Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AY 9/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AY 29/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung der für den Zeitraum vom 01.02.2007 bis 31.10.2007 gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am 00.00.00 geborene Kläger ist ukrainischer Staatsangehöriger und lebt seit 1998 in Deutschland. Nachdem ihm und seiner am 00.00.00 geborenen Mutter und gesetzlicher Vertreterin am 29.11.2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz, AufenthG) erteilt worden war, bezog er ab dem 01.01.2006 Leistungen nach dem AsylbLG in entsprechender Anwendung des Sozialgesetzbuchs - Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).
Mit Schreiben vom 26.12.2006 übersandte die Mutter des Klägers dem Beklagten die Verlängerung ihrer eigenen Aufenthaltserlaubnis (nach § 25 Abs. 5 AufenthG) nebst einer bis zum 28.02.2007 gültigen Fiktionsbescheinigung betreffend den Kläger. Mit Bescheiden vom 25.01.2007 bewilligte der Beklagte weiter Leistungen für Januar und Februar 2007. Dem Bescheid beigefügt war eine Bescheinigung zur Vorlage bei der GEZ, wonach die Leistungen bis zum 27.11.2007 bewilligt waren. Mit späteren Bescheiden (vom 06.02.2007 für März 2007 und vom 22.06.2007 für Juli 2007) nahm der Beklagte der Höhe nach Korrekturen vor.
Nachdem die Mutter des Klägers im Rahmen einer Vorsprache beim Beklagten die dem Kläger am 15.01.2007 erteilte Niederlassungserlaubnis vorgelegt hatte, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 17.10.2007 die Leistungen ab November 2007 mit der Begründung ein, der Kläger sei ab Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach dem SGB XII leistungsberechtigt gewesen. Einen Antrag des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 07.11.2007 mit der Begründung ab, die Hilfebedürftigkeit könne vorrangig durch Wohngeld behoben werden.
Bereits mit Schreiben vom 17.10.2007 hatte der Beklagte außerdem mitgeteilt, er beabsichtige, die seit dem 01.02.2007 (Beginn des Monats nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis) gewährten Leistungen nach dem AsylbLG zurückzufordern. Die Überzahlung habe der Kläger auch zu vertreten, da er seiner Pflicht, Änderungen im Aufenthaltsstatus unverzüglich mitzuteilen, nicht nachgekommen sei. Der Kläger wandte ein, sein vorheriger Aufenthaltsstatus sei bis Januar 2007 befristet gewesen, so dass der Beklagte eine anstehende Veränderung bereits damals habe erkennen können.
Am 13.11.2007 erließ der Beklagte den angekündigten Bescheid, mit dem er die Bescheide betreffend den Zeitraum vom 01.02.2007 bis 31.10.2007 aufhob und Leistungen i.H. v. insgesamt 1.613,42 Euro erstattet verlangte. Er führte aus, auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da er in diversen zuvor ergangenen Bescheiden auf seine Pflicht zur Mitteilung von Änderungen seiner persönlichen Verhältnisse hingewiesen worden sei. Das der Behörde zustehende Ermessen sei unter Berücksichtigung der Nachrangigkeit von Leistungen nach dem AsylbLG auszuüben.
Seinen am 17.12.2007 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, die Fiktionsbescheinigung sei bereits im Hinblick auf die baldige Erteilung der Niederlassungserlaubnis ausgestellt worden. Im Übrigen habe seine Mutter die Niederlassungserlaubnis nach Ausstellung sofort dem Beklagten übersandt. Nur so sei auch der fortdauernde Leistungsbezug zu erklären gewesen. Das Anschreiben könne sie nicht mehr reproduzieren, da zwischenzeitlich die Festplatte des Computers "verbrannt" sei. Andernfalls stelle sich die Frage, ob der Beklagte nicht wirklich zu Unrecht Leistungen gewährt habe und nun versuche, dies dem Kläger anzulasten.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14.04.2008 (zugestellt am 19.04.2008) zurück und führte zur Begründung aus, eine frühere Mitteilung von der Niederlassungserlaubnis sei nicht nachgewiesen. Hätte der Kläger hingegen die Niederlassungserlaubnis rechtzeitig mitgeteilt, so hätte bereits ab dem 01.02.2007 auch kein Leistungsanspruch nach dem SGB II bestanden, da bereits damals ein Wohngeldanspruch vorrangig gewesen wäre.
Hiergegen richtet sich die am 19.05.2008 erhobene Klage.
Der Kläger führt aus, die Überzahlung sei wesentlich dem Beklagten anzulasten, der in Kenntnis der Befristung der Fiktionsbescheinigung weitergezahlt und insbesondere nicht nach dem anschließenden Aufenthaltsstatus gefragt habe. Der Kläger habe auch nicht erkennen können, dass ihm ab Erteilung der Niederlassungserlaubnis kein Leistungsanspruch mehr zugestanden habe. Im Übrigen habe der Beklagte auch die Leistungen nach dem SGB XII erspart, die dem Kläger andernfalls zugestanden hätten. Letzterer Punkt sei insbesondere für die Ermessensausübung bedeutsam, ebenso der Umstand, dass der Beklagte durch den Einstellungsbescheid vom 17.10.2007 den Eindruck erweckt habe, er werde dem Kläger die Leistungen für die Vergangenheit belassen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 13.11.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2008 aufzuheben
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus, ein Anspruch nach dem SGB XII sei für die Zeit ab Februar 2007 deswegen nicht in Betracht gekommen, weil der Kläger aufgrund Alters und Erwerbsfähigkeit der Grundsicherung für Arbeitsuchende unterfallen wäre. Ein Anspruch auf diese Leistungen habe jedoch unter Berücksichtigung des laufenden Unterhalts sowie des Wohngeldanspruchs nicht bestanden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beklagte durfte die vorangegangenen Bewilligungsbescheide zurücknehmen und die zu Unrecht erbrachten Leistungen gem. § 50 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erstattet verlangen.
Grundlage für die Aufhebung der Bewilligungsbescheide ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 SGB X. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht begründet hat, rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden, § 45 Abs. 1 SGB X. Mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt u.a. dann, wenn er auf Angaben beruht, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat, § 45 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. In diesem Fall kann sich der Betroffene auch nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen.
Die Bewilligungsentscheidungen für die Zeit ab Februar 2007 waren rechtswidrig, d.h. sie hätten nicht ergehen dürfen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Kläger nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis nicht mehr zu dem nach § 1 AsylbLG anspruchsberechtigten Personenkreis gehörte (vgl. nur Sächsisches LSG, Beschluss vom 05.09.2006, L 3 B 128/06 AS-ER juris, Rn. 45). Dies sieht der Kläger auch selbst so, insbesondere hat er im Verwaltungsverfahren gegen den zuständigen Behördenmitarbeiter eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben mit der Begründung, dieser habe ihm in offensichtlicher Verkennung der Sach- und Rechtslage Leistungen nach dem AsylbLG bewilligt.
Schutzwürdiges Vertrauen steht der Rücknahme nicht entgegen, zugleich sind die Voraussetzungen einer Rücknahme für die Vergangenheit erfüllt. Die aufgehobenen Bewilligungsbescheide beruhen sämtlich auf Angaben, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. Es ist nicht bewiesen, dass der Kläger - wie er vorgetragen hat - den Beklagten bereits vor Mitte Oktober 2007 von der Erteilung der Niederlassungserlaubnis in Kenntnis gesetzt hat. Die Kammer verkennt weiterhin nicht, dass § 45 SGB X keinen § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vergleichbaren Ausschlusstatbestand enthält, der auch die Verletzung einer Mitteilungspflicht erfasst. Jedoch steht das Verschweigen von Tatsachen einer aktiven unrichtigen Angabe gleich, wenn die Mitteilungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) deswegen bestanden, weil die Umstände für die fragliche Leistung rechtlich erheblich waren und der Betroffene dies wusste oder hätte wissen müssen (aus neuerer Zeit LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.08.2008, L 9 SO 3/08, juris, Rn. 43). Es kann dahinstehen, ob die in jedem Bescheid des Beklagten enthaltenen allgemeinen Hinweise (die nicht ausdrücklich auch eine Änderung des Aufenthaltsstatus als für die Hilfegewährung maßgebende Tatsache bezeichnen) insoweit ausreichend sind. Jedenfalls musste dem Kläger die Bedeutung seines Aufenthaltsrechts schon deswegen klar sein, weil der Beklagte weniger als einen Monat vor Erteilung der Niederlassungserlaubnis noch ausdrücklich danach gefragt hatte.
Der Anwendung von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X steht auch nicht entgegen, dass die Angaben, die der Kläger auf diese Nachfrage hin gemacht hat, zum damaligen Zeitpunkt noch zutreffend waren. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist auch dann erfüllt, wenn der Betroffene die Korrektur ursprünglich (insbes. im Zeitpunkt der Antragstellung) zutreffender Angaben unterlässt, die noch vor Erlass des Bescheides nicht mehr zutreffen (Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl., 2008, § 45, Rn. 49 m.w.N.).
Da einer der Tatbestände aus § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist, ist auch die Rücknahme für die Vergangenheit zulässig, § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X. Die Fristen aus § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 2 SGB X sind gewahrt.
Die Rücknahme der Bewilligungsbescheide ist auch nicht in Anwendung der zu § 107 SGB X ergangenen Rechtsprechung des BSG ausgeschlossen, weil dem Beklagten ein vorrangiger Erstattungsanspruch gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger zustünde. Dies würde voraussetzen, dass die vom Beklagten erbrachten Leistungen nach dem AsylbLG gem. § 107 Abs. 1 SGB X als diejenige Leistung zu gelten hätte, auf die der Kläger Anspruch gehabt hätte. Ein solcher Anspruch des Klägers ist indes nicht ersichtlich. Ein Anspruch nach dem SGB XII scheidet - worauf der Beklagte zutreffend hinweist - aus, da der Kläger mit Erteilung der Niederlassungserlaubnis zugleich auch aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes herausgefallen ist. Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und/oder dem Wohngeldgesetz (WoGG) haben mangels eines entsprechenden Antrags (§ 37 SGB II, § 22 Abs. 1 WoGG) nicht bestanden.
Die Ermessenausübung durch den Beklagten lässt keine Fehler erkennen. Im Bereich der aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzierten Sozialhilfe ist eine Bezugnahme auf den Nachranggrundsatz (§ 2 Abs. 1 SGB XII) grundsätzlich nicht zu beanstanden.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, der Beklagte setze sich in Widerspruch zu eigenem Verhalten, wenn er die Bescheide zurücknehme, obwohl er eigene Nachforschungen zum Aufenthaltsstatus unterlassen habe. Zunächst musste sich dem Beklagten aus dem Umstand, dass der Kläger seinerzeit eine befristete Fiktionsbescheinigung vorgelegt hatte, nicht zwingend der Schluss aufdrängen, der Kläger würde nach deren Ablauf die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllen. Der Zweck sozialrechtlicher Mitteilungspflichten liegt gerade darin, dass die Leistungsträger nicht damit belastet werden, allen möglicherweise in Betracht kommenden Umständen, die für den Leistungsbezug maßgeblich sein könnten, "ins Blaue hinein" nachzuforschen.
Der Vortrag, der Beklagte habe durch den Einstellungsbescheid vom 17.10.2007 den Eindruck erweckt, er werde dem Kläger die Leistungen für die Vergangenheit belassen, ist schon deswegen abwegig, weil der Beklagte den Kläger zugleich (mit Schreiben vom selben Tag) zur beabsichtigten Rücknahme für die Zeit ab 01.02.2007 angehört hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung der für den Zeitraum vom 01.02.2007 bis 31.10.2007 gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am 00.00.00 geborene Kläger ist ukrainischer Staatsangehöriger und lebt seit 1998 in Deutschland. Nachdem ihm und seiner am 00.00.00 geborenen Mutter und gesetzlicher Vertreterin am 29.11.2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz, AufenthG) erteilt worden war, bezog er ab dem 01.01.2006 Leistungen nach dem AsylbLG in entsprechender Anwendung des Sozialgesetzbuchs - Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).
Mit Schreiben vom 26.12.2006 übersandte die Mutter des Klägers dem Beklagten die Verlängerung ihrer eigenen Aufenthaltserlaubnis (nach § 25 Abs. 5 AufenthG) nebst einer bis zum 28.02.2007 gültigen Fiktionsbescheinigung betreffend den Kläger. Mit Bescheiden vom 25.01.2007 bewilligte der Beklagte weiter Leistungen für Januar und Februar 2007. Dem Bescheid beigefügt war eine Bescheinigung zur Vorlage bei der GEZ, wonach die Leistungen bis zum 27.11.2007 bewilligt waren. Mit späteren Bescheiden (vom 06.02.2007 für März 2007 und vom 22.06.2007 für Juli 2007) nahm der Beklagte der Höhe nach Korrekturen vor.
Nachdem die Mutter des Klägers im Rahmen einer Vorsprache beim Beklagten die dem Kläger am 15.01.2007 erteilte Niederlassungserlaubnis vorgelegt hatte, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 17.10.2007 die Leistungen ab November 2007 mit der Begründung ein, der Kläger sei ab Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach dem SGB XII leistungsberechtigt gewesen. Einen Antrag des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 07.11.2007 mit der Begründung ab, die Hilfebedürftigkeit könne vorrangig durch Wohngeld behoben werden.
Bereits mit Schreiben vom 17.10.2007 hatte der Beklagte außerdem mitgeteilt, er beabsichtige, die seit dem 01.02.2007 (Beginn des Monats nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis) gewährten Leistungen nach dem AsylbLG zurückzufordern. Die Überzahlung habe der Kläger auch zu vertreten, da er seiner Pflicht, Änderungen im Aufenthaltsstatus unverzüglich mitzuteilen, nicht nachgekommen sei. Der Kläger wandte ein, sein vorheriger Aufenthaltsstatus sei bis Januar 2007 befristet gewesen, so dass der Beklagte eine anstehende Veränderung bereits damals habe erkennen können.
Am 13.11.2007 erließ der Beklagte den angekündigten Bescheid, mit dem er die Bescheide betreffend den Zeitraum vom 01.02.2007 bis 31.10.2007 aufhob und Leistungen i.H. v. insgesamt 1.613,42 Euro erstattet verlangte. Er führte aus, auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da er in diversen zuvor ergangenen Bescheiden auf seine Pflicht zur Mitteilung von Änderungen seiner persönlichen Verhältnisse hingewiesen worden sei. Das der Behörde zustehende Ermessen sei unter Berücksichtigung der Nachrangigkeit von Leistungen nach dem AsylbLG auszuüben.
Seinen am 17.12.2007 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, die Fiktionsbescheinigung sei bereits im Hinblick auf die baldige Erteilung der Niederlassungserlaubnis ausgestellt worden. Im Übrigen habe seine Mutter die Niederlassungserlaubnis nach Ausstellung sofort dem Beklagten übersandt. Nur so sei auch der fortdauernde Leistungsbezug zu erklären gewesen. Das Anschreiben könne sie nicht mehr reproduzieren, da zwischenzeitlich die Festplatte des Computers "verbrannt" sei. Andernfalls stelle sich die Frage, ob der Beklagte nicht wirklich zu Unrecht Leistungen gewährt habe und nun versuche, dies dem Kläger anzulasten.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14.04.2008 (zugestellt am 19.04.2008) zurück und führte zur Begründung aus, eine frühere Mitteilung von der Niederlassungserlaubnis sei nicht nachgewiesen. Hätte der Kläger hingegen die Niederlassungserlaubnis rechtzeitig mitgeteilt, so hätte bereits ab dem 01.02.2007 auch kein Leistungsanspruch nach dem SGB II bestanden, da bereits damals ein Wohngeldanspruch vorrangig gewesen wäre.
Hiergegen richtet sich die am 19.05.2008 erhobene Klage.
Der Kläger führt aus, die Überzahlung sei wesentlich dem Beklagten anzulasten, der in Kenntnis der Befristung der Fiktionsbescheinigung weitergezahlt und insbesondere nicht nach dem anschließenden Aufenthaltsstatus gefragt habe. Der Kläger habe auch nicht erkennen können, dass ihm ab Erteilung der Niederlassungserlaubnis kein Leistungsanspruch mehr zugestanden habe. Im Übrigen habe der Beklagte auch die Leistungen nach dem SGB XII erspart, die dem Kläger andernfalls zugestanden hätten. Letzterer Punkt sei insbesondere für die Ermessensausübung bedeutsam, ebenso der Umstand, dass der Beklagte durch den Einstellungsbescheid vom 17.10.2007 den Eindruck erweckt habe, er werde dem Kläger die Leistungen für die Vergangenheit belassen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 13.11.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2008 aufzuheben
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus, ein Anspruch nach dem SGB XII sei für die Zeit ab Februar 2007 deswegen nicht in Betracht gekommen, weil der Kläger aufgrund Alters und Erwerbsfähigkeit der Grundsicherung für Arbeitsuchende unterfallen wäre. Ein Anspruch auf diese Leistungen habe jedoch unter Berücksichtigung des laufenden Unterhalts sowie des Wohngeldanspruchs nicht bestanden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beklagte durfte die vorangegangenen Bewilligungsbescheide zurücknehmen und die zu Unrecht erbrachten Leistungen gem. § 50 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erstattet verlangen.
Grundlage für die Aufhebung der Bewilligungsbescheide ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 SGB X. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht begründet hat, rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden, § 45 Abs. 1 SGB X. Mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt u.a. dann, wenn er auf Angaben beruht, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat, § 45 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. In diesem Fall kann sich der Betroffene auch nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen.
Die Bewilligungsentscheidungen für die Zeit ab Februar 2007 waren rechtswidrig, d.h. sie hätten nicht ergehen dürfen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Kläger nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis nicht mehr zu dem nach § 1 AsylbLG anspruchsberechtigten Personenkreis gehörte (vgl. nur Sächsisches LSG, Beschluss vom 05.09.2006, L 3 B 128/06 AS-ER juris, Rn. 45). Dies sieht der Kläger auch selbst so, insbesondere hat er im Verwaltungsverfahren gegen den zuständigen Behördenmitarbeiter eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben mit der Begründung, dieser habe ihm in offensichtlicher Verkennung der Sach- und Rechtslage Leistungen nach dem AsylbLG bewilligt.
Schutzwürdiges Vertrauen steht der Rücknahme nicht entgegen, zugleich sind die Voraussetzungen einer Rücknahme für die Vergangenheit erfüllt. Die aufgehobenen Bewilligungsbescheide beruhen sämtlich auf Angaben, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. Es ist nicht bewiesen, dass der Kläger - wie er vorgetragen hat - den Beklagten bereits vor Mitte Oktober 2007 von der Erteilung der Niederlassungserlaubnis in Kenntnis gesetzt hat. Die Kammer verkennt weiterhin nicht, dass § 45 SGB X keinen § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vergleichbaren Ausschlusstatbestand enthält, der auch die Verletzung einer Mitteilungspflicht erfasst. Jedoch steht das Verschweigen von Tatsachen einer aktiven unrichtigen Angabe gleich, wenn die Mitteilungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) deswegen bestanden, weil die Umstände für die fragliche Leistung rechtlich erheblich waren und der Betroffene dies wusste oder hätte wissen müssen (aus neuerer Zeit LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.08.2008, L 9 SO 3/08, juris, Rn. 43). Es kann dahinstehen, ob die in jedem Bescheid des Beklagten enthaltenen allgemeinen Hinweise (die nicht ausdrücklich auch eine Änderung des Aufenthaltsstatus als für die Hilfegewährung maßgebende Tatsache bezeichnen) insoweit ausreichend sind. Jedenfalls musste dem Kläger die Bedeutung seines Aufenthaltsrechts schon deswegen klar sein, weil der Beklagte weniger als einen Monat vor Erteilung der Niederlassungserlaubnis noch ausdrücklich danach gefragt hatte.
Der Anwendung von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X steht auch nicht entgegen, dass die Angaben, die der Kläger auf diese Nachfrage hin gemacht hat, zum damaligen Zeitpunkt noch zutreffend waren. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist auch dann erfüllt, wenn der Betroffene die Korrektur ursprünglich (insbes. im Zeitpunkt der Antragstellung) zutreffender Angaben unterlässt, die noch vor Erlass des Bescheides nicht mehr zutreffen (Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl., 2008, § 45, Rn. 49 m.w.N.).
Da einer der Tatbestände aus § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist, ist auch die Rücknahme für die Vergangenheit zulässig, § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X. Die Fristen aus § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 2 SGB X sind gewahrt.
Die Rücknahme der Bewilligungsbescheide ist auch nicht in Anwendung der zu § 107 SGB X ergangenen Rechtsprechung des BSG ausgeschlossen, weil dem Beklagten ein vorrangiger Erstattungsanspruch gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger zustünde. Dies würde voraussetzen, dass die vom Beklagten erbrachten Leistungen nach dem AsylbLG gem. § 107 Abs. 1 SGB X als diejenige Leistung zu gelten hätte, auf die der Kläger Anspruch gehabt hätte. Ein solcher Anspruch des Klägers ist indes nicht ersichtlich. Ein Anspruch nach dem SGB XII scheidet - worauf der Beklagte zutreffend hinweist - aus, da der Kläger mit Erteilung der Niederlassungserlaubnis zugleich auch aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes herausgefallen ist. Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und/oder dem Wohngeldgesetz (WoGG) haben mangels eines entsprechenden Antrags (§ 37 SGB II, § 22 Abs. 1 WoGG) nicht bestanden.
Die Ermessenausübung durch den Beklagten lässt keine Fehler erkennen. Im Bereich der aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzierten Sozialhilfe ist eine Bezugnahme auf den Nachranggrundsatz (§ 2 Abs. 1 SGB XII) grundsätzlich nicht zu beanstanden.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, der Beklagte setze sich in Widerspruch zu eigenem Verhalten, wenn er die Bescheide zurücknehme, obwohl er eigene Nachforschungen zum Aufenthaltsstatus unterlassen habe. Zunächst musste sich dem Beklagten aus dem Umstand, dass der Kläger seinerzeit eine befristete Fiktionsbescheinigung vorgelegt hatte, nicht zwingend der Schluss aufdrängen, der Kläger würde nach deren Ablauf die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllen. Der Zweck sozialrechtlicher Mitteilungspflichten liegt gerade darin, dass die Leistungsträger nicht damit belastet werden, allen möglicherweise in Betracht kommenden Umständen, die für den Leistungsbezug maßgeblich sein könnten, "ins Blaue hinein" nachzuforschen.
Der Vortrag, der Beklagte habe durch den Einstellungsbescheid vom 17.10.2007 den Eindruck erweckt, er werde dem Kläger die Leistungen für die Vergangenheit belassen, ist schon deswegen abwegig, weil der Beklagte den Kläger zugleich (mit Schreiben vom selben Tag) zur beabsichtigten Rücknahme für die Zeit ab 01.02.2007 angehört hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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