L 14 R 480/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 R 4064/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 480/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Trifft innerhalb eines Kalendermonats eine in Österreich zurückgelegte Pflichtbeitragszeit mit einer in Deutschland zurückgelegten Pflichtbeitragszeit zusammen, sind Entgeltpunkte für beide Pflichtbeitragszeiten zu ermitteln. Die österreichische Pflichtbeitragszeit wird nicht durch die deutsche Pflichtbeitragszeit verdrängt.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 19. Mai 2008 und Abänderung des Bescheids vom 27. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
28. Januar 2003 verpflichtet, für die vom Kläger im Monat Juli 1958 in
Österreich zurückgelegte Pflichtbeitragszeit zusätzlich Entgeltpunkte zu berücksichtigen und Leistungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Berechnung der Altersrente für langjährig Versicherte Entgeltpunkte für die vom Kläger in Österreich im Monat Juli 1958 aufgrund einer vom 1. Juli bis 26. Juli 1958 ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung zurückgelegte Pflichtbeitragszeit zusätzlich zu den Entgeltpunkten für eine Pflichtbeitragszeit zur deutschen Rentenversicherung für den Monat Juli 1958 aufgrund einer versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers vom 28. Juli bis 31. Juli 1958 zu berücksichtigen ist.

Der 1939 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, hat zunächst vom 15. September 1953 bis 26. Dezember 1957 Pflichtbeitragszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt. Vom 1. Januar 1958 bis einschließlich 26. Juli 1958 war er ausweislich der Auskunft der Vorarlberger Gebietskrankenkasse vom 26. November 1985 sowie des Zeugnisses des Arbeitgebers vom 26. Juli 1958 versicherungspflichtig in der Republik Österreich beschäftigt. Im Anschluss daran hat der Kläger ab 28. Juli 1958 - mit Unterbrechungen in den Jahren 1973 und 1974 - bis zum 31. Juli 2002 erneut Pflichtbeitragszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt.

Auf Antrag vom 7. Mai 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 10. Juni 2002 Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres ab
1. August 2002 gemäß Art. 45 der Verordnung Nr. 574/72 EWG als vorläufige Leistung ohne Berücksichtigung der österreichischen Beitragszeiten. Die endgültige Berechnung sei erst nach Beteiligung des zuständigen Versicherungsträgers in dem anderen Mitgliedstaat möglich.

Der österreichische Versicherungsträger teilte am 3. September 2002 mit, der Kläger habe für den Zeitraum 1. Januar 1958 bis 31. Juli 1958 sieben Monate mit Pflichtbeitragszeiten zur nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geregelten Pensionsversicherung zurückgelegt. Mit Bescheid gleichen Datums hat er einen Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer österreichischen Pension abgelehnt, weil der Kläger in der österreichischen Pensionsversicherung insgesamt nicht mindestens 12, sondern nur
7 Versicherungsmonate zurückgelegt habe, die für die Berechnung der Pension zu berücksichtigen seien.

Mit angefochtenem Bescheid vom 27. September 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1. August 2002 Altersrente für langjährig Versicherte unter Berücksichtigung der vom Kläger in Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten. Es ergab sich bei einer Summe aller Entgeltpunkte von 63,3852 Punkte eine monatliche Rente ab Rentenbeginn in Höhe von 1.639,14 Euro, aus der sich ein monatlicher Zahlbetrag in Höhe von
1.512,93 Euro errechnete. Der Betrag entspricht dem Ergebnis der zwischenstaatlichen Berechnung. Er liegt über dem Bruttorentenbetrag einer rein innerstaatlich berechneten Rente in Höhe von 1.623,66 Euro.

Bei der zwischenstaatlichen Rentenberechnung setzte die Beklagte sechs in Österreich zurückgelegte Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten (1. Januar 1958 bis 30. Juni 1958) an. Der Zeitraum 1. Juli 1958 bis 31. Juli 1958 wurde als verdrängter Pflichtbeitrag bezeichnet und nicht rentenerhöhend berücksichtigt. Der Monat Juli 1958 wurde als ein Kalendermonat mit Pflichtbeiträgen zur deutschen Rentenversicherung der Arbeiter vorgemerkt und für den Zeitraum 28. Juli 1958 bis 31. Juli 1958 ein Entgelt in Höhe von 48,33 DM angesetzt.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er sei vom 1. Januar bis 31. Juli 1958 in Österreich beschäftigt gewesen. Dieser Zeitraum sei von der Beklagten nur teilweise in die deutsche Rentenberechnung einbezogen worden. Damit sei er nicht einverstanden. Zum Ende der Tätigkeit habe er einen mehrtägigen Urlaub gehabt. Er sei von seinem neuen Arbeitgeber in Deutschland gebeten worden, noch während dieses alten Urlaubs zu Wochenbeginn seine Tätigkeit aufzunehmen. Hätte er dies nicht getan, wäre seine Monatsrente um 2,47 Euro höher. Um Berichtigung seiner monatlichen Rente wurde gebeten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 zurückgewiesen. Die ausländischen Versicherungszeiten seien nur insoweit zu berücksichtigen, als sie sich nicht mit deutschen Versicherungszeiten überschneiden und von diesen nach Art. 15 VO (EWG) Nr. 574/72 (VO Nr. 574/72) verdrängt werden. Die EWG-Verordnungen
Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 enthielten zwar grundsätzlich keine Bestimmung über die Rangfolge beim Zusammentreffen gleichwertiger Beitragszeiten; in diesen Fällen seien aber bei der Berechnung des deutschen theoretischen Betrages die deutschen Pflichtbeiträge zu berücksichtigen, während die zeitgleichen Beiträge des anderen Mitgliedstaates außer Betracht blieben. Dies gelte auch, wenn mitgliedstaatliche Pflichtbeiträge, die gemäß Art. 48 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 abzugelten seien, mit deutschen Pflichtbeiträgen zusammentreffen.

Im Rahmen der hiergegen zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage beantragte der Kläger, ihm eine österreichische Rente unter Berücksichtigung des österreichischen Pflichtbeitrags im Juli 1958 zu gewähren. Für den Fall des Zusammentreffens gleichartiger Beiträge (hier Pflichtbeiträge) sei in Art. 15 VO Nr. 574/72 keine Rangfolge vorgesehen, so dass eine Verdrängung nicht stattfinde. Dies sei im Rahmen des Art. 48 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 ebenso. Der Kläger habe mit eigenen Beiträgen eine Anwartschaft erworben, die nicht aus Gründen bürokratischer Zweckmäßigkeit ersatzlos aufgegeben werden könne.

Die Beklagte machte geltend, das Kollisionsrecht der VO (EWG) Nr. 1408/71 (Art. 13 ff.) verhindere grundsätzlich das parallele Bestehen von Versicherungsverhältnissen aufgrund einer Beschäftigung oder unselbstständigen Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten. Zum Zusammentreffen von Versicherungszeiten solle es nicht kommen. Dem Grundsatz folgend, dass Versicherungs- und Wohnzeiten sich nicht überschneiden dürften, sei ausschließlich - als Ausnahme von der Grundregel - die doppelte Berücksichtigung von Versicherungszeiten für die gemäß Art. 14c bzw. Art. 14f VO (EWG) Nr. 1408/71 zugelassene Doppelversicherung vorgesehen (vgl. Art. 15 Abs. 1Bst. a S. 3 VO (EWG) Nr. 574/72). Folglich könne für den Monat der Überschneidung im Juli 1958 nur gelten, dass vorrangig die Versicherungszeit zu berücksichtigen sei, die nach eigenem nationalen Recht entstanden sei. Eine doppelte Berücksichtigung komme auf keinen Fall in Betracht. Für die deutsche zwischenstaatliche Rentenberechnung sei die deutsche Versicherungszeit zu verwenden. Innerhalb der deutschen Rentenberechnung sei die kleinste Einheit der Monat, weil teilweise belegte Monate als volle Monate zählen würden (§ 122 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Innerhalb der innerstaatlichen Rentenberechnung könne ebenso wie in der zwischenstaatlichen Berechnung gemäß Art. 46 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 nur mit ganzen Monaten gerechnet werden. Eine teilweise Berücksichtigung sowohl der deutschen als auch der mitgliedschaftlichen Zeit in einem Monat scheide daher aus, weil ein belegter und in einem vorherigen Rechenschritt "verbrauchter" Monat in einem späteren Rechenschritt nicht erneut für eine andere Versicherungszeit herangezogen werden könne. Dies entspreche der Verwaltungspraxis aller deutschen Rentenversicherungsträger, wie sie anlässlich gemeinsamer Beratungen der Arbeitsgruppen für zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht beim Verband Deutscher Rentenversicherungsträger in der Sitzung vom 4./5. November 1972 festgelegt worden seien. Hieran sei sie gebunden. Dem Protokoll über die genannte Sitzung ist der Beschluss zu entnehmen, deutschen Beitragszeiten den Vorrang vor gleichartigen Beitragszeiten anderer Mitgliedstaaten einzuräumen. Es solle angestrebt werden, eine entsprechende Regelung in Art. 15 VO (EWG) Nr. 574/72 aufzunehmen.

Im Rahmen einer vom SG angeforderten Probeberechnung ergab sich, dass bei einer Berücksichtigung von 7 in Österreich zurückgelegten Kalendermonaten mit Pflichtbeitragszeiten (Januar bis Juli 1958) zusätzlich zu den deutschen Pflichtbeitragszeiten im Juli 1958 die Summe der Entgeltpunkte von 63,3852 Punkten auf 63,4916 Punkte und der monatliche anfängliche Zahlbetrag um 2,56 Euro auf 1.515,49 Euro steigt. Bei einer Berücksichtigung ausschließlich der österreichischen Pflichtbeitragszeiten im Juli 1958 ergab sich eine Erhöhung der Summe aller Entgeltpunkte auf 63,4832 und eine Erhöhung des anfänglichen monatlichen Zahlbetrags um 2,35 Euro auf 1.515,28 Euro.

Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2008 entschieden. Es hat die Klage mit der Begründung zurückgewiesen, mit Ausnahme der Fälle von zulässiger Doppelversicherung (vgl. Art. 14c Bst. b VO (EWG) Nr. 1408/71) sei der Grundsatz zu beachten, dass eine Zeit nicht doppelt angerechnet werden könne. Die in den einzelnen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten dürften nur insoweit berücksichtigt werden, als sie sich nicht überschneiden würden. Dies sei auch der Fall, wenn ein Kalendermonat mehrfach belegt sei. In diesen Fällen würde gemäß Art. 15
Abs. 1 Bst. b, c, d VO (EWG) Nr. 574/72 die nachrangige Versicherungszeit von der jeweils vorrangigen Versicherungszeit verdrängt. Der beim leistungspflichtigen Träger zurückgelegten Beitragszeit sei der Vorrang einzuräumen. Eine doppelte Honorierung der im selben Monat zurückgelegten Beitragszeiten zu mehreren Versicherungsträgern sei nicht geboten. Da gemäß § 122 Abs. 1 SGB VI bei der Berechnung von Zeiten die kleinste Einheit der Monat darstelle, sei es nicht möglich, innerhalb dieser Maßeinheit Beitragszeiten zu mehreren Versicherungsträgern zu berücksichtigen.

Die hiergegen erhobene Berufung begründete der Kläger mit dem Hinweis, die Berechnung der Beklagten sei durch Art. 15 VO (EWG) Nr. 574/72 nicht gedeckt. Eine Rangfolge sei nicht vorgesehen, so dass eine Verdrängung nicht stattfinde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 19. Mai 2008 und des Bescheids der Beklagten vom 27. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2003 zu verurteilen, dem Kläger unter zusätzlicher Berücksichtigung des österreichischen Pflichtbeitrags im Juli 1958 eine höhere Altersrente für langjährig Versicherte entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger steht gemäß Art. 48 Abs. 2, 1, Art. 46 Abs. 2 Bst. a) VO (EWG) Nr. 1408/71 ein Anspruch auf zusätzliche Berücksichtigung des in Österreich zurückgelegten Kalendermonats Juli 1958 mit Pflichtbeiträgen bei der Rentenberechnung und damit entsprechend höhere Rentenleistungen ab Antragstellung zu.

Die Berechnung der Höhe der dem Kläger ab 1. August 2002 gem. § 236 Abs. 1 SGB VI mit Vollendung des 63. Lebensjahres zustehenden Altersrente für langjährig Versicherte bestimmt sich grundsätzlich nach § 63 ff. SGB VI. Diese Vorschriften werden durch die Art. 44 ff. VO (EWG) Nr. 1408/71 sowie die Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 574/72 ergänzt, wenn - wie hier unstrittig - der Anwendungsbereich dieser Verordnungen eröffnet ist (vgl. § 6 SGB IV).

Gemäß Art. 48 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 werden die in Art. 48 Abs. 1 VO (EWG)
Nr. 1408/71 genannten Zeiten vom zuständigen Träger jedes anderen Mitgliedstaats bei der Anwendung von Art. 46 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 mit Ausnahme des Buchstaben b) berücksichtigt.

Der Träger eines Mitgliedstaats ist nach Art. 48 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 ungeachtet des Art. 46 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht verpflichtet, Leistungen aus Zeiten zu gewähren, die nach den von ihm angewendeten Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden und im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen sind, wenn die Dauer dieser Zeiten weniger als ein Jahr beträgt und aufgrund allein dieser Zeiten kein Leistungsanspruch nach diesen Rechtsvorschriften erworben worden ist.

Die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 sind erfüllt. Der österreichische Versicherungsträger hat festgestellt, dass bei ihm nur sieben Kalendermonate mit Versicherungszeiten (Januar bis Juli 1958) zurückgelegt worden sind. Die Dauer dieser Zeiten beträgt damit weniger als ein Jahr. Allein aufgrund dieser Zeiten konnte der Kläger unstrittig auch keinen Leistungsanspruch nach den österreichischen Rechtsvorschriften erlangen.

Art. 48 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 verpflichtet den deutschen Rentenversicherungsträger, die in Abs. 1 genannten Zeiten, also die in Österreich zurückgelegten Zeiten unter einem Jahr, aufgrund allein derer der Kläger keinen Leistungsanspruch in Österreich erwerben konnte, bei der Gewährung von Leistungen zu berücksichtigen. Hierbei handelt es sich nach der Feststellung des österreichischen Versicherungsträgers um Versicherungszeiten im Zeitraum Januar bis Juli 1958. Für diese Zeiten hat der Kläger keinen Leistungsanspruch gegenüber dem österreichischen Versicherungsträger. Diese Zeiten (also nicht nur die Zeiten von Januar bis Juni 1958) hat der deutsche Versicherungsträger gemäß Art. 48 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 auch bei der Anwendung von Art. 46
Abs. 2 Bst. a) VO (EWG) Nr. 1408/71 zu berücksichtigen. Art. 48 Abs. 2 VO (EWG)
Nr. 1408/71 gibt nach seinem Wortlaut keinerlei Handhabe dafür, die Versicherungszeiten von weniger als einem Jahr in einem anderen Mitgliedstaat nur teilweise zu berücksichtigen.

Nach Art. 46 Abs. 2 Bst. a VO (EWG) Nr. 1408/71 berechnet der zuständige Träger den theoretischen Betrag der Leistung, auf die die betreffende Person Anspruch hätte, wenn alle nach den für den Arbeitnehmer oder Selbstständigen geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten nur in dem betreffenden Staat und nach den für diesen Träger zum Zeitpunkt der Feststellung der Leistung geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Dies bedeutet grundsätzlich, dass der deutsche Rentenversicherungsträger fiktiv davon auszugehen hat, die vom Kläger tatsächlich in Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten wären in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden.

Dies gilt gemäß Art. 47 Abs. 2 S. 1 Bst. c) VO (EWG) Nr. 1408/71 aber nicht uneingeschränkt. Nach dieser Bestimmung hat der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung von Leistungen das Verhältnis zu Grunde zu legen ist, das während der Versicherungszeiten zwischen dem Bruttoarbeitsentgelt des Versicherten und dem Durchschnittsbruttoarbeitsentgelt aller Versicherten mit Ausnahme der Lehrlinge bestand, die genannten Verhältniszahlen ausschließlich aufgrund des Bruttoarbeitsentgelts zu ermitteln, das der Versicherte während dieser Zeiten bezogen hat.

Nach den deutschen Rechtsvorschriften wird das von Versicherten individuell erzielte Arbeitsentgelt in Bezug zu dem Durchschnittsentgelt aller Versicherten eines Kalenderjahres gesetzt (§ 63 Abs. 2 SGB VI i.V.m. mit Anlage 1 zum SGB VI.) Damit hat der deutsche Rentenversicherungsträger bei der Bewertung der in Österreich zurückgelegten Zeiten nicht die vom Kläger tatsächlich in Österreich erzielten Entgelte zugrunde zu legen. An deren Stelle treten vielmehr die sich aus allen deutschen Beitragszeiten im Durchschnitt ergebenden Entgeltpunkte.

Wäre der Kläger vom 1. Januar 1958 bis 26. Juli 1958 bei einem Arbeitgeber in Deutschland und anschließend vom 28. Juli 1958 bis 31. Juli 1958 bei einem anderen Arbeitgeber in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, wären die vom Kläger in diesem Zeitraum bei den zwei verschiedenen Arbeitgebern erzielten Entgelte bei der Berechnung der Entgeltpunkte kumulativ berücksichtigt worden. Diese Zusammenrechnung der Entgelte hat nach Art. 46 Abs. 2 Bst. a VO (EWG) Nr. 1408/71 bei der Berechnung des theoretischen Betrags der Leistung auch dann zu geschehen, wenn der Versicherte in einem anderen Mitgliedsstaat Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt hat. Denn nach dieser Bestimmung ist der deutsche Versicherungsträger gehalten, den Versicherten so zu stellen, als ob die vom Versicherten in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden wären. Aus Art. 47 Abs. 1 c) VO (EWG) Nr. 1408/71 folgt nur, dass anstelle der tatsächlich in Österreich erzielten Entgelte die durchschnittlichen Entgeltpunkte aus allen deutschen Beitragszeiten zu setzen sind. Dieser theoretische Betrag ist dann bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen, da Art. 48 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 ausdrücklich nicht auf Art. 46 Abs. 2 Bst. b VO (EWG) Nr. 1408/71 verweist.

Aus Art. 48 Abs. 2, Art. 46 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 ist damit unmittelbar zu entnehmen, dass bei der Berechnung der Altersrente des Klägers die im Monat Juli 1958 in Österreich zurückgelegte Pflichtbeitragszeit des Klägers zusätzlich zu berücksichtigen ist.

Diesem Ergebnis steht nicht ein allgemeiner Grundsatz entgegen, dass sich Versicherungszeiten nicht überschneiden dürften. Einen solchen allgemeinen Grundsatz gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Wie auch die Beklagte anerkennt, lässt sich ein solcher nicht aus den Vorschriften der VO (EWG) Nr. 1408/71 bzw. VO (EWG) Nr. 574/72 ableiten. Auch der von der Beklagten angeführte Art. 15 Abs. 1 Bst a) VO (EWG) Nr. 574/72 ist insoweit nicht einschlägig. Nach dieser Bestimmung werden den Versicherungs- oder Wohnzeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind, die nach den Rechtsvorschriften aller anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten hinzugerechnet, soweit dies erforderlich ist, um die nach den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs zu ergänzen; die Versicherungszeiten dürfen sich jedoch nicht überschneiden. Ein Verbot der Überschneidung von Versicherungszeiten wird also nur für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben von Rentenansprüchen normiert, aber nicht für die Ermittlung der Rentenhöhe. Darüber hinaus legt Art. 46 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 574/72 nur fest, dass für die Berechnung des theoretischen Leistungsbetrags nach Art. 46 Abs. 2 Bst. a) der VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 15 Abs. 1 Bst. b), c) und d) der VO (EWG) Nr. 574/72 gilt. Ein Verweis auf Art. 15 Abs. 1 Bst. a) VO (EWG) Nr. 574/72, in dem das Verbot der Überschneidung von Versicherungszeiten geregelt ist, erfolgt gerade nicht.

Schließlich lässt sich auch aus Art. 46 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 574/72 der Rechtsgedanke ableiten, dass Zeiträume, für die zusätzlich Beiträge bezahlt worden sind, bei der Rentenberechnung auch zusätzlich zu honorieren sind. Hierin ist geregelt, dass der nach Art. 46 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 errechnete tatsächlich geschuldete Betrag um den Betrag erhöht wird, der den Zeiten der freiwilligen Versicherung oder freiwilligen Weiterversicherung entspricht, die gemäß Art. 15 Abs. 1 Bst. b) VO (EWG) Nr. 574/72 nicht berücksichtigt worden sind. Letzteres ist der Fall, da die Zeiten mit freiwilligen Beiträgen durch Pflichtbeitragszeiten verdrängt werden. Der Zahlung von freiwilligen Beiträgen zusätzlich neben Pflichtbeitragszeiten soll danach also eine rentensteigernde Wirkung zukommen. Wenn dies für freiwillige Beiträge gilt, muss dies erst recht für Pflichtbeiträge gelten. Eine Art. 46 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 574/72 entsprechende Regelung für die Zahlung von Pflichtbeiträgen in ein und demselben Monat in verschiedenen Mitgliedstaaten war jedoch entbehrlich, da sich - wie dargelegt - bereits aus den Vorschriften der VO (EWG) Nr. 1408/71 und VO (EWG) Nr. 574/72 unmittelbar ergibt, dass eine Zusammenrechnung zu erfolgen hat. Eine Regelung, wonach Pflichtbeiträge in einem Mitgliedstaat die zeitgleichen Pflichtbeiträge in einem anderen Mitgliedstaat verdrängen, gibt es hingegen nicht.

Auch aus Art. 15 Abs. 1 Bst. b), c), d) VO (EWG) Nr. 574/72 folgt nicht, dass die vom Kläger in Österreich zurückgelegte Pflichtbeitragszeit im Monat Juli 1958 von der deutschen Pflichtbeitragszeiten Monat Juli 1958 verdrängt würde. Diese Bestimmungen regeln vielmehr, dass deutsche Pflichtbeiträge mitgliedstaatliche freiwillige Beiträge bzw. deutsche Pflichtbeiträge und deutsche freiwillige Beiträge mitgliedstaatliche gleichgestellte Zeiten verdrängen. Ferner werden danach deutsche freiwillige Beiträge durch mitgliedstaatliche Beiträge und deutsche Ersatz- und Anrechnungszeiten durch mitgliedstaatliche Pflichtbeiträge bzw. freiwillige Beiträge verdrängt. Eine Regelung in Bezug auf das Zusammentreffen von Pflichtbeiträgen in verschiedenen Mitgliedstaaten ist in diesen Bestimmungen nicht enthalten.

Das hier erzielte Ergebnis ist auch im Gegensatz zu dem von der Beklagten erzielten Ergebnis sachgerecht. Denn es führt dazu, dass sowohl die vom Kläger in Deutschland entrichteten Beiträge bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden als auch die in Österreich gezahlten Beiträge sich im Ergebnis rentensteigernd auswirken. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, warum die in Österreich zurückgelegte Pflichtbeitragszeit bei der Rentenberechnung unberücksichtigt bleiben sollte. Ein solcher rechtfertigender Grund liegt auch nicht in einer Verwaltungsvereinfachung. Denn es wurde weder vorgetragen noch ist es für den Senat ersichtlich, warum eine Rentenberechnung unter zusätzlicher Einbeziehung der vom Kläger im Monat Juli 1958 zurückgelegten österreichischen Pflichtbeitragszeit (ggf. nach entsprechender Änderung der maßgeblichen Computerprogramme) verwaltungsaufwändiger sein sollte als eine Rentenberechnung ohne deren Berücksichtigung.

Die von der Beklagten angewandte Vorgehensweise führt hingegen dazu, dass der Kläger durch die Zahlung von Beiträgen im Zeitraum 28. bis 31. Juli 1958 ohne rechtfertigenden Grund deutlich benachteiligt wird. Hätte er in diesem Zeitraum keine Beiträge entrichtet, wären unstrittig die Monate Januar bis Juli 1958 uneingeschränkt als österreichische Pflichtbeitragszeit zu berücksichtigen. Zudem werden durch die niedrigen Entgeltpunkte für den Zeitraum 28. Juli bis 31. Juli 1958 (auf der Basis eines Entgelts in Höhe von nur 48,33 DM) der Durchschnittswert der Summe der Entgeltpunkte für die deutschen Beitragszeiten gesenkt und damit zwangsläufig die für die österreichischen Beitragszeiten anzusetzenden Entgeltpunkte vermindert. Insgesamt führt der Umstand, dass der Kläger im Zeitraum 28. Juli bis 31. Juli 1958 Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet hat, nach der Berechnungsmethode der Beklagten dazu, dass der monatliche Zahlbetrag der Altersrente des Klägers immerhin noch um 2,35 Euro unter dem monatlichen Zahlbetrag liegt, der sich ergeben würde, wenn der Kläger im Monat Juli 1958 keine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet hätte. Es ist kein nachvollziehbarer Grund dafür ersichtlich, dass der Kläger sich durch die Zahlung von Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung im Monat Juli 1958 schlechter stellt als ohne eine solche.

Nach alledem war der Berufung stattzugeben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung zukommt und eine höchstrichterliche Entscheidung noch nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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