VDE um eine gegenüber der A. verselbständigte Einrichtung/Betrieb gehandelt hätte und ein Arbeitsverhältnis direkt mit dieser Einrichtung und nicht mit der A. als solcher vorgelegen hätte. Insoweit fehlt es an den für ein Forschungsinstitut konstitutiven Forschungsaufgaben. Die von der B.-B. Akademie übersandten Unterlagen lassen eine entsprechende Aufgabenstellung der VDE nicht erkennen. Insbesondere die in § 2 der Ordnung der VDE genannten Aufgabenstellungen betreffen ausschließlich Verwaltungs- und Versorgungsaufgaben, nennen jedoch keine selbständige Forschungsarbeit der VDE.

Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30. Juni 1990 war auch kein Konstruktionsbüro im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB. Für die A. ist diese Feststellung offensichtlich. Aber auch wenn auf die VDE abgestellt würde, ergäbe sich im Hinblick auf die in § 2 der Ordnung der VDE genannten, soeben erwähnten Aufgabenstellungen kein anderes Ergebnis. Soweit der Kläger vorgetragen hat, er sei in der Abteilung Technik in einem Konstruktionsbüro am Standort H. tätig gewesen, führt dies ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Der Kläger hat vorgetragen, diese Abteilung sei dem Direktionsbereich VDE angegliedert gewesen. Wenn schon die VDE nicht als rechtlich selbständig anzusehen ist (vgl. oben), muss dies erst recht für eine Abteilung der VDE (hier: Abteilung Technik) bzw. einen Teil dieser Abteilung (hier: das vom Kläger so bezeichnete Konstruktionsbüro) gelten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
Rechtskraft
Aus
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