S 19 SO 64/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 64/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 65/09
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten. Der Streitwert wird auf 3.806,32 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Überleitungsanzeige.

Der am 00.00.00 geborene Kläger und seine Schwester sind Erben ihrer am 00.00.00 geborenen und am 00.00.00 verstorbenen Mutter (i.F.: Hilfeempfängerin). Eine Erbauseinandersetzung hat bislang nicht stattgefunden.

Durch notariellen Vertag vom 00.00.00 veräußerte die Hilfeempfängerin zwei Grundstücke an den Kläger, der ihr zugleich ein lebenslanges Wohnrecht an dem Grundbesitz einräumte und sich verpflichtete, die Hilfeempfängerin "lebenslänglich unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen". Die Verpflichtung ist nach dem Vertrag "für den Zeitraum nicht zu erbringen, für den solche Pflege- und Betreuungsleistungen objektiv nicht vom Erwerber selbst, sondern nur durch hierzu speziell ausgebildete Personen erbracht werden können oder ein Heimaufenthalt des Veräußerers aus anderen, in der Person des Veräußerers liegenden Gründen unumgänglich ist". Weiter heißt es im Vertrag, soweit und solange die Verpflichtung zu Pflege und Betreuung aus den genannten Gründen entfalle, seien der Kläger und seine Schwester verpflichtet, "die Kosten der Pflege und Betreuung durch dritte Personen oder die Kosten des Heimaufenthalts je zur Hälfte zu tragen, sofern die eigenen Einkünfte und das Vermögen des Veräußerers unter Berücksichtigung eines auch ansonsten angemessenen Lebensunterhaltes zur Bestreitung dieser Kosten nicht ausreichen."

Nach Aufnahme der Hilfeempfängerin in ein Pflegeheim am 00.00.00 beantragte diese die Übernahme ungedeckter Heimkosten aus Sozialhilfemitteln, was der Beklagte zunächst unter Hinweis auf einen sich aus dem notariellen Vertrag ergebenden Anspruch gegenüber den Kindern ablehnte. Einen erneuten Antrag begründete die Hilfeempfängerin u.a. mit dem Hinweis auf eine zwischenzeitlich gegen den hiesigen Kläger vor dem LG M erhobene Klage auf Übernahme ungedeckter Heimkosten (Az. 1 O 53/06). Durch Beschluss vom 25.10.2006 ordnete das LG ihm gegenüber an, ab dem 01.11.2006 monatlich 350.- Euro an die Hilfeempfängerin zu zahlen (Az. 1 O 288/06). Mit Bescheid vom 22.11.2006 bewilligte der Beklagte sodann der Hilfeempfängerin für die Zeit ab dem 04.04.2006 Hilfe zur Pflege gegen Kostenersatz (§ 19 Abs. 5 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - Sozialhilfe, SGB XII).

Nachdem der Beklagte im Dezember 2008 vom Tod der Hilfeempfängerin und von der Aussetzung des Verfahrens vor dem Landgericht gem. § 246 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erfahren hatte, stellte er die eigenen Leistungen ein und leitete mit Bescheid vom 11.02.2009 den Anspruch der Hifeempfängerin gegenüber dem Kläger dem Grund nach bis zur Höhe der Sozialhilfeaufwendungen auf sich über. Er führte aus, bei rechtzeitiger Befriedigung des Anspruchs aus dem notariellen Vertrag hätte insoweit keine Sozialhilfe gewährt werden müssen. Seinen am 11.03.2009 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, ein anderweitig rechtshängiger Anspruch könne nicht mehr übergeleitet werden. Außerdem komme eine Überleitung nach dem Tod der Hilfeempfängerin ohnehin nicht mehr in Betracht. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28.05.2009 (zugestellt am 04.06.2009) zurück. Er führte aus, auf das tatsächliche Bestehen eines Anspruchs komme es für die Überleitungsanzeige nicht an. Es genüge, dass ein solcher Anspruch bestehen könne. Anderweitige Rechtshängigkeit stehe nicht entgegen, da der Sozialhilfeträger nach § 265 ZPO in den Prozess eintreten könne. Angesichts des öffentlichen Interesses an einer sparsamen Verwendung der Sozialhilfemittel müsse das Interesse des Klägers zurückstehen.

Hiergegen richtet sich die am 01.07.2009 erhobene Klage. Einen an das LG gerichteten Antrag auf Aufnahme des Verfahrens hat der hiesige Beklagte auf Hinweis des Gerichts zurückgenommen.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, ein nicht bestehender Anspruch könne auch nicht übergeleitet werden. Der Beklagte setze sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten, wenn er den Aufnahmeantrag vor dem LG zurücknehmen, dennoch aber auf einer Überleitung des etwaigen Anspruchs beharre. Ferner habe er mit Schreiben vom 29.04.2008 gegenüber dem LG auf eine spätere Überleitung verzichtet. Weiterhin werde vorsorglich die Einrede der Verjährung erhoben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 11.02.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus, die Rechtmäßigkeit der Überleitung sei von Bestehen und Umfang des übergeleiteten Anspruchs unabhängig. Es sei beabsichtigt, den Anspruch, der sich noch auf 7.612,64 Euro belaufe, gegenüber dem Kläger nunmehr in eigenem Namen geltend zu machen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angegriffenen Entscheidungen nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die auf § 93 Abs. 1 SGB XII gestützte Überleitung ist rechtmäßig.

Hat eine nach dem SGB XII leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die ihr Leistungen erbracht werden, einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) ist, kann der Träger der Sozialhilfe gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII durch schriftliche Anzeige an diesen anderen bewirken, dass der Anspruch des Hilfeempfängers bis zur Höhe der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers auf diesen übergeht. Der Übergang des Anspruchs darf nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger Leistung des anderen entweder die Leistung des Sozialhilfeträgers nicht erbracht worden wäre oder in den Fällen des § 19 Abs. 5 SGB XII und des § 92 Abs. 1 SGB XII Aufwendungsersatz oder ein Kostenbeitrag zu leisten wäre, § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Die Überleitungsanzeige erfolgt durch Verwaltungsakt, wie sich aus § 93 Abs. 3 SGB XII ergibt.

Die Voraussetzungen einer Überleitung sind erfüllt. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, hat der Beklagte der verstorbenen Mutter des Klägers Leistungen nach dem SGB XII erbracht. Auch die Voraussetzungen aus § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sind erfüllt. Der Beklagte hat seine Leistungen an die Hilfeempfängerin ausdrücklich im Wege der sog. erweiterten Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII erbracht, d.h. er hat trotz ungeklärter Vermögenslage (ein etwaiger Anspruch der Hilfeempfängerin gegen den Kläger gehört zu Vermögen der Hilfeempfängerin i.S.d. § 90 SGB XII) vorerst geleistet. Falls ein Anspruch der Hilfeempfängerin gegenüber dem Kläger in dem in der Überleitungsanzeige genannten Zeitraum (04.04.2006 bis 30.11.2008) tatsächlich bestanden hat, wäre die Hilfeempfängerin nach § 19 Abs. 5 SGB XII zum Kostenersatz verpflichtet gewesen. Dass ein Anspruch gegen den Kläger nach dem notariellen Vertrag höchstens zur Hälfte der ungedeckten Heimkosten in Betracht kommen mag, ist insoweit unbeachtlich, denn der Beklagte hat in den angefochtenen Entscheidungen hinreichend deutlich gemacht, dass die Überleitung auch nur diesen hälftigen Anspruch umfassen sollte.

Die Überleitung scheitert auch nicht daran, dass der von ihr betroffene Anspruch offensichtlich nicht bestünde. Im Rahmen der (reinen) Anfechtungsklage gegen eine Überleitung i.S.d. § 93 SGB XII vertraglicher Ansprüche prüft das Sozialgericht das Bestehen des überzuleitenden Anspruchs nur darauf, ob der betroffene Anspruch nach objektivem materiellen Recht von vornherein ausgeschlossen erscheint, d.h. ob das Nichtvorliegen des übergeleiteten Anspruchs offenkundig ist (sog. "Negativevidenz", vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 27.05.1993, 5 C 7.92, NJW 1994, 64 zur Vorgängervorschrift in § 90 des Bundessozialhilfegesetzes; zu § 93 SGB XII etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.07.2007, L 20 B 16/07 SO; Bayerisches LSG, Urteil vom 14.02.2008, L 11 SO 20/07; SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 12.08.2008, S 34 SO 228/06).

Diese Beschränkung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Überleitung trägt dem gegliederten Rechtsschutzsystem Rechnung und soll verhindern, dass die Sozialgerichte über Ansprüche entscheiden, die - wie im vorliegenden Fall ein etwaiger Anspruch aus dem notariellen Vertrag - nicht ihrer Zuständigkeit unterliegen (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., 2008, § 93, Rn. 10). Weiterhin hat diese Abgrenzung ihren Grund auch darin, dass ein Anspruchsübergang nach allgemeinem Verständnis die Rechtsnatur des Anspruchs nicht berührt. Da also ein zivilrechtlicher Anspruch nicht etwa Kraft der Überleitung in § 93 SGB XII zum öffentlich-rechtlichen wird, darf der Sozialhilfeträger ihn nicht durch Verwaltungsakt geltend machen, sondern muss ihn vor den Zivilgerichten einklagen. Müsste das Sozialgericht jedoch schon im Vorfeld einer solchen Geltendmachung über das Bestehen des Anspruchs entscheiden, so wäre das Zivilgericht im späteren dortigen Verfahren nicht an die diesbezüglichen Feststellungen des Sozialgerichts gebunden und es drohte die Gefahr divergierender Gerichtsentscheidungen. Schließlich ist auch dem Schutzbedürfnis des in Anspruch genommenen Privaten hinreichend Rechnung getragen, denn mit der Überleitung sind keinerlei verbindliche Feststellungen zum Bestehen des Anspruchs verbunden. Mit anderen Worten: Die Überleitungsanzeige trifft keine Feststellungen hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs, sondern regelt, wer sich berühmen darf, Inhaber der etwaigen Forderung zu sein.

Wegen dieser Beschränkung der Rechtswirkung einer Überleitung nach § 93 SGB XII (mit der eine entsprechende Beschränkung des Prüfungsumfangs im sozialgerichtlichen Verfahren einhergeht) hindert auch eine anderweitige Rechtshängigkeit des von der Überleitung betroffenen Anspruchs die Überleitung nicht. Ein entsprechendes Verbot ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus den Grundsätzen zur anderweitigen Rechtshängigkeit als Sachentscheidungshindernis. Letztere soll divergierende Entscheidung verschiedener Gerichte zum selben Streitgegenstand verhindern. Diese Gefahr droht aber bei der Überleitung nach § 93 SGB XII gerade dann nicht, wenn die oben dargestellte Trennung zwischen zivilgerichtlicher und sozialgerichtlicher Jurisdiktion beachtet wird.

Gründe dafür, wieso der von der Überleitung betroffene Anspruch nicht bestehen sollte, sind nicht ersichtlich:

Allgemein gilt, dass die Negativevidenz einer Überleitung nach § 93 SGB XII grundsätzlich nicht entgegensteht, wenn ein Hilfeempfänger ein ihm notariell zugesichertes Wohnrecht nicht mehr ausüben kann, weil er in ein Pflegeheim aufgenommen wird, so steht (Wahrendorf, a.a.O. m.w.N.).

Auch die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls zwingen nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Insbesondere führte der Tod der Hilfeempfängerin nicht dazu, dass der übergeleitete Anspruch offensichtlich nicht mehr bestünde. Es spricht aus zivilrechtlicher Sicht einiges dafür, dass der übergeleitete Anspruch nicht mit dem Tod der Hilfeempfängerin erloschen ist. Insoweit kommt eine Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 528 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Betracht, wonach der Rückforderungsanspruch des Schenkers dann nicht mit dessen Tod erlischt, wenn der Schenker ihn zuvor geltend gemacht und/oder Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 25.04.2001X ZR 229/99, juris, Rn. 15 f. m.w.N.). Auch ein Erlöschen des Anspruchs durch Konfusion im Erbfall ist jedenfalls nicht offensichtlich, denn eine solche tritt erst nach Abschluss der Erbauseinandersetzung ein (Edenhofer, in: Palandt, BGB, 65. Aufl., 2006, § 1922, Rn. 6), die hier noch nicht stattgefunden hat.

Die vom Kläger erhobene Verjährungseinrede gehört zu den von dem zuständigen ordentlichen Gericht zu prüfenden Gesichtspunkten. Dass der Anspruch angesichts der Bedenken, die das LG gegen eine Aufnahme des dortigen Verfahrens geäußert hat, möglicherweise schwer durchzusetzen ist, berührt seine Existenz erst recht nicht (und wirkt sich im Übrigen auch grundsätzlich zugunsten des Klägers aus).

Soweit der Kläger ausführt, der Beklagte habe mit Schreiben vom 29.04.2008 auf eine Überleitung verzichtet, dringt er hiermit nicht durch. Ungeachtet der Frage, welche Rechtsform der Beklagte für einen wirksamen Verzicht hätte wählen müssen, lässt sich dem betreffenden Schreiben kein solcher Wille des Beklagten entnehmen. Es handelt sich vielmehr um eine reine Mitteilung an das LG, wonach der Beklagte damals keine Überleitung vorgenommen habe, um der Hilfeempfängerin (der damaligen Klägerin vor dem LG) nicht die Aktivlegitimation zu entziehen.

Auch die Ermessenserwägungen des Beklagten sind nicht zu beanstanden. An die einer Überleitungsanzeige zugrundeliegenden Ermessensausübung sind angesichts der Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) keine sehr hohen Anforderungen zu stellen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.07.2007, L 20 B 16/07 SO). Regelmäßig genügt der Hinweis auf das öffentliche Interesse an der sparsamen Verwendung der aus dem Steueraufkommen finanzierten Sozialhilfemittel. Außergewöhnliche familiäre und soziale Belange, die für ein Abweichen von diesem Grundsatz im Ermessenswege hätten sprechen können, sind weder dargetan noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 52 Abs. 3, 62 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Da das Bestehen des übergeleiteten Anspruchs im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen war und der Ausgang eines auf Durchsetzung dieses Anspruchs gerichteten zivilgerichtlichen Verfahrens noch offen ist, erscheint es sachgemäß, das wirtschaftliche Interesse des Klägers im vorliegenden Verfahren bei der Hälfte der Forderung i.H.v. 7.612,64 Euro anzusetzen, derer sich der Beklagte berühmt (vgl. allgemein LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.07.2008, L 7 SO 1336/08 W-A).
Rechtskraft
Aus
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