L 16 R 182/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 R 769/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 182/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 389/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Fehlen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.01.2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1952 geborene Klägerin hatte vom 16.08.1966 bis 15.08.1969 den Beruf einer Einzelhandelskauffrau gelernt. Anschließend war sie bis 31.12.1969 als Einzelhandelskauffrau berufstätig. Vom 02.01.1970 bis 31.12.1970 war sie Versandarbeiterin in einer Spulerei, vom 02.01.1971 bis 30.06.1974 arbeitete sie in einem Büro, vom 01.07.1974 bis 04.11.1979 war sie als Landwirtsehegattin zu Hause. In diese Zeit fallen auch Kindererziehungszeiten. Vom 05.11.1979 bis 28.02.2003 war sie dann als Automatenpackerin berufstätig. Nach Kündigung dieser Tätigkeit war sie vom 01.03.2003 bis 14.04.2003 arbeitslos, in dieser Zeit wurden für sie zwei Pflichtbeiträge entrichtet. Ab 15.04.2003 bis 01.02.2006 übte sie eine geringfügige selbständige Tätigkeit als Kosmetikberaterin aus. Diese Tätigkeit gab sie wegen eines zu geringen Einkommens auf.

Die Klägerin hatte am 10.05.2000 einen schweren Verkehrsunfall, der zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 18.02.2001 führte. Vom 11.07.2000 bis 22.08.2000 befand sie sich im Anschluss an die Krankenhausbehandlung zu einer orthopädischen Rehabehandlung in der A.Klinik I ...

Am 05.04.2006 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und bat um die rückwirkende Überprüfung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente ab dem 01.03.2003. Die Beklagte ließ die Klägerin durch Dr. G., Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin am 31.03.2006 untersuchen und begutachten. Dr. G., dem ein Heilverfahrensentlassungsbericht der A.Klinik vom 05.09.2000 vorlag, kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine leichtgradige Funktionsminderung des unteren Rückens bei Verschleißerscheinungen, Haltungsmuskelschwäche und Übergewicht sowie eine leichtgradige Funktionsminderung rechtsbetont der Hüftgelenke bei Verschleißerscheinungen zusammen mit Verschleißerscheinungen der Kniegelenke, eine Beinlängendifferenz und Schwäche der hüftführenden Muskulatur die Gehfähigkeit, noch nicht aber die Wegefähigkeit beeinträchtigend und eine leichte Einschränkung der Lungenleistungsbreite bei Verengung der kleinen Luftwege, ein beschleunigter Herzschlag unklarer Genese und ein Bluthochdruck vorliegen. Er erachtete die Klägerin für noch fähig, sechs Stunden täglich und mehr leichte Arbeiten zu verrichten, die sie zeitweise im Stehen, Gehen und überwiegend im Sitzen verrichten könne unter Vermeidung von andauerndem Gehen und Stehen, häufigem Klettern und Steigen, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, häufigem Bücken, einförmigen Körperhaltungen, von Tätigkeiten mit Pressatmung und von inhalativen Belastungen sowie von Anforderungen an die Stand- und Gangsicherheit.

Mit Bescheid vom 14.06.2006 lehnte daraufhin die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 05.04.2006 ab, weil in den letzten fünf Jahren drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht vorhanden seien. Im maßgeblichen Zeitraum vom 05.04.2001 bis 04.04.2006 seien nur zwei Jahre und ein Kalendermonat mit entsprechenden Beiträgen belegt. Die Zeit vom 01.01.1984 bis zur Antragstellung sei auch nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Im Übrigen bestehe nach den getroffenen Feststellungen auch weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte einen aktuellen Befundbericht beim Hausarzt der Klägerin Dr. E. ein, der auch einen Arztbrief der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dr. C. und Dr. I. vorlegte. Für den Medizinischen Dienst der Beklagten führte hierzu Dr. M. aus, die vorgelegten ärztlichen Unterlagen brächten keine neuen medizinischen Gesichtspunkte bzw. seien durch das Rentengutachten überholt. Eine Änderung der im Rentenverfahren getroffenen Leistungsbeurteilung sei deshalb nicht notwendig. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Die dagegen erhobene Klage ging am 18.12.2006 beim Sozialgericht Augsburg (SG) ein, das Befundberichte beim Hausarzt der Klägerin, Dr. E., und den Orthopäden Dres. C. und Kollegen einholte. Es zog auch den Rehaentlassungsbericht zur Reha vom 11.07. bis 22.08.2000 in I. bei. Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde K. R. untersuchte die Klägerin am 24.04.2007 und stellte in seinem Gutachten vom 20.05.2007 bei der Klägerin die Diagnosen: Bewegungs- und Belastungseinschränkungen des rechten stärker als linken Hüftgelenkes nach konsolidierter Schenkelhalsfraktur rechts. Bewegungs- und Belastungseinschränkungen der LWS nach inzwischen konsolidierter, instabiler Beckenringfraktur und kernspintomographisch verifiziertem Bandscheibenvorfall L 4/5 rechts. Bewegungs- und Belastungseinschränkungen rechtes Kniegelenk als Residuum nach per UTN versorgter, inzwischen konsolidierter, kompletter Unterschenkelfraktur rechts. Chronisch rezidivierende Cervikobrachialgien ohne sensomotorischen Defizite bei degenerativen Veränderungen der HWS und muskulären Dysbalancen thorocal. Bewegungs- und Belastungseinschränkung rechter Fuß nach konsolidierter Syndesmosenverletzung rechts OSG und Großzehenheberschwäche rechts. Bei dem im Rentenverfahren erstellten Gutachten sei die Fußheberschwäche rechts sowie die Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenkes rechts nicht berücksichtigt worden, die in der Summe ebenfalls die Wegefähigkeit nicht beeinträchtigten, jedoch zu einer spürbaren Funktionsminderung der rechten unteren Extremität führten. Die Befunde hätten sich seit der Gutachtenserstellung im Rentenverfahren nicht geändert. Bedingt durch die Belastungseinschränkung der unteren Extremitäten könne der Klägerin eine vollschichtige Tätigkeit nur überwiegend im Sitzen zugemutet werden. Nachdem jedoch auch deutliche Belastungseinschränkungen der Wirbelsäule vorlägen, beständen hierdurch Einschränkungen hinsichtlich sitzender Tätigkeiten. Somit könnten der Klägerin leichte Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen, überwiegend im Sitzen nur untervollschichtig (drei bis unter sechs Stunden) zugemutet werden. Diese Einschränkungen des Leistungsvermögens beständen seit dem Unfalltag (10.05.2000).

Der Internist Dr. W. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten kam in einer Stellungnahme vom 06.07.2007 zu dem Ergebnis, dass die Leistungsbeurteilung durch den Orthopäden R. nicht nachvollziehbar sei, wenn bei nicht eingeschränkter Wegstrecke einerseits die Klägerin vollschichtige Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ausüben könne, wenn nur die Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten gesehen würden, andererseits aber auch die Belastungseinschränkungen hinsichtlich der LWS hinzugerechnet werden sollten, wodurch sich dann ein unterschiedliches Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergebe. In all diesen Bereichen seien nur leichte funktionelle Einschränkungen belegt und diese mit der qualitativen Einschränkung "überwiegend sitzende Tätigkeit" genügend berücksichtigt. Die notwendigen Positionswechsel könnten innerhalb der zur Verfügung stehenden persönlichen Verteilzeit vorgenommen werden. In dem Gutachten des Orthopäden R. fehlten auch eindeutige Hinweise auf eine Befundverschlechterung im Vergleich zum Rentengutachten durch Dr. G. vom 06.06.2006, der das zeitliche Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit mindestens sechs Stunden am Tag angegeben habe. Der Gutachter R. habe die Frage des SG nach der Befundverschlechterung seit dem Verwaltungsverfahren auch eindeutig mit nein beantwortet. Auch die im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Befundberichte der Dres. E. und C. ergaben im Vergleich zum orthopädischen Sachverständigengutachten keine grundsätzlich neuen medizinischen Gesichtspunkte.

Der Orthopäde R. führte in einer ergänzenden Stellungnahme hierzu aus, eindeutige Hinweise auf eine Befundverschlechterung könnten insofern nicht festgestellt werden, als dass relevante Befunde (kernspintomographisch gesicherter Bandscheibenvorfall, lange bestehende Fußheberschwäche rechts) zuvor nicht berücksichtigt worden seien. Die Befunde hätten sich also nicht geändert, sondern seien bislang in der Gesamtheit nicht erfasst gewesen. Der Einschätzung von Dr. W., dass nur leichte funktionelle Einschränkungen vorlägen, werde nicht zugestimmt. Die Belastungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule führten dazu, dass der Klägerin überwiegendes Sitzen ohne die Möglichkeit der Haltungsänderung nicht zugemutet werden könne, dem stimme auch Dr. W. zu. Die Belastungseinschränkungen der unteren Extremitäten führten dann dazu, dass überwiegend gehende und stehende Tätigkeiten der Klägerin nicht zugemutet werden können. Außerdem führten Haltungsänderungen (Aufstehen, Umhergehen usw.) anfangs zu einer Schmerzverstärkung im Sinne eines Anlaufschmerzes, der durch die Bewegungseinschränkungen des rechten Hüftgelenkes erklärt werde. Ursache hierfür sei die radiologisch verifizierte Hüftdysplasie. Diese Aspekte würden durch die bisherigen Einschätzungen nicht gewürdigt. Sei die Klägerin also an einem Arbeitsplatz eingesetzt, der regelhafte Änderungen der Körperhaltung ermögliche, so führten diese Haltungsänderungen jedoch anfangs zur Beschwerdeverstärkung von Seiten der Hüften, kompensatorisch auch der LWS. Sitze die Patientin überwiegend, führe diese Körperhaltung zu Beschwerdeverstärkungen von Seiten der LWS. Er halte deshalb an seiner Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin fest.

Mit Urteil vom 16.01.2008 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin sei mit dem noch vorhandenen Leistungsvermögen in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes überwiegend im Sitzen in einem zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Soweit der Orthopäde R. ausführe, dass von einem unter sechsstündigen Leistungsvermögen auszugehen sei, folge das Gericht dieser Leistungsbeurteilung nicht. Die von dem Orthopäden R. festgestellten Gesundheitsstörungen bedingten lediglich Leistungseinschränkungen in qualitativer Hinsicht. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes überwiegend im Sitzen könne die Klägerin zur Überzeugung des Gerichtes noch sechs Stunden und mehr täglich ausführen. Zutreffend habe die Beklagte auch ausgeführt, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung ausgehend vom Datum der Rentenantragstellung am 05.04.2006 nicht erfüllt seien. Wenn der Gutachter R. ausführe, dass die zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens seit dem Unfall am 10.05.2000 vorliege, sei dies nicht nachvollziehbar. Nach dem Heilverfahrensentlassungsbericht aus I. sei vielmehr davon auszugehen, dass die Klägerin zumindest ab Anfang des Jahres 2001 wieder vollschichtig leistungsfähig gewesen sei. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass die Klägerin anschließend wieder erwerbstätig war.

Die gegen das am 08.02.2008 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Augsburg eingelegte Berufung ist am 29.02.2008 beim Bayerischen Landessozialgericht eingegangen. Zu ihrer Begründung lässt die Klägerin vortragen, maßgeblich für das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sei nicht das Datum der Rentenantragstellung, sondern der im Mai 2000 stattgefundene Verkehrsunfall. Sowohl aus der ärztlichen Stellungnahme des Orthopäden Dr. I. aus der Gemeinschaftspraxis Dres. C. und Kollegen als auch aus dem ärztlichen Bericht der Gemeinschaftspraxis Dr. E. und Dr. M. sowie auch aus dem fachorthopädischen Gutachten des Orthopäden R. ergebe sich, dass seit dem Unfall vom 10.05.2000 ein chronisches Schmerzsyndrom sowie ein erheblicher unfallabhängiger Dauerschaden bestehe. Bezüglich der von der Klägerin bis Februar 2003 ausgeübten Tätigkeit als Automatenpackerin sei darauf hinzuweisen, dass diese Arbeit durch die Klägerin zum einen nur deshalb verrichtet werden konnte, da die Schmerzmittel zu diesem Zeitpunkt noch einigermaßen wirkten. Zum anderen habe die Klägerin hier immer tatkräftige Unterstützung durch eine Kollegin, welche für die Klägerin zum Beispiel die Treppe stieg und einen Teil der Arbeit der Klägerin mitverrichtet habe. Nach der Kündigung im Februar 2003 habe die Klägerin sich als Fachberaterin für Kosmetik selbständig zu machen versucht. Auf Grund der starken Schmerzen und der Tablettenunverträglichkeit sei jedoch eine gewinnbringende Ausübung dieser Tätigkeit nicht möglich gewesen. Zu den seit 1994 bestehenden und seit Mai 2000 unerträglichen Schmerzen sei noch hinzugekommen, dass bei der Klägerin im März/April 2000 ein Bandscheibenvorfall und im Jahr 2006 eine Arthrose diagnostiziert worden seien. Seit dem Unfall im Jahre 2000 bestehe zumindest eine teilweise Erwerbsminderung, die die Klägerin nur auf Grund von starken Schmerztabletten symptomatisch habe lindern können.

In einer Stellungnahme hierzu führt die Beklagte aus, es ergäben sich aus dem Vortrag der Klägerin keinerlei neuen medizinischen Erkenntnisse, die eine Änderung der bisher vertretenen Auffassung rechtfertigen würden. Es seien weder die medizinischen noch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt. Dass seit dem 10.05.2000 keine Erwerbsminderung vorliege, ergebe sich schon alleine aus dem Umstand, dass die Klägerin in der Zeit vom 19.02.2001 bis zum 14.04.2003 vollschichtig gearbeitet habe.

Hierzu tragen die Klägerbevollmächtigten vor, die Klägerin habe lediglich bis zum 28.02.2003 als Maschinenführerin gearbeitet. Diese Tätigkeit habe sie nach ihrem erlittenen Unfall nur im ersten Monat voll und sodann in der Folgezeit nur noch 30 Stunden pro Woche ausgeübt. Zwar habe die Klägerin im Zeitraum 2001 bis 2003 bei der Firma H. gearbeitet, jedoch hätten zu diesem Zeitpunkt noch nicht derart schlimme Beeinträchtigungen bestanden wie zum jetzigen Zeitpunkt. Die Schmerzen hätten damals noch mit Medikamenten eingedämmt werden können. Mindestens seit September 2000 stehe fest, dass seit dem Unfallereignis auf Grund des Unfallereignisses ein erheblicher unfallbedingter Dauerschaden eingetreten sei. Bereits seit dem Jahr 1994, in welchem die Blasen- und Gebärmutteroperation stattgefunden habe, leide die Klägerin unter erheblichen Schmerzen und Einschränkungen, die alleine schon eine Erwerbsminderung rechtfertigen würden. Bei der Klägerin sei bereits 1997 vom Versorgungsamt ein GdB in Höhe von 30 festgestellt worden.

Die B. Ersatzkasse, bei der die Klägerin während ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung krankenversichert war, hat auf Anfrage mitgeteilt, dass in der Zeit vom 01.01.2002 bis 30.06.2003 keine Arbeitsunfähigkeitszeiten vorgelegen hätten. Der Hausarzt Dr. E. hat in einem Befundbericht vom 14.08.2008 mitgeteilt, dass die Befunde bei der Klägerin in etwa gleich geblieben seien, neue Leiden seien keine hinzugetreten. Die Beschwerden im linken Bein beständen nach einer Periduralanästhesie 1994 im Rahmen einer Hysterektomie. Die übrigen Beschwerden beständen im Wesentlichen seit dem schweren Verkehrsunfall am 10.05.2000. Aus dem Befundbericht der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. C. und Kollegen ergibt sich, dass die Klägerin vor dem 13.02.2006 zuletzt am 27.09.2002 dort in Behandlung gewesen war. Abschließend wird in den Befundbericht ausgeführt, dass die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt sei, insbesondere durch die auf den Unfall zurückzuführenden Diagnosen wie in Fehlstellung verheilte Beckenfraktur, Beinverkürzung rechts usw.; auch der intraforaminal gelegene Bandscheibenvorfall mit einer neurologischen Symptomatik im rechten Bein beeinträchtige die Erwerbsfähigkeit ebenfalls. Es bestehe auch eine Hüftdysplasie, hier seien bereits beginnende degenerative Veränderungen in beiden Hüftgelenken sichtbar. Auch eine intensive konservative Behandlung werde die Beschwerden nicht anhaltend verbessern. Es sei eher von einem Zunehmen der Beschwerden, insbesondere auf Grund der zunehmenden Hüftgelenksarthrose und der zunehmenden degenerativen Veränderungen auszugehen. Das Stehen und Gehen sei auf Grund der Hüftgelenksdysplasie und auf Grund der Sprunggelenksarthrose rechtsseitig nicht möglich. Die Neurologin Dr. D. teilte in einem Arztbrief vom 11.11.2008 mit, dass sie die Klägerin am 11.11.2008 untersucht habe. Der neurologische Befund gehe über mildem sensorischem Defizit nach Wurzelkompression L 4 rechts hinaus und zeige zusätzlich ein sensorisches Defizit am rechten Unterschenkel auf, das am ehesten auf frühere Schädigung des Plexus lumbosacralis oder aber auf Polytrauma zurückzuführen sei. Motorische Ausfälle fänden sich nicht. Es bestehe weiterhin keine zwingende Operationsindikation. Aktuelle konservative Therapie mit Gabapentin und Fentanylpflaster sei sicher ausreichend.

Dem Senat liegen zur Entscheidung die Verwaltungsunterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Auf deren Inhalt, insbesondere den der vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten und die zur Niederschrift erfolgten Feststellungen, wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Augsburg hat mit dem angefochtenen Urteil vom 16.01.2008 zu Recht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2006 abgewiesen. Bei der Klägerin ist der Eintritt eines Leistungsfalles der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung vor Mai 2005, der Monat, in dem letztmals die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt waren, nicht feststellbar. Seit Juni 2005 und damit auch zum Zeitpunkt der Antragstellung im April 2006 liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht mehr vor.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 43 Abs.1 bzw. Abs.2 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor dem Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs.1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 240 SGB VI haben Versicherte auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 02.01.1961 geboren sind und berufsunfähig sind. Nach § 240 Abs.2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbstätigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von den Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Zwar hat die Klägerin die allgemeine Wartezeit gemäß § 50 SGB VI erfüllt, jedoch liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2 bzw. Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nur bis zum April 2005 vor, weil für die Klägerin letztmalig für April 2003 ein Pflichtbeitrag entrichtet wurde. Damit sind letztmalig für den Zeitraum vom 01.05.2000 bis 30.04.2005 drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden. Zur Überzeugung des Senates war die Klägerin jedoch vor Mai 2005 noch nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs.1 Satz 2 bzw. Abs.2 Satz 2 SGB VI und auch nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs.2 SGB VI, da sie tatsächlich noch in der Lage war, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Zutreffend ist das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass der Leistungseinschätzung des Sachverständigen R. in seinem Gutachten vom 20.05.2007 nicht gefolgt werden kann, wenn er von einem unter sechsstündigen Leistungsvermögen ab dem Unfalltag am 10.05.2000 ausgeht. Die Klägerin war infolge des schweren Verkehrsunfalls am 10.05.2000 bis 19.02.2001 arbeitsunfähig. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern stellte in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 22.01.2001 noch fest, dass die Klägerin aus medizinischer Sicht auf Zeit weiterhin arbeitsunfähig sei. Dr. E. hat in seinem Befundbericht vom 12.01.2007 an das Sozialgericht Augsburg mitgeteilt, dass er die Klägerin vom 10.05.2000 bis 16.02.2001 arbeitsunfähig geschrieben habe. Ab dem 19.02.2001 wurden für die Klägerin dann wieder Pflichtbeiträge auf Grund einer ausgeübten Beschäftigung entrichtet, wie dem Versicherungsverlauf zu entnehmen ist. Sie war bis zum 28.02.2003 nach ihren Angaben im Rentenantrag als Automatenpackerin, nach ihren Angaben in der Berufungsbegründung als Maschinenführerin bei der Firma H. erwerbstätig. Nach ihren eigenen Angaben hat sie diese Tätigkeit 30 Stunden pro Woche ausgeübt. Damit handelte es sich unter Zugrundelegung einer Fünftagewoche um eine Erwerbstätigkeit von sechs Stunden täglich. Nach Auskunft der B. Ersatzkasse war die Klägerin in der Zeit vom 01.01.2002 bis 30.06.2003 nicht arbeitsunfähig. Dies spricht dagegen, dass die Klägerin die Arbeit zu Lasten ihrer Gesundheit ausübte. Auch wenn ihr nach dem Vorbringen im Berufungsverfahren bei bestimmten Handhabungen am Arbeitsplatz eine Arbeitskollegin half, so spricht dies nicht gegen die Tatsache, dass die Klägerin noch in der Lage war, sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Damit ist die von der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 11.07.2007 abgegebene Leistungseinschätzung der Klägerin, nämlich dass diese noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben konnte, die auf einer ärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 06.07.2007 zum Gutachten von des Sachverständigen R. beruhte, auch zutreffend. Die tatsächliche Arbeitsleistung kann nämlich die von ärztlichen Gutachtern angenommene Erwerbsminderung widerlegen. Ihr kommt grundsätzlich ein stärkerer Beweiswert zu als den medizinischen Befunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Versicherte eine Tätigkeit unter unzumutbaren Schmerzen, auf Kosten der Gesundheit oder mit unzumutbarem Energieaufwand, auch für einen längeren Zeitraum, ausübt. Dies ist etwa denn der Fall, wenn die Tätigkeit eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit des Versicherten darstellt oder ihn gesundheitlich überfordert (häufige Zeiten der Arbeitsunfähigkeit). Da auch der Kündigung des Arbeitsplatzes zum 28.02.2003 bei der Firma H. keine Arbeitsunfähigkeit vorausging und auch die Klägerin anschließend keinen Rentenantrag stellte, sondern vielmehr eine selbständige Tätigkeit aufnahm, liegen objektiv keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Tätigkeit bei der Firma H. von der Klägerin auf Kosten ihrer Gesundheit ausgeübt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass vor Stellung des Rentenantrages am 05.04.2006 die Leistungsfähigkeit der Klägerin quantitativ unter sechs Stunden täglich fiel, sind nicht ersichtlich. Auch der Gutachter R. geht davon aus, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin durchgehend seit dem Unfalltag am 10.05.2000 im Wesentlichen gleich geblieben ist. Eine Durchsicht der von Dr. E. übersandten Auszüge aus der Patientenkartei lässt eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Klägerin und eine daraus resultierende Einschränkung der Leistungsfähigkeit in der Zeit vor dem maßgeblichen Zeitpunkt Mai 2005 nicht erkennen.

Auch wenn man der Einschätzung des Leistungsvermögens durch den Sachverständigen R. in seinem Gutachten vom 20.05.2007 folgen möchte, so kann dies frühestens für die Zeit ab Antragstellung am 05.04.2006 erfolgen. Erst zu diesem Zeitpunkt hat sich die Klägerin persönlich auch für so erwerbsgemindert angesehen, dass sie die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente als erfüllt ansah. Es ist davon auszugehen, dass sie sich selbst bis zu diesem Zeitpunkt auch noch subjektiv in der Lage sah, einer vollen Erwerbstätigkeit - auch als Selbständige - nachzugehen. Da jedoch zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 05.04.2006 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vorlagen, hat die Klägerin auch bei einem Absinken ihrer Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden täglich keinen Anspruch mehr auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens im Berufungsverfahren zu der Leistungsfähigkeit der Klägerin war deshalb nicht mehr erforderlich. Im Hinblick auf die tatsächliche Arbeitsleistung der Klägerin für einen doch erheblich langen Zeitraum nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit vom 19.02.2001 bis 28.02.2003 war auch die Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage nicht angezeigt, da sich hierfür weder aus erkennbaren Arbeitsunfähigkeitszeiten noch aus den von Dr. E. vorgelegten Auszügen aus der Patientenkartei Anhaltspunkte bieten (siehe auch Kreikebaum, SGB VI, Kommentar, 2. Auflage, § 43 Rdnr.25 m.w.N.). Damit steht für den Senat fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI hat.

Sie hat auch keinen Anspruch gemäß § 240 SGB VI auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Ein solcher besteht nur, wenn ein Versicherter seinen bisherigen Beruf und eine zumutbare andere Tätigkeit nicht mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann, weshalb diese Tätigkeit zur Beurteilung der sozialen Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit maßgeblich ist. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Diese bestimmt sich nach der letzten, auf Dauer ausgeübten, pflichtversicherten Tätigkeit. Zwar hat die Klägerin den Beruf einer Einzelhandelskauffrau erlernt, sie war in diesem Beruf jedoch nur kurzfristig tätig. Die Klägerin war nach der Wideraufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Zeit der Kindererziehung von 1979 bis zum 28.02.2003 als Automatenpackerin b zw. Maschinenführerin bei der Firma H. beschäftigt. Die Rechtsprechung des BSG zur Berufsunfähigkeit hat die Berufe der Versicherten nach ihrer Wertigkeit in Gruppen eingeteilt und, ausgehend von der Bedeutung, welche die Ausbildung für die Qualität eines Berufes hat, Leitberufen zugeordnet. Diese sind gekennzeichnet durch den Beruf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelanlernzeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (z.B. BSGE 62, 64; BSGE 68, 277; BSG SozR 2200 § 1246 Nr.127, 143). Bei den von der Klägerin bei der Firma H. ausgeübten Tätigkeiten handelt es sich allenfalls um Tätigkeiten, die in die Gruppe des angelernten Arbeiters einzuordnen sind und damit ist die Klägerin auch auf alle Berufe im Bereich des ungelernten Arbeiters verweisbar. Das bedeutet, dass die Klägerin auch dann, wenn sie die Tätigkeit bei der Firma H. tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen zum 28.02.2003 aufgegeben hat, sie jedenfalls für die Zeit bis zum Mai 2005 auf alle einfachen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar war, denen sie körperlich, geistig und seelisch gewachsen war, ohne dass es einer konkreten Benennung einer bestimmten Ausübungs- und Verweisungstätigkeit bedarf. Nach der Auffassung des Sozialgerichts, der der Senat zustimmt, bestanden für die Klägerin jedenfalls bis Mai 2005 lediglich Leistungseinschränkungen in qualitativer Hinsicht. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Positionswechsel konnte die Klägerin noch vollschichtig verrichten. Damit war ihr der Arbeitsmarkt auch nicht verschlossen.

Da die Klägerin somit weder erwerbsgemindert gemäß § 43 SGB VI noch berufsunfähig gemäß § 240 SGB VI in dem Zeitraum war, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt waren, ist die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin ohne Erfolg blieb.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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