L 7 SB 46/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 SB 23/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 46/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Herabsetzung des GdB bei jungen Erwachsenen
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte zu Recht das Merkzeichen H (Hilflosigkeit) entzogen hat.

Auf Antrag des 1985 geborenen Klägers stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27. November 1991 eine Behinderung mit einem Grad von 90 aufgrund einer Bluterkrankung (Hämopholie A) mit Entwicklungsrückstand sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), H und B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) fest.

Im April 1999 führte der Beklagte eine Nachuntersuchung von Amts wegen durch. Die Kinderärztin Dipl.-Med. P. teilte unter dem 30. April 1999 mit, der Kläger leide unter Hämophilie A mit Faktor VIII-Dauersubstitution, Verhaltensauffälligkeiten, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Epilepsie. Die Krampfanfälle seien unter antiepileptischer Behandlung nicht wieder aufgetreten. Zurzeit besuche der Kläger eine Lernbehindertenschule. In Anlage übersandte sie einen Arztbrief von Dr. T. und Dipl.-Med. K. vom 12. März 1997 (Städtisches Klinikum Dessau) die u.a. einen Zustand nach zwei Krampfanfällen bei bekanntem Krampfleiden, schwere Hämophilie sowie eine Entwicklungsretardierung diagnostiziert hatten. Nach Auswertung der Befunde teilte der Beklagte dem Kläger mit, da keine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse eingetreten sei, verbleibe es bei der bisherigen Feststellung.

Eine weitere Nachuntersuchung von Amts wegen veranlasste der Beklagte im Juli 2001 durch die Einholung eines Befundberichts von Dipl.-Med. P. vom 26. Juli 2001. Diese berichtete von einer Zunahme der Verhaltensauffälligkeiten bei ansonsten unveränderten gesundheitlichen Verhältnissen. Außerdem zog der Beklagte einen Arztbrief vom stationären Aufenthalt des Klägers in der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-Psychotherapie in Dessau vom 8. bis 31. August 2001 bei. Als abschließende Diagnosen wurden eine Störung im Sozialverhalten bei chronischer Erkrankung (F91.9), Hämophilie A sowie Epilepsie diagnostiziert. Daraufhin schlug der Ärztlicher Gutachten des Beklagten, Dr. J., für Hämophilie A eine Grad der Behinderung von 80, für die geistige Leistungsminderung mit Verhaltensstörungen einen Grad der Behinderung von 50, für das Anfallsleiden einen Grad der Behinderung von 30 sowie eine Gesamtgrad der Behinderung von 100 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2001 beim Kläger einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, H und B fest.

Im April 2004 veranlasste der Beklagte eine weitere Überprüfung von Amts wegen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H. stellte mit einem am 3. Mai 2004 beim Beklagten eingegangenen Befundschein ein unter Dauermedikation eingestelltes Anfallsleiden fest; seit fünf Jahren bestünden keine Anfälle mehr. Außerdem leide der Kläger an einer schweren Hämophilie A mit drei wöchentlichen Substitutionen. Dr. H. teilte ferner mit, der Kläger habe den Schulabschluss der 9. Klasse der Lernbehindertenschule erreicht und absolviere zurzeit ein Berufvorbereitendes Jahr (BVJ) im Gartenbau. In Anlage übersandte er einen Arztbrief vom Universitätsklinikum Leipzig vom 6. Januar 2003, wonach der Kläger bei einer Kontrollvorstellung am 23. Oktober 2002 keine Hämatome gehabt habe. In Auswertung dieser Unterlagen schlug der beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten für Hämophilie A einen Grad der Behinderung von 80, für eine geistige Leistungsminderung mit Verhaltensstörung einen Behinderungsgrad von 50 sowie für das Anfallsleiden einen Grad der Behinderung von 30 und einen Gesamtgrad von 100 vor und schätzte ein, die Voraussetzungen für die Feststellung von Merkzeichen seien nicht mehr erfüllt.

Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 2. September 2005 zu einem beabsichtigten Entzug des Merkzeichens H an und führte zur Begründung aus, mit Vollendung des 18. Lebensjahres seien die gesetzlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens H nicht mehr erfüllt. Maßgebend für die bisherige Feststellung von Hilflosigkeit seien das Lebensalter und die Art der Behinderung, die eine ständige Anleitung, Kontrolle und Aufsicht erforderten. Hiervon könne bei zunehmendem Lebensalter und der inzwischen erworbenen Fähigkeit, die häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Tagesablauf ohne fremde Hilfe im Wesentlichen selbst vorzunehmen, nicht ausgegangen werden.

Mit ihrer Stellungnahme vom 11. September 2005 führte die Mutter des Klägers aus, der behandelnde Neurologe Dipl.-Med. Z. halte den Kläger für nicht allein lebenstüchtig und legte dazu Attest vom 28. April 2005 vor. Darin hatte dieser ausgeführt, der Kläger müsse unter beschützenden Bedingungen wohnen. Ein selbständiges Wohnen in einem Heim sei nicht möglich. Die Mutter des Klägers führte des Weiteren aus, Hilflosigkeit sei auch festzustellen, wenn die fremde Hilfe in dauernder Bereitschaft bestehe. Zudem habe sich die Behinderung mit Erreichen des 18. Lebensjahres nicht verändert, sofern die Bereitschaft zur Verrichtung von Hilfsmaßnahmen reduziert werde, hätte dies den Tod des Klägers zur Folge. Dem Schreiben lag eine gutachtliche Äußerung von Dr. Th. vom ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit vom 25. Juli 2005 bei. Danach bestünden beim Kläger ein Anfalls- und ein Blutungsleiden sowie eine leichte Intelligenzminderung. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe keine Leistungsfähigkeit, eine Tätigkeit sei in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) möglich, da der Kläger Aufsicht durch Betreuer bzw. Helfer benötige. Aufgrund seiner niedrigen Intelligenz sei er nicht allein lebenstüchtig.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2005 hob der Beklagte den Bescheid vom 25. Oktober 2001 auf und stellte einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G und B fest. Er führte aus, das Merkzeichen H entfalle mit Wirkung vom 1. November 2005, da für die geistige Behinderung kein Einzelgrad der Behinderung von 100 vorliege. Dies sei nach Vollendung des 18. Lebensjahres aber Voraussetzung. Am 25. Oktober 2005 erhob der Kläger Widerspruch und trug vor, das Merkzeichen H erfordere keinen Einzelbehinderungsgrad aufgrund einer geistigen Behinderung von 100. Auch wegen Hirnschäden und Anfallsleiden sei das Merkzeichen zu gewähren. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2006 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Dagegen hat der Kläger am 13. März 2006 Klage beim Sozialgericht Dessau erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt sowie die Pflegeakte des Klägers von der Pflegekasse bei der AOK Sachsen-Anhalt beigezogen. Die Befundberichte hat das Sozialgericht lediglich dem Beklagten zur Kenntnis übersandt, die Pflegeakte keinem der Beteiligten. Der Beklagte hat unter Hinweis auf ihre Versorgungsärztin Dr. W. auch nach der weiteren medizinischen Sachaufklärung an seiner Auffassung festgehalten. Der Kläger habe die 9. Klasse einer Lernbehindertenschule abschließen können und befinde sich im BVJ. Daraus sei Hilflosigkeit nicht abzuleiten.

Mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, für Kinder und Jugendliche habe der Gesetzgeber über die allgemeine Vorschrift des § 33 b des Einkommenssteuergesetzes (EStG) hinaus besondere Tatbestände für die Feststellung des Merkzeichens H vorgegeben. Die Inanspruchnahme der Merkzeichen über diese Altersgrenze hinaus sei dann nach den allgemeinen Regeln zu prüfen. Nach Vollendung des 18. Lebensjahres lägen die Voraussetzungen des Merkzeichens H bei dem Kläger nicht mehr vor, da weder ein Hirnschaden noch ein Anfallsleiden oder eine geistige Behinderung mit einem Einzelgrad der Behinderung von 100 vorliege.

Gegen den am 17. August 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am Montag, den 18. September 2006, Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die erkennende Kammer habe seine Entscheidung auf Befundberichte sowie das Pflegegutachten der AOK gestützt, ohne ihm Gelegenheit eingeräumt zu haben, sich zu den Tatsachen zu äußern. Er hat nochmals darauf hingewiesen, dass er dauernd fremder Hilfe bei regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens zur Sicherung seiner persönlichen Existenz in Form der Überwachung und Anleitung aufgrund einer ausgeprägten Antriebsschwäche benötige. Die Eltern müssten ihn täglich animieren das Bett zu verlassen, ins Badezimmer zu gehen, die Körperpflege zu betreiben und sich anzuziehen. Er könne seine Kleidung nicht zusammenstellen und die einzelnen Wäschestücke aus dem Schrank oder Kommode holen. Er sei zwischendurch immer wieder zu kontrollieren. Der elektrischen Rasierer sei vor jeder Benutzung neu einzurichten, weil er den Regler verstelle. Er könne auch das Badewasser nicht allein einlassen, weil er kein Gefühl für die verträgliche Temperatur entwickelt habe. Eine mundgerechte Zubereitung des Essens sei notwendig. Verpacktes müsse geöffnet, Brötchen müssten aufgeschnitten und belegt werden. Aufgrund der Hämophilie sei auch eine ständige Bereitschaft durch die Eltern oder andere Personen notwendig, weil er in permanenter Gefahr schwebe, sich zu verletzen und äußere oder innere Blutungen davon zu tragen. Daher bleibe er nicht ohne Beaufsichtigung beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Im Treppenhaus werde er an der Hand geführt, er könne auch nicht ohne Begleitung am Straßenverkehr teilnehmen. Wegen seiner ungelenken Motorik könne er beim Überqueren einer Fahrbahn nicht adäquat auf herannahende Auto- oder Radfahrer reagieren. Des Weiteren hat der Kläger vorgetragen, der Ausbildungsversuch zum Gärtner sei aufgrund seiner motorischen Ungeschicklichkeit abgebrochen worden. Zudem seien die Gartenarbeiten mit einer erhöhten Verletzungsgefahr verbunden gewesen. Im Zeitraum vom 1. September 2004 bis 29. Juli 2005 habe er bei dem beruflichen Ausbildungs- und Vorbereitungswerk in Dessau an einem Lehrgang zur Erprobung der Ausbildungsreife für den Beruf einer Bürokraft teilgenommen. Nach der beigelegten Abschlussbeurteilung der Einrichtung bestehe aufgrund der Epilepsie, der Hämophilie, des mentalen Entwicklungsrückstands und einer Störung im Sozialverhalten keine Ausbildungsreife. Schließlich hat der Kläger ein Attest des Dipl.-Med. Z. vom 3. Mai 2006 übersandt, wonach ein Intelligenztiefstand vom Grade einer Debilität (veraltete Bezeichnung für leichte geistige Behinderung) sowie dranghafte Verhaltensstörungen bestünden. Eine selbständige Lebensführung werde wohl nicht möglich sein. Dipl.-Med. Z. hatte des Weiteren ausgeführt, die Eltern kümmerten sich praktisch um alle Belange, müssten ihn zu den meisten Verrichtungen des Alltags ermahnen und ihn beaufsichtigen. Der Kläger selbst habe nur einen beschränkten Interessenkreis. Wegen der Hämophilie sei eine ständige Bereitschaft eines Elterteils notwendig, da schon durch eine relativ kleine Verletzung Lebensgefahr entstehen könne. Mit Schriftsatz vom 16. April 2009 hat der Kläger auf eine drastische Verschlechterung seines Gesundheitszustands gegenüber dem Jahre 2006 hingewiesen und dazu ein Attest des Dipl.-Med. Z. vom 5. April 2009 vorgelegt.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 14. August 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Landessozialgericht hat die vom Sozialgericht eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers diesem zur Kenntnis übersandt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin H. hat mit Befundbericht vom 16. Mai 2006 eine schwere Hämophilie A (substitutionspflichtig mit Faktor VIII), Epilepsie sowie eine Intelligenzminderung diagnostiziert. Die Befunde seien im Zeitraum von Dezember 2003 bis Februar 2006 insgesamt konstant geblieben. Dipl.-Med. Z. hat mit Befundbericht vom 30. Mai 2006 eine Oligophrenie (Debilität) sowie Epilepsie diagnostiziert. Die Angehörigen hätten Anfälle mit kurzer Bewusstseinstrübung sowie Gleichgewichtsstörungen mitgeteilt. Es handele sich um epileptische Anfälle mit Absencen (Form eines epileptischen Anfalls mit plötzlich einsetzender und abrupt endender Bewusstseinsstörung und nachfolgender Amnesie) und seltenen Grand-mal-Anfällen (generalisierter Anfall). Insgesamt seien die Befunde unverändert geblieben.

Des Weiteren hat der Senat die Pflegeakte des Klägers beigezogen und den Beteiligten in Kopie übersandt. Die Pflegekasse hatte mit Bescheid vom 5. November 2007 den Erstantrag des Klägers vom 21. August 2007 abgelehnt, da nach der Untersuchung des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) vom 16. Oktober 2007 der grundpflegerische Hilfebedarf 13 Minuten betrage. Die Pflegefachkraft K. hatte aufgrund häuslicher Untersuchung am 16. Oktober 2007 eine Intelligenzminderung, Epilepsie und Hämophilie als pflegebegründende Diagnosen angegeben. Unter Hinweis auf die Fremdbefunde hatte sie ausgeführt, schwere epileptische Anfälle seien in der Vergangenheit nicht mehr aufgetreten. Doch leide der Kläger täglich an Absencen. Einen Anfallskalender habe er bisher nicht geführt. Derzeit sei der Kläger in der WfbM tätig und fertige dort Teile für Kinderfahrräder. Er werde 7:10 Uhr abgeholt und 15.00 Uhr zurückgebracht. Frau K. hatte weiterhin ausgeführt, der Kläger sei aufgrund der geistigen Retardierung und der Blutgerinnungsstörungen in Ausdauer und Konzentration eingeschränkt. Er habe wenige Interessen, der Antrieb sei reduziert. Er spreche nicht viel, benötige Anleitung zum zeitgerechten Aufstehen und Zubettgehen. Zu den vorhandenen Fähigkeiten des Klägers hatte die Pflegekraft ausgeführt, der Faustschluss beider Hände sei komplett möglich, er könne mit beiden Händen zugreifen, die grobe Kraft sei gut. Der Kläger könne frei stehen und laufe im Wohnbereich unauffällig. Er kontrolliere die Harn- und Stuhlausscheidung. Orientierungsstörungen bestünden nicht, das Sprachverständnis- und das Sprachvermögen seien vorhanden. Er spreche in Sätzen, sehe Fern und beschäftige sich mit seinem Hund. Im Bereich der Körperpflege benötige er Hilfe im Umfang von 9 Minuten täglich (Ganzkörperwäsche, Teilwäsche Oberkörper, Duschen, Zahnpflege, Rasieren). Alle Utensilien würden dazu vorbereitet, der Kläger müsse zu allen Verrichtungen angeleitet werden. Er benötige Hilfe beim Rücken- und Haarewaschen. Die Elektrorasur werde teilweise selbständig und teilweise mit Nachrasur ausgeführt. Im Bereich der Mobilität benötige der Kläger täglich 4 Minuten pflegerelevante Hilfe (Anleitung zum zeitgerechten Aufstehen/Zubettgehen, Bereitlegen der Kleidung). Schließlich sei im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung ein Hilfebedarf von 39 Minuten pro Tag anzusetzen (Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln/Waschen der Kleidung und der Wäsche).

Außerdem hat der Senat weitere ärztliche Unterlagen über den Kläger beigezogen. Nach dem nach Aktenlage durch die Arbeitsamtsärztin Dipl.-Med. G. am 3. März 2003 erstellten Gutachten sei die physische und psychische Leistungsfähigkeit des Klägers erheblich beeinträchtigt. Der Kläger sei bei der Berufsausbildung auf die besonderen Hilfen durch den Reha-Bereich angewiesen. Dipl.-Med. Z. hatte mit Attest vom 28. April 2005 dem Kläger eine neuropsychiatrische Erkrankung bescheinigt. Es sei nicht allein lebenstüchtig und müsse unter beschützenden Bedingungen wohnen.

Der Kläger hat zum Pflegegutachten mitgeteilt, es sei ihm unverständlich, wie die Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen sei. So könne er nicht in Sätzen sprechen, er habe auch mit der Gutachterin kein einziges Wort gesprochen. Dieser seien medizinische Unterlagen überreicht worden, doch habe sie diese nicht zur Kenntnis genommen. Auch sei widersprüchlich, dass sie ihm Lebensfähigkeit nur unter schützenden Bedingungen bestätigt habe, anderseits nur Teilhilfen für erforderlich halte. Der angenommene Zeitaufwand für die Körperpflege von 9 Minuten am Tag sei weder von ihm noch von einem gesunden Menschen zu realisieren. Über die Ernähung sei nicht gesprochen worden. Insgesamt bestünden erhebliche Zweifel daran, wen die Gutachterin tatsächlich begutachtet habe. Jedenfalls sei das Gutachten unvollständig und gebe die tatsächlichen Gegebenheiten nicht wieder.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch statthafte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 14. August 2006 und die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig. Beim Kläger liegen die gesund¬heitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens H ab dem 1. November 2005 nicht mehr vor.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Bei diese bezieht sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 3. März 2006 (vgl. dazu BSG - Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 6/02 R mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung).

Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere ist die nach § 24 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) erforderliche Anhörung zum beabsichtigten Entzug des Merkzeichens H mit Schreiben vom 2. September 2005 erfolgt. Auch der offensichtliche Schreibfehler im angefochtenen Bescheid - aufgehoben hat der Beklagte den Bescheid vom 25. Oktober 2001 statt den vom 30. Oktober 2001 - führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Nach § 38 SGB X kann die Behörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt jederzeit berichtigen. Da Berichtigung nur Klarstellung des wirklich Gewollten ist, führen offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt nicht zu dessen Rechtswidrigkeit; der Verwaltungsakt gilt mit dem richtigen Inhalt. Eine Berichtigung ändert nicht den Inhalt des Verwaltungsakts, sondern nur seine Verlautbarung (Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 38 Rn. 3). Damit hat der Beklagte - auch ohne eine Berichtigung vorgenommen zu haben - tatsächlich den Bescheid vom 30. Oktober 2001, nicht dagegen wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt, den vom 25. Oktober 2001 aufgehoben.

Seine materielle Ermächtigungsgrundlage finden die vom Kläger angefochtenen Bescheide in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

Für die Feststellung des Grads der Behinderung zum Zeitpunkt der letzen Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 3. März 2006) ist das Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) maßgebend, das als Artikel 1 des gleichnamigen Gesetzes vom 19. Juli 2001 (BGBl. I Seite 1046) nach dessen Artikel 68 am 1. Juli des Jahres in Kraft getreten ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durch¬führung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu¬ständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinde¬rung und den Grad der Behinderung fest.

Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung des Merkzeichens H ist § 69 Abs. 4 SGB IX. Hilflosigkeit gehört zu den weiteren gesundheitlichen Merkmalen, welche die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen sind, die schwerbehinderte Menschen nach Teil 2 des SGB IX oder nach anderen Vorschriften beanspruchen können. Nach § 69 Abs. 4 SGB IX trifft der Beklagte die dafür erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1 und stellt nach § 69 Abs. 5 SGB IX hierüber einen Ausweis aus. Das Merkzeichen H ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der aufgrund von § 70 SGB IX ergangenen Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1739) in den Ausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist. In Verbindung mit diesen Vorschriften bestimmen die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", in welchen Fällen regelmäßig von Hilflosigkeit auszugehen ist. Diese Anhaltspunkte, deren als zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids maßgebliche Ausgabe im Jahre 2004 vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegeben worden war, haben zwar keine Normqualität. Sie sind aber als vorweggenommene Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, deshalb normähnliche Auswirkungen haben und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung in ihrer jeweiligen Fassung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (vgl. Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 R = SozR 4-3250 § 69 Nr.2, Seite10 ff.; vom 9. April 1997 – 9 RVs 4/95 = SozR 3-3870 § 4 Nr.19, S.77, jeweils m.w.N.).

Bei Kindern und Jugendlichen kann im Vergleich zu Erwachsenen mit derselben Erkrankung nach Nr. 22 der Anhaltspunkte (Ausgabe 2004, Seite 28 ff.) selbst bei einem gleichbleibenden Krankheitsverlauf die Annahme des Merkzeichens H gerechtfertigt sein, weil nicht nur die Anleitung zu den in Nr. 21 Abs. 3 Sätze 1 und 2 genannten Verrichtungen, sondern auch die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung sowie die notwendige Überwachung zu den berücksichtigungsfähigen Hilfeleistungen gehört. Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation besteht, sodass - anders als bei Erwachsenen - auch schon bei niedrigeren GdB/MdE-Werten Hilflosigkeit vorliegen kann. Bei einer geistigen Behinderung eines Kindes kommt nach Nr. 22 Abs. 4a der Anhaltspunkte (Ausgabe 2004, Seite 29) auch dann in der Regel bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs Hilflosigkeit in Betracht, insbesondere wenn das Kind wegen gestörten Verhaltens ständiger Überwachung bedarf. Bei hirnorganischen Anfallsleiden ist nach Abs. 4c häufiger als bei Erwachsenen auch bei Gdb-Werten unter 100 unter Berücksichtigung der Anfallsfrequenz und eventueller Verhaltensauffälligkeiten die Annahme von Hilflosigkeit gerechtfertigt. Ist Volljährigkeit eingetreten, sind dagegen die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften - also § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG und die allgemeinen Vorschriften der Anhaltspunkte zur HiIflosigkeit - anzuwenden.

Gemäß § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind nach Satz 4 der Vorschrift auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Die so umschriebene Hilflosigkeit geht auf die Kriterien zurück, die von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit den gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24. November 2005 – B 9a SB 1/05 R – zitiert nach juris m.w.N.). Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 des Elftes Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Pflegeversicherung - (SGB XI) angelehnt (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., m.w.N.).

Bei den gemäß § 33 Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., RdNr. 14). Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung nach § 14 Abs. 4 SGB IX erfassten Bereiche der Grundpflege, also der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), der Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und der Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Hinzu kommen Verrichtungen in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregungen und der Kommunikation (hier insbesondere Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen), während Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht eingeschlossen sind (ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., RdNr. 15 m.w.N.). Soweit die Anleitung, Überwachung und Bereitschaft bei den einzelnen Verrichtungen zu berücksichtigen ist, ist allerdings zu beachten, dass bei der Anrechnung von Bereitschaftszeiten grundsätzlich nur solche Zeiten berücksichtigt werden können, die zeitlich und örtlich denselben Einsatz erfordern wie körperliche Hilfe (BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R – zitiert nach juris, RdNr. 20 m.w.N.). Dies setzt voraus, dass eine entsprechende einsatzbereite Anwesenheit und Aufmerksamkeit aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist (BSG, Urteil vom 12. Februar 2003, a.a.O., RdNr. 20 m.w.N.). Allgemeine Einschränkungen der Orientierungs- und der Kommunikationsfähigkeit machen nur gelegentliche Hilfeleistungen erforderlich und bleiben daher außer Betracht (BSG, Urteil vom 8. März 1995 – 9 RVs 5/94 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 12 Seite 50).

Die in § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG vorausgesetzte Reihe von Verrichtungen kann erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erfordern (zuletzt BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., m.w.N., RdNr. 16 f.).

In welchen Fällen regelmäßig von einem erheblichen Hilfebedarf in diesem Sinne ausgegangen werden kann, wird in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) ausgeführt. Nach Nr. 21 Abs. 6 der Anhaltspunkte kann im Allgemeinen und ohne nähere Prüfung bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderer Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, von einem erheblichen Hilfebedarf ausgegangen werden. Das gilt stets bei Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung, Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig - auch innerhalb des Wohnraums - die Benutzung eines Rollstuhls erfordern. Das gilt in der Regel auch bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen, wenn diese Behinderungen allein einen Grad der Behinderung von 100 bedingen. Soweit keine Regelbeispiele eingreifen, ist es mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. dazu und zum Nachfolgenden Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., RdNr. 16 f. sowie Urteil vom 12. Februar 2003, a.a.O., RdNr. 15 f.). Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 SGB XI und der Hilflosigkeit nach § 33 b EStG nicht völlig übereinstimmen, können die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Nach diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus folgt aber nicht im Umkehrschluss, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Aufgrund des soeben dargestellten erweiterten Maßstabs bei der Prüfung von Hilflosigkeit gegenüber dem Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung wird leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht, sodass von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen ist. Schließlich spricht für eine Grenzziehung bei einem Hilfeaufwand von zwei Stunden die Vorschrift des § 33 b EStG selbst, denn die Höhe des steuerlichen Pauschbetrages hebt sich außerordentlich von dem Pauschbetrag ab, der behinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 100 zusteht. Dieser Begünstigungssprung ist nur bei zeitaufwändigen und deshalb entsprechend teuren Hilfeleistungen erklärbar und gerechtfertigt. Um allerdings auch den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr kommt auch den weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlichem Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche (gegebenenfalls ungünstige) Verteilung der Verrichtungen bestimmt (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.).

Danach hat der Beklagte wirksam den Bescheid vom 30. Oktober 2001 teilweise aufgehoben. In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheids und dem Widerspruchbescheid am 3. März 2006 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den zwischenzeitlichen Eintritt der Volljährigkeit des Klägers 2003 eingetreten, die nunmehr - ohne Rückgriff auf die Sondervorschriften der Anhaltspunkte für Kinder und Jugendliche – ab 1. November 2005 nicht mehr die Feststellung des Merkzeichens H rechtfertigt. Der Kläger ist nicht hilflos, da kein erheblicher Hilfebedarf im Sinne des § 33 b Abs. 6 EStG vorliegt. Insoweit folgt der Senat den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des ärztlichen Diensts des Beklagten, die mit den weiteren medizinischen Unterlagen übereinstimmen.

Ein Regelbeispiel nach Nr. 21 Abs. 6 der Anhaltspunkte, bei dem von einen erheblichen Hilfebedarf ausgegangen werden kann, liegt nicht vor, da die geistige Behinderung des Klägers nicht mit einem Einzelgrad der Behinderung von 100 zu bewerten ist. Ein Grad der Behinderung von 100 wegen einer geistigen Behinderung ist nach Nr. 26.3 der Anhaltspunkte (Ausgabe 2004 Seite 46) erst bei einem Intelligenzmangel mit stark eingeengter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb und einem Intelligenzrückstand (I.Q. unter 60, entsprechend einem Intelligenzalter unter 10 Jahren) anzunehmen. Beim Kläger liegt nach der versorgungsärztlichen Einschätzung von Dr. J. eine Intelligenzminderung mit einem Grad der Behinderung von 50 vor. Eine solche Bewertung ist nach den Anhaltspunkten vorzunehmen, wenn der behinderte Mensch wegen seiner Behinderung trotz beruflicher Förderungsmöglichkeiten nicht in der Lage ist, sich auch unter Nutzung der Sonderregelungen für behinderte Menschen beruflich zu qualifizieren. Diese Bewertung stimmt mit den gutachtlichen Feststellungen von Dr. T. vom ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit vom 25. Juli 2005 überein, die etwa zeitgleich wie Dr. J. die Behinderung des Klägers als leichte Intelligenzminderung diagnostisch eingeordnet hat. Auch die Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin H. gehen zwar von einer Intelligenzminderung aus, lassen aber insbesondere durch die geschilderte Bildungsfähigkeit des Klägers (Schulabschluss der 9. Klasse der Lernbehindertenschule, Teilnahme am berufsvorbereitendem Jahr) keinen Rückschluss auf eine Intelligenzminderung zu, die nach den oben dargestellten Grundsätzen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 100 zu bewerten wäre. Zudem hat auch Dipl.-Med. Z. in seinen Befundbericht vom 30. Mai 2006 die Erkrankung des Klägers als leichte Intelligenzminderung eingeordnet, indem er eine Oligophrenie (veraltete Bezeichnung für geistige Behinderung) vom Grade einer Debilität (leichte geistige Behinderung, Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage, Seite 339) diagnostiziert hat. Die Grunddiagnose einer leichten Intelligenzminderung wird auch durch die weitere Einordnung von Dipl.-Med. Z. in die Gruppe der "schweren" Debilität nicht verändert. Die von Dipl.-Med. Z. für den Kläger erstellten Atteste lassen auch keinen Rückschluss auf eine über eine leichte Intelligenzminderung hinausgehende Behinderung zu, denn sie schildern nicht das Ausmaß der geistigen Einschränkungen des Klägers, sondern seinen Hilfebedarf. Im Übrigen ist für den Kläger auch keine Betreuung angeordnet, sodass auch dies gegen eine schwere, die Geschäftsfähigkeit des Klägers ausschließende Intelligenzminderung spricht. Ein Indiz ist dafür auch der Kauf eines PKW durch den Kläger im Mai 2005 und die Zulassung auf ihn.

Dagegen können die in der Epikrise des Fachkrankenhauses Bernburg vom 7. September 2001 getroffenen Einschätzungen zum Intelligenzniveau des Klägers nicht mehr für die Beurteilung der geistigen Leistungsfähigkeit im Jahre 2005 herangezogen werden, da diese den Entwicklungsstand des jugendlichen und nicht den des im Jahre 2005 erwachsenen Klägers aufgezeigt haben.

Auch die Epilepsie des Klägers rechtfertigt nicht die Feststellung des Merkzeichens H. Zwar sind auch Anfallsleiden als Regelbeispiele aufgeführt, die die Vergabe des Merkzeichens H rechtfertigen. Doch liegt hier zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids kein Anfallsleiden vor, das für sich allein nach Nr. 21 Abs. 6 der Anhaltspunkte (Ausgabe 2004, Seite 28) einen Einzelgrad der Behinderung von 100 bedingt. Denn ein Grad der Behinderung von 90 bis 100 setzt nach Nr. 26.3 (Ausgabe 2004, Seite 43) häufige epileptische Anfälle voraus; d. h. generalisierte (große) oder komplex-fokale Anfälle wöchentlich oder Serien von generalisierten Krampfanfällen, von fokal betonten oder von multifokalen Anfällen; kleine und einfach-fokale Anfälle täglich. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar haben die Eltern des Klägers sowohl gegenüber Dipl.-Med. Z. als auch bei der Begutachtung durch die Pflegekraft K. von täglichen Absencen berichtet. Doch sind nach den übereinstimmenden ärztlichen Unterlagen große Anfälle seit der antiepileptischen Dauermedikation nicht mehr aufgetreten. Dr. H. hat am 3. Mai 2004 auf die Anfallsfreiheit seit fünf Jahren hingewiesen. Zwar hat Dipl.-Med. Z. (noch) von sehr seltenen großen Anfällen berichtet. Doch hat er nicht angegeben, wann der letzte große Anfall war. Aber selbst die Annahme von seltenen großen Anfällen rechtfertigt nach den Anhaltspunkten Nr. 26.3 (Seite 43) lediglich einen Grad der Behinderung von 40, aber keinesfalls den erforderlichen Grad der Behinderung von 100. Zudem spricht gegen das Auftreten großer Anfälle, dass der Kläger keinen Anfallskalender führt. Würden solche Anfälle zumindest selten auftreten, wäre ein solcher Kalender schon deshalb notwendig, um die Wirksamkeit einer antiepileptischen Medikation überprüfen zu können.

Schließlich rechtfertigt das Blutungsleiden des Klägers (Hämopholie A mit Dauersubstitution) nicht die Annahme eines Regelbeispiels nach Nr. 21 Abs. 6 der Anhaltspunkte, denn diese Erkrankung wird vom Katalog der Regelbeispiele gar nicht erfasst.

Von einem erheblichen Hilfebedarf im Sinne von § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG ist auch nicht bei einer Einzelbetrachtung der notwendigen Verrichtungen auszugehen. Insoweit legt der Senat für die einzelnen Hilfeleistungen das Pflegegutachten vom 16. Oktober 2007 zugrunde. Das durch die Pflegefachkraft K. erstattete Gutachten weist insgesamt einen Pflegebedarf von 13 min aus. Es wurde zwar erst ca. ein Jahr nach Erlass des Widerspruchbescheids erstellt, doch sind keine Anhaltspunkte für einen innerhalb dieses Jahres veränderten Hilfebedarf erkennbar. Dagegen spricht das im Vergleich zum Jahre 2006 unveränderte Krankheitsbild. Außerdem haben weder der Kläger noch seine Eltern einen im Jahre 2006 maßgeblichen (über den im Jahre 2007 hinausgehenden) Pflegebedarf gesehen, wie sich aus der erstmaligen Antragstellung auf Leistungen aus der Pflegeversicherung im Jahre 2007 schlussfolgern lässt.

Nach dem Pflegegutachten beträgt der Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Körperpflege täglich 9 Minuten. Dabei hat die Pflegefachkraft berücksichtigt, dass alle für die Körperpflege benötigten Utensilien vorbereitet werden und der Kläger zu allen Verrichtungen angeleitet werden muss. Außerdem hat die Pflegefachkraft in ihre Beurteilung die Hilfe beim Waschen des Rückens, der Haare und beim Rasieren einbezogen. Soweit gegen diesen festgestellten Hilfebedarf durch den Kläger eingewandt worden ist, dass die Körperpflege nicht innerhalb von 9 Minuten zu realisieren sei, ist darauf hinzuweisen, dass die 9 Minuten nicht den zeitlichen Umfang, sondern nur den pflegeversicherungsrelevanten Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege erfassen.

Im Teilbereich der Ernährung hat die Pflegefachkraft keinen Hilfebedarf feststellen können. Zwar hat der Kläger dazu vorgetragen, über die Ernährung sei nicht gesprochen worden. Doch ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen kein Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme. Das hat auch der Kläger nicht behauptet. Soweit er mitgeteilt hat, dass eine mundgerechte Zubereitung des Essens notwendig sei und Verpacktes zu öffnen, Brötchen aufzuschneiden und zu belegen seien, ist dem entgegenzuhalten, dass hauswirtschaftliche Verrichtungen – wie z. B. Kochen – nicht vom Pflegebedarf erfasst werden. Zudem geben weder das Pflegegutachten noch die anderen medizinischen Unterlagen Hinweise nur andeutungsweise Hinweise dafür, weshalb der Kläger nicht in der Lage sein sollte, sich z. B. Brötchen selbst zu belegen. So war bei Begutachtung durch die Pflegefachkraft der Faustschluss komplett möglich, der Kläger hat mit beiden Händen zugreifen können, auch war die grobe Kraft gut. Selbst wenn feinmotorische Defizite bestehen, waren diese jedenfalls nicht so stark, dass von vornherein z.B. eine gärtnerische Ausbildung ausgeschlossen wurde. Zwar wurde diese (unter anderem wegen der Verletzungsgefahr) abgebrochen, doch auch zum Zeitpunkt der sozialmedizinischen Begutachtung war der Kläger in der WfbM mit handwerklichen Tätigkeiten (Anfertigung von Teilen für Kinderfahrräder) beschäftigt, sodass der Hinweis der Eltern auf die im Bereich der Nahrungsvorbereitung zu erledigenden HiIfestellungen schwer nachvollziehbar erscheint.

Von der Pflegefachkraft wurde schließlich ein Hilfebedarf im Bereich der Mobilität (Anleitung zum zeitgerechten Aufstehen/zu Bettgehen, Bereitlegen der Kleidung) von täglich 4 Minuten festgestellt. Soweit die Eltern noch einen weiteren Hilfebedarf z. B. für Treppensteigen vorgetragen haben, erscheint auch dieser nach dem Pflegegutachten und deren anderen medizinischen Unterlagen nicht nachvollziehbar. Denn der Kläger kann frei laufen, Orientierungsstörungen sind nicht erkennbar. Auch bestehen keine orthopädischen Funktionsstörungen, die einen derart notwendigen Hilfebedarf im Bereich der Mobilität objektivieren könnten. Allein die Angst der Eltern - z. B. vor Stürzen - genügt insoweit nicht.

Ein darüber hinausgehender Hilfebedarf liegt nach den pflegeversicherungsrechtlichen Grundsätzen nicht vor. So sind im Hilfebedarf der Grundpflege ausweislich des Pflegegutachtens auch die Hilfen durch die Anleitung bei allen Einzelverrichtungen bereits zusätzlich berücksichtigt. Ein gesondert zu berücksichtigender Hilfebedarf aufgrund einer erforderlichen Überwachung des Klägers, also im Sinne einer medizinisch indizierten notwendigen ständigen Bereitschaft, kann nicht festgestellt werden. Hinweise auf eine Selbstgefährdung des Klägers sind nicht erkennbar. Ein über die Grundpflege hinausgehender Hilfebedarf ergibt sich auch nicht aus den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation. Der Kläger war immer in Bildungseinrichtungen (Lernbehindertenschule, BVJ) untergebracht und ist nunmehr in einer WfbM beschäftigt, sodass Kontaktmöglichkeiten mit anderen Menschen bestanden haben. Daher ist diesbezüglich kein gesonderter Hilfebedarf festzustellen. Im Übrigen erfolgen auch tatsächlich keine weiteren berücksichtigungsfähigen Hilfen in den Bereichen der psychischen Erholung, der geistigen Anregung und der Kommunikation. Der Kläger hat sich in seiner Freizeit mit seinem Hund beschäftigt und Fernsehen geschaut.

Bleibt nach alledem die tägliche pflegerechtlich relevante Hilfeleistung von 13 Minuten weit hinter der Zwei-Stunden-Grenze zurück - selbst wenn die erforderlichen Injektionen (angesetzt mit höchstens 10 min täglich) aufgrund der Hämophilie A noch ergänzend berücksichtigt werden -, können auch nicht bei Beachtung der individuellen Verhältnisse des Klägers die Voraussetzungen für das Merkzeichen H festgestellt werden. Denn weder liegt eine Vielzahl von zu berücksichtigenden Verrichtungen vor, noch kann die zeitliche Verteilung der erforderlichen Hilfe ein Abweichen von der Zwei-Stunden-Grenze rechtfertigen. Der Kläger hat wochentags lediglich in den Morgen-, Nachmittags- bzw. Abendstunden Hilfe durch die Eltern benötigt, ansonsten wurde er in der WfbM betreut.

Soweit schließlich von den Eltern des Klägers wiederholt darauf hingewiesen und auch von allen im Verfahren beteiligten Ärzten bestätigt worden ist, dass der Kläger sein ganzes Leben lang einer ständigen Unterstützung, Anleitung und Kontrolle bedürfen wird, rechtfertigt dieser Umstand nicht weiterhin die Vergabe des Merkzeichens H. Denn die Aufforderung zu den regelmäßigen Verrichtungen an sich genügt nicht (BSG, Urteil vom 8. März 1995, a.a.O., Seite 49). Es reicht insbesondere auch nicht aus, dass ein geistig behinderter Mensch verwahrlosen würde, wenn er ohne Aufsicht bliebe (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 8. März 1995, a.a.O., Seite 50). Sollten die Eltern oder andere Angehörige, die die Betreuung des behinderten Menschen übernommen haben, diese Aufgabe nicht mehr ausüben können oder wollen, müsste sich dieser den notwendigen Halt z. B. in einer therapeutischen Einrichtung suchen (BSG, Urteil vom 8. März 1995, a.a.O., Seite 50).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved